Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.01.2014 - 1 ZB 13.303
Fundstelle
openJur 2014, 2510
  • Rkr:

Beseitigungsanordnung; „Kleingartenanlage“; Zweckbestimmung baulicher Anlagen; Außenbereich; Glashaus; Verfestigung einer Splittersiedlung; Sichtschutzzaun; Wahrung des Siedlungscharakters als öffentlicher Belang

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro

festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Beseitigungsanordnung für Sichtschutzzäune und ein Glashaus.

Er ist Inhaber der Parzelle 56 auf dem Grundstück FlNr. 1886/12 Gemarkung D..., das in seinem Miteigentum steht. Die Parzelle gehört zu dem Bereich der „Kleingartenanlage K... Straße“, für den die Beklagte den gleichnamigen Bebauungsplan 19/75 erlassen hat. Dieser lässt je Parzelle die Errichtung einer Gartenlaube mit einer „überbauten Fläche“ von höchstens 30 m² zu. Als Einfriedung ist nur ein 1 m hoher Maschendrahtzaun ohne Sockel zulässig.

Am 19. April 2005 beschloss der Bauausschuss der Beklagten ein Konzept für die Neuordnung der „Kleingartenanlage K... Straße“. Demnach sollen pro Parzelle maximal eine Gartenlaube mit 50 m² Grundfläche, ein Freisitz mit 20 m² überdachter Fläche, eine Eingangsüberdachung mit 3 m² Dachfläche, ein Nebengebäude mit 10 m² Grundfläche, ein Carport mit 17 m² Dachfläche und ein Gewächshaus mit 9 m² Grundfläche zulässig sein. Eine Verrechnung der Grundflächen der einzelnen baulichen Anlagen ist ausdrücklich unzulässig. Die Stadtverwaltung wurde beauftragt, die baulichen Anlagen, die nicht genehmigt sind und nicht den Vorgaben des Neuordnungskonzepts entsprechen, aufzugreifen und die Beseitigung zu veranlassen. Zudem beschloss der Bauausschuss am 30. Juni 2009, die Festsetzungen des Bebauungsplans 19/75 bezüglich der Zäune durchzusetzen.

Bei einer Baukontrolle am 21. Juli 2011 stellte die Beklagte fest, dass ein Sichtschutzzaun und ein als Abstellraum genutztes Glashaus entlang der östlichen Parzellengrenze sowie ein Sichtschutzzaun an der Nord- und Westseite des Carports jeweils ohne Genehmigung errichtet worden waren.

Mit Bescheid vom 15. November 2011 forderte die Beklagte den Kläger unter Zwangsgeldandrohung auf, vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheids die genannten baulichen Anlagen vollständig zu beseitigen.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. September 2012 macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und einen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhe, geltend.

Die Beklagte beantragt, den Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Beseitigungsanordnung zu Recht abgewiesen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass der Bebauungsplan 19/75 jedenfalls seit Anwendung des im Jahr 2005 beschlossenen Neuordnungskonzepts insgesamt funktionslos geworden ist, verhilft dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil auch darauf gestützt, dass die von der Beseitigungsanordnung betroffenen baulichen Anlagen nach § 35 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig seien. Beruht das angefochtene Urteil auf mehreren selbständig tragenden Gründen (Mehrfachbegründung), darf die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 11 B 37/97NVwZ 1998, 850). Selbst bei Funktionslosigkeit des Bebauungsplans 19/75 erweist sich das angefochtene Urteil mit der Begründung als richtig, dass die beiden Sichtschutzzäune und das Glashaus als sonstige Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig sind, weil sie öffentliche Belange beeinträchtigen.

Wie den Beteiligten bekannt ist, hat der Senat bereits mehrfach entschieden, dass die „Kleingartenanlage K... Straße“ trotz ihrer Ausdehnung und der Größe der vorhandenen baulichen Anlagen kein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist, weil die genehmigten Gartenhäuser einschließlich der Nebenanlagen nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 55/81ZfBR 1984, 254). Dagegen wendet der Kläger hauptsächlich ein, 80% der Grundstückseigentümer des Gebiets wohnten ständig in ihren Häusern. Er habe dem Verwaltungsgericht „mehrere Indizien für eine von dritter Seite ermittelbare Dauerwohnnutzung geliefert“. Er bezieht sich dabei offenbar auf die dem Verwaltungsgericht vorgelegte schriftliche Bestätigung („Beweis“) eines anderen Parzelleninhabers vom 29. August 2012, wonach dieser dem Bauamt der Beklagten am 16. April 2009 mündlich gemeldet habe, dass 80% der Grundstückseigentümer des Gebiets mit ihren Angehörigen ständig dort in ihren Holzhäusern wohnten. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine unsubstanziierte und erkennbar zweckgerichtete Behauptung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass kein einziges Anwesen konkret bezeichnet wird, in dem eine Dauerwohnnutzung angeblich stattfindet. Vielmehr gibt der Verfasser der erwähnten schriftlichen Bestätigung durch den ausdrücklichen Hinweis auf seinen Wohnsitz in K... zu erkennen, dass er selbst in der Anlage nicht ständig wohnt.

Abgesehen davon richtet sich die Zweckbestimmung baulicher Anlagen grundsätzlich nach der durch die jeweils erteilte Baugenehmigung vorgegebenen Nutzung (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2011 – 1 ZB 11.1182 – juris Rn. 9). Es versteht sich von selbst, dass eine davon abweichende illegale Nutzung per se keine Rechtswirkungen entfaltet. Nur wenn die zuständige Behörde die jeweilige rechtswidrige Nutzung zweifelsfrei kennt und diese dennoch dauerhaft duldet, kommt ihr maßstabsbildende Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2011, a.a.O.). Eine solche qualifizierte Untätigkeit der Beklagten wird jedoch vom Kläger bereits nicht geltend gemacht (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Angesichts der gerichtsbekannten Bemühungen der Beklagten um die Durchsetzung ihres Neuordnungskonzepts kann davon auch keine Rede sein.

Das demnach im Außenbereich liegende Glashaus ist bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es die (weitere) Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 2 und 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Dadurch, dass die Bebauung des Gebiets ohne die erforderlichen Baugenehmigungen und im Widerspruch zur materiellen Rechtslage (weit) über eine Kleingartenanlage im Sinn des Kleingartengesetzes hinausgegangen ist, hat sich eine städtebaulich unerwünschte Splittersiedlung entwickelt. Mit dem Neuordnungskonzept der Beklagten soll dieser Entwicklung Einhalt geboten werden. Dies kann aber nur gelingen, wenn das Neuordnungskonzept gemäß dem Beschluss des Bauausschusses der Beklagten vom 19. April 2005 umgesetzt wird. Solange es sich bei dem Glashaus nicht um ein Gewächshaus, sondern um ein ohne Weiteres als Abstellraum nutzbares Gebäude handelt, erhöht sich die Gefahr, dass das eigentlich für diesen Zweck vorgesehene Nebengebäude für Wohnzwecke genutzt wird, und damit die Gefahr des „Umkippens“ von der Gartenhausbebauung zur Wohnbebauung.

Die vom Kläger errichteten massiven Sichtschutzzäune sind gemäß § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig, weil sie dem Charakter der vorhandenen Gartensiedlung widersprechen. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 6. September 2011 (Az. 1 ZB 10.978) ausgeführt hat, stellt die Wahrung des Charakters der Gartensiedlung einen sonstigen öffentlichen Belang im Sinn des § 35 Abs. 2 BauGB dar.

2. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt, kann keine Rede davon sein, dass in dem als Kleingartenanlage festgesetzten Gebiet offensichtlich ein Wohngebiet entstanden ist. Vielmehr musste das Verwaltungsgericht der entsprechenden unsubstanziierten Behauptung des Klägers nicht weiter nachgehen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).