VG München, Beschluss vom 23.10.2013 - M 10 E 13.3727
Fundstelle
openJur 2014, 2993
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1991 geborene Antragsteller, ein dominikanischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2012 von Italien aus in das Bundesgebiet ein. Er nahm seinen Wohnsitz bei seiner Verlobten und deren Mutter im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Zum Zeitpunkt der Einreise und der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt war er lediglich im Besitz eines gültigen dominikanischen Reisepasses. In diesem Pass befindet sich ein italienisches Visum zur Familienzusammenführung, das für den Zeitraum vom 12. Juni 2009 bis 11. Juni 2010 gültig war. Gegenüber der Antragsgegnerin hatte der Antragsteller angegeben, bis zur Einreise nach Deutschland bei der Mutter in Italien gelebt zu haben. Die italienischen Behörden hätten eine Aufenthaltserlaubnis in der Vergangenheit erteilt. Zur Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hätten die Behörden den aktuellen Aufenthaltstitel einbehalten.

Seit seiner Einreise lebt der Antragsteller mit seiner Lebensgefährtin und deren Mutter zusammen in einer Wohnung. Am 8. Februar 2013 kam der gemeinsame Sohn zur Welt, der die kubanische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Kindsmutter ist kubanische Staatsangehörige und im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsteller hat die Vaterschaft am 19. September 2012 anerkannt. In der Geburtsurkunde des Kindes - ausgestellt am 3. Mai 2013 - ist der Antragsteller als Vater eingetragen.

Am 8. August 2013 wurde der Antragsteller im Stadtgebiet der Antragsgegnerin einer Personenkontrolle unterzogen. Im Rahmen der Kontrolle wurde festgestellt, dass sich der Antragsteller lediglich mit dem dominikanischen Reisepass ausweisen konnte. Bei der polizeilichen Vernehmung gab der Antragsteller an, in den vergangenen Monaten mehreren Beschäftigungen nachgegangen zu sein.

Mit Schreiben vom 13. August 2013 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Ausweisung an.

Mit Schreiben vom 21. August 2013 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten vortragen, der Antragsteller und seine Lebensgefährtin hätten einen Eheschließungsantrag beim zuständigen Standesamt in ... gestellt. Ein Eheschließungstermin in etwa 2 Monaten sei bereits in Aussicht gestellt worden. Vorzulegen sei in diesem Zusammenhang lediglich noch das Ehefähigkeitszeugnis der Lebensgefährtin des Antragstellers. Eine Ausweisung würde gegen das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verstoßen, auch im Hinblick auf den Sohn des Antragstellers. Es wurde eine Duldung bzw. Fiktionsbescheinigung bis zur bevorstehenden Eheschließung beantragt.

Am 23. August 2013 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen, im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller über den 27. August 2013 hinaus eine Aufenthaltserlaubnis zum Verbleib im Bundesgebiet zu gewähren und gleichzeitig die durch Grenzübertrittsbescheinigung vom 20. August 2013 auferlegte Ausreisefrist für gegenstandslos zu erklären.

Zur Begründung wurde ausgeführt: Dem Antragsteller stehe sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO zu. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus der Schutzvorschrift des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Der Antragsteller habe einen engen Bezug sowohl zu seinem hier geborenen Sohn als auch zu seiner Lebensgefährtin, die er in Kürze ehelichen werde. Eine Ausweisung würde den Bezug zu seinen hier lebenden Familienangehörigen über einen unbestimmt langen Zeitraum unterbinden. Auch die Rechte seines Sohnes würde man dadurch erheblich beeinträchtigen, da dieser auf die für seine Entwicklung und sein affektives Gleichgewicht erforderliche Anwesenheit seines Vaters verzichten müsse. Darüber hinaus treffe die Vertragsstaaten der EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgrund von Art. 8 EMRK die Verpflichtung, auf die Zusammenführung eines leiblichen Elternteiles mit seinem Kind hinzuwirken. Der Hinweis des Antragsgegners, der Antragsteller müsse sich in seiner Heimat dem üblichen Einreisevisumsverfahren unterziehen, um wieder in das Bundesgebiet einreisen zu dürfen, sei aufgrund der geschilderten familiären Verhältnisse nicht haltbar. Bei Kleinkindern sei auch schon eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit unzumutbar. Der Antragsteller habe zumindest einen Aufenthaltsanspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Es liege auch Eilbedürftigkeit vor.

Mit Bescheid vom ... August 2013, dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 26. August 2013, wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziff. 1) und untersagte die Wiedereinreise für 3 Jahre (Ziff. 2). Die Frist beginne mit der Ausreise. In Ziff. 3 des Bescheides wurde geregelt, dass der Antragsteller das Bundesgebiet bis zum 27. August 2013 zu verlassen habe. Es wurde die Abschiebung in die Dominikanische Republik angedroht. Die Ausweisung wurde auf § 55 Abs. 1 AufenthG gestützt. Der Bescheid ist bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 27. August 2013, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 28. August 2013, ließ der Antragsteller den Antrag nach § 123 VwGO in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umstellen und beantragt nun:

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... August 2013 wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen weiter vorgetragen: Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom ... August 2013 entfalte keine aufschiebende Wirkung. Es bestehe eine familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Sohn sowie der Verlobten. Dem Antragsteller sei aufgrund seines legalen Aufenthaltes in Italien nicht bewusst gewesen, dass seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland illegal gewesen wäre, da beide Staaten der Europäischen Union angehören würden. Er habe sich offiziell polizeilich gemeldet und sei einer sozialversicherungspflichtigen Berufstätigkeit nachgegangen. Er sei bei der AOK ... sozialversichert. Eine Straftat des Antragstellers stehe nicht fest. Die Befristung der Ausweisung für 3 Jahre sei angesichts der familiären Verhältnisse unverhältnismäßig. Der Bescheid sei rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 23. September 2013 die Behördenakten vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Ausweisungsbescheid vom ... August 2013 ist nicht statthaft, da der Ausweisungsbescheid zwischenzeitlich bestandskräftig ist (Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rdnr. 65).

Der Antrag ist auch nicht sachdienlich in einen Antrag nach § 123 VwGO zugunsten des Antragstellers umzudeuten, da ein solcher nicht begründet wäre. Der Antragsteller hat keinen nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

1. Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen der bevorstehenden Eheschließung mit einer in Deutschland aufenthaltsberechtigten kubanischen Staatsangehörigen und eine daraus resultierende Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG wegen der aus Art. 6 GG geschützten Eheschließungsfreiheit setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (BayVGH, B.v. 27.2.2008 - 19 CS 08.216 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Vorliegend ist die Bestimmung eines Termins zur Eheschließung des Antragstellers mit seiner Verlobten nicht absehbar. Zwar ließ der Antragsteller vortragen, er und seine Verlobte hätten im Monat Juli 2013 beim Standesamt ... vorgesprochen, um ihre Absicht, die Ehe miteinander schließen zu wollen, formell zu erklären. Das Standesamt ... habe einen Eheschließungstermin in etwa 2 Monaten in Aussicht gestellt. Nach einer Aktennotiz der Antragsgegnerin vom 23. August 2013 hat das Standesamt ... mitgeteilt, dass dort bezüglich einer kurz bevorstehenden Eheschließung nichts bekannt sei. Es lägen keinerlei Unterlagen des Paares vor. Dass vorliegend die Bestimmung eines Termins zur Eheschließung des Antragstellers mit seiner Verlobten verbindlich bestimmbar sei, hat der Antragsteller hier nur behauptet, jedoch nicht glaubhaft gemacht.

2. Der Antragsteller kann auch nicht aus der Beziehung zu seinem Sohn einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung herleiten. Art. 6 GG gewährt zwar grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht der Anspruch des Trägers des Grundrechtes aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08 - juris). Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten ist. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris). Auch unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist dem Antragsteller keine Duldung zu erteilen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller tatsächlich mit seinem Sohn eine familiäre Lebensgemeinschaft führt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der am 8. Februar 2013 geborene Sohn des Antragstellers nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Nach Akteninhalt ist die Mutter des Kindes kubanische Staatsangehörige und im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis. Sie lebt von Sozialleistungen. Auch wenn der Sohn des Antragstellers noch nicht einmal 1 Jahr alt ist, ist dem Antragsteller hier zuzumuten, für die Dauer des Visumsverfahrens auszureisen. Ob der Antragsteller im Rahmen dieses Verfahrens tatsächlich erfolgreich eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet erreichen kann, ist fraglich. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den Ausweisungsbescheid mit der Sperrfrist von 3 Jahren hat bestandskräftig werden lassen. Dies liegt jedoch in seiner Verantwortungssphäre und kann nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Es liegt an ihm, die Voraussetzungen für ein begehrtes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu schaffen. Bezüglich der Sperrfrist kommt möglicherweise aufgrund der familiären Bindungen eine Verkürzung in Betracht, die dann bei der Antragsgegnerin zu beantragen wäre.

Da weder der Antragsteller noch seine Verlobte und das gemeinsame Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ist es dem Betroffenen zuzumuten, die familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland fortzuführen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller und seine Verlobte bzw. deren Sohn nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen. Im Übrigen liegen die Herkunftsstaaten des Antragstellers sowie seiner Lebensgefährtin beide in der Karibik, so dass die kulturellen Unterschiede in ihren Herkunftsstaaten für das familiäre Zusammenleben nicht hinderlich sein dürften.

Aus Art. 8 EMRK ergeben sich im vorliegenden Fall keine weiteren Rechte des Antragstellers.

Ein Anordnungsanspruch ist damit nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

3. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO

4. Streitwertfestsetzung: § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.