Hamburgisches OVG, Beschluss vom 12.12.2013 - 4 Bs 333/13
Fundstelle
openJur 2014, 2787
  • Rkr:
Tenor

Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 7. November 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine Zweckentfremdungsgenehmigung – hilfsweise verbunden mit Auflagen – zu erteilen.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in der W-straße 35, das mit einem zweigeschossigen Gebäude bebaut ist. Sie betreibt im Souterrain und im Erdgeschoss eine Kindertageseinrichtung. Für diese Nutzung liegt eine Zweckentfremdungsgenehmigung vor. Die ca. 81 m² große Wohnung, die sich über der Kindertageseinrichtung im Obergeschoss befindet, ist derzeit unbewohnt.

Nachdem mehrere Anträge der Antragstellerin auf Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung für eine Nutzung auch des Obergeschosses als Kindertageseinrichtung erfolglos geblieben waren, beantragte die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zur Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung, hilfsweise mit der Auflage, Ersatzwohnraum zu schaffen, äußerst hilfsweise mit der Auflage, eine Ausgleichszahlung zu leisten, zu verpflichten. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Juni 2013 ab: Die Antragstellerin habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 7. November 2013 (4 Bs 186/13) zurückgewiesen: Zwar habe die Antragstellerin die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Zweifel gezogen. Gleichwohl habe das Verwaltungsgericht den Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe.

Gegen diese ihr am 14. November 2013 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 28. November 2013 erhobenen und begründeten Anhörungsrüge.

II.

Die zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg. Die Antragstellerin legt nicht dar, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Dafür müsste sie aufzeigen, dass das Gericht entscheidungserhebliche Tatsachen oder rechtliche Überlegungen nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen hat bzw. worin Willkür oder ein offensichtlicher Verfahrensmangel zu sehen sein sollten. Diesen Voraussetzungen genügt das Vorbringen der Antragstellerin nicht.

Mit ihrer Anhörungsrüge macht die Antragstellerin geltend, der Senat habe es versäumt, ihr vor der Entscheidung über die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2013 (erneut) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dessen hätte es bedurft, weil das Verwaltungsgericht ihren Eilantrag mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes abgelehnt habe, während der beschließende Senat die Zurückweisung der Beschwerde darauf gestützt habe, dass sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Hätte der beschließende Senat ihr hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, so hätte sie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zum Bestehen eines Anordnungsanspruchs ergänzend vortragen können und vorgetragen. In ihrer Beschwerdebegründung habe sie hierfür keine Veranlassung gehabt und sich auf eine Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen zum Bestehen eines Anordnungsanspruchs beschränkt, weil das Verwaltungsgericht sich zu der Frage des (Nicht-) Bestehens eines Anordnungsanspruchs nicht verhalten habe.

Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Annahme, der Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör sei in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden. Der Senat war nicht verpflichtet, der Antragstellerin deshalb Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme zu geben, weil er die Zurückweisung der Beschwerde auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem sich das Verwaltungsgericht in seiner Ausgangsentscheidung nicht auseinandergesetzt hat. Denn die Antragstellerin war gehalten, mit ihrer Beschwerdebegründung auf alle den geltend gemachten prozessualen Anspruch tragenden Gesichtspunkte einzugehen, ohne dass es eines Hinweises des Gerichts bedurft hätte.

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, „aus denen die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist“; nur diese Gründe werden vom Oberverwaltungsgericht geprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist danach nicht schon dann Genüge getan, wenn nur aufgezeigt wird, dass die Erwägungen, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, unzutreffend sind. Durch die Beschwerdebegründung muss vielmehr das Entscheidungsergebnis in Frage gestellt werden. Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt danach nur vor, wenn sich aus den fristgerecht dargelegten Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung und die Notwendigkeit ihrer Aufhebung ergeben. Im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO „auseinandersetzen“ kann sich der Beschwerdeführer zwar nur mit den in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ausführungen. Das Auseinandersetzungserfordernis tritt indes bereits nach dem Wortlaut des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO lediglich neben das Gebot, die Gründe aufzuzeigen, derentwegen die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. Dieser Teil der einen Beschwerdeführer treffenden Darlegungslast wird durch eine partiell fehlende Möglichkeit der „Auseinandersetzung“ nicht gegenstandslos. Dies kann ggf. eine Wiederholung des bzw. eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche(n) Vorbringen(s) erforderlich machen (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 27.5.2008, NVwZ-RR 2008, 747, juris Rn. 6; VGH München, Beschl. v. 8.8.2006, 11 CE 05.2152, juris Rn. 8; OVG Greifswald, Beschl. v. 7.9.2006, 2 M 36/06, juris Rn. 4; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 146 Rn. 78; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 146 Rn. 41).

Ergibt sich danach bereits unmittelbar aus dem Gesetz, dass das Darlegungs- und Begründungserfordernis aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO umfassend gilt und nicht durch die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts begrenzt wird, so besteht zum ersten schon nicht die Notwendigkeit eines Hinweises darauf, dass das Beschwerdegericht andere (tragende) Erwägungen als das Verwaltungsgericht anzustellen beabsichtigt, weil dies auf den Umfang der notwendigen Darlegung und Begründung durch den Beschwerdeführer keine Auswirkungen hätte. Zum zweiten kann sich der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht habe erkennen können, auf welchen (Tatsachen-) Vortrag es für die Entscheidung voraussichtlich ankommen werde (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 15.2.2011, NVwZ-RR 2011, 460, juris Rn. 13). Zum dritten schließlich ginge ein Hinweis, wie ihn die Antragstellerin für erforderlich erachtet, zumindest teilweise ins Leere. Denn das hierdurch veranlasste weitere Vorbringen des Beschwerdeführers könnte, sofern es sich um neuen Sachvortrag bei unveränderter Sach- und Rechtslage handelt, mangels Einhaltung der Begründungsfrist aus § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO regelmäßig nicht berücksichtigt werden. Im Ergebnis nichts anderes gilt insoweit im Hinblick auf solche (tatsächlichen) Gesichtspunkte, die erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entstehen und deshalb nicht rechtzeitig vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist hätten geltend gemacht werden können. Sofern – was umstritten ist – derartige Gesichtspunkte überhaupt als im Beschwerdeverfahren berücksichtigungsfähig angesehen werden (zum Streitstand: Kopp/Schenke, a.a.O., § 146 Rn. 43, m.w.N.), hinge die Notwendigkeit, diese nachträglich geltend zu machen, nicht von einem Hinweis des Beschwerdegerichts auf seine voraussichtlich anzustellenden Erwägungen ab, sondern folgte diese Notwendigkeit unmittelbar aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und dem dort normierten umfassenden Darlegungserfordernis.

Die vorstehenden Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betreffend die aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitenden Hinweispflichten gegenüber den Prozessbeteiligten im Verfahren auf Zulassung der Berufung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss das Oberverwaltungsgericht dem Rechtsmittelführer in der Regel rechtliches Gehör gewähren, wenn es einen Zulassungsantrag mit der Begründung ablehnen will, dass sich die in Anknüpfung an die tragenden Gründe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufgeworfene Grundsatzfrage aus anderen als den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gründen im Berufungsverfahren nicht stellen werde, oder wenn der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung gestützte Zulassungsantrag mit der Begründung abgelehnt werden soll, das angegriffene Urteil erweise sich aus anderen als den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen als richtig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.2.2011, a.a.O., juris Rn. 16, m.w.N.). Indes begrenzt § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO das Darlegungserfordernis im Berufungszulassungsverfahren auf die Zulassungsgründe aus § 124 Abs. 2 VwGO. Aus dieser Begrenzung der Darlegungsanforderungen leitet das Bundesverfassungsgericht die Pflicht ab, dass ein gerichtlicher Hinweis erteilt werden muss, wenn das Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung der Berufung zurückzuweisen beabsichtigt, obwohl einer der Zulassungsgründe aus § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Eine vergleichbare Begrenzung des Darlegungserfordernisses enthält § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO für das Verfahren der Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG ergibt.