LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.12.2013 - L 16 KR 557/11
Fundstelle
openJur 2014, 1514
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25.09.2008 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten ambulanter ärztlicher Leistungen, die Versicherte nach erfolgtem Kassenwechsel noch unter Verwendung der Krankenversicherungskarte der abgebenden Kasse in Anspruch genommen haben.

In der Praxis nehmen Mitglieder und Familienversicherte vielfach auch nach einem schon erfolgten Wechsel zu einer anderen Krankenkasse noch Leistungen unter Verwendung der Krankenversicherungskarte der abgebenden Kasse in Anspruch. Soweit diese die vorgesehene Vergütung an die Leistungserbringer zahlt, kommen Erstattungsansprüche gegenüber der aufnehmenden Kasse in Betracht. In der vertragsärztlichen Versorgung zahlen die Kassen aber nicht unmittelbar eine Vergütung an die behandelnden Ärzte, sondern eine Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung ihrer mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wohnenden Versicherten. Das Volumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen kann u. a. nach einer Kopfpauschale festgelegt werden. Die Berechnung der Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen geht vom durchschnittlichen Jahresbedarf eines Versicherten einschließlich der Familienversicherten an vertragsärztlichen Leistungen aus; für die Gesamtvergütung wird dann der Jahresbedarf mit der Zahl der Mitglieder multipliziert.

Die Rechtsvorgängerinnen der beteiligten Kassen (im Folgenden einheitlich als Klägerin und Beklagte bezeichnet) hatten jeweils im streitigen Erstattungszeitraum mit der zuständigen KV Westfalen-Lippe die Gesamtvergütung nach einer Kopfpauschale je Mitglied vereinbart. Die Vereinbarungen der Klägerin mit der KV Westfalen-Lippe sahen von Quartal zu Quartal unterschiedlich hohe Kopfpauschalen vor. Es waren monatliche Zahlungen auf die Gesamtvergütung zu zahlen, denen jeweils mit Stichtag Sechsten eines Monats die zum Ersten eines Monats aktuellen Mitgliederzahlen der amtlichen Statistik KM1 zugrunde gelegt wurden.

Hinsichtlich der vertragsärztlichen Behandlung von Kassenwechslern hatten die (früheren) Spitzenverbände der Krankenkassen die Auffassung vertreten, dass auch unter Geltung des Kopfpauschalensystems bei Einsatz der Krankenversichertenkarte der abgebenden Kasse ein Erstattungsanspruch dieser Kasse bestehe, und zwar in Höhe der von der KV an den Vertragsarzt für die Behandlung gezahlten Vergütung. Dieser Empfehlung der Spitzenverbände ist allerdings ein Teil der Kassen nicht gefolgt, nach Angabe der Klägerin erkennt inzwischen nur noch eine Minderheit der Kassen Erstattungsansprüche in diesen Fällen an. Die Klägerin verfolgt deshalb in zahlreichen Fällen Erstattungsansprüche gegen die aufnehmenden Kassen.

In den im Berufungsverfahren noch streitigen Fällen wechselte die frühere Familienversicherte T, späterer Name: P, am 31.07.2001 von der Klägerin zur Beklagten. Sie nahm ärztliche Behandlung unter Verwendung der Krankenversichertenkarte der Klägerin im Zeitraum vom 06. bis 22.08.2001 in Anspruch, wofür die KV eine Vergütung in Höhe von 58,87 Euro an den behandelnden Arzt zahlte. Im Erstattungsfall T1 wechselte das Mitglied am 23.10.2000 zur Beklagten, die Abmeldung erhielt die Klägerin am 21.11.2000. Ärztliche Behandlung nahm der Versicherte am 13.03.2001 in Anspruch, die Vergütung betrug 65,07 Euro. Im Erstattungsfall W wechselte das Mitglied am 28.01.2001 zur Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Abmeldung bei der Klägerin erfolgte am 18.10.2001. Ärztliche Behandlung nahm das Mitglied vom 29.01. bis 29.03.2001 in Anspruch. Die ärztliche Vergütung belief sich auf mindestens 86,42 Euro (hinsichtlich eines weiteren Betrages von 62,73 Euro ist offen, ob er ärztliche oder zahnärztliche Behandlung betrifft).

Die Klägerin hat am 23.12.2004 Klage erhoben und von der Beklagten die Zahlung von 331.994,01 Euro verlangt. Der Betrag ergebe sich aus Erstattungsforderungen, die dadurch entstanden seien, dass Versicherte der Beklagten, die zuvor bei der Klägerin versichert gewesen seien, unter Benutzung der von der Klägerin ausgestellten Versichertenkarten ärztliche Behandlung und ärztlich verordnete Leistungen erhalten hätten. In Unkenntnis dieses Umstandes habe sie - die Klägerin - für die ärztlichen Behandlungen eine Kopfpauschale entrichtet und die ärztlich verordneten Leistungen an die jeweiligen Leistungserbringer vergütet. Wegen der Benutzung ihrer Krankenversichertenkarte durch die Versicherten habe sie an diese Sozialleistungen erbracht, so dass die Beklagte zur Erstattung nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verpflichtet sei. Dass in den jeweiligen Erstattungsfällen die Krankenversichertenkarte der Klägerin eingesetzt worden sei, ergebe sich daraus, dass die KV für die jeweiligen Behandlungsfälle im Wege des Datenträgeraustauschs das Arzthonorar, das die behandelnden Ärzte für die Behandlung erhalten hätten, zugleich mit den Behandlungszeiträumen und den abgerechneten Gebühren-Nummern mitgeteilt habe. Die Mitteilungen ergingen im Datenträgeraustausch an diejenigen Krankenkassen, die nach den Abrechnungsunterlagen der KV als zuständige Krankenkasse anzusehen seien. Ausreichend für die Erfüllung der Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs sei, dass die Erbringung von Sozialleistungen einem Leistungsträger zugerechnet werden könne. Aus der Entscheidung des BSG vom 24.11.1998 (B 1 KR 21/96 R) ergebe sich, dass sie eine Leistung an die Versicherten erbracht habe. Das BSG habe in dieser Entscheidung ausgeführt, zur vollständigen Abwicklung des Leistungsfalles gehöre auch die Bezahlung des Leistungserbringers, die jedoch mit der Leistungsgewährung als solcher nicht gleichzusetzen sei. Insoweit sei es ohne Bedeutung, dass das Entgelt für die Sozialleistungen als eine pauschalierte Leistung an einen Dritten gezahlt worden sei. Das Bestehen eines Erstattungsanspruchs könne nicht davon abhängig gemacht werden, wie der Zahlungsfluss sich in einem Leistungsfall im Einzelnen darstelle. Entscheidend sei vielmehr, ob die Zahlung zur Erfüllung eines Dienst- oder Sachleistungsanspruchs eines Versicherten erfolge. Der Erstattungsanspruch sei jedenfalls in Höhe der von ihr gezahlten Kopfpauschale gegeben. Allerdings könne sie, wenn von der KV ein höheres Honorar an den behandelnden Vertragsarzt gezahlt worden sei als der Betrag der Kopfpauschale, den dem Honorar entsprechenden Betrag fordern. Bei Familienversicherten sei stets der Betrag des ärztlichen Honorars als Erstattungsbetrag zu zahlen. Dies begründe sich damit, dass die Berechnung der Kopfpauschalen auf der Grundlage der früher von den Kassen entrichteten Einzelleistungen erfolge. Im Ergebnis sei damit die Kopfpauschale für die Stammversicherten zu hoch kalkuliert, für Versicherte mit mehreren Familienangehörigen jedoch zu gering. Da somit der Berechnung der Kopfpauschale eine Mischkalkulation zugrundeliege, erscheine es sachgerecht, den Wert der ärztlichen Leistung als Erstattungsbetrag zu verlangen.

Die gezahlten Kopfpauschalen könnten auch unter dem Gesichtspunkt einer öffentlichrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) geltend machen. Die öffentlichrechtliche GoA komme dann zur Anwendung, wenn die Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X nicht zum Tragen kämen. Mit der Zahlung der Kopfpauschale am Stichtag habe sie auch mit dem Willen gehandelt, ein Geschäft der Beklagten zu führen. Zwar habe sie primär eine eigene Verpflichtung zur Zahlung der Gesamtvergütung erfüllen wollen. Ihr sei aber, wie allen anderen Kassen auch, bekannt, dass die Mitgliederzahlen am Stichtag wegen zeitlich verzögert eingegangener Abmeldungen mit einer "Unrichtigkeitsquote" belastet seien. Daher habe sie Zahlungen in dem Bewusstsein geleistet, dass sie Kopfpauschalen auch für Versicherte anderer Kassen zahle. Es handele sich daher um eine Geschäftsführung für einen zunächst unbekannten Geschäftsherrn.

Die Beklagte ist dem Erstattungsbegehren entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, Kopfpauschalen seien keine Sozialleistung im Sinne des Ersten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB I), so dass es an einer Grundvoraussetzung für die Durchsetzung eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X fehle. Für Familienversicherte habe die Klägerin im Óbrigen überhaupt keine Zahlungen an die KV erbracht. Die von der KV für die fraglichen Behandlungen an die behandelnden Ärzte jeweils gezahlten Vergütungen seien nicht von der Klägerin erbracht worden.

Soweit die Klägerin mit der Klage neben den Kosten der ärztlichen Behandlungen auch Kosten für ärztlich verordnete Leistungen geltend gemacht hat, hat die Beklagte diese erstattet, soweit in den einzelnen Erstattungsfällen die Kosten der ärztlich verordneten Leistungen allein über der Bagatellgrenze des § 110 Satz 2 SGB X gelegen haben.

Mit Beschluss vom 01.11.2007 hat das Sozialgericht den Rechtsstreit "im Hinblick auf die mehreren Streitgegenstände" hinsichtlich der Erstattung von Vergütungen "für unmittelbare ärztliche Behandlungen" und der Erstattung der "sonstigen - nicht unmittelbaren ärztlichen - Leistungen" getrennt.

Mit Urteil vom 25.09.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Erstattungsansprüche wegen der Kosten der ambulanten ärztlichen Behandlungen bestünden nicht. Einem Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X stünden einerseits die Regelungen über die Gesamtverträge und die Gesamtvergütung und andererseits entgegen, dass keine erstattungsfähigen Sozialleistungen im Sinne der Vorschrift erbracht worden seien. Die Vorschriften der §§ 83, 85 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. den entsprechenden Vereinbarungen mit der KV seien als abschließendes Regelungssystem anzusehen. Werde, wie im vorliegenden Fall, die Kopfpauschale vereinbart, trage die Krankenkasse grundsätzlich das Risiko der Mitgliederentwicklung. Dieses Risiko könne ihr nicht im Nachhinein durch Erstattungen von der ggfs. begünstigten Krankenkasse wieder genommen werden. Außerdem ergebe sich aus § 85 Abs. 3c SGB V, dass der Gesetzgeber das Risiko der Mitgliederentwicklung gesehen und den jeweiligen Krankenkassen zugewiesen bzw. nur eine Anpassung für die Zukunft vorgesehen habe. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten bestehe zudem nicht, weil keine Sozialleistungen im Sinne von § 105 SGB X i.V.m. § 11 SGB I vorlägen. Sozialleistungen nach dieser Vorschrift seien alle Vorteile, die nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs zur Verwirklichung sozialer Rechte dem Einzelnen zugutekommen sollten. Notwendig sei eine direkte, individuelle Begünstigung eines Berechtigten durch eine Leistung im Sinne des Sozialgesetzbuchs, die durch einen Leistungsträger erbracht werde. Zwar könne die Leistungserbringung auch durch Dritte erfolgen, so dass es ausreiche, wenn die Leistung des Dritten dem Leistungsträger zugerechnet werde. Das genüge aber nicht, um im vorliegenden Fall einen Erstattungsanspruch im Hinblick auf eine durch einen Vertragsarzt im Rahmen der Gesamtvergütung erbrachte Leistung begründen zu können. Die von der KV an den Vertragsarzt gezahlte Vergütung könne die Klägerin schon deshalb nicht verlangen, weil sie diese Kosten tatsächlich niemals aufgewendet habe. Die Vergütung werde von der KV den Vertragsärzten für die Leistung gezahlt. Die Klägerin leiste dagegen unabhängig davon im Rahmen der mit der KV getroffenen Vereinbarung eine Kopfpauschale für jedes versicherte Mitglied, eine direkte Zahlung an die Vertragsärzte aufgrund der konkreten Leistungserbringung erfolgt gerade nicht. Im Ergebnis stelle auch die Kopfpauschale keine erstattungsfähige Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB I dar. Zur Zahlung der Gesamtvergütung sei die Klägerin aufgrund der Vereinbarung mit der KV verpflichtet. Sie lasse sich jedoch einem einzelnen Versicherten nicht zuordnen, denn sie falle unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistung durch den Leistungsberechtigten an, so dass Grundlage der Zahlungen nicht die tatsächliche Leistungserbringung durch den Vertragsarzt sei. Ebenso scheide eine GoA als Anspruchsgrundlage aus. Die Anwendbarkeit der GoA sei wegen des abschließenden Charakters der §§ 83, 85 SGB V sowie der Normen der §§ 102 ff. SGB X ausgeschlossen. Letztere Normen stellten sich auch dann als abschließende Regelung dar, wenn die Voraussetzungen der §§ 102 ff. SGB X im Einzelnen nicht vorlägen, da sonst eine Umgehung der speziellen Voraussetzungen drohe. Ebenso sei der allgemeine öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch wegen der abschließenden Normierung der Erstattungsansprüche unter Leistungsträgern in § 102 ff. SGB X ausgeschlossen.

Mit ihrer Berufung hält die Klägerin an ihrem erstinstanzlichen Vortrag fest. Sie meint, die Entscheidung des Sozialgerichts stehe im Widerspruch zur Entscheidung des BSG vom 24.11.1998.

Im Berufungsverfahren haben sich die Beteiligten zunächst auf neun Erstattungsfälle geeinigt, hinsichtlich derer die streitige Rechtsfrage entschieden werden soll. Die benannten Erstattungsfälle sind von den anderen Verfahren abgetrennt und in dem verbleibenden Verfahren (L 16 KR 183/08) ist das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden (Beschluss vom 10.10.2011). In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre Klagen in sechs der verbliebenen Erstattungsfälle zurückgenommen und in einem verbleibendem Fall die Klage zum Teil zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

unter entsprechender Änderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen,

im Erstattungsfall P die Kosten der ärztlichen Behandlung für das ehemalige familienversicherte Mitglied in Höhe von 58,87 Euro zu erstatten,

im Erstattungsfall W die in der Zeit vom 28.01.2001 bis 18.10.2001 anteilig gezahlte Kopfpauschale in Höhe von 227,37 Euro zu erstatten,

im Erstattungsfall T1 die in der Zeit vom 23.10.2000 bis 21.11.2000 anteilig gezahlte Kopfpauschale in Höhe von 65,07 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ein Erstattungsanspruch wegen der Kosten der ärztlichen Behandlung bestehe weder in Höhe der gezahlten Kopfpauschale noch der von der KV an die jeweiligen Vertragsärzte gezahlten Vergütungen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Streitakte L 16 KR 183/08 verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen, denn der Klägerin steht kein Erstattungsanspruch wegen der allein noch streitigen Kosten der ärztlichen Behandlungen zu.

I. Zu entscheiden ist allein noch über die Erstattungsansprüche wegen ambulanter ärztlicher Behandlungen in den Erstattungsfällen T/P, W und T1. In den übrigen in diesem Verfahren zunächst streitigen Erstattungsfällen hat die Klägerin ihre Klagen in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Im Falle W hat sie ihre Klage hinsichtlich der Erstattung der Kosten der ärztlich verordneten Arzneimittel zurückgenommen. Da somit in den drei verbliebenen Erstattungsfällen allein über die Kosten der ärztlichen Behandlung zu entscheiden ist, wirkt sich hier die vom Sozialgericht vorgenommene fehlerhafte "Trennung" der Klagen in Verfahren auf Erstattung von Vergütungen für "unmittelbare ärztliche Behandlungen" und von "sonstigen nicht unmittelbar ärztlichen Leistungen" nicht aus. Das Sozialgericht hat bei seinem Beschluss vom 01.11.2007 nicht bedacht, dass eine Trennung nur möglich ist bei einer Mehrheit von Streitgegenständen (vgl. nur Zöller-Greger, ZPO, 30. Aufl., § 145 Rdn. 2). Zwar lag und liegt hier eine objektive Klagehäufung vor, allerdings (nur) deswegen, weil die Klägerin wegen zahlreicher gewechselter Versicherter Erstattungsansprüche geltend gemacht hat. Bezogen auf den einzelnen Erstattungsfall liegt jedoch ein untrennbarer Streitgegenstand vor. Aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt - Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der abgebenden Kasse nach erfolgtem Wechsel - ergibt sich ein Ausgleichsanspruch der abgebenden Kasse gegen die aufnehmende Kasse, die ab dem Zeitpunkt des Wechsels zuständig ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 3, 4). Jedenfalls dann, wenn die nach dem Kassenwechsel zu Lasten der abgebenden Kasse in Anspruch genommenen Leistungen wegen desselben Krankheitsfalles erfolgen, besteht ein "Erstattungsanspruch im Einzelfall" (§ 110 Satz 2 SGB X, vgl. dazu BSGE 60, 195), der sowohl die Kosten der ambulanten ärztlichen Leistungen als auch der ärztlich verordneten Leistungen umfasst; diese sind nur Einzelposten innerhalb einer Gesamtforderung. Da insoweit bezogen auf die einzelnen Erstattungsfälle ein unteilbarer Streitgegenstand vorliegt, ist eine Trennung der einzelnen Erstattungsfälle nach verschiedenen Rechtsgrundlagen oder "Ansprüchen" nicht möglich und verfahrensrechtlich unzulässig (vgl. Zöller-Greger a.a.O.). Das Sozialgericht durfte somit nicht in den anhängig gemachten Erstattungsfällen allein über die Kosten der ambulanten ärztlichen Behandlungen entscheiden. Da aber nach der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Beschränkung des Verfahrens in den verbliebenen drei Erstattungsfällen nur über die Kosten ärztlicher Leistungen zu entscheiden ist, hat der Verfahrensfehler des Sozialgerichts hier keine rechtlichen Auswirkungen.

II. Der Klägerin steht wegen der nach erfolgtem Wechsel der Versicherten zur Beklagten in Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Als Rechtsgrundlage eines Erstattungsanspruchs kommt allein § 105 SGB X in Betracht, wenn eine Kasse in Unkenntnis eines bereits erfolgten Kassenwechsels bzw. deshalb, weil der/die Versicherte noch die Krankenversichertenkarte der abgebenden Kasse verwendet hat, Leistungen erbringt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 3, 4). Grundsätzlich endet bei Sachleistungen die Leistungszuständigkeit der abgebenden Kasse am letzten Tag der Mitgliedschaft (auch dann, wenn das Mitglied die Leistung schon beantragt und die Kasse deren Gewährung abgelehnt hatte, vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 34), während die aufnehmende Kasse ab Beginn der Mitgliedschaft für die Leistungen zuständig ist (vgl. BSG SozR 4-2500 § 19 Nr. 4 zur Aufteilung einer Fallpauschale bei stationärer Behandlung).

Ein Erstattungsanspruch wäre aber nur gegeben, wenn die Klägerin an die Versicherten wegen deren Verwendung der Krankenversichertenkarte der Klägerin bei der Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlungen eine Sozialleistung im Sinne des § 105 SGB X erbracht hätte. Das ist zu verneinen.

Sozialleistungen sind nach der Legaldefinition des § 11 Satz 1 SGB I Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Da auch Sachleistungen erfasst sind, sind grundsätzlich Sozialleistungen auch Leistungen, die Dritte im Auftrag und auf Kosten des Sozialleistungsträgers erbringen (Merten in Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, § 11 SGB I Rdn. 9; Lilge, SGB I, 3. Aufl., § 11 Rdn. 12). Zwischen den Beteiligten ist demgemäß unstreitig, dass im Falle ärztlich verordneter Sachleistungen, für die die Kasse eine Vergütung unmittelbar an den Leistungserbringer zahlt, bei Óberschreiten der Geringfügigkeitsgrenze des § 110 Satz 2 SGB X ein Erstattungsanspruch besteht.

Weder die von der Klägerin an die KV gezahlten Kopfpauschalen noch die von der KV an die behandelnden Vertragsärzte gezahlten Vergütungen sind jedoch Sozialleistungen in diesem Sinne. Eine Sozialleistung im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist nur dann anzunehmen, wenn sie sich als individuelle Begünstigung derjenigen Person darstellt, die von der durch das Sozialrecht definierten besonderen Bedarfslage betroffen ist (Ross in Hauck/Noftz, SGB I, § 11 Rdn. 13). Nach diesem individualisierenden Leistungsbegriff ist die Zahlung der Gesamtvergütung an die KV keine Sozialleistung (Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 102 Rdn. 11). Ebenso wenig sind die Kopfpauschalen eine Sozialleistung im oben genannten Sinne. Die Kopfpauschale ist nur ein Berechnungsfaktor für die insgesamt an die KV zu zahlende Gesamtvergütung, mit der die gesamte vertragsärztliche Versorgung aller Mitglieder einschließlich der Familienversicherten im örtlichen KV-Bezirk abgegolten wird (§ 85 Abs. 1 SGB V). Da die Gesamtvergütung unabhängig von den Honorarabrechnungen der Vertragsärzte errechnet wird, beruhen die Zahlungen der Kasse an die KV nicht auf den einzelnen ärztlichen Leistungen. Welche Leistungen die Ärzte im Abrechnungszeitraum erbracht haben, ist angesichts der prospektiven Bestimmung des Leistungsbedarfs ohne Bedeutung. Rechtsgrund der Zahlung an die KV sind somit nicht die ärztlichen Leistungen, die im Einzelfall erbracht werden (vgl. auch BSG SozR 2200 § 368 f. Nr. 16, das hiervon ausgehend einen Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen die KV abgelehnt hat, wenn einzelne Leistungen nicht notwendig oder falsch abgerechnet worden waren). Die Kopfpauschale hat keinen Bezug zu einem konkreten Behandlungsfall, sie ist vielmehr unabhängig von der Inanspruchnahme von Leistungen zu zahlen. Als bloße rechnerische Größe zur (pauschalen) Bezahlung der Vertragsärzte ist somit die Kopfpauschale keine Sozialleistung, die die Klägerin für die gewechselten Versicherten erbracht hätte. Dies zeigt insbesondere der Fall der Familienversicherten T/P, für die die Klägerin "nichts" gezahlt hat.

Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des BSG vom 28.11.1998 (a.a.O.). Die Klägerin meint zu Unrecht, sich auf diese Entscheidung stützen zu können. Zwar weist das BSG in der Entscheidung darauf hin, dass die Krankenkassen die ambulante medizinische Versorgung als Sachleistung dadurch gewähre, dass die Behandlung durch einen Vertragsarzt kostenfrei zur Verfügung gestellt werde (juris Rdn. 12). Das bedeutet aber nicht, dass damit das BSG quasi die Zurverfügungstellung der Krankenversichertenkarte, die die kostenfreie Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlung ermöglicht, als Sozialleistung qualifiziert. Das BSG führt vielmehr weiter aus, dass zu prüfen sei, welchem Leistungsträger die Erbringung einer Leistung rechtlich zuzuordnen sei und dass bei Zahlung einer Gesamtvergütung, die für die jeweilige vertragsärztliche Versorgung in einem Quartal erbracht werde, sich die Vergütung der ärztlichen Leistung nicht den einzelnen Versicherten zuordnen lasse. Dies verstehe sich "von selbst" bei allen pauschalierenden Vergütungsformen, etwa einer nach dem Kopfpauschalensystem berechneten Gesamtvergütung, gelte aber auch, wenn die Vergütung nach Einzelleistungen berechnet werde, da auch in diesem Fall immer die Zahlung nicht für einzelne individualisierbare Leistungen erfolge, sondern für die Gesamtheit aller vertragsärztlichen Leistungen. Die Vergütung für den einzelnen Fall werde erst im Zuge der Honorarverteilung durch die KV individualisiert (a.a.O.). Aus diesen Ausführungen ergibt sich eindeutig, dass nur dann von einer der Krankenkasse unmittelbar zuzurechnenden Leistung an den Versicherten ausgegangen werden kann, wenn sie die konkret erbrachten Leistungen vergütet, nicht dagegen dann, wenn sie im Rahmen eines Budgets Zahlungen für die Gesamtheit aller erbrachten Leistungen erbringt. Eine individuelle Begünstigung eines Berechtigten (und damit eine Sozialleistung) kann nur angenommen werden, wenn die Krankenkasse eine Vergütung unmittelbar bezogen auf die konkret erbrachte Leistung erbringt.

Gegen eine Qualifizierung der Kopfpauschalen als Sozialleistung spricht in den Fällen W und T1 zudem, dass die Klägerin Kopfpauschalen nur bis zum Zeitpunkt der jeweiligen Abmeldungen gezahlt hat. Die ärztlichen Behandlungen haben aber längere Zeit nach diesem Zeitpunkt stattgefunden, so dass die geforderten Kopfpauschalen noch nicht einmal "für" die Behandlungen in dem Behandlungsquartal gezahlt worden sind. Faktisch fordert die Klägerin von der Beklagten somit eine Erstattung für die bloße Zurverfügungstellung der Krankenversichertenkarte bis zur Abmeldung. Demnach müsste sie konsequenterweise in allen Fällen, in denen sie erst mit zeitlicher Verzögerung von einem Kassenwechsel Kenntnis erlangt und daher für die gewechselten Mitglieder noch die Kopfpauschalen gezahlt hat, deren Erstattung von der aufnehmenden Kasse fordern, auch wenn die Mitglieder keine Leistungen in Anspruch genommen haben. Der Umstand, dass die Klägerin selbst nicht so weit gehen will, macht deutlich, dass ihre Auffassung nicht richtig sein kann, weil es danach für das Bestehen des Erstattungsanspruchs von dem Zufall abhängen würde, ob das Mitglied die Krankenversichertenkarte noch verwendet hat, obwohl die Kopfpauschalen unabhängig von der Leistungsinanspruchnahme anfallen. Dies zeigt, dass das Problem, wie erst nachträglich bekannt gewordene Mitgliederwechsel im Rahmen der Gesamtvergütung zu berücksichtigen sind, allenfalls im Verhältnis zur KV in den Gesamtverträgen geregelt werden könnte.

Noch weniger kann die dem behandelnden Vertragsarzt von der KV gezahlte Vergütung als Sachleistung der Kasse angesehen werden. Zwar hat - wirtschaftlich gesehen - die Krankenkasse die an die Ärzte gezahlten Vergütungen durch die Zahlung der Gesamtvergütung getragen. Das ändert aber nichts daran, dass sie nicht für die einzelnen von den Ärzten erbrachten Behandlungen leistet, sondern für die Gesamtheit aller vertragsärztlichen Leistungen. Erst durch die KV wird - in Anwendung des jeweils geltenden Honorarverteilungsmaßstabs (jetzt Honorarverteilungsvertrags) - der Vergütungsanspruch des Vertragsarztes konkretisiert. Daher können die an die Ärzte gezahlten Vergütungen nicht als von der Kasse an den Versicherten erbrachte Sozialleistungen im Sinne des § 105 SGB X i.Vm. § 11 SGB I angesehen werden. Im Falle der Versicherten T/P ist dies offenkundig, denn die Kopfpauschale war nur für Mitglieder zu leisten und die für den Stammversicherten zu zahlende Kopfpauschale ist unabhängig davon, ob und wie viele Personen familienversichert sind. Es wäre unverständlich, warum im Falle eines Mitgliederwechsels die Klägerin einen Erstattungsanspruch gegen die aufnehmende Kasse erlangen sollte, obwohl sie in keiner Weise eine Mehrbelastung trifft, da die Kopfpauschale für den Stammversicherten ohnehin zu zahlen ist. Aber auch in den Fällen W und T1 lässt sich kein Erstattungsanspruch in Höhe der ärztlichen Vergütung begründen, da die Kopfpauschalen unabhängig von den konkret in Anspruch genommenen Leistungen anfallen. Im Óbrigen waren zum Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme noch nicht einmal für dieses Quartal Kopfpauschalen gezahlt worden, so dass auch schon von daher die für die Behandlungen an die Ärzte gezahlten Vergütungen nicht von der Klägerin erbracht worden sind.

Eine Erstattung der gezahlten Kopfpauschale kann auch unter dem Gesichtspunkt der GoA (§§ 677 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) nicht verlangt werden. Das Sozialgericht hat insoweit mit Recht die Anwendbarkeit dieser Vorschriften verneint. Die Regeln der GoA finden keine Anwendung, wenn Vorschriften des öffentlichen Rechts eine abschließende Regelung treffen (BGH NZS 1999, 240; siehe auch BSGE 85, 110). Die §§ 102 ff. SGB X enthalten aber eine geschlossene Lösung für die Frage, welche Erstattungsansprüche zwischen den Leistungsträgern bestehen (Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., vor § 102 Rdn. 1, 18 "abschließende Regelung"). Die Anwendung der §§ 677 ff. BGB im Bereich der Ausgleichsansprüche zwischen den Sozialleistungsträgern ist daher abzulehnen, ein Ausgleich findet nur über einen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch statt (vgl. Seiler in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., vor § 677 Rdn. 24).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, insbesondere hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die hier zu entscheidende Rechtsfrage hat keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus, da allein die Klägerin solche Erstattungsansprüche verfolgt; zudem ist die Rechtsfrage nicht (höchstrichterlich) klärungsbedürftig, weil die Rechtslage eindeutig ist.