BGH, Urteil vom 26.06.2003 - VII ZR 281/02
Fundstelle
openJur 2010, 10100
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 1. Juli 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt die Auszahlung eines Sicherungseinbehaltes von 2.787,71 DM.

Die Beklagten beauftragten den Kläger mit Dachdeckungs-und Abdichtungsarbeiten. Der Vertrag, nach dessen § 1 Abs. 2 Nr. 6 die VOB/B Vertragsbestandteil sein sollte, sah einen Gewährleistungseinbehalt von 5 % der Bruttoabrechnungssumme vor, der durch unbefristete Bürgschaft abgelöst werden durfte. Für die Verpflichtung zur Einzahlung des Einbehalts auf ein Sperrkonto sollte nach § 9 Abs. 5 des Vertrages § 17 Nr. 6 VOB/B gelten. Nach Abschluß der Arbeiten legte der Kläger eine Bürgschaftsurkunde vor. Die Beklagten zahlten daraufhin 2.844,60 DM. Die Parteien streiten darum, ob mit dieser Zahlung der Sicherungseinbehalt ausgezahlt oder die Zahlung anderweitig verrechnet worden ist. Die Beklagten sind der Auffassung, die Forderung auf Auszahlung des Sicherungseinbehalts sei mit der Zahlung erloschen. Der Kläger hat eine Bürgschaft vorgelegt, die befristet ist. Er hat seine Klage allein auf sein Ablösungsrecht nach Vorlage dieser Bürgschaft gestützt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Ungeachtet der Frage, ob der Anspruch überhaupt bestehe, könne der Kläger schon deshalb keine Auszahlung des Sicherungseinbehalts verlangen, weil die Bürgschaft befristet sei und damit nicht der Sicherungsvereinbarung entspreche.

Mit der Berufung hat der Kläger vorgetragen, die Beklagten seien schon deshalb gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B zur Auszahlung des Sicherungseinbehalts verpflichtet, weil sie diesen nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt hätten. Eine an sich erforderliche Nachfristsetzung sei entbehrlich gewesen, weil sie ihre Verpflichtung zur Einzahlung auf ein Sperrkonto bereits dem Grunde nach bestritten hätten. Zudem habe der Kläger vorsorglich nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils eine Nachfrist gesetzt, die fruchtlos abgelaufen sei. Die Berufung ist zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB). Für das Verfahrensrecht gelten die Regelungen der Zivilprozeßordnung in der seit dem 1. Januar 2002 gültigen Fassung.

I.

Das Berufungsgericht führt aus, auf der Grundlage der vom Amtsgericht festgestellten Tatsachen stehe dem Kläger kein Zahlungsanspruch zu.

Soweit der Kläger in der Berufung erstmals vortrage, der Gewährleistungseinbehalt sei von den Beklagten nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt worden, dürfe dieses Vorbringen nicht berücksichtigt werden. Die verspätete Einführung dieser neuen Tatsache beruhe nicht auf einem Verfahrensmangel. Die Verspätung des Vorbringens beruhe auf Nachlässigkeit des Klägers. Die Tatsache hätte bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorgetragen werden können. Der Anspruch auf Auszahlung gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B sei nicht erst durch Ablauf der vorsorglich gesetzten Nachfrist entstanden. Die Beklagten hätten die Zahlung des Sicherungseinbehalts endgültig verweigert. Die Fristsetzung sei deshalb entbehrlich gewesen.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1.

In der Revision hat der Senat zugunsten des Klägers zu unterstellen, daß die im Vertrag enthaltene Regelung über die Einzahlung auf ein Sperrkonto mit ihrem Verweis auf § 17 Nr. 6 VOB/B wirksam in den Vertrag einbezogen worden ist. Das ist so, wenn die Beklagten Verwender des Vertragsformulars waren. War der Kläger Verwender, so mußte er den Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG bei Vertragsabschluß Gelegenheit verschaffen, den Inhalt des § 17 Nr. 6 VOB/B zur Kenntnis zu nehmen. Es fehlen jegliche Feststellungen dazu, wer Verwender des Vertragsformulars war und ob die Beklagten Gelegenheit hatten, den Inhalt des § 17 Nr. 6 VOB/B zur Kenntnis zu nehmen. Aus der Bemerkung des amtsgerichtlichen Urteils, dem Vertrag läge die VOB/B zugrunde, ergibt sich letzteres nicht. Es ist lediglich eine Rechtsauffassung, die durch Tatsachen für die wirksame Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag nicht belegt ist. Daran ändert es auch nichts, daß die Parteien diese Rechtsauffassung teilen (BGH, Urteil vom 8. Juli 1999 -VII ZR 237/98, BauR 1999, 1294 = ZfBR 2000, 30).

2.

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß der Kläger den Sicherungseinbehalt nach § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B ohne Ablauf einer Nachfrist herausverlangen kann. Zugunsten der Revision ist zu unterstellen, daß der Sicherungseinbehalt noch nicht ausgezahlt worden ist.

a) Der Auftraggeber ist gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B verpflichtet, einbehaltene Sicherheitsbeträge auf ein Sperrkonto einzubezahlen. Zahlt er den Betrag nicht rechtzeitig ein, so kann ihm der Auftragnehmer hierfür eine angemessen Nachfrist setzen. Läßt der Auftraggeber auch diese verstreichen, so kann der Auftragnehmer die sofortige Auszahlung des einbehaltenen Betrages verlangen und braucht dann keine Sicherheit mehr zu leisten, § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B. Der Auftragnehmer kann die sofortige Auszahlung des Sicherungseinbehalts auch ohne Nachfrist verlangen, wenn diese entbehrlich ist.

Es entspricht allgemeinen Rechtsgrundsätzen, daß eine an sich erforderliche Fristsetzung entbehrlich ist, wenn sie reine Förmelei wäre (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 12. September 2002 -VII ZR 344/01, BauR 2002, 1847 = NZBau 2002, 668 = ZfBR 2003, 30). Das ist der Fall, wenn der Schuldner seine Leistungsverpflichtung endgültig verweigert, vgl. § 281 Abs. 2 BGB n.F.. Dieser Grundsatz gilt auch für § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B (Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Aufl., B § 17 Rdn. 169; Beck«scher VOB-Komm./Jagenburg, § 17 Nr. 6 Rdn. 34; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 9. Aufl., B § 17 Rdn. 40).

b) Die Beklagten haben sich zwar nicht ausdrücklich geweigert, den Sicherungseinbehalt auf ein Sperrkonto zu zahlen. Sie haben jedoch die Auffassung vertreten, sie schuldeten überhaupt keine Auszahlung des Sicherungseinbehalts, weil sie ihn bereits ausgezahlt hätten. Danach stand fest, daß die Beklagten einer Aufforderung zur Einzahlung des Sicherungseinbehalts auf ein Sperrkonto keine Folge leisten würden. Die Nachfrist gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B war von vornherein entbehrlich.

2. Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, daß das Vorbringen des Klägers, die Beklagten hätten den Sicherungseinbehalt nicht auf ein Sperrkonto einbezahlt, ein neues Angriffsmittel ist, das in der Berufung nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigt werden könnte.

a) Ein neues Angriffsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO kann auch ein neuer Tatsachenvortrag sein, der das Gericht nötigt, eine neue Anspruchsgrundlage zu prüfen. Ein neues Angriffsmittel wird dagegen nicht in den Prozeß eingeführt, wenn sich der Anspruch bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag ergibt und der Vortrag in der Berufungsinstanz diesen Umstand nur verdeutlicht oder erläutert (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 1991 -VIII ZR 129/90, NJW-RR 1991, 1214, 1215).

b) Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß sich aus dem beiderseitigen Vortrag der Parteien in der ersten Instanz zwanglos auch ohne ausdrückliche Hervorhebung durch den Kläger ergibt, daß die Beklagten den Betrag nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt und die Einzahlung endgültig verweigert haben. Das folgt bereits daraus, daß sie behauptet haben, der Betrag sei bereits an den Kläger ausgezahlt. Aus diesem Sachverhalt ergab sich ein Auszahlungsanspruch des Klägers aus § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B für den Fall, daß der Sicherungseinbehalt noch nicht ausgezahlt war. Diese aus dem vorgelegten Vertrag ersichtliche Anspruchsgrundlage war von den Gerichten von Amts wegen zu berücksichtigen. Denn die Gerichte entscheiden über den Streitgegenstand unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 -III ZR 287/01, BauR 2002, 1831, 1833; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 308 Rdn. 5). Es kommt deshalb nicht darauf an, daß der Kläger erstinstanzlich seinen Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehalts rechtlich allein aus der Ablösungsbefugnis abgeleitet hat.

Bereits das Amtsgericht hätte nach dem gebotenen richterlichen Hinweis auf Grundlage dieses Zahlungsanspruchs entscheiden müssen. Soweit das Berufungsgericht meint, das Amtsgericht sei nicht verpflichtet gewesen, eine unschlüssige Klage durch seinen Hinweis erfolgreich zu machen, verkennt es, daß die Klage schlüssig war.

III. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden kann.