OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013 - VII-Verg 21/13
Fundstelle
openJur 2014, 4017
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 22. Juli 2013 (VK 3-56/13) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Ausspruch des Beschlusses unter 2. aufgehoben und der Antragsgegnerin untersagt wird, einen Rabattvertrag über die Wirkstoffe Infliximab und Golimumab ohne vorherige Auftragsbekanntmachung zu vergeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden je zur Hälfte der Antragsgegnerin und der Beigeladenen auferlegt.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 50.000 Euro

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, eine im Land Baden-Württemberg ansässige Allgemeine Ortskrankenkasse, schloss für ihren Geschäftsbereich ohne vorherige Bekanntmachung am 17. Mai 2013 mit der Beigeladenen für die Dauer von zwei Jahren einen Rabattvertrag nach §130a Abs. 8 SGB V über die Arzneimittel Simponi® (Wirkstoff: Golimumab) und Remicade® (Wirkstoff: Infliximab), die zur Behandlung des Tumor-Nekrose Faktors α (TNF-Faktor α) eingesetzt werden. Die Beigeladene ist ein Deutschland ansässiges Importunternehmen pharmazeutischer Produkte und für beide Arzneimittel exklusiv vertriebsberechtigt.

Die Antragstellerin importiert Arzneimittel, auch Simponi® und Remicade®, nach Deutschland. Dazu bedient sie sich im Ausland vorhandener Überschussmengen. Sie erfuhr aufgrund nachträglicher Bekanntmachung vom Vertragsschluss und hat dagegen bei einer Vergabekammer des Bundes am 21. Juni 2013 einen Nachprüfungsantrag mit dem Ziel angebracht, die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses feststellen und der Antragsgegnerin untersagen zu lassen, den Rabattvertrag ohne vorherige Bekanntmachung zu vergeben.

Im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren haben die Verfahrensbeteiligten über die Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes sowie darüber gestritten, ob Importeure wie die Antragstellerin in Bezug auf Präparate und Wirkstoffe der vorliegenden Art den Beschaffungsbedarf der gesetzlichen Krankenkassen überhaupt decken können und insoweit leistungsfähig sind. Die Antragsgegnerin hat Marktuntersuchungen angestellt, wonach Importeure nicht in der Lage seien, den gesamten Bedarf mengenmäßig abzudecken. Die Verfahrensbeteiligten sind ferner verschiedener Meinung darüber gewesen, ob die Antragsgegnerin ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Auftragsbekanntmachung hat durchführen dürfen. Der Antragstellerin zufolge hat die Antragsgegnerin ihr Bieterverhalten und die Leistungsfähigkeit für den Fall einer Eröffnung von Wettbewerb unzulässigerweise, und zwar nachteilig, antizipiert. Die Antragsgegnerin - unterstützt von der Beigeladenen - hat demgegenüber darauf hingewiesen, die Lieferfähigkeit des Vertragspartners sei im Sinn einer kontinuierlichen und reibungslosen Versorgung der Versicherten bereits Gegenstand des vom Auftraggeber zu definierenden Beschaffungsbedarfs.

Die 3. Vergabekammer des Bundes hat ihre Zuständigkeit angenommen und hat die Antragsbefugnis der Antragstellerin bejaht. In der Sache hat die Vergabekammer die Unwirksamkeit des abgeschlossenen Rabattvertrags festgestellt und der Antragsgegnerin aufgegeben, vor erneutem Abschluss eines solchen Vertrags ein offenes Verfahren durchzuführen. Nach Auffassung der Vergabekammer hat die Antragsgegnerin bei den Verhandlungen mit der Beigeladenen fehlerhaft unberücksichtigt gelassen, dass grundsätzlich auch Importeure wie die Antragstellerin zugelassen und geeignet seien, Rabattvertragspartner zu werden. Die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung hätten deswegen nicht vorgelegen. Kontinuierliche und umfassende Lieferfähigkeit sei nicht Bestandteil des Beschaffungsbedarfs, sondern ein klassisches Eignungskriterium. Die Antragsgegnerin habe eine Eignungsprüfung unzulässig vorweggenommen und Importeuren wie der Antragstellerin keine Gelegenheit gegeben, ihre Lieferfähigkeit nachzuweisen.

Dagegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und beantragt,

den Nachprüfungsantrag unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie und die Beigeladene ergänzen und präzisieren das bisherige Vorbringen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.

II. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

1.a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und bei der zuständigen Vergabekammer des Bundes angebracht worden. Bei Überschneidung der Zuständigkeiten einer Vergabekammer des Bundes und der Vergabekammer eines Landes (Zuständigkeit einer Vergabekammer des Bundes wegen bundesgesetzlicher Finanzierung gesetzlicher Krankenkassen, Zuständigkeit der Vergabekammer des Landes Baden-Württemberg aufgrund der Aufsicht über die Leitung der gesetzlichen Krankenkasse; vgl. §106a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 GWB) hat der Antragsteller entsprechend § 35 ZPO, § 73 Nr. 2, § 120 Abs. 2 GWB ein Wahlrecht (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - VII-Verg 48/07, zit. nach NRWE Rn. 87 ff. und VII-Verg 51/07, NZBau 2008, 194, 200; vgl. auch: OLG Koblenz, Beschluss vom 5. September 2002 - 1 Verg 2/02). Zuständig ist in einem solchen Fall diejenige Vergabekammer, bei welcher der Antragsteller den Nachprüfungsantrag einreicht. Dies war hier die Vergabekammer des Bundes. Verfahrensnormen der §§ 63 ff. GWB stehen einer analogen Anwendung von § 35 ZPO wörtlich oder ihrem Sinn nach nicht entgegen. Die Verweisung auf Vorschriften der ZPO in § 73 Nr. 2 GWB umfasst darum auch eine solche auf § 35 ZPO und auf das Zuständigkeitswahlrecht des Antragstellers. Eine abweichende Zuständigkeitsvereinbarung ist im Streitfall nicht getroffen worden (und konnte bei dem von der Antragsgegnerin gewählten Vergabeverfahren auch nicht vereinbart werden), so dass sich eine weitere Auseinandersetzung damit erübrigt.

Allerdings war - wie die Antragsgegnerin dagegen eingewandt hat - im Zeitpunkt des Ergehens der zitierten Entscheidungen der OLG Düsseldorf und Koblenz § 106a GWB noch nicht in Kraft. Doch enthielt seinerzeit insbesondere § 18 VgV in den Absätzen 1 und 7 gleichlautende Regelungen.

Der Streitfall unterliegt nicht § 106a Abs. 3 Satz 2 GWB, wonach bei länderübergreifenden Beschaffungen der Auftraggeber die zuständige Vergabekammer benennen kann. Er betrifft keine länderübergreifende Beschaffung, sondern eine solche, die ausschließlich für den Geschäftsbereich der Antragsgegnerin in Baden-Württemberg erfolgen soll.

Ebenso wenig besteht Raum für eine entsprechende Anwendung des § 106a Abs. 3 Satz 2 GWB (länderübergreifende Beschaffung). Der Gesetzgeber hat Zuständigkeitskonflikte zwischen den Vergabekammern des Bundes und der Länder vorrangig dadurch gelöst, indem er in § 120 Abs. 2 GWB auf eine entsprechende Anwendung des § 73 GWB - und infolgedessen auch des § 35 ZPO - verwiesen hat. Danach besteht keine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 106a Abs. 3 Satz 2 GWB (Bestimmungsrecht des Auftraggebers bei länderübergreifender Beschaffung) auf Fälle der vorliegenden Art geschlossen werden kann oder muss.

Zwar hat sich das OLG Dresden (Beschl. v. 28. Juni 2012 - Verg 3/12) für eine Analogie zu § 106a Abs. 3 Satz 2 GWB (länderübergreifende Beschaffung) ausgesprochen, dies allerdings ohne eine alternative Lösung im Sinn der vorgenannten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf geprüft zu haben. Die Entscheidung des OLG Dresden verpflichtet den Senat wegen der Zuständigkeitsfrage zu keiner Vorlage nach § 124 Abs. 2 GWB an den Bundesgerichtshof. Dem Bundesgerichtshof ist nur vorzulegen, wenn das angerufene Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht vereinbaren lässt (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, Rn.9, S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr I; Beschluss vom 25. Januar 2012, X ZB 3/11, Rn. 5, Rettungsdienstleistungen IV). Das ist hier indes nicht der Fall, weil die eine Analogie zu § 106a Abs. 3 Satz 2 GWB betreffende Beschlussbegründung des OLG Dresden lediglich eine nachgeschobene Hilfserwägung des Gerichts und ein mit den Worten des Konjunktivs eingeleitetes sog. obiter dictum darstellt. Die Entscheidung tragend war allein, dass die sofortige Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss der Vergabekammer nicht statthaft war und deswegen verworfen worden ist. Die Beschwerdeentscheidung des Senats ist hinsichtlich der Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes - dies sei bemerkt - im entschiedenen Fall allerdings tragend, weil anderenfalls auf Antrag an das OLG Karlsruhe zu verweisen und ohne einen solchen Antrag der Nachprüfungsantrag unzulässig gewesen wäre (analog § 281 ZPO, §§ 73 Nr. 2; 120 Abs. 2 GWB).

b) Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB). Sie hat ein Interesse am Auftrag. Das Auftragsinteresse ist nicht dadurch widerlegt, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin vor etwa drei Jahren gesprächsweise wissen gelassen haben soll, sie sei nicht in der Lage, sich an Ausschreibungen zu beteiligten. Es ist ebenso wenig dadurch widerlegt, dass die Antragstellerin tatsächlich an Ausschreibungen von Rabattverträgen nicht teilgenommen hat. Die Antragstellerin hat sich zum Wandel ihrer Haltung erklärt. Sie will sich künftig an Ausschreibungen beteiligen und hat dazu an Bestimmungen des § 129 SGB V angesetzt: Bei einem rabattvertragsfreien Zustand haben Apotheker vorrangig ein preisgünstigeres Importerzeugnis abzugeben; nach Abschluss eines Rabattvertrags verdrängt dieser grundsätzlich das Importprodukt. Und schließlich hat die Antragstellerin ein Interesse am Auftrag objektiv auch durch Anbringen des Nachprüfungsantrags dokumentiert. Der Aussagewert ist von der Antragsgegnerin nicht entkräftet worden. Einer Rügeobliegenheit war die Antragstellerin nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB im Übrigen enthoben, weil die Antragsgegnerin den Auftrag unmittelbar der Beigeladenen erteilt hat, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen.

2. Der Nachprüfungsantrag ist - wie die Vergabekammer im Ergebnis zutreffend entschieden hat - begründet. Die Auftragsvergabe an die Beigeladene hat in mehrfacher Hinsicht gegen Vergabevorschriften verstoßen. Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin den Rabattvertrag mit der Beigeladenen geschlossen hat, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren beteiligt zu haben, erfordert auf den fristgemäß nach § 101b Abs. 2 GWB innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes angebrachten Antrag der Antragstellerin, den abgeschlossenen Rabattvertrag gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam zu erklären.

a) Die Beschwerde macht zu Unrecht geltend, die Antragsgegnerin habe ohne einen vorherigen Teilnahmewettbewerb allein mit der Beigeladenen verhandeln dürfen. Tatsächlich hat die Antragsgegnerin damit eine nach Lage der Dinge unstatthafte Direktvergabe vorgenommen. § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG (und genauso Art. 31 Nr. 1 Buchst. b Richtlinie 2004/18/EG) gestattet ein Verhandlungsverfahren ohne einen Teilnahmewettbewerb nur, wenn der Auftrag wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten (z.B. Patent, Urheberrecht) nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann. Danach müssen Leistungen oder Lieferungen entweder

- eine technische (oder eine hier nicht in Betracht kommende künstlerische) Besonderheit aufweisen, und es muss - kumulativ - gerade aufgrund der technischen Besonderheit erforderlich sein, den Auftrag einem bestimmten Unternehmen zu erteilen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - C-394/02, VergabeR 2005, 467, 470),

- oder es muss aus rechtlichen Gründen notwendig sein, den Auftrag ausschließlich an ein bestimmtes Unternehmen zu vergeben.

Da es sich bei § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG und genauso bei Art. 31 Nr. 1 Buchst. b Richtlinie 2004/18/EG um Ausnahmevorschriften handelt, sind diese eng auszulegen. Der Auftraggeber muss darlegen und beweisen, dass allein ein bestimmtes Unternehmen für den Auftrag in Frage kommt (EuGH a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - VII-Verg 46/08). Dies ist der Antragsgegnerin im Prozess nicht gelungen, tatsächlich aber auch nicht anzunehmen.

aa) Der Patentschutz für die Arzneimittel Simponi® und Remicade® und das exklusive Vertriebsrecht der Beigeladenen rechtfertigen aus rechtlichen Gründen kein Absehen vom Wettbewerb. Die Antragstellerin importiert - wie außer Streit steht - Simponi® und Remicade® (und die Wirkstoffe Golimumab und Infliximab) nach Deutschland und darf dies tun. Sie kann aus Rechtsgründen folglich genauso liefern wie die Beigeladene. Aufgrund dessen scheidet § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG in der zweiten Variante (wegen Ausschließlichkeitsrechten) als Rechtfertigungsgrund für die Auftragsvergabe aus.

bb) Es gibt aber auch keine technischen Besonderheiten, die eine ausschließliche Vergabe an die Beigeladene erfordern (erste Variante nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG). Die Antragstellerin kann die Arzneimittel Simponi® und Remicade® (und die Wirkstoffe Golimumab und Infliximab) in Deutschland gleichfalls liefern. Demgegenüber sucht die Antragsgegnerin durch einen "Kunstgriff", und zwar durch die ihr obliegende Festlegung des Beschaffungsgegenstands, eine technische Besonderheit zu erzeugen, die eine Auftragsvergabe an die Beigeladene gebietet. Sie hat den Beschaffungsbedarf so definiert, dass die in ihrem Geschäftsbereich benötigte Gesamtmenge des in Rede stehenden Wirkstoffs nur bei einem Abschluss des Rabattvertrags mit einem leistungsfähigen pharmazeutischen Herstellerunternehmen (genauer: mit dem Vertriebsunternehmen eines Herstellers) zuverlässig, das heißt, voraussichtlich bedarfs- und vertragsgerecht, geliefert werden kann.

Allerdings können Aspekte der Eignung eine technische Besonderheit begründen, so etwa, wenn der Auftrag wegen der vorausgesetzten besonderen Erfahrung oder technischen Ausstattung (Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit) nur von einem Unternehmen ausgeführt werden kann (so auch Völlink in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, § 3 VOL/A Rn. 22; § 3 VOB/A Rn. 38 m.w.N.). Es mag auch so sein, dass - so wie der Beschaffungsbedarf von der Antragsgegnerin formuliert worden ist - dieser allein von einem pharmazeutischen Herstellerunternehmen gedeckt werden kann. Ebenso sind die dafür von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Argumente als solche beachtlich. Denn der gesetzlichen Krankenkasse muss beim Abschluss von Rabattverträgen über Arzneimittel maßgeblich daran liegen, dass neben der Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Beschaffung die Versorgungssicherheit der Versicherten und die Versorgungskontinuität gewährleistet sind. Dafür ist im Sinn der zweiten Tatbestandsvoraussetzung des § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG im Streitfall aber nicht erforderlich, den Auftrag einem bestimmten Unternehmen zu erteilen, hier einem bestimmten vertriebsberechtigtem Importeur. Andere Importeure sind von einer Vergabe von Rabattverträgen über Arzneimittel vom Gesetz aber nicht, erst recht nicht generell, ausgeschlossen. Die Vergabepraxis der Antragsgegnerin führt dazu, dass die Gruppe der Arzneimittel-Importeure auf lange Sicht, wenn nicht gar endgültig von der streitigen Auftragsvergabe und von solcher vergleichbarer Art ferngehalten wird oder jedenfalls von der Antragsgegnerin ausgegrenzt werden kann.

Eine solche Vergabepraxis ist wettbewerbswidrig und diskriminiert Arzneimittel-Importeure wie die Antragstellerin (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB). Ursächlich dafür ist die Festlegung des Beschaffungsgegenstands durch die Antragsgegnerin, der zugrunde liegt und die so zugeschnitten ist, dass nur ein pharmazeutischer Hersteller oder ein mit ihm in Verbindung stehendes Vertriebsunternehmen wie die Beigeladene den gesamten Arzneimittelbedarf erfüllen und Rabattvertragspartner werden kann (siehe zu einem vergleichbaren Fall OLG Naumburg, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 1 Verg 4/10, NZBau 2011, 127, 128). Erforderlich ist dies nicht. Die Erforderlichkeit ist von der Antragsgegnerin jedenfalls nicht dargelegt worden.

So sieht zum Beispiel § 97 Abs. 3 GWB vor, dass der Auftraggeber - auch aus Gründen des Mittelstandsschutzes - Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben hat, um möglichst zahlreichen Unternehmen eine Teilnahme am Vergabeverfahren zu gestatten. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen nur zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bei der Abwägung der für und gegen eine Losvergabe sprechenden Gesichtspunkte darf sich der Auftraggeber für eine Gesamtvergabe entscheiden, wenn dafür anerkennenswerte und überwiegende Gründe gegeben sind. Sie rechtfertigen einen Verzicht auf eine Losaufteilung, wenn damit für den Auftraggeber verbundene Nachteile bei vertretbarer prognostischer, und zwar auf den Zeitraum der Auftragserfüllung bezogener Sicht, überwiegen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 22. Oktober 2009 - VII-Verg 25/09 m.w.N.). Zwar muss der Auftraggeber durch eine Losaufteilung nicht bestimmte Anbieter bedienen. Darum geht es im Streitfall jedoch nicht. Die Antragsgegnerin hat mit Ausnahme eines Anbieters sämtliche potentiellen Wettbewerber von der Beschaffung ausgeschlossen.

Allerdings sind - aus dargelegten Erfahrungen in (auch) jüngerer Vergangenheit - die Bedenken der Antragsgegnerin durchaus nachvollziehbar und gewichtig, ob Arzneimittel-Importeure die verlangten Mengen des Wirkstoffs Golimumab und Infliximab so zuverlässig zu liefern imstande sind, wie dies gefordert ist und ein Hersteller oder Vertriebsberechtigter dies tun kann. Solche Zweifel muss die Antragsgegnerin in einem Vergabeverfahren keineswegs zurückstellen und Anforderungen an die Versorgungssicherheit und -kontinuität deswegen absenken. Unwiderlegte Bedenken an der Zuverlässigkeit gebieten einen Ausschluss des Bieters vom Vergabeverfahren, sofern sie auf einer gesicherten Tatsachengrundlage beruhen. Doch muss die Antragsgegnerin, wenn es - wie im Streitfall - darum geht, einen Wettbewerb überhaupt zu ermöglichen, auch solche Vergabeformen und Handlungsmöglichkeiten prüfen und anwenden, durch deren Umsetzung Zweifel an der Eignung von Arzneimittel-Importeuren ausgeräumt werden können und ein möglichst ungehinderter Wettbewerb stattfinden kann.

So kann die Antragsgegnerin erwägen, das Fachlos Golimumab und Infliximab so in wie immer gegliederte Teillose aufzugliedern, dass die Auftragsvergabe auch für Importeure zugänglich ist. Stichhaltige Gründe, die solches verhindern, sind von Seiten der Antragsgegnerin oder der Beigeladenen im Prozess nicht vorgetragen worden. Zudem kann ein Rahmenvertrag, welcher der Rabattvertrag ist, statt mit einem auch mit mehreren Vertragspartnern geschlossen werden (§ 4 Abs. 1 VOL/A-EG). Ferner kann sich die Antragsgegnerin im Interesse der Versorgungssicherheit vor Lieferausfällen (und teureren Deckungsbeschaffungen) durch Festlegen spezifischer, an ihren Bedarf angepasster Eignungsanforderungen schützen, soweit diese angemessen sind (Art. 44 Abs. 2 UA 2 Richtlinie 2004/18/EG; § 7 Abs. 1 VOL/A-EG). In einem offenen Verfahren können Mindestanforderungen, in einem nicht offenen oder Verhandlungsverfahren können gesteigerte Anforderungen an die Eignung gestellt werden. Importeure müssen ihre Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit, einen Vertrag voraussichtlich ordnungsgemäß ausführen zu können, nachweisen. Sie können sich der Kapazitäten anderer Unternehmen, solcher von Großhändlern oder von Herstellern im In- und Ausland, bedienen (§ 7 Abs. 9 VOL/A-EG). Die Antragsgegnerin kann ihre Lieferbeziehungen und die Liefermengen abfragen und sich bestätigen lassen. Solche Instrumente hat die Antragsgegnerin entweder nicht oder nicht zureichend erwogen oder vorschnell verworfen und nicht genutzt. Stattdessen ist sie zielstrebig auf einen Vertragsschluss mit der Beigeladenen zugesteuert, der jeden Wettbewerb unterbunden hat. Dabei kann nicht festgestellt werden, dass an der Versorgungssicherheit oder der Kontinuität der Versorgung, wenn die Antragsgegnerin dergleichen erwogen und praktiziert hätte, fühlbare Abstriche hätten vorgenommen werden müssen.

Dem von der Antragsgegnerin angeregten Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht nachzugeben. Denn gleichviel, wie der Gerichtshof eventuelle Vorlagefragen beantwortet, hat der Senat als nationales Gericht in jedem Fall eigenständig zu prüfen und zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin im Streitfall die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b Richtlinie 2004/18/EG (§ 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG) nachgewiesen hat. Dies ist zu verneinen.

b) Die Präparate Simponi® und Remicade® oder ein Bezug allein über die Beigeladene weisen keine Alleinstellungsmerkmale auf, welche die Vorgehensweise der Antragsgegnerin rechtfertigen. Eine kontinuierliche Versorgung der Versicherten mit ein und demselben Arzneimittel, so die Antragsgegnerin, kann dafür (nach der Regel: keine Experimente durch eine Umstellung der Medikation) zwar ein beachtenswerter Gesichtspunkt sein. Jedoch macht die Antragsgegnerin nicht geltend, ihre Versicherten bezögen bislang ausschließlich oder auch nur mehrheitlich die Präparate Simponi® und Remicade®.

Soweit die Beschwerde geltend macht, ein Bezug von Simponi® und Remicade® bringe eine Reihe von Mehrleistungen der Beigeladenen mit sich, zum Beispiel deren (auch zur Qualitätssicherung verwendbare) Erkenntnisse aus Langzeitbeobachtungen von Patienten, spezifische Informationsmöglichkeiten für Patienten auf der Homepage sowie durch eine Telefon-Hotline und Schulungen der Patienten bei der Handhabung des Präparats und der Injektionssysteme, ist darauf hinzuweisen: Bislang hat die Antragsgegnerin solche Anforderungen in bekannt gegebenen technischen Spezifikationen, insbesondere in einer Leistungsbeschreibung nicht gefordert (§ 8 Abs. 1 und 2 VOL/A-EG). Sie kann demnach nicht wissen, ob Arzneimittel-Importeure dergleichen nicht ebenfalls anbieten wollen, wozu sie sich gegebenenfalls sowohl auf Nachunternehmer als auch auf die Fähigkeiten anderer Unternehmen berufen können.

c) Und schließlich hat die Antragsgegnerin - wie die Vergabekammer mit Recht angenommen hat - die Eignungsprüfung pauschalierend vorweggenommen und der Antragstellerin eine Eignung abgesprochen, ohne angemessene Eignungsanforderungen bekannt gemacht sowie deren Vorliegen in Bezug auf die am Auftrag interessierten Unternehmen im Einzelnen geprüft zu haben.

Bei diesem Befund war die Direktvergabe an die Beigeladene rechtswidrig. Die Antragsgegnerin hat ein geregeltes Vergabeverfahren durchzuführen, wobei der Senat wegen der insoweit herrschenden Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers nicht der im angefochtenen Beschluss unter 2. des Tenors ausgesprochenen Beschränkung auf ein offenes Verfahren folgt, sondern dem erstinstanzlichen Antrag der Antragstellerin entsprochen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 120 Abs. 2 GWB. Die teilweise Aufhebung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigt keine Kostenbeteiligung der Antragstellerin, weil sie mit dem angestrebten Prozessziel Erfolg hat. Die Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte mitzutragen, weil sie sich - unabhängig davon, dass sie keinen Antrag gestellt hat - als Unterstützerin der Antragsgegnerin - schriftsätzlich und durch Vortrag im Senatstermin an diesem Verfahren beteiligt hat.

Den Streitwert hat der Senat gemäß der Anregung der Antragstellerin im Schriftsatz vom 26. November 2013 festgesetzt, zu dem sich die übrigen Verfahrensbeteiligten in hinreichender Zeit haben äußern können.

Dicks Brackmann Barbian

Zitate17
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte