Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 30.04.2013 - (2 B) 53 Ss-OWi 93/13 (48/13)
Fundstelle
openJur 2014, 4110
  • Rkr:

Bei einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, das nach allgemeinen Grundsätzen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 1. November 2012 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Cottbus zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Cottbus verhängte gegen den Betroffenen durch Beschluss vom 1. November 2012 wegen „fahrlässiger Nichtentrichtung der Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung für die Monate November 2011 bis April 2012“ eine Geldbuße von 500 €. Nach den getroffenen Feststellungen schloss der Betroffene zum 1. März 2008 bei dem Versicherer A. eine private Pflegeversicherung ab, zahlte ab Mai 2009 bis mindestens April 2012 bei fortbestehender Versicherung die zu leistenden Prämien nicht und wurde am 29. September 2009 vom Versicherer erfolglos gemahnt. Er habe sich „aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten einmal entschlossen“, die Prämien nicht mehr zu leisten.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und die Sachrüge erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Einwand, der Betroffene habe einer Entscheidung im schriftlichen Beschlussverfahren (§ 72 Abs. 1 OWiG) mit Schreiben vom 5. November 2012 widersprochen, bleibt allerdings bereits deshalb erfolglos, weil eine derartige Beanstandung mit der Verfahrensrüge geltend zu machen ist, die hier nicht näher ausgeführt und damit unzulässig ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch aufgrund der erhobenen Sachrüge begründet, weil das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht standhält. Die getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI nicht, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig mit der Entrichtung von sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in Verzug gerät.

a) Den Beschlussgründen ist schon nicht zu entnehmen, dass sich der Betroffene gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert hat und demgemäß auch zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit bei diesem Unternehmen verpflichtet war (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Der Tatbestand des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, der einen Rückstand von mindestens sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung sanktioniert (vgl. Udsching/Bassen, SGB XI 3. Aufl. § 121 Rdnr. 8), setzt voraus, dass aufgrund des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung eine Pflicht zur privaten Pflegeversicherung besteht (vgl. BT-Drucksache 12/5262, S. 155f.; 12/5952, S. 50). Da nach der gesetzlichen Regelung die Versicherungspflicht aus der privaten Krankenversicherung folgt, kommt es entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung hierbei allerdings nicht darauf an, ob der Betroffene bei fortbestehender privater Krankenversicherung Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen bezogen hat. Die Versicherungspflicht entfällt insoweit erst bei – zulässiger – Beendigung der privaten Krankenversicherung.

b) Darüber hinaus hat das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass die Verwirklichung des Tatbestandes eine Leistungsfähigkeit des Betroffenen voraussetzt, und hat hierzu Näheres nicht festgestellt. Bei § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. zur Abgrenzung Karlsruher Kommentar/Rengier, OWiG 3. Aufl. § 8 Rdnr. 8), das nach allgemeinen Grundsätzen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. BGHSt 47, 318ff.; Göhler/Gürtler, OWiG 16. Aufl. § 8 Rdnr. 7; Fischer, StGB 60. Aufl. § 13 Rdnr. 44 und § 266a Rdnr. 14f.). Deshalb fehlt es an der Vorwerfbarkeit der Nichtentrichtung der Versicherungsprämien, wenn dem Betroffenen aufgrund schlechter finanzieller und wirtschaftlicher Verhältnisse eine Prämienzahlung im Einzelfall nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist. Dass er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, ist für die Frage der Vorwerfbarkeit eines bußgeldbewehrten Unterlassens irrelevant.

Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich der Betroffene "aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten“ zur Nichtleistung der Prämien entschlossen habe. Näheres zur Frage der Leistungsfähigkeit ist dem nicht zu entnehmen, zumal nicht ersichtlich ist, inwieweit diese nicht näher konkretisierte Feststellung auch die den Tatzeitraum November 2011 bis April 2012 maßgeblichen Verhältnisse betrifft. Hinzukommt, dass der Betroffene nach dem Beschlussgründen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch keine Angaben gemacht hat.

c) Das Tatgericht hat ferner – auch wenn das Urteil darauf im Hinblick auf die eher für einen Vorsatz sprechenden Feststellungen nicht beruhen mag – nicht beachtet, dass der Bußgeldtatbestand des § 121 Abs. 1 SGB XI zumindest leichtfertiges Verhalten voraussetzt, so dass allein die Bejahung einfacher Fahrlässigkeit nicht ausreicht, sondern aufgrund der konkreten Umstände eine ungewöhnlich grobe Pflichtwidrigkeit vorliegen muss (vgl. Göhler/Gürtler, aaO. § 10 Rdnr. 20).

d) Auch die Bemessung der Rechtsfolge ist nicht frei von Rechtsfehlern, weil das Amtsgericht trotz der nicht unerheblichen Höhe der verhängten Geldbuße zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen Feststellungen nicht getroffen hat. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung waren Ausführungen hierzu nicht deshalb entbehrlich, weil sich der Betroffene nicht eingelassen hat. Da das Amtsgericht im Beschlussverfahren gemäß § 72 Abs. 1 OWiG entschieden hat und nicht ersichtlich ist, inwieweit dem Betroffenen vorab ausdrücklich Gelegenheit zu entsprechenden Angaben gegeben wurde, genügt eine Zugrundelegung durchschnittlicher Vermögensverhältnisse nicht.