LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 23.10.2013 - L 3 U 216/10
Fundstelle
openJur 2014, 1851
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2008 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin von S wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 25. Juni 1965 ab dem 17. Januar 2008 bis zum 28. Mai 2013 Pflegegeld in Höhe des Mindestbetrags nach § 44 Abs. 2 SGB VII zu gewähren, und im Übrigen verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte erstattet der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin des 1940 im ehemaligen Jugoslawien geborenen, zuletzt in Bosnien-Herzegowina und Kroatien wohnhaft gewesenen und am 28. Mai 2013 verstorbenen S (Versicherter) von der Beklagten Pflegegeld wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der Versicherte erlitt am 25. Juni 1965 während seiner Beschäftigung in Deutschland als Bauhilfsarbeiter einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall, als er beim Ausschachten eines Grabens von einer umstürzenden Betonmauer begraben wurde und sich hierbei eine Rissquetschung des rechten Oberschenkels zuzog; es wurde eine primäre hohe Oberschenkelamputation durchgeführt, vgl. Unfallanzeige vom 28. Juni 1965 und Durchgangsarztbericht vom 28. Juni 1965. Die Amputation war durch die schwere Zertrümmerung des rechten Beines mit erheblicher Verschmutzung durch Erde und den schlechten Allgemeinzustand des Versicherten (erheblicher Blutverlust mit schlecht beeinflussbarem Schockzustand) erforderlich geworden, vgl. sog. Erstes Rentengutachten von Dr. H vom 03. Mai 1967. Laut dem Ersten Rentengutachten kam es ferner postoperativ zu einer erheblichen Stumpfschwellung und Abstoßung nekrotischer Stumpfteile, wobei auch ein doppelt handtellergroßer Hautbezirk abgestoßen wurde; der Defekt wurde mit Reverdinläppchen und mit einer Thierschplastik gedeckt, welche gut angingen. Im Ergebnis war der Oberschenkel zur Hälfte amputiert worden; es fanden sich rund vier Monate später eine ausreichende Weichteilpolsterung und im Bereich des Stumpfes mehrere teilweise stark eingezogene frische und gering druckempfindliche Narben, zwischen denen ein gut handtellergroßer Bezirk mit Thierschlappen gedeckt war, welche gut angeheilt waren, vgl. Nachschaubericht vom 27. September 1965. Der Versicherte wurde laut dem Ersten Rentengutachten nach völliger Epithelisierung des Stumpfes zunächst im November 1965 und im Juli 1966 jeweils auf Kosten der Beklagten mit einer Prothese (Oberschenkelkunstbein aus Holz, vgl. etwa Rechnung der Orthopädischen Werkstätte A. K vom 13. Oktober 1965) versorgt; wegen Druckstellen und entzündlichen Erscheinungen im Bereich des Prothesenansatzes waren Verordnungen von Bädern und Gehschule sowie Salbenbehandlung notwendig. Bei der Untersuchung zum Ersten Rentengutachten am 04. April 1967 war die Belastung des Stumpfes noch schmerzhaft. Laut fachärztlichem Zwischenbericht der Dres. H und M vom Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus – Chirurgische Klinik - F vom 05. September 1967 sollte die Arbeitsfähigkeit nach Abschluss des Heilverfahrens am 15. September 1967 wieder eintreten und wurde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vom Hundert (v.H.) wegen der schlechten Stumpfverhältnisse für angemessen erachtet.

Die Beklagte gewährte dem Versicherten mit Bescheid vom 18. September 1967 vom 24. Dezember 1966 (Beginn der 79. Woche nach dem Unfall) bis zum 03. April 1967 eine Verletztenvollrente, für die Zeit danach eine Verletztenrente unter Zugrundelegung einer MdE von 66 2/3 v.H. zuzüglich Kinderzulagen. Zwischenzeitlich war der Versicherte nach Jugoslawien zurückgezogen. Er stellte sich am 25. August 1969 bei der Beklagten vor und teilte unter Vorlage von Sterbeurkunden mit, dass seine Ehefrau und drei Kinder am 24. November 1968 bei einem Wohnungsbrand ums Leben kamen und seine Kunstbeine nicht mehr passgerecht seien.

Der Versicherte heiratete am 21. Januar 1969 die Klägerin. Aus der Ehe gingen 1969, 1972 und 1978 drei Kinder hervor, für welche die Beklagte Kinderzulagen zur Verletztenrente gewährte. Die Beklagte gewährte dem Versicherten zudem im Rahmen der Berufshilfe Entschädigungen wegen Wäschemehrverschleißes durch das Tragen der Prothese und Kraftfahrzeugbeihilfe in Form eines Zuschusses zu einem behindertengerechten Umbau des Kfz des Versicherten. In der Folgzeit versorgte die Beklagte den Versicherten weiterhin mit Prothesen und Gehstützen. Zuletzt wurde ihm 2004 eine neue Prothese in Deutschland angepasst.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2006 trat der Versicherte an die Beklagte mit dem Antrag heran, ihm wegen einer erheblichen Verschlechterung der Unfallfolgen Pflegegeld und eine höhere Verletztenrente zu gewähren. Am 02. Februar 2006 begab sich der Versicherte zu einer Untersuchung beim Orthopäden Dr. Z, vgl. dessen Bericht vom 02. Februar 2006. Dr. Z stellte hierbei einen Zustand nach Oberschenkelamputation, chronisches Lenden-Kreuz-Syndrom und Fettleibigkeit fest. Der Versicherte könne sich mit Unterarm-Krücken fortbewegen, der Oberschenkel-Stumpf in der Höhe des mittleren Drittels des Oberschenkels sei voluminös und weise eine unregelmäßige Oberfläche mit einer eingezogenen unregelmäßigen Narbe, angewachsen an den knöchernen Stumpf des Oberschenkels, auf. Anamnestisch habe der Versicherte viele Jahre lang eine Oberschenkel-Kontakt-Prothese aus Holz mit physiologischem Kniegelenk benutzt; jetzt sei bei ihm eine Oberschenkel-Skelett-Prothese mit hydraulischer Knie-Einheit angebracht worden, welche die Bedürfnisse des Versicherten nicht zufriedenstelle. Indiziert sei die Anwendung bzw. Anbringung einer Oberschenkel-Kontakt-Prothese aus Holz mit physiologischem Kniegelenk und einer „Greissinger“-Fußeinheit. Des Weiteren führte er aus, beim Versicherten sei der Bewegungsradius äußerst eingeschränkt, so dass ständige Hilfe im Haushalt angezeigt sei. Dem Versicherten werde die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zwei- bis dreimal jährlich zur Linderung der chronischen Symptome des Lendenwirbelsyndroms sowie der osteoarthrotischen Veränderungen des linken Kniegelenks empfohlen. Festzustellen seien chronische Veränderungen durch den Zustand nach Oberschenkelamputation rechts sowie durch das veränderte Gangbild mit Prothese.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2006, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, beschied die Beklagte den Versicherten dahin, dass nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen derzeit nicht von einer Verschlimmerung der Unfallfolgen auszugehen sei und eine Begutachtung nicht durchgeführt werde. Hiergegen erhob der Versicherte mit Schreiben vom 28. August 2006 Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2007 als unbegründet zurückwies. Hiergegen erhob der Versicherte Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) zum gerichtlichen Aktenzeichen S 68 U 464/07. Die Klage wurde mit Urteil vom 15. Juni 2010 abgewiesen. Hiergegen legte der Versicherte Berufung zum gerichtlichen Aktenzeichen L 3 U 187/10 ein.

Zwischenzeitlich wurde der Versicherte mit einer neuen Prothese versorgt, vgl. etwa Bestätigung des kroatischen Sanitätshauses vom 28. März 2006.

Mit Schreiben vom 10. April 2007 erneuerte der Versicherte seinen Antrag auf Pflegegeld. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. Mai 2007 die Gewährung von Pflegegeld ab. Der Versicherte sei mit einer Beinprothese versorgt. Es sei davon auszugehen, dass er bei den Verrichtungen des täglichen Lebens nicht in erheblichem Umfang auf die Hilfe anderer angewiesen sei. Eine Hilfskraft, welche in ständiger Bereitschaft sei, sei nicht erforderlich. Der Versicherte erhob mit Schreiben vom 23. Juni 2007, bei der Beklagten eingegangen am 09. Juli 2007, Widerspruch, wonach er eine hilflose Person sei, notwendige Betreuung bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, insbesondere bei der Körperpflege, Zubereitung der Nahrung, beim Aufstehen und Ins-Bett-gehen, beim An- und Auskleiden, beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie beim Einkaufen, bei der Reinigung der Wohnung brauche. Zur Untermauerung seines Vorbringens verwies der Versicherte auf den o.g. Befundbericht von Dr. Z vom 02. Februar 2006.

Der Versicherte legte zudem einen Befundbericht seines Hausarztes Dr. N vom 17. Januar 2008 mit den Diagnosen Status post amputationem femoris lat. dex., Spondylosis et Spondylarthrosis L/ S, Gonarthrosis lat. sin. und Hypertensio art. Cor decomp., Diabetes mellitus, Sy anxiodepressivum, Prostatitis und Fettleibigkeit vor. Da der Versicherte ans Bett gefesselt sei, hätten häufig ärztliche Hausbesuche stattfinden müssen. Der Versicherte könne sich nicht bewegen und leide an Nervosität und Anspannung sowie an Depressionen, Gewichtszunahme und Bluthochdruck. Da neben der Zuckerkrankheit auch Prostata- und Urin-Probleme vorlägen, bekomme er einen Foly-Katheter und sei mit Windeln ausgestattet worden, weil er nicht aufstehen könne. Vor diesem Hintergrund benötige der Versicherte unbedingt die Hilfe einer anderen Person, um die alltäglichen Lebensvorgänge wie Aufstehen, Schlafengehen, Einnahme von Nahrung, Garderobe u.ä. bewerkstelligen zu können. Der Zustand sei endgültig.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2008 als unbegründet zurück. Aus der ärztlichen Stellungnahme von Dr. N ergebe sich, dass erhebliche unfallunabhängige Erkrankungen vorlägen. Es sei nicht zu erkennen, dass Pflegebedürftigkeit gerade wegen der Unfallfolgen vorliege.

Der Kläger hat am 02. Juli 2008 Klage zum SG erhoben und sein bisheriges Vorbringen vertieft. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2010 abgewiesen. Der Arbeitsunfall vom 25. Juni 1965 sei nicht die rechtliche wesentliche Ursache für eine etwa bestehende Hilflosigkeit des Versicherten, und zwar auch nicht im Sinne einer rechtlich wesentlichen Mitursache. Ausgehend von den ärztlichen Stellungnahmen von Dr. Z und Dr. N sei darauf hinzuweisen, dass nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen das Risiko von Arthrosen im unverletzten Bein durch eine Amputation nicht erhöht werde. Desgleichen lasse sich nach dem unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Oberschenkelamputation einerseits und Übergewichtigkeit, Herzschäden und Bluthochdruck andererseits nicht bestätigen. Die Frage, ob eine Oberschenkelamputation Ursache für Wirbelsäulenschäden sein könne, werde zwar kontrovers diskutiert, für die beim Versicherten diagnostizierten Erkrankungen (Spondylose und Spondylarthrose) jedoch im Regelfall abgelehnt.

Der Versicherte hat gegen den ihm am 17. August 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 08. November 2010 Berufung eingelegt. Er hat auf die Notwendigkeit einer Begutachtung hingewiesen.

Der Versicherte hat im Berufungsverfahren L 3 U 187/10 ärztliche Stellungnahmen bzw. Auszüge aus der Patientenkartei von Dr. N vom 23. Dezember 2010 sowie des Internisten und Gastroenterologen Dr. B vorgelegt. Der Senat hat dort aktuelle Befundberichte angefordert. Der Radiologe Dr. P hat unter dem 28./ 29. April 2011 berichtet, wonach neben den vorgenannten Leiden auch Corpora libera femori dax (freie Knochenfragmente) bestanden. Der Versicherte sei auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen, was anhand der Untersuchung festgestellt worden sei, weil er nicht imstande gewesen sei, sich alleine auf den Untersuchungstisch zu legen. Die Befunde hätte sich mit der Zeit, vor allem in den letzten sechs Monaten verschlechtert, vor allem was die Lumbalwirbel angehe (kompressive Fraktur L4 und L5 mit ventraler Spondylolisthesis L5 um 8 mm sowie starke degenerative Veränderung der Lumbalwirbel und des linken Knies, stärkere Veränderung des Stumpfes des rechten Femurs mit mehreren freien Knochenfragmenten am medialen Ende des Stumpfes des rechten Femurs).

Dr. N hat im Befundbericht vom 05. Mai 2011 neben den von ihm bereits zuvor dokumentierten Erkrankungen auf ein seelisches Leiden des Versicherten verwiesen. Laut den dem Befundbericht von Dr. B, Facharzt für Physikalische Medizin, vom 03. Mai 2011 beiliegenden weiteren Untersuchungsbefunden bestand bei der Untersuchung am 05. November 2007, als der Versicherte mithilfe einer Oberschenkelprothese und einer Gehhilfe links mobilisiert war, eine Hypertrophie der restlichen Muskulaturseite des Oberschenkels. Bei einer Untersuchung am 03. Mai 2011 sei der Versicherte ohne Prothese mit zwei Gehhilfen sowie mithilfe einer weiteren Person gegangen. Der Versicherte habe sich erschwert mithilfe einer anderen Person, welche ihm beim Ausziehen geholfen habe, zur Untersuchung auf die Liege gelegt.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr als Sonderrechtsnachfolgerin von S wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 25. Juni 1965 Pflegegeld zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Unfallunabhängige Leiden dominierten den Gesundheitszustand des Versicherten.

Der Senat hat das schriftliche Sachverständigengutachten des Leitenden Arztes für Allgemeine und Traumachirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M Prof. Dr. W vom 28. Oktober 2012 eingeholt, welches dieser nach einer ambulanten Untersuchung des Versicherten am 20. Oktober 2012 in Kroatien erstellt hat. Dieser hat beim Versicherten einen körpernahen Oberschenkelverlust rechts mit stark eingezogenen unregelmäßigen Narben, teilweise spalthautgedeckt, Unförmigkeit und Muskelverschmächtigung des Stumpfes mit der Unfähigkeit der Kunstbeinversorgung, daraus resultierende Gehunfähigkeit und ständiges Angewiesensein auf einen Rollstuhl zur Erhaltung einer Grundmobilität sowie eine posttraumatische Arthrose des rechten Hüftgelenks und Inaktivitätsosteopenie des proximalen Oberschenkels festgestellt, ferner eine verheilte L4- und L5-Kompressionsfraktur mit Höhenminderung bei L4 um ca. ¼ der Wirbelkörperhöhe und Deckplattenimpression bei L5, ein degeneratives Lendenwirbelsyndrom mit erheblichen umformenden Veränderungen im gesamten Bereich der Lendenwirbelsäule und eine wesentliche Verschlimmerung der Beschwerdesymptomatik durch das ständige Sitzen im Rollstuhl, auf den der Versicherte durch die Unfallfolgen angewiesen sei, letztlich eine wesentliche Verschlimmerung der Fettleibigkeit durch die unfallbedingte Immobilität diagnostiziert. Die Oberschenkelamputation mit ihren Folgen bezogen auf das rechte Bein, die rechte Hüfte und die Notwendigkeit der Rollstuhlbenutzung zur Erhaltung einer Grundmobilität seien mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall verursacht. Ungünstige Wechselbeziehungen bestünden zu den degenerativen Wirbelsäulenleiden und der Fettleibigkeit im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung seit 2006 durch den Verlust der Gehfähigkeit. Wesentliche Ursache für die jetzige Immobilität seien die Folgen der Oberschenkelamputation, weil der Stumpf nicht mehr prothesenfähig sei. Die Nebenerkrankungen Diabetes mellitus, Hypertonus, die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen inklusive der stabil verheilten Kompressionsbrüche L4 und L5, aber auch eine altersentsprechende Arthrose des linken Hüftgelenks und des linken Knies seien hingegen für das Angewiesensein auf einen Rollstuhl hinweg zu denken, weswegen die wesentliche Teilursache im körpernahen Oberschenkelverlust rechts so erheblich einzustufen sei, dass sie die unfallunabhängigen Erkrankungen bezüglich der Hilflosigkeit überrage. Bestünde beim Versicherten nicht der Oberschenkelverlust rechts, wäre er allein aufgrund der Nebenerkrankungen nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Ein letzter Versuch, die Prothese so umzubauen, dass sie hätte getragen werden können, sei vor ca. sechs Jahren misslungen. Danach sei der Versicherte nicht mehr in der Lage gewesen, die Prothese zu benutzen und gehunfähig. Der Hilfebedarf sei wie folgt zu bemessen:

a) Waschen        60 %   b) Duschen        60 %   c) Zahnpflege        40 %   d) Kämmen        40 %   e) Rasieren        40 %   f) Darm-/ Blasenentleerung        60 %   g) mundgerechte Zubereitung der Nahrung        40 %   h) Nahrungsaufnahme        40 %   i) Aufstehen und Zubettgehen        60 %   j) An- und Auskleiden        60 %   k) Stehen        80 %   l) Gehen        80 %   m) Treppensteigen        80 %   n) Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung        80 %   o) Einkaufen        80 %   p) Kochen        80 %   q) Reinigen der Wohnung        80 %   r) Spülen        80 %   s) Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung        80 %   t) Beheizen        80 %   Die wesentliche Teilursache des Hilfebedarfs beziehe sich auf die Tätigkeiten zu a und b, f und i bis t. Die durch den Versicherungsfall bedingten Funktionseinbußen seien wesentliche Teilursache der Hilflosigkeit. Der festgestellte Tatbestand entspreche der Kategorie II des Pflegefall-Katalogs.

Die Beklagte ist den Ausführungen des Sachverständigen mit dem Vorbringen entgegen getreten, dass grundsätzlich – wie der Sachverständige selbst ausführe – für das Vorliegen von Hilflosigkeit der Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen Voraussetzung sei. Auch könne der Verlust nur eines Oberschenkels Hilflosigkeit verursachen, wenn weitere Leiden in ungünstiger Wechselbeziehung zu diesem Hauptleiden stünden. Unzutreffend ziehe der Sachverständige hieraus jedoch den Schluss, dass auch beim Versicherten unfallbedingt Hilflosigkeit bestehe, weil eine solche ungünstige Wechselwirkung mit der Fettleibigkeit bestehe. Vielmehr müssten auch die weiteren Leiden, mit denen eine Wechselwirkung bestehe, unfallbedingt sein, was bei der Fettleibigkeit nicht der Fall sei. Auch gehe der Sachverständige nicht darauf ein, weshalb die Weichteile am Stumpf derart geschwollen und unförmig seien, dass eine prothetische Versorgung nicht mehr in Frage komme. Immerhin lägen beim Versicherten behandlungspflichtig auch Diabetes mellitus, Leberverfettung und Bluthochdruck vor. Soweit der Versicherte geltend mache, er habe bereits seit vielen Jahren Probleme mit einem schlechten Sitz der Prothesen, müsse dem entgegen gehalten werden, dass er diese Beschwerden nicht geltend gemacht habe. Selbst bei seinem letzten Antrag vom 21. November 2005 habe er lediglich darüber geklagt, dass er statt der letzten Versorgung aus Metall wieder eine herkömmliche Prothese aus Holz wünsche, an die er sich gewöhnt habe. Dass er diesen Antrag 2005 auch ausdrücklich gestellt habe, widerspreche den Angaben gegenüber dem Gutachter, er komme seit neun bis zehn Jahren, also seit ca. 2002 nicht mehr mit der prothetischen Versorgung zurecht und sitze seither im Rollstuhl.

Hierzu hat Prof. Dr. W unter dem 16. Februar 2013 ergänzend Stellung genommen. Soweit der Versicherte angegeben habe, seit dem Angewiesensein auf den Rollstuhl im Laufe der letzten sechs Jahre 14 kg zugenommen zu haben, leuchte dies ein, weil der Versicherte in seinem Bewegungsradius und in der Mobilität erheblich durch den Verlust der Prothesenfähigkeit eingeschränkt worden sei. Auch das degenerative Wirbelsäulenleiden sei nachvollziehbar durch das Angewiesensein auf einen Rollstuhl wesentlich teilursächlich verschlimmert, weil der Versicherte durch die Immobilität und das dauernde Sitzen die paravertebrale und Bauchdeckenmuskulatur nicht mehr trainieren könne. Nach dem einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum könne der Verlust eines Oberschenkels Hilflosigkeit verursachen, wenn sonstige Erscheinungen an den Stumpfnarben das Tragen von Prothesen für längere Zeit verhinderten. Diese Veränderungen bestünden hier darin, dass der Stumpf durch unregelmäßig begrenzte, stark eingezogene Narben und ein zentral spalthautgedecktes Areal sowie eine erhebliche Muskelverschmächtigung und reichlich überschüssige Haut und Unterhautfettgewebe derart unförmig geworden sei, dass eine Prothesenanpassung nicht mehr sinnvoll möglich sei. Der Oberschenkelstumpf sei zu kurz, der Knochen habe gemessen vom kleinen Rollhügel bis zum Stumpfende 7 Bild-cm in einer aktuellen Röntgenaufnahme vom 18. April 2012. Daneben führten Blutumlauf- und Lymphabflussstörungen zur Schwellung des Stumpfes, wodurch die Prothesenfähigkeit verloren gegangen sei. Die weiteren Nebenerkrankungen wie der Diabetes mellitus, die Leberverfettung und der Bluthochdruck hätten hier keinen Einfluss. Die fehlende Prothesenfähigkeit sei allein unfallbedingt und damit in ihrer Erheblichkeit für die Hilflosigkeit als weit die unfallunabhängigen Erkrankungen überragend zu beurteilen. Grundsätzlich habe sich bei der ambulanten Untersuchung eine Hilfebedürftigkeit gezeigt, die durch die Immobilität und das Angewiesensein auf einen Rollstuhl wesentlich teilursächlich bedingt sei. Schon das Aufstehen aus dem Rollstuhl sei dem Versicherten so schwer gefallen, dass er auch beim Festhalten an einem Möbelstück mit beiden Armen nicht in der Lage gewesen sei, das Gleichgewicht selbständig zu halten und durch eine Hilfsperson habe gesichert werden müssen. Dem Versicherten sei die Fähigkeit vollkommen abhanden gekommen, selbständig zu stehen oder sich in irgendeiner Weise ohne fremde Hilfe und ohne den Rollstuhl fortzubewegen. Waschen und duschen könne sich der Versicherte mangels Fähigkeit, selbständig zu stehen, sich zu setzen und aufzurichten, nicht mehr. Bei der Zahnpflege, beim Kämmen und Rasieren sei er auf Hilfe angewiesen, allein schon um an die Pflegeutensilien zu gelangen. Für die Darm- und Blasenentleerung bedarf er der Hilfe, um vom Rollstuhl auf den Toilettensitz zu wechseln. Für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung und Nahrungsaufnahme fehle es dem Versicherten an der Fähigkeit, Geschirr und Besteck selbst zurechtzustellen. Fürs Aufstehen und Zubettgehen benötige er Hilfe, um vom Bett in den Rollstuhl bzw. umgekehrt zu wechseln. Der Hilfebedarf beim Ankleiden erkläre sich dadurch, dass sich der Versicherte zumindest beim An-/ Ausziehen der Hose kurzzeitig hoch bewegen müsse, was ohne fremde Hilfe nicht gehe. Stehen, gehen und Treppen steigen könne der Versicherte ohne fremde Hilfe ebenso wenig wie die Wohnung verlassen und wiederaufsuchen bzw. einkaufen.

Laut weiterer ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. W vom 15. April 2013 lasse sich der Versicherte nicht in die vorgegebenen Einzeleinstufungen der „Anhaltspunkte zur Bemessung des Pflegegelds gemäß § 44 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VII“ der Spitzenverbände der Unfallversicherung einordnen. Die Unfallfolgen ließen sich am ehesten als funktioneller Verlust beider Beine im Oberschenkel einstufen, wie er dort unter Punkt 22 beschrieben sei. Die körperliche Hygiene sei außerhalb der Wohnung nur unter Einsatz von Hilfsmitteln wie Windeln gewährleistet, und der Versicherte brauche - wie unter Punkt 16 - regelmäßige Hilfe zur Vermeidung von medizinischen Komplikationen, d.h. insbesondere bei der Mobilisierung aus dem Rollstuhl heraus benötige er regelmäßig Hilfe, um durch die eingeschränkte Geh- und Stehfähigkeit nicht zu stürzen. Insofern werde entsprechend der Auflistung im Gutachten vom 28. Oktober 2012 der Vomhundertsatz des Höchstbetrags des Pflegegelds mit 60 eingeschätzt. Die Anhaltspunkte seien für die Bemessung des Pflegegelds nicht schematisch anzuwenden. Es müsse Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls genommen werden.

Die Beklagte ist mit einem weiteren Schriftsatz vom 19. Dezember 2012 bei ihrer Kritik an der Begutachtung geblieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, ferner auf die Gerichtsakten zum Berufungsverfahren L 3 U 187/10 verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten. Die Beklagte ist zur Zahlung von Pflegegeld in Höhe eines Mindestbetrags und gleichzeitig zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. In diesem Sinne ist der klägerische Antrag nach Würdigung des Gesamtvorbringens bei verständiger Würdigung gemäß § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch in der Tat zu verstehen.

Der Klägerin stehen als Sonderrechtsnachfolgerin gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I), nämlich als Ehegattin, welche mit dem Versicherten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte, die fälligen Ansprüche auf laufende Geldleistungen und Neubescheidung nach dem Todes des Versicherten zu.

Anspruchsgrundlage ist § 44 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII), wonach die Gewährung von Pflegegeld voraussetzt, dass der Versicherte infolge des Versicherungsfalls so hilflos ist, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedarf. Das Ausmaß der Hilflosigkeit richtet sich hierbei nach dem Gesundheitsschaden der Versicherten und der hierdurch bedingten Pflege. Die Ermittlung des Pflegebedarfs hat unter Rückgriff auf den Verrichtungskatalog des § 14 Abs. 4 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) zu erfolgen (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 26. Juni 2001 – B 2 U 28/00 R, zitiert nach juris Rn. 22). Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen des täglichen Lebens sind danach unter anderem im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen und Baden, die Zahnpflege sowie das Kämmen und Rasieren, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, das An- und Auskleiden sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, die Reinigung der Wohnung, das Spülen sowie das Wechseln und Waschen der Wäsche. Als erheblich hilfebedürftig sind in Anlehnung an § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI Personen anzusehen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Dabei muss für einen Pflegegeld-Anspruch nach der gesetzlichen Unfallversicherung die Hilflosigkeit infolge des Versicherungsfalls gegeben sein, d.h. zwischen dem Versicherungsfall und der Hilflosigkeit muss – wie noch zu zeigen sein wird - ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.

Hieran gemessen liegt fraglos erhebliche Hilfebedürftigkeit im vorstehenden Sinne vor. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. W in seinem für den Senat erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten nebst seinen beiden ergänzenden Stellungnahmen plausibel anhand der erhobenen körperlichen Befunde dargelegt. Es hat sich bei der ambulanten Untersuchung ein Grad der Hilfebedürftigkeit gezeigt, welcher durch die Immobilität und das Angewiesensein des Versicherten auf einen Rollstuhl wesentlich geprägt wurde. Schon das Aufstehen aus dem Rollstuhl fiel dem Versicherten so schwer, dass er auch beim Festhalten an einem Möbelstück mit beiden Armen nicht in der Lage war, das Gleichgewicht selbständig zu halten, und durch eine Hilfsperson gesichert werden musste. Dem Versicherten fehlte die Fähigkeit, selbständig zu stehen oder sich in irgendeiner Weise ohne fremde Hilfe und ohne den Rollstuhl fortzubewegen. Prof. Dr. W schließt hieraus zutreffend darauf, dass der Versicherte sich nicht mehr selbständig waschen und duschen konnte, weil es ihm an der auch hierfür nötigen selbständigen Stehfähigkeit fehlte, ferner an der Fähigkeit, sich zu setzen und aufzurichten. Nachvollziehbar beschreibt Prof. Dr. W auch den Hilfebedarf bei der Zahnpflege, beim Kämmen und Rasieren, allein schon um an die Pflegeutensilien zu gelangen. Ebenso erschließt sich auch, dass der Versicherte für die Darm- und Blasenentleerung der Hilfe bedurfte, um vom Rollstuhl auf den Toilettensitz zu wechseln. Für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung und Nahrungsaufnahme fehlte es dem Versicherten gleichsam an der Fähigkeit, Speisen zuzubereiten und Geschirr und Besteck selbst zurechtzustellen. Fürs Aufstehen und Zubettgehen benötigte er Hilfe, um vom Bett in den Rollstuhl bzw. umgekehrt zu wechseln. Der Hilfebedarf beim Ankleiden bestand darin, dass sich der Versicherte zumindest beim An-/ Ausziehen der Hose kurzzeitig hoch bewegen musste, was ohne fremde Hilfe nicht ging. Ferner war der Versicherte zum Stehen, Gehen und Treppensteigen ohne fremde Hilfe ebenso wenig imstande wie zum Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung, deren Reinigung oder Einkaufen. Hieraus folgt gleichsam, dass der Versicherte in Anlehnung an § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI bei der Körperpflege, der Ernährung oder Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedurfte und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigte.

Zwar ist mangels entsprechender objektiver ärztliche Befunde aus der Zeit vor 2008 Prof. Dr. W nicht darin zu folgen, dass dieser Hilfebedarf jedenfalls schon im Zeitpunkt der Beantragung des Pflegegelds ab Januar 2006 bestand, weil der Versicherte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr prothesenfähig gewesen sein soll. Prof. Dr. W Annahme findet nicht etwa in der ärztlichen Stellungnahme von Dr. Z vom 02. Februar 2006 Bestätigung. Dr. Z selbst stellte darin nur fest, dass der Versicherte damals noch mit Unterarm-Krücken mobilisiert war, auch wenn der Oberschenkel-Stumpf in der Höhe des mittleren Drittels des Oberschenkels voluminös war und eine unregelmäßige Oberfläche mit einer eingezogenen unregelmäßigen Narbe, angewachsen an den knöchernen Stumpf des Oberschenkels, aufwies. Soweit Dr. Z damals weiter berichtete, dass der Versicherte eigenen Angaben zufolge viele Jahre lang eine Oberschenkel-Kontakt-Prothese aus Holz mit physiologischem Kniegelenk benutzte, jetzt aber mit einer Oberschenkel-Skelett-Prothese mit hydraulischer Knie-Einheit versorgt war, welche seine Bedürfnisse nicht zufrieden stellte, besagt dies letztlich nur, dass eine Oberschenkel-Kontakt-Prothese aus Holz mit physiologischem Kniegelenk und einer „Greissinger“-Fußeinheit angezeigt war. Für eine Prothesenunfähigkeit und damit Pflegebedürftigkeit des Versicherten gibt dies noch nichts her. Daraufhin fand antragsgemäß durch die Beklagte noch im Jahr 2006 eine entsprechende Prothesenversorgung statt, vgl. Bestätigung des kroatischen Sanitätshauses vom 28. März 2006. Auch stellte sich der Versicherte dem Facharzt für Physikalische Medizin Dr. B – vgl. dessen im Berufungsverfahren L 3 U 187/10 beigezogene Untersuchungsbefunde - noch am 05. November 2007 mit einer Oberschenkelprothese und mit einer Gehhilfe links mobilisiert vor.

Ausgehend von den von Prof. Dr. W erhobenen Befunden lässt sich jedoch darauf schließen, dass pflegerische Hilflosigkeit jedenfalls ab dem 17. Januar 2008 bestand. Dies beruht auf dem aussagekräftigeren Befundbericht von Dr. N vom 17. Januar 2008, in welchem die spätestens bereits damals bestandene Pflegebedürftigkeit des Versicherten hinreichend zum Ausdruck kommt. Dr. N fand den Versicherten ans Bett gefesselt vor; es mussten häufig ärztliche Hausbesuche stattfinden. Der Versicherte konnte sich nicht bewegen und litt an Nervosität und Anspannung sowie an Depressionen, Gewichtszunahme und Bluthochdruck. Da neben der Zuckerkrankheit auch Prostata- und Urin-Probleme vorlagen, bekam er einen Foly-Katheter und war mit Windeln ausgestattet worden, weil er nicht aufstehen konnte. Vor diesem Hintergrund, schlussfolgerte Dr. N nachvollziehbar, benötigte der Versicherte ohne Aussicht auf gesundheitliche Besserung die Hilfe einer anderen Person, um die alltäglichen Lebensvorgänge wie Aufstehen, Schlafengehen, Einnahme von Nahrung, Garderobe u.ä. bewerkstelligen zu können. Dass der Versicherte bereits längere Zeit ans Bett gefesselt war, dokumentiert im Übrigen auch der spätere Befundbericht – im Berufungsverfahren L 3 U 187/10 vorgelegte – Bericht von Dr. N über den Untersuchungsbefund vom 23. Dezember 2010, wonach beim Versicherten durch das Liegen auf dem Rücken und dem Gesäß Wunden entstanden waren.

Dieser Hilfebedarf ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen auf den anerkannten Arbeitsunfall am 25. Juni 1965 zurückzuführen, durch welchen das rechte Bein des Versicherten so schwer verletzt wurde, dass es amputiert werden musste. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist u. a. auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa BSG, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen.

Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a.a.O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (BSG, a.a.O., Rn. 16). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19).

Dies zugrunde gelegt steht für den Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Wege der Begutachtung durch Prof. Dr. W fest, dass der Versicherte gerade mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls pflegebedürftig i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB VII war. Prof. Dr. W hat klar herausgearbeitet, dass die wesentliche Ursache für die Immobilität, welche wiederum den Hilfebedarf für den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen i.S.v. § 14 Abs. 4 SGB XI begründete, die fraglos unfallbedingte Oberschenkelamputation war. Es überzeugt, wenn Prof. Dr. W ausführt, dass der Versicherte allein durch die zahlreichen Nebenerkrankungen wie dem medikamentös behandelten Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Prostatitis und auch die LWS-, Kniegelenks- und Hüftgelenksbeschwerden noch nicht immobilisiert gewesen wäre, sondern dies nur war, weil er vor allem seine Steh- und Gehfähigkeit durch die Oberschenkelamputation und die mittlerweile eingetretene Prothesenunfähigkeit eingebüßt hatte. Dies reicht für den Beweis der Wesentlichkeit der Oberschenkelamputation für die Immobilität des Versicherten aus. Unerheblich für diesen Befund ist, ob auch die anderen Leiden wesentlich an der Immobilität des Versicherten beteiligt oder ob etwa die zugenommene Fettleibigkeit und Wirbelsäulenproblematik als weitere wesentliche Unfallfolgen anzusehen waren.

Prof. Dr. W bezieht sich bei alldem bzgl. der Kausalitätsbetrachtung zutreffend auf das einschlägige unfallmedizinische Schrifttum, wonach allein schon der unfallbedingte Verlust eines Oberschenkels Hilflosigkeit verursachen kann, wenn weitere Leiden in ungünstiger Wechselbeziehung zu dem Hauptleiden stehen (Schönberger/ Mehrten/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Kap. 8.13.7, S. 699). Ebenso liegt es hier. Das Entstehen der Pflegebedürftigkeit des Versicherten erklärt sich sicherlich nicht ohne die fortschreitende Herabsetzung des körperlichen Allgemeinzustands durch typische Altersleiden (Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Arthrose, Wirbelsäulenverschleiß), lässt sich jedoch ohne die Oberschenkelamputation und die schließlich eingetretene Prothesenunfähigkeit schlichtweg nicht denken. Woher die Beklagte demgegenüber die Forderung bezieht, dass auch die Nebenleiden unfallbedingt sein müssten, damit der Verlust nur eines Oberschenkels Hilflosigkeit begründet, erschließt sich dem Senat nicht. Eine solche Sichtweise findet in den durch das einschlägigen unfallmedizinische Schrifttum und die Rechtsprechung definierten Zurechnungsmaßstäben keine Stütze. Vielmehr muss das schädigende Ereignis gerade nicht die alleinige oder überwiegende Bedingung sein (vgl. nur Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Kap. 1.5.2, S. 24). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich (vgl. hier nochmals BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15).

Hinreichend hat Prof. Dr. W bei alldem auch dargelegt, warum die Immobilität nicht – wie früher – durch eine Prothese ausgeglichen werden konnte. Gerade dies begründet die Erheblichkeit der Hilflosigkeit, wie sie § 44 Abs. 1 SGB VII fordert. Prof. Dr. W fand den Stumpf dermaßen verwachsen und vernarbt vor, dass sich eine Prothese trotz einer noch 2006 vorgenommenen Anpassung in der Folgezeit nicht mehr anlegen und verwenden ließ. Die eben hierin liegende fehlende Mobilisierungmöglichkeit war nach den auch insofern überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. W allein unfallbedingt. Die Verwachsung und Vernarbung des Stumpfes waren abschließend durch die Amputation begründet. Diese Veränderungen schreibt Prof. Dr. W schlüssig den unregelmäßig begrenzten, stark eingezogenen Narben, dem zentral spalthautgedeckten Areal, der erheblichen Muskelverschmächtigung und dem reichlichen Überschuss von Haut und Unterhautfettgewebe bzw. der eben darauf beruhenden Unförmigkeit des Stumpfes zu. Er beschreibt den Oberschenkelstumpf als zu kurz. Daneben führten Blutumlauf- und Lymphabflussstörungen zur Schwellung des Stumpfes. Dies alles sieht Prof. Dr. W nachvollziehbar als mit der Zeit verstärkte Unfallfolgen an und verweist in diesem Zusammenhang überzeugend u.a. auf die postoperativ notwendig gewordene Spalthautdeckung.

Diese Argumentationskette wird durch die frühen postoperativen Befunden bis hin zum Ersten Rentengutachten bestätigt. Laut Erstem Rentengutachten von Dr. H vom 03. Mai 1967 war es postoperativ zu einer erheblichen Stumpfschwellung und Abstoßung nekrotischer Stumpfteile gekommen, wobei auch ein doppelt handtellergroßer Hautbezirk abgestoßen wurde; der Defekt wurde mit Reverdinläppchen und mit einer Thierschplastik gedeckt. Im Ergebnis war der Oberschenkel zur Hälfte amputiert worden; es fanden sich auch noch rund vier Monate später neben einer ausreichenden Weichteilpolsterung im Bereich des Stumpfes mehrere teilweise stark eingezogene frische und gering druckempfindliche Narben, zwischen denen ein gut handtellergroßer Bezirk mit Thierschlappen gedeckt war, vgl. Nachschaubericht vom 27. September 1965. Der Versicherte wurde laut dem Ersten Rentengutachten erst nach völliger Epithelisierung des Stumpfes zunächst im November 1965 und Juli 1966 jeweils auf Kosten der Beklagten mit einer Prothese versorgt; wegen Druckstellen und entzündlichen Erscheinungen im Bereich des Prothesenansatzes waren aber selbst dann noch Verordnungen von Bädern und Gehschule sowie Salbenbehandlung notwendig. Dementsprechend war bei der Begutachtung zum Ersten Rentengutachten am 04. April 1967 die Belastung des Stumpfes noch schmerzhaft. Laut fachärztlichem Zwischenbericht der Dres. H und M vom Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus – Chirurgische Klinik - F vom 05. September 1967 wurde eine MdE von 70 v.H. wegen der schlechten Stumpfverhältnisse für angemessen erachtet.

Die im Laufe der Zeit eingetretene Unmöglichkeit einer Prothetisierung wird ferner durch die Befunde des Radiologen Dr. P vom 28./ 29. April 2011 bestätigt, wonach eine stärkere Veränderung des Stumpfes des rechten Femurs mit mehreren freien Knochenfragmenten am medialen Ende des Stumpfes des rechten Femurs festzustellen war.

Soweit hiernach die Voraussetzungen für Pflegegeld gemäß § 44 Abs. 1 SGB VII dem Grunde nach gegeben sind, kann die Beklagte nur zur Zahlung von Pflegegeld in der Höhe des gesetzlich vorgegeben Mindestmonatsbetrags verurteilt werden. Im Übrigen ist sie zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet, weil die Ablehnung von Pflegegeld bislang wegen Ermessensausfalls insgesamt ermessensfehlerhaft war, ohne dass sich bisher der Pflegegeldanspruch der Höhe nach genau beziffern lässt, mithin die Streitsache bzgl. des auf Pflegegeldzahlung gerichteten Klageantrags nicht vollständig spruchreif ist.

Da nach den vorstehenden Ausführungen ein erheblicher Hilfebedarf i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB VII anzunehmen ist, m.a.W. der Tatbestand von § 44 Abs. 1 SGB VII zu bejahen ist, besteht, wenn der Unfallversicherungsträger bislang den Tatbestand von § 44 Abs. 1 SGB VII – wie hier – verneint, nicht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sondern bereits ein durchgreifender Zahlungsanspruch, solange – wie hier – kein Antrag gemäß § 44 Abs. 5 SGB VII auf Gestellung einer Pflegekraft oder Gewährung von Heimpflege gestellt wurde. Dies begründet sich mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 44 Abs. 1 SGB VII („wird Pflegegeld gezahlt“). Hieran ändert auch nichts, dass – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird – die Bemessung des Pflegegelds im Übrigen im Ermessen der Beklagten steht. Das Ermessen kann sich – wohlgemerkt nach erfülltem Tatbestand des § 44 Abs. 1 SGB VII – nur noch darauf beziehen, inwieweit der in § 44 Abs. 2 SGB VII vorgegebene Pflegegeldrahmen ausgeschöpft wird.

Nach § 44 Abs. 2 S. 1 SGB VII in der ab 01. Juli 2004 geltenden Fassung ist Pflegegeld unter Berücksichtigung der Art oder Schwere des Gesundheitsschadens sowie des Umfangs der erforderlichen Hilfe auf einen Monatsbetrag zwischen 527 Deutsche Mark (DM) und 2.106 DM festzusetzen. Nach § 44 Abs. 2 S. 2 SGB VII tritt ab dem 01. Januar 2002 an die Stelle des Pflegegeldrahmens in DM der Pflegegeldrahmen in Euro (€), indem die zuletzt am 01. Juli 2001 angepassten Beträge in € umgerechnet und auf volle €-Beträge aufgerundet werden. Nach § 44 Abs. 2 S. 1 SGB VII in der ab 05. November 2008 geltenden Fassung liegt der Pflegegeldrahmen zwischen 300 € und 1.199 €. Nach § 44 Abs. 2 S. 3 SGB VII werden diese Beträge jeweils zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden, entsprechend dem Faktor angepasst, der für die Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen maßgebend ist. Nach § 44 Abs. 2 S. 4 SGB VII kann, wenn die Aufwendungen für eine Pflegekraft das Pflegegeld übersteigen, es angemessen erhöht werden. Bei der Bemessung der Höhe des Pflegegelds haben die Unfallversicherungsträger einen Ermessensspielraum. Der Verwaltung wird damit die Möglichkeit eröffnet, nach eigener Abwägung dem Zweck der Ermächtigung entsprechend zwischen mehreren rechtmäßigen Handlungsweisen zu wählen. Daher lassen sich für die Bestimmung der Höhe des Pflegegelds nach wie vor keine generell verbindlichen Kriterien festlegen; maßgebend sind vielmehr im Einzelfall die individuellen Verhältnisse des Verletzten, wobei bei der Abwägung in erster Linie die nach § 44 Abs. 2 S. 1 SGB VII maßgebenden Kriterien zu beachten sind (BSG, Urteil vom 26. Juni 2001 - B 2 U 28/00 R -, zitiert nach juris Rn. 21). Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) hat „Anhaltspunkte zur Bemessung des Pflegegelds gemäß § 44 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VII“ (nachfolgend nur „Anhaltspunkte“; abgedruckt etwa in HBVG-Info 1999, S. 256 ff.) zwecks Gleichbehandlung herausgegeben, welche für die Gerichte nicht bindend sind (vgl. BSG a.a.O., Rn. 24; Ricke, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 78. Ergänzungslieferung 2013, SGB VII § 44 Rn. 8a). Ihre schematische Anwendung ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Falles ist jedenfalls unzulässig. Sie sehen keine festen v.H.-Sätze des Höchstbetrags vor, sondern Bandbreiten zur Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse (z.B. unterschiedliche subjektive Kompensationsmöglichkeiten der Betroffenen aus eigener Kraft, Einsatzmöglichkeit von Hilfsmitteln, familiäre und Wohnungssituation), die anhand eines einheitlichen Erhebungsbogens für die ärztliche Untersuchung zu ermitteln sind. Sie legen folgende Kategorien fest:

I = 100 v.H.:        Schwerste BeeinträchtigungenII = 80 bis 60 v.H.:        Erhebliche BeeinträchtigungenIII = 60 bis 40 v.H.:        Mittlere BeeinträchtigungenIV = 40 bis 25 v.H.:        Leichtere BeeinträchtigungenFerner enthalten die „Anhaltspunkte“ Einzelaufstellungen bestimmter Verletzungsfolgen mit näheren Angaben zu den zugrunde gelegten Funktionseinschränkungen. Sie sind auch grobe Orientierungshilfen für nicht beschriebene Verletzungsfolgen mit ähnlichen Funktionseinschränkungen, z.B.

60 bis 40 v.H.: Paraplegiker mit Schädigung von Th (D) 11 bis unterhalb L3 mit Blasen- und Mastdarmlähmung, inkomplette Tetraplegiker ohne einschränkende Spastizität etc.;

50 bis 30 v.H.: Verlust beider Beine im Hüftgelenk, vollständige Lähmung beider Beine ohne Blasen- und Mastdarmbeteiligung, Verlust eines Armes im Oberarm und eines Beines im Oberschenkel, Verlust beider Beine im Oberschenkel;

40 bis 25 v.H.: Verlust eines Beines im Oberschenkel und Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust einer Hand, Verlust eines Beines im Oberschenkel und eines Beines im Unterschenkel (wiedergegeben auch bei Ricke, a.a.O., Rn. 8a ff.).

Die „Anhaltspunkte“ sind zwar nicht rechtsverbindlich, erzeugen aber durch allgemeine Handhabung im Bereich des jeweiligen Unfallversicherungsträgers eine sog. Selbstbindung zugunsten der Versicherten. Ein Abweichen im Einzelfall ohne besondere Gründe ist deshalb ermessensfehlerhaft. Für das Pflegegeld bei Auslandsaufenthalt sind die dortigen Verhältnisse zu berücksichtigen; Kaufkraftunterschiede können dabei ein Ermessensgesichtspunkt sein (Ricke, a.a.O., Rn. 10).

Dies zugrunde gelegt erscheint die Sache hinsichtlich der Pflegegeldhöhe nicht vollständig spruchreif. Es fehlen Ermittlungen der Beklagten zu den persönlichen Lebensverhältnissen des Versicherten, insbesondere zu den Einsatzmöglichkeiten seiner Familienangehörigen und seiner Wohnsituation. Ebenfalls fehlen Ermittlungen zu etwaigen Kaufkraftunterschieden. Die Begutachtung durch Prof. Dr. W mag hierfür vielleicht Anhaltspunkte bieten, welche jedoch für eine definitive Bemessung des Pflegegelds nicht ausreichen. Prof. Dr. W, welchem als leitendem Arzt einer renommierten berufsgenossenschaftlichen Klinik die Maßstäbe der gesetzlichen Unfallversicherung vertraut sind, hat gleichwohl im Rahmen der von ihm für den Senat durchgeführten Begutachtung in medizinischer Hinsicht Anknüpfungspunkte für die Bemessung des Pflegegelds gegeben. Hierbei hat er sich auch mit den „Anhaltspunkten“ auseinandergesetzt und unter der gebotenen Vermeidung einer schematischen Betrachtung sowie unter Berücksichtigung der medizinischen Besonderheiten des vorliegenden Falls eine mittlere Beeinträchtigung im oberen Bereich im Sinne der Kategorie III, mithin ein Pflegebedürftigkeit von 60 v.H. angenommen, indem er den Gesamtzustand des Versicherten etwa mit demjenigen eines doppelt Oberschenkelamputierten verglich.

All dies wird die Beklagte bei der noch zu treffenden abschließenden Entscheidung über die Pflegegeldhöhe zu berücksichtigen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.