LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 23.01.2014 - L 3 R 1020/08
Fundstelle
openJur 2014, 3296
  • Rkr:

1. Der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form führt noch nicht zur Unvollständigkeit der Rechtsmittelbelehrung (Anschluss an BSG, Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 19/12 R).

2. Eine einfache e-Mail genügt nicht den Anforderungen an die Schriftform.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2008 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach zwischenzeitlicher Beitragserstattung, vorrangig streitig ist jedoch die Zulässigkeit der Berufung.

Der 1941 geborene Kläger ist indonesischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Indonesien. Er war nach den vorliegenden Unterlagen vom 26. September 1978 bis zum 25. September 1981 und vom 24. Januar 1985 bis zum 23. Januar 1988 bei der Deutschen Welle in Köln versicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahr 1981 gewährte ihm die Beklagte eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Nach seinen eigenen Angaben kehrte er im April 1988 (nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis zum 31. März 1988) nach Indonesien zurück, wo er sich seither aufhält. Mit Bescheid vom 06. April 1988 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf fest (70 Monate Beitragszeiten).

Die von ihm wegen Verschlechterung seines Augenleidens (zunehmende starke Kurzsichtigkeit) mit Schreiben vom 18. Januar 1989 beantragte Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- (EU) bzw. Berufsunfähigkeit (BU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. März 1989 ab. Die sich anschließende Klage vor dem Sozialgericht SG Berlin (S 7 An 934/89) wie auch seinen Rentenantrag nahm der Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 1989 zurück.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1990 entsprach die Beklagte dem am 06. April 1990 gestellten Antrag des Klägers auf Beitragserstattung bzgl. der ab dem 24. Januar 1985 geleisteten Beiträge; eine weitergehende Erstattung lehnte sie wegen der dem Kläger 1981 gewährten Regelleistung im Sinne des § 12 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ab. Die gegen den Umfang der Beitragserstattung vom Kläger erhobene Klage wies das SG mit rechtskräftigem Urteil vom 16. August 1991 (S 5 An 338/91) ab.

Die vom Kläger im Juni 2002 beantragte Gewährung einer Altersrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07. August 2002 ab, da das Versicherungsverhältnis aufgrund der Beitragserstattung aufgelöst sei und keine Ansprüche mehr bestünden. Sowohl Klageverfahren (Urteil des SG vom 25. April 2003, S 3 RA 4719/02), Berufungsverfahren (Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg <LSG> vom 21. März 2007, L 8 RA 20/04) wie die beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (Beschluss vom 05. Juni 2008, B 5a/4 R 175/07 B) blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2006 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 14. März 1989 nach § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 29. März 2006, dem Kläger zugegangen am 09. Mai 2006, lehnte die Beklagte den Antrag auf Rücknahme ab. Hiergegen legte der Kläger am 12. Juli 2006 Widerspruch ein.

Am 13. November 2006 hat der Kläger vor dem SG Klage erhoben und sich gegen den Bescheid vom 29. März 2006 gewandt.

Mit Urteil vom 19. Februar 2008, dem Kläger durch die Deutsche Botschaft in Jakarta ausgehändigt am 13. Mai 2008, hat das SG die Klage, die es auf die Verurteilung der Beklagten zur Entscheidung über den Widerspruch vom 12. Juli 2006 und zur Gewährung einer BU-Rente unter Aufhebung des Bescheides vom 14. März 1989 gerichtet gesehen hat, abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Beklagte noch einen zureichenden Grund für ihre fortwährende Untätigkeit habe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger mit seinem eigentlichen Begehren, der Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg haben könne. Die Erfolglosigkeit des Rentenbegehrens ergebe sich aus dem Umstand, dass dem Kläger unstreitig seine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden seien. Die Erstattung von Beiträgen schließe aber weitere Ansprüche aus den bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten aus. Das Versicherungsverhältnis sei mit der Beitragserstattung aufgelöst. Die Rechtsmittelbelehrung des dem Kläger am 13. Mai 2008 zugestellten Urteils enthält den Hinweis, dass die Berufung innerhalb eines Monats - bei Zustellung im Ausland innerhalb einer Frist von drei Monaten - beim LSG Berlin-Brandenburg, dessen Anschrift angegeben war, „schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ einzulegen ist. Diese Frist sei auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG Berlin „schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ eingelegt werde.

Hiergegen hat der Kläger mit einer am 03. Juni 2008 beim BSG eingegangenen E-Mail, abgesandt von „a k [h_k@y.de]“, Berufung eingelegt, die am 06. Juni 2008 als Ausdruck beim LSG eingegangen ist. Mit Schreiben des Vorsitzenden des zunächst zuständigen 6. Senats vom 15. August 2008, dem Kläger zugegangen am 01. September 2008, ist der Kläger erstmals darauf hingewiesen worden, dass zweifelhaft sei, ob die Berufung formgerecht eingelegt worden sei. Mit Schreiben vom 11. September 2008 hat die damalige Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass in dem an das BSG per e-mail gerichteten Schreiben keine wirksame Berufungseinlegung zu sehen sei, da die Berufung schriftlich, d.h. mit einem unterschriebenen Schriftsatz erfolgen müsse. Durch die Nichtbeachtung der Form sei die Berufungsfrist nicht gewahrt worden. Des Weiteren hat sie auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen. Mit Schreiben vom 10. November 2008, welches dem Kläger am 15. Dezember 2008 durch die Deutsche Botschaft in Jakarta ausgehändigt worden ist, ist der Hinweis wiederholt und der Kläger aufgefordert worden, binnen eines Monats einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.

Mit persönlich unterschriebenem Schreiben vom 28. Oktober 2008/ 24. September 2008, bei Gericht eingegangen am 13. November 2008, hat der Kläger den Zugang des Schreibens vom 15. August 2008 bestätigt und zur Begründung seiner Berufung eine fehlerhafte Beratung der Beklagten in den achtziger Jahren geltend gemacht. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2008, bei Gericht eingegangen am 05. Januar 2009, hat der Kläger Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt, ohne Gründe dafür anzuführen.

Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2013 den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 29. März 2006 zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 10. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 14. März 1989 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Berlin vom 19. Februar 2008 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält wegen der erfolgten Beitragserstattung die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht für gegeben.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt, vgl. Schreiben der Beklagten vom 16. September 2008 und Schreiben des Klägers vom 22. Dezember 2008.

Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte des SG Berlin (S 3 RA 4719/02) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die bei Entscheidungsfindung vorgelegen haben, verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt haben.

Die vom Kläger gegen das Urteil des SG Berlin vom 19. Februar 2008 eingelegte Berufung ist als unzulässig zu verwerfen.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt ist.

Der Kläger hat nicht innerhalb der hier maßgeblichen Frist von drei Monaten (dazu unter 1) nach Zustellung des Urteils am 13. Mai 2008 formgerecht (dazu unter 2) Berufung eingelegt. Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht zu gewähren (dazu unter 3).

1. Die Rechtsmittelfrist richtet sich vorliegend nach § 151 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach eine Berufung bei einer Zustellung im Ausland nur binnen drei Monaten nach Zustellung des Urteils zulässig ist. Hiervon ausgehend begann die Monatsfrist gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der durch persönliche Aushändigung des erstinstanzlichen Urteils durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Jakarta am 13. Mai 2008 gemäß § 63 SGG i.V.m. § 183 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) bewirkten Zustellung, mithin am 14. Mai 2008 zu laufen. Sie endete gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit Ablauf desjenigen Tages, welcher seiner Zahl nach dem Tag entspricht, in den das Ereignis fällt, mithin am Mittwoch, dem 13. August 2008. Demgegenüber ist eine den Formerfordernissen genügende Berufungsschrift des Klägers (Schreiben vom 28. Oktober 2008/24. September 2008) erst am Donnerstag, dem 13. November 2008 beim LSG eingegangen.

Vorliegend ist auch nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG anwendbar, weil die Rechtsmittelbelehrung keinen Hinweis auf die in Brandenburg ab dem 01. November 2007 bestehende und für das LSG Berlin-Brandenburg geltende Möglichkeit einer elektronischen Berufungseinlegung gemäß § 65a SGG in Verbindung mit § 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II, S. 558) in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 01. Oktober 2007 (GVBl. II, Seite 425) enthält. Denn eine Rechtsmittelbelehrung, die – wie das angefochtene Urteil des SG vom 19. Februar 2008 – keinen Hinweis auf die an dem Rechtsmittelgericht (oder dem Ausgangsgericht) bereits eröffnete Möglichkeit der elektronischen Kommunikation enthält, ist nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht „unrichtig“ i. S. von § 66 Abs. 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 19/12 R, abrufbar bei der Datenbank Juris). Insoweit gibt der Senat seine in früheren Entscheidungen (z.B. Urteile des Senats vom 21. Februar 2013, L 3 R 879/10, und vom 15. November 2011, L 3 U 88/10, jeweils abrufbar in Juris) noch unter Bezugnahme auf ältere Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Beschluss vom 09. Februar 2010, B 11 AL 194/09 B, veröffentlicht in Juris) vertretene Auffassung auf und schließt sich der ihn überzeugenden aktuellen Rechtsprechung des BSG an.

Gemäß § 66 Abs. 1 SGG (in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 4 Nr. 4 des Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz <JKomG> vom 22. März 2005, BGBl. I 837) beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder, was hier nur in Betracht zu ziehen ist, "unrichtig" erteilt, so ist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Einlegung nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung der angegriffenen Entscheidung zulässig. Unrichtig i. S. des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest diejenigen Merkmale wiedergibt, die § 66 Abs. 1 SGG als Bestandteile der Belehrung ausdrücklich nennt. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ist nach ihrem Sinn und Zweck, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen aber auch eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erforderlich (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 19/12 R, und 26. Januar 1993, 1 RK 33/92, abrufbar bei Juris). Dies entspricht auch der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bundesfinanzhofes (BFH), nach der eine Rechtsbehelfsbelehrung auch dann unrichtig ist, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2002, 4 C 2/01, und BFH Beschluss vom 12. Dezember 2012, I B 127/12, jeweils in Juris). Eine „richtige“ Belehrung muss nicht stets alle tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen; es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG, Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 19/12 R, a.a.O.).

Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 14. März 2013 (B 13 R 19/12 R) mit überzeugenden Argumenten dargelegt hat, erfordert die hiernach notwendige Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei der Einlegung des Rechtsbehelfes zu beachtenden Formvorschriften es derzeit jedoch nicht, dass auch auf die für das betreffende Gericht durch Rechtsverordnung bereits zugelassene Möglichkeit der Übermittlung verfahrensbestimmender Schriftsätze in der Form eines elektronischen Dokuments nach § 65a SGG hingewiesen wird. So handelt es sich bei der elektronischen Form i. S. des § 65a SGG nicht um einen Unterfall der Schriftform, sondern um eine eigenständige Form, die der Gesetzgeber "als zusätzliche Option neben der bisherigen schriftlichen Form" eingeführt hat, wie auch aus dem Wortlaut von § 158 Satz 1 SGG deutlich wird (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2013, a.a.O. unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Die Einordnung der elektronischen Form als gleichrangige prozessuale Form führt nicht automatisch dazu, dass diese schon jetzt als "Regelweg" i. S. § 66 Abs. 1 SGG anzusehen bzw. vom Gesetzgeber als gleichgewichtige Form neben der Schriftform normiert worden ist. So findet auch nach Änderung und Ergänzung der sozialgerichtlichen Verfahrensordnung durch das JKomG in den spezifischen Vorschriften des SGG, die nähere Angaben zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln machen, die elektronische Form keine Erwähnung (z.Bsp. bzgl. der Einlegung der Berufung § 151 Abs. 1 und 2 SGG, der Berufungs-Nichtzulassungsbeschwerde § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG, der Revision § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG, der Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde § 160a Abs. 1 Satz 3 SGG, der sonstigen Beschwerden § 173 Satz 1 und 2 SGG, der Anhörungsrüge § 178a Abs. 2 Satz 4 oder der Stellung von Anträgen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren § 86b SGG). Das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Postulat der Rechtsmittelklarheit hätte es aber erfordert, die elektronische Form auch in die einzelnen Bestimmungen über die formalen Anforderungen an die Einlegung der jeweiligen Rechtsbehelfe aufzunehmen, um dem Rechtsuchenden den Weg zur gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung mit der gebotenen Klarheit vorzuzeichnen (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG> in BVerfGE 107, 395, 416 f).

Demzufolge ist eine Rechtsmittelbelehrung, die sich wie die vorliegende hinsichtlich der formalen Anforderungen auf die „klassischen“ und allgemein gebräuchlichen Möglichkeiten einer schriftlichen oder mündlichen (zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) Einlegung der Berufung beschränkt, jedenfalls derzeit noch nicht „unrichtig“. Denn sie zeigt den Beteiligten die regelmäßig allen Bürgern - auch soweit sie nicht über informationstechnologische Spezialkenntnisse und eine spezifische Ausstattung für die elektronische Form (spezielle Zugangs- und Übertragungssoftware, Kartenlesegerät, gültige Signaturkarte für die qualifizierte elektronische Signatur etc.) verfügen – offenstehenden Wege für die Einlegung des Rechtsmittels klar und deutlich auf.

Die vorliegende Rechtsmittelbelehrung trägt auch in keiner Weise zu einer formwidrigen oder verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfes bei, da sie keine Inhalte enthält, die - bei abstrakter Betrachtungsweise - geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder die Beteiligten von Erkundigungen über möglicherweise im Einzelfall bestehende weitere Möglichkeiten abzuhalten. Insbesondere macht sie keine Angaben, die von Rechtssuchenden dahingehend verstanden werden könnten, dass eine Berufungseinlegung auf elektronischem Weg ausgeschlossen sei. Im Übrigen hat die Möglichkeit, Schriftsätze in gerichtlichen Verfahren als elektronische Dokumente dem Gericht elektronisch zu übermitteln, allein durch ihre rechtliche Zulassung in § 65a SGG i.V.m. einer ausfüllenden Rechtsverordnung noch keine solche praktische Bedeutung erlangt, dass es geboten wäre, die Beteiligten zum Schutz vor Rechtsnachteilen durch Unwissenheit auch auf diese Form hinzuweisen. Zum einen übersteigt der mit elektronischen Schriftsätzen nach § 65a SGG verbundene Aufwand bei Weitem denjenigen, der mit der Übermittlung auf herkömmliche Weise einhergeht. Zum anderen verfügen noch längst nicht alle Gerichte über die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation i.S. von § 65a SGG (vgl. hierzu die Übersicht in BSG, Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 19/12 R, a.a.O.).

2. Die innerhalb der Berufungsfrist am 03. Juni 2008 beim BSG eingegangene und am 06. Juni 2008 als Ausdruck an das LSG gelangte e-mail ohne qualifizierte elek-tronische Signatur, mit der der Kläger u.a. Berufung gegen das Urteil des SG vom 19. Februar 2008 einlegen wollte, wahrt nicht die Frist, da es sich nicht um eine formgerechte Berufungseinlegung handelt. Die e-mail vom 03. Juni 2008, abgesandt von „a k [h_k@y.de]“, entspricht weder der nach § 65a SGG vorgeschriebenen elektronischen Form noch der Schriftform.

Die am 03. Juni 2008 beim BSG eingegangene e-mail genügt nicht den Anforderungen an die elektronische Form, da es vorliegend an der nach § 65a Abs. 1 Satz 3 SGG i.V.m. der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg und § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes (SigG) für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur fehlt. In § 2 Abs. 2 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg ist geregelt, dass eine mittels elektronischen Dokuments eingelegte Berufung mit qualifizierter elektronischer Signatur in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist (§ 65a Abs. 1 Satz 3 SGG i.V.m. § 2 Nr. 3 SigG). Nach § 2 SigG sind im Sinne des SigG:

1. „elektronische Signaturen“ Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen,

2. „fortgeschrittene elektronische Signaturen“ elektronische Signaturen nach Nummer 1, die

a) ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind,b) die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen,c) mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, undd) mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann,

3. „qualifizierte“ elektronische Signaturen elektronische Signaturen nach Nummer 2, die

a) auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen undb) mittels einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden.

Die erforderliche Sicherung der Authentizität ist durch einfache e-mails nicht gewährleistet. Dies folgt bereits aus dem in § 65a Abs. 1 Satz 4 SGG („Neben der qualifizierten elektronischen Signatur kann auch ein anderes sicheres Verfahrens zugelassen werden, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt“). Der Absender ist nicht ausreichend sicher identifizierbar, und es besteht eine größere Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte (vgl. auch Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht <OVG>, Beschluss vom 17. Januar 2005, 2 PA 108/05, in Juris). Dies gilt selbst dann, wenn der Schriftsatz nicht per einfacher e-mail, sondern über das elektronische Gerichtspostfach gesandt wurde.

Eine e-mail, wie vom Kläger am 03. Juni 2008 an das BSG gesandt, genügt auch nicht den Anforderungen an die Schriftform nach § 151 Abs. 1 SGG. Diese erfordert eine eigenhändige Unterschrift des Berufungsklägers (vgl. § 126 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>, siehe BSG, Beschluss vom 15. November 2010, B SO 71/10 B, in Juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 151 Rz. 3a, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. November 2012, L 19 AS 1974/12 B, und LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 04. Juni 2013, L 6 AS 195/13 B, jeweils in Juris), an der es in der e-mail vom 03. Juni 2008 mangelt. Zwar kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (siehe Darstellung hierzu im Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes <GmS> vom 05. April 2000, GmS-OGB 1 /98, veröffentlicht in Juris) unter bestimmten Umständen auf eine eigenhändige Unterschrift selbst bei bestimmenden Schriftsätzen verzichtet werden, z. Bsp. wenn diese durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden (Computerfax). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich aus dem nicht eigenhändig unterschriebenen Schriftstück oder den begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Abgesehen davon, dass hier mit Blick auf den Absender der e-mail „a k [h_k@y.de]“ Zweifel an der Urheberschaft des Klägers bestehen und es deswegen schon an den Voraussetzungen für einen Verzicht auf die eigenhändige (handschriftliche) Unterschrift des Klägers fehlt, ist diese Rechtsprechung auch nicht auf die Übermittlung von Dokumenten durch einfache e-mail übertragbar. Bei einer e-mail handelt es sich um die Übermittlung einer elektronischen Datei, für die im elek-tronischen Rechtsverkehr gerade die die Schriftform ersetzende elektronische Signatur (§ 65a Abs. 1 Satz 3 SGG) eingeführt worden ist. Hat der Gesetzgeber, wenn wie hier das Schriftformerfordernis besteht, für elektronische Dokumente die qualifizierte Signatur vorgesehen, ist für eine entsprechende Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Computerfax kein Raum, da sonst die zwingenden Voraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr ausgehöhlt werden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 04. Juni 2013, L 6 AS 195/13 B, BFH, Beschluss vom 26. Juli 2011, VII R 30/10, BVerwG, Beschluss vom 14. September 2010, 7 B 15/10; jeweils in Juris).

Eine dem Schriftformerfordernis genügende Berufungsschrift ist frühestens in dem am 13. November 2008 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist beim LSG eingegangenen, vom Kläger persönlich unterschriebenen Schreiben vom 28. Oktober 2008/24. September 2008 zu sehen.

3. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist liegen nicht vor.

Nach § 67 SGG ist hierfür erforderlich, dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (Abs. 1), dass er binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses den Wiedereinsetzungsantrag stellt und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Abs. 2 Satz 1 und 3) und dass er die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung glaubhaft macht (Abs. 2 Satz 2). Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (Abs. 2 Satz 4).

Vorliegend kann schon deshalb keine Wiedereinsetzung gewährt werden, weil der Kläger trotz Hinweises der früheren Berichterstatterin nicht glaubhaft gemacht hat, die Berufungsfrist unverschuldet versäumt zu haben. Verschulden bedeutet das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dies bedeutet, dass der Beteiligte zum Ausschluss des Verschuldens diejenige Sorgfalt walten lassen muss, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rz. 3). Zur Glaubhaftmachung genügt die Herbeiführung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rz. 10d).

Dies zugrunde gelegt hat der Kläger in seinem Schreiben vom 22. Dezember 2008 wie auch in seinen späteren Schreiben nichts dargetan, was für eine Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens genügen könnte. Sein Hinweis, dass das Lesen und Abfassen von Schriftstücken wegen seines Augenleidens (extreme Kurzsichtigkeit) erschwert bzw. nur verlangsamt möglich ist, reicht hierfür noch nicht aus. So hat er sich wiederholt in der Lage gezeigt, binnen drei Monaten auf Anfragen des Gerichts schriftlich zu antworten. Zudem waren ihm die Anforderungen an Form und Frist der Berufungseinlegung auch aus seinen früheren Streitverfahren (S 5 An 338/91 und S 3 RA 4719/02 bzw. L 8 RA 20/04) hinlänglich bekannt.

Zwar könnte hier zur Fristversäumung der erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgte schriftliche Hinweis des Vorsitzenden des zunächst zuständigen 6. Senats vom 15. August 2008 zur nicht formgerechten Berufungseinlegung, dem Kläger zugegangen am 01. September 2008, beigetragen haben. So ist in gerichtlichen Verfahren eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trotz vorwerfbaren Verhaltens des Betroffenen auch dann zu gewähren, wenn zu der Fristversäumnis eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts, z. Bsp. durch Unterlassen eines zeitnahen Hinweises auf die fehlerhafte Rechtsbehelfseinlegung innerhalb der noch laufenden Rechtsbehelfsfrist, wesentlich beigetragen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 07. Oktober 2004, B 3 KR 14/04 R, BSG Großer Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1974, GS 2/73, jeweils in Juris). Jedoch hat der Kläger es versäumt, auf diesen Hinweis wie auch auf den ausführlichen Hinweis der damaligen Berichterstatterin vom 11. September 2008 hin, binnen eines Monats formgerecht Berufung einzulegen. Eine dem Schriftformerfordernis entsprechendes Berufungsschreiben liegt erst mit dem vom Kläger persönlich unterschriebenem Schreiben vom 28. Oktober 2008/ 24. September 2008, bei Gericht eingegangen am 13. November 2008, vor.

Abgesehen davon, wäre die Berufung auch unbegründet gewesen. Wie das SG im Urteil vom 19. Februar 2008 im Ergebnis zutreffend dargelegt hat, kann der Kläger die Rücknahme des Bescheides vom 14. März 1989 und die Gewährung einer Rente wegen BU bzw. EU nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangen. Der Bescheid vom 14. März 1989 war nicht rechtswidrig, da der Kläger zum Zeitpunkt des ausgehend von der ursprünglichen Antragstellung im Januar 1989 frühestmöglichen Rentenbeginns zum 01. Oktober 1988 (§ 67 Abs. 2 AVG) bereits seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Geltungsbereich des AVG hatte (§§ 95 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1 Satz 1 und 2 AVG). Zudem hat der Kläger seinen Rentenantrag als zwingende Voraussetzung für die Rentengewährung bereits mit Schreiben vom 22. Mai 1989 wirksam zurückgenommen. Darüber hinaus hat sich der Bescheid vom 14. März 1989 nach § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auf sonstige Weise erledigt, da die Beklagte nach Erlass des Bescheides die Beiträge erstattet hat, mit der Folge, dass das Beitragsverhältnis mit Wirkung für die Vergangenheit aufgelöst worden ist (§ 82 Abs. 7 AVG bzw. § 210 Abs. 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuches <SGB VI>). Im Übrigen lässt sich ein Anspruch des Klägers auf Gewährung der begehrten Erwerbsminderungsrente auch nicht unter Berücksichtigung seines Vorbringens begründen, er habe die Beitragserstattung infolge einer fehlerhaften Beratung beantragt. Abgesehen von der Bestandskraft des Erstattungsbescheides der Beklagten vom 10. Dezember 1990 vermag der Senat ebenso wenig wie zuvor das BSG in dem wegen eines Anspruchs auf Altersrente geführten Rechtsstreit B 5a/4 R 175/07 B (Beschluss vom 05. Juni 2008) einen Beratungsfehler der Beklagten zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.