VG Würzburg, Beschluss vom 27.01.2014 - W 6 S 14.30036
Fundstelle
openJur 2014, 3018
  • Rkr:

Iran;keine Abänderung des Sofortbeschlusses;Abschiebungsanordnung nach Norwegen;Mindeststandard in Norwegen über völkerrechtliche Verträge bzw. Übereinkommen gewährleistet;Geltung der EMRK und der GFK in Norwegen;Übereinkommen zwischen Europäischer Gemeinschaft und Norwegen;Gemeinsamer Ausschuss zur Gewährleistung der einheitlichen Rechtsanwendung auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 lehnte das Gericht im Verfahren W 6 S 13.30520 den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (W 6 K 13.30519) gegen die Abschiebungsanordnung nach Norwegen ab. Auf die Gründe des Beschlusses vom 17. Dezember 2013 wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014, eingegangen bei Gericht am 22. Januar 2014, beantragte der Bevollmächtigten der Antragsteller:

1. Der angefochtene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. Dezember 2013 wird geändert.

2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Dezember 2013 wird angeordnet, hilfsweise wieder hergestellt.

Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen: Norwegen sei ein sicherer Drittstaat. Dies habe jedoch mit der Zuständigkeitsnorm nach § 27a AsylVfG keinen Überschneidungsbereich. Asylantragsteller, die aus sicheren Drittstaaten kämen, könnten durchaus die Flüchtlingseigenschaft und den Abschiebungsschutz erhalten. Entscheidend sei, dass Norwegen nicht zum EU-Raum gehöre und daher die europäischen Flüchtlingsnormen keine direkte Anwendung finden könnten. Es bedürfe der Überprüfung durch das Gericht, ob in ein Land wie Norwegen abgeschoben werden dürfe, obwohl Norwegen nicht dem EU-Flüchtlingsraum angehöre und obwohl der Schutzstandard in Norwegen der europäischen Kontrolle entzogen sei. Es dürfte davon auszugehen sein, dass die europäische Gerichtsbarkeit für Norwegen zur Kontrolle des EU-Rechtsbereichs nicht gelte. Norwegen und auch andere Nicht-EU-Staaten müssten sich nicht an das europäische Flüchtlingsrecht halten, da sie nicht der EU angehörten.

Die Antragsgegnerin hat sich zum vorliegenden Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte einschließlich der Akten der Verfahren W 6 K 13.30519 und W 6 S 13.30520 sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist schon nicht zulässig; darüber hinaus ist er nicht begründet.

Das Gericht kann nach § 80 Abs. 7 VwGO Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit abändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

Der Antrag ist unzulässig, weil die nun vorgetragenen Umstände nicht neu sind und der Antragstellerbevollmächtigte die Umstände ohne Verschulden auch früher hätte geltend machen können. Gegenteilige Anhaltspunkte sind vom Antragstellerbevollmächtigten nicht einmal ansatzweise vorgebracht worden und auch nicht sonst ersichtlich.

Der Beschluss des Gerichts vom 17. Dezember 2013 (W 6 S 13.30520) war auch nicht von Amts wegen abzuändern, weil die nun vorgebrachten Argumente keine andere Beurteilung rechtfertigen.

Nach der Systematik der völkerrechtlichen Vereinbarungen mit Norwegen ist die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung eines zusätzlichen Asylverfahrens nicht zuständig. Der Asylantrag ist unzulässig (§ 27a AsylVfG). Der streitgegenständliche Bescheid vom 4. Dezember 2013 mit der Abschiebungsanordnung nach Norwegen ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.

Denn die Bestimmung des § 27a AsylVfG ist anwendbar, weil die – nach Art. 49 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26 Juni 2013 (Dublin-III-VO) noch anwendbare – Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Dezember 2003 (Dublin-II-VO) aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages seit 1. Mai 2006 auch für Norwegen gilt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 27a AsylVfG Rn. 3). Denn mit Beschluss Nr. 2001/258/EG des Rates vom 15. März 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in Island oder in Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG v. 3.4.2001 Nr. L 93 S. 38 f. und S. 40 ff.), erweitert durch den Beschluss Nr. 2006/167/EG des Rates vom 21. Februar 2006 über den Abschluss eines Protokolls zum Übereinkommen zwischen der europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedsstaat oder in Island oder Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 15 und 16 ff.) finden die Dublin-II-Verordnung und die angenommenen Durchführungsbestimmungen auch auf die Beziehungen mit Norwegen Anwendung (siehe Art. 2 des Protokolls ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 16, 17).

Norwegen ist danach den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards eines gemeinsamen Asylsystems verpflichtet. Das norwegische Asylrecht steht im Einklang mit den internationalen und europäischen Standards und enthält die wichtigsten Garantien. Norwegen ist sowohl dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –) als auch der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK –) beigetreten. Auch der Grundsatz der Nichtzurückweisung (non refoulement) ist gewahrt (vgl. Erwägungsgrund 2 der Dublin-II-Verordnung).

Darüber hinaus ist Norwegen durch konkrete Regelungen im Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen (ABl EG v. 3.4.2001 Nr. L. 93 S. 40 ff.) an den Europäischen Flüchtlingsraum gekoppelt und unterliegt der europäischen Kontrolle. Denn in Art. 4 des Übereinkommens ist die Übernahme der neuen Rechtsakte durch Norwegen geregelt. Des Weiteren ist nach Art. 6 ff. des Übereinkommens durch die Einsetzung eines Gemeinsamen Ausschuss ein Mechanismus institutionalisiert, der gewährleistet, dass keine wesentliche Abweichungen zwischen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und den norwegischen Gerichten oder zwischen den Behörden der betreffenden Mitgliedsstaaten und den norwegischen Behörden auftreten, sondern eine einheitliche Anwendung und Auslegung der einschlägigen Bestimmungen nach dem dort vereinbarten Verfahren sichergestellt wird. Treten nicht lösbare Differenzen auf, wird das Übereinkommen ausgesetzt bzw. beendet (Art. 4 Abs. 6 und Abs. 7 bzw. Art. 8 des Übereinkommens).

Anhaltspunkte für die Annahme, dass Norwegen die Anwendung der GFK oder der EMRK oder der Dublin-II-Verordnung nicht sicherstellt oder die Schutzstandards in Norwegen generell nicht eingehalten würden, sind nicht zu erkennen und vom Antragstellerbevollmächtigten auch nicht vorgetragen. Die Antragsteller werden in Norwegen im Prinzip nach denselben europarechtlichen Vorgaben behandelt wie in Deutschland. Systemische Mängel des Asylverfahrens in Norwegen sind weiterhin weder dem Gericht bekannt, noch sonst von der Antragstellerseite dargelegt worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich Norwegen der Antragsteller ohne Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte, gibt es nicht (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 29.11.2013 – Au 6 K 13.30252 – juris; B.v. 29.8.2013 – Au 6 S 13.30253 – juris; VG München, B.v. 28.11.2012 – M 15 E 12.30871 – juris, VG Hamburg, B.v. 24.2.2011 – 10 AE 70/11 – juris; VG Ansbach, U.v. 25.11.2010 – AN 11 K 10.30388 – juris). Konkret haben die Antragsteller in Norwegen drei ordnungsgemäße Asylverfahren – wenn auch erfolglos – durchlaufen.

Nach alledem war der Antrag abzulehnen.

Die Kostenentscheidung für das vorliegende Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.