OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2014 - 6 B 1336/13
Fundstelle
openJur 2014, 2196
  • Rkr:

Erfolglose Beschwerde des Antragsgegners gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochene Untersagung, zwei ausgeschriebene Stellen eines Lehrers für die Sekundarstufe I (Besoldungsgruppe A 13 g.D. BBesO) vor einer erneuten Entscheidung mit Mitbewerbern zu besetzen.

Ist eine große Anzahl von Bewerbern ausnahmslos mit der Spitzennote beurteilt und führt auch eine inhaltliche Ausschöpfung der Beurteilungen nicht zur Feststellung relevanter Leistungsunterschiede, deutet dies darauf an, dass die Beurteilungen auf einer mit dem Grundsatz der Bestenauslese zu nicht vereinbarenden Beurteilungspraxis beruhen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. März 2013 - 6 B 1149/12 -).

Zu den Darlegungsanforderungen zur Widerlegung des Anscheins einer fehlerhaften Beurteilungspraxis.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner durch einstweilige Anordnung untersagt, die beiden ausgeschriebenen Stellen eines Lehrers für die Sekundarstufe I (Besoldungsgruppe A 13 g.D. BBesO) mit einem anderen Bewerber zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist. Die Antragstellerin habe sowohl einen Anordnungsgrund als auch den nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie sei durch die zu Gunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung, die auf einer fehlerhaften Beurteilungspraxis des Antragsgegners beruhe, in ihrem von Art. 33 Abs. 2 GG geschützten Anspruch auf beurteilungs- und ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Bewerbung verletzt. Alle 16 Bewerber seien in ihrer der Bewerbung zu Grunde liegenden Anlassbeurteilung mit der Bestnote "die Leistungen übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße" beurteilt worden, so dass die Beurteilungen keine taugliche Grundlage für eine hinreichende Differenzierung zwischen den Bewerbern böten. Den durch die Häufung der Spitzennote entstandenen Anschein einer fehlerhaften Beurteilungspraxis habe die Bezirksregierung nicht auszuräumen vermocht. Ungeachtet dessen sei die Auswahlentscheidung fehlerhaft, weil sie auf Anlassbeurteilungen beruhe, die den maßgeblichen Beurteilungszeitraum nicht erkennen ließen.

Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift nicht durch.

Die am Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) zu orientierende Auswahlentscheidung hat in erster Linie auf der Grundlage von aussagekräftigen, d.h. aktuellen, hinreichend differenzierten und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhenden dienstlichen Beurteilungen zu erfolgen.

BVerfG, Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 -, DRiZ 2013, 106, und vom 11. Mai 2011 - 2 BvR 764/11 -, IÖG 2011, 218 ff.

Nur wenn und soweit Beurteilungen maßgebliche und hinreichend zuverlässige Aussagen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber treffen, können sie eine tragfähige Grundlage für eine dem Leistungsprinzip genügende Entscheidung sein. Daraus folgt, dass eine Beurteilungspraxis, die ohne sachlichen Grund nicht hinreichend zwischen den zu Beurteilenden differenziert, den von Art. 33 Abs. 2 GG geschützten Anspruch des im Beförderungsverfahren unterlegenen Bewerbers auf beurteilungs- und ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 2 BvR 311/03 -, DVBl. 2003, 1524; OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2013 - 6 B 1149/12 -, nrwe.de.

Unter Beachtung dieser Vorgaben hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beurteilung einer großen Anzahl von Bewerbern um eine Beförderungsstelle - hier 16 - ausnahmslos mit der Spitzennote auf eine mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbare Beförderungspraxis hindeutet. Dass eine Beurteilung mehrerer Beförderungsbewerber mit derselben Note im Einzelfall mit dem Leistungsgrundsatz im Einklang stehen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Gleichheit der Beurteilungsergebnisse auf der Anwendung differenzierter Beurteilungsmaßstäbe beruht, die dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestenauslese gerecht werden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003, a.a.O.

Wird durch die gehäufte bzw. sogar ausnahmslose Vergabe der Spitzennote an die Bewerber um die fraglichen Beförderungsstellen der Anschein einer nicht mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbaren Beförderungspraxis erweckt, ist es Sache des Dienstherrn, darzutun und glaubhaft zu machen, dass die gleichförmigen Beurteilungen gleichwohl das Ergebnis einer rechtmäßigen, differenzierte Maßstäbe anwendenden Beurteilungspraxis sind. Dies verkennt der Antragsgegner, wenn er meint, er sei "nicht in der Darlegungslast, eine angebliche fehlerhafte Beurteilungspraxis auszuräumen". Denn die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs im Eilrechtsschutzverfahren werden in einem solchen Verfahren überspannt, wenn dem Beförderungsbewerber abverlangt wird, über die gehäufte Vergabe der Spitzennote hinaus weitere Gesichtspunkte aufzuzeigen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der dem Auswahlverfahren zu Grunde liegenden Beurteilungspraxis ergibt. Es ist nicht ersichtlich, wie ein Beförderungsbewerber dem entsprechen könnte. Von den Einzelheiten des Zustandekommens der Beurteilungen, deren Gleichförmigkeit auf die Anwendung nicht hinreichend differenzierter Beurteilungsmaßstäbe hindeutet, hat er typischerweise weder Kenntnis, noch kann er sich diese Kenntnis verschaffen. Die notwendigen Informationen kann nur der Dienstherr bereitstellen.

So ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003, a.a.O.

Diesen Maßgaben wird der Vortrag des Antragsgegners nicht gerecht. Es ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nach wie vor nicht hinreichend erkennbar, dass die gehäufte Vergabe der Spitzennote auf einer rechtmäßigen Beurteilungspraxis beruht.

Der Antragsgegner trägt zwar nachvollziehbar vor, dass bei der Beförderung von Lehrkräften der Sekundarstufe I von A 12 zu A 13 offenbar besondere Rahmenbedingungen gegeben sind: Es handele sich für die entsprechenden Lehrkräfte um die einzige mögliche Beförderung in ihrer Laufbahn. Wegen der langen Dienstzeit erscheine daher auch eine Beurteilung aller Bewerber mit der Bestnote noch hinreichend plausibel. Da im Übrigen bekannt sei, dass eine Beförderungschance nur mit der Bestnote bestehe, würden sich von vornherein nur Kandidaten mit Aussicht auf das Spitzenprädikat bewerben.

Allein mit dieser allgemeinen Beschreibung der tatsächlichen Ausgangssituation ist der Anschein einer fehlerhaften Beurteilungspraxis noch nicht ausgeräumt. Der Umstand, dass es aufgrund der langen Verweildauer im Eingangsamt zahlreiche erfahrene und damit leistungsstarke Lehrkräfte geben wird, vermag nicht hinreichend zu erklären, dass sämtliche Bewerber im vorliegenden Auswahlverfahren ausnahmslos die Spitzennote erhalten haben. Aber auch das - nicht näher erläuterte - Argument, es würden sich von vornherein nur Kandidaten "mit berechtigter Aussicht auf das Spitzenprädikat" bewerben, überzeugt nur eingeschränkt. Denn die Einschätzung, ob ein Bewerber das Spitzenprädikat erhalten wird, kann dann, wenn - wie hier - das Beurteilungsverfahren im Zeitpunkt der Bewerbung noch gar nicht stattgefunden hat und die vorherigen Beurteilungen deutlich länger als zehn Jahre (zwischen etwa 13 und 17 Jahren) zurückliegen, kaum auf einer hinreichend fundierten Grundlage beruhen. So standen z.B. die Unterrichtsbesuche, auf die sich die hier für die Antragstellerin und die Beigeladenen angefertigten Anlassbeurteilungen wesentlich stützen (Beurteilungspunkt "Leistung als Lehrer") im Bewerbungszeitpunkt noch aus. Soweit die Aussicht auf ein Spitzenprädikat allein auf der Selbsteinschätzung der Bewerber beruht haben soll, überzeugt dies ebenfalls nicht, weil diese - wie dem Senat aus zahlreichen Beurteilungsverfahren bekannt ist - nicht selten von der schließlich abgegebenen Bewertung des Beurteilers abweicht.

Eine konkrete, die ausnahmslose Vergabe der Spitzennote an die Bewerber nachvollziehbar erklärende Beschreibung der Beurteilungspraxis lässt - wie in dem angefochtenen Beschluss zutreffend festgestellt - auch die auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts übersandte Stellungnahme des Antragsgegners vom 11. Oktober 2013 nicht erkennen und ist auch dem Beschwerdevortrag nicht zu entnehmen. Es wird mit Blick auf die gebotene einheitliche Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe bzw. die nach Ziffer 4.8 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren (RdErl. d. Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2. Januar 2003, ABl. NRW S.7 - BRL -) sicherzustellende gleichmäßige Verfahrensweise bei der Anwendung der Notenstufen lediglich angemerkt, dass das Beurteilungswesen in regelmäßigen Schulleiterdienstbesprechungen mit den schulfachlichen Dezernenten thematisiert werde, wobei die Anforderungen, an die die Vergabe der Bestnote gebunden sei, deutlich skizziert würden. Diesem nicht näher konkretisierten Hinweis lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die fraglichen - gleichförmigen - Beurteilungen tatsächlich in Anwendung hinreichend differenzierter Beurteilungsmaßstäbe zustande gekommen, gleichwohl aber zum gleichen Beurteilungsergebnis gelangt sind.

Soweit der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren weiter darauf verweist, dass sich die Anforderungen an die Vergabe der Spitzennote aus der Beurteilungsrichtlinie ergäben, verkennt er, dass allein mit der darin (Ziffer 4.6) enthaltenen allgemeinen Formulierung ("die Leistungen übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße") eine gleichmäßige und differenzierte Praxis bei der Notenvergabe nicht gewährleistet werden kann. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Anforderungen und Maßstäbe für die Notenvergabe in der Verwaltungspraxis tatsächlich weiteren konkretisierenden Erläuterungen zugänglich sind.

Der Hinweis des Antragsgegners auf den dem jeweiligen Beurteiler bei der Erstellung der Beurteilung zustehenden Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum führt ebenfalls nicht weiter. Es sind keine rechtlichen Gesichtspunkte benannt oder sonst erkennbar, die einem konkretisierenden Hinwirken des Dienstherrn auf eine einheitliche Anwendung differenzierter, sachgerechter Beurteilungsmaßstäbe entgegenstehen könnten. Vielmehr verlangen auch die Beurteilungsrichtlinien nicht zuletzt mit Blick auf den oftmals erforderlichen Quervergleich zwischen Beurteilungen verschiedener Beurteiler über die allgemeinen Notendefinitionen hinausgehende Maßnahmen des Dienstvorgesetzten (vgl. Ziffern 1.2 und 4.8 BRL). In solchen abstrakten, nicht auf den einzelnen Bewerber bezogenen Vorgaben ist kein Eingriff in den Beurteilungsspielraum zu sehen. Unabhängig davon dürfte es aber auch, um eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genügende Auswahlgrundlage zu gewährleisten, unbedenklich sein, wenn die Schulaufsichtsbehörde - soweit erforderlich - auch im Einzelfall auf die einheitliche Anwendung differenzierter, sachgerechter Beurteilungsmaßstäbe hinwirkt (vgl. dazu etwa Ziffer 1. der Hinweise zur Durchführung des Beurteilungsverfahrens für das erste Beförderungsamt an Realschulen bzw. der Hinweise zur Durchführung des Beurteilungsverfahrens für das erste Beförderungsamt an Gymnasien im Schuljahr 2008/09 der Bezirksregierung Münster).

Letztlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 den Gegenstand der vom Antragsgegner erbetenen Erklärung hinreichend erkennen ließ. Denn der Antragsgegner hat - wie bereits dargestellt - auch im Beschwerdeverfahren nichts Konkretes zu den Anforderungen und Maßstäben bei der Vergabe von (Spitzen-)Noten vorgetragen, so dass nach wie vor nicht erkennbar ist, ob die fraglichen Beurteilungen auf einer mit Art. 33 Abs. 2 GG zu vereinbarenden, differenzierende Maßstäbe anwendenden Beurteilungspraxis beruhen.

Ist danach der Anschein einer fehlerhaften Beurteilungspraxis auch im Beschwerdeverfahren nicht ausgeräumt, kann offen bleiben, ob die Auswahlentscheidung zudem rechtlichen Bedenken unterliegt, weil sich bei einer (weiteren) Ausschöpfung der Beurteilungen möglicherweise in sachgerechter Weise ein Qualifikationsvorsprung eines Bewerbers hätte herleiten lassen.

Es bedarf ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung, ob die der Auswahlentscheidung des Antragsgegners zu Grunde liegenden Anlassbeurteilungen aus sonstigen Gründen fehlerhaft sind. Es spricht allerdings einiges dafür, dass sich der Beurteilungszeitraum im Wege der Auslegung hinreichend sicher ermitteln lässt (Beginn unmittelbar anknüpfend an den vorangegangenen Beurteilungszeitraum). Ferner dürften die dadurch teilweise entstehenden, extrem ausgedehnten Beurteilungszeiträume im Hinblick auf das Beurteilungssystem, das nach der Bewährungsfeststellung keine weiteren Regel- oder Zwischenbeurteilungen vorsieht, zwecks Vermeidung von Beurteilungslücken den rechtlichen Anforderungen wohl noch entsprechen. Die der vorliegenden Auswahlentscheidung zu Grunde liegenden Beurteilungen treffen aber unabhängig davon auf Bedenken. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass die jeweiligen Beurteiler tatsächlich den gesamten Beurteilungszeitraum in den Blick genommen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Schwergewicht bei der Bewertung regelmäßig auf dem in jüngere Zeit deutlich gewordenen Leistungsbild beruhen muss und weiter zurückliegende Zeiträume vornehmlich mit Blick auf die Leistungsentwicklung im Beurteilungszeitraum relevant werden dürften. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich eine solche Berücksichtigung des gesamten Beurteilungszeitraums hier allenfalls in der Beurteilung des Beigeladenen zu 1. ansatzweise erkennen lässt. Ob und in welcher Weise sich die jeweiligen Beurteiler, die wegen der langen Beurteilungszeiträume (bis zu 17 Jahre) aus eigener Anschauung überwiegend keine tatsächlichen Kenntnisse über das Leistungsbild in früheren Zeiträumen gehabt haben dürften, sich eine hinreichende Erkenntnisgrundlage für den gesamten Beurteilungszeitraum verschafft haben, lässt sich den Beurteilungen nicht entnehmen. Insbesondere die Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2. stützen sich ganz überwiegend auf die jeweils nur wenige Monate zurückliegenden Unterrichtsbesuche.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO.