VG Köln, Beschluss vom 18.09.2013 - 1 L 995/13
Fundstelle
openJur 2014, 206
  • Rkr:
Tenor

1.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

2.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der statthafte und zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),

die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 4247/13 gegen die Widerrufsbescheide der Antragsgegnerin vom 09.07.2013 wiederherzustellen,

ist unbegründet.

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügungen genügt den Maßstäben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens dazu führe, dass die bisher zugestandene Sperrzeitverkürzung weiter ausgenutzt werden könne. Demgegenüber begründeten die Schutzziele des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Insbesondere die Bekämpfung der Spielsucht und der Jugendschutz würden durch kürzere Öffnungszeiten wirksam gefördert, weil Spielmöglichkeiten in geringerem Umfang zur Verfügung stünden.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahme und dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung verschont zu bleiben, fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass ihre Klage voraussichtlich ohne Erfolg sein wird. Es spricht nämlich alles dafür, dass die angegriffenen Ordnungsverfügungen vom 09.07.2013 rechtmäßig sind.

Gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Die Kammer geht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon aus, dass die fraglichen Sperrzeitverkürzungen rechtmäßig erteilt worden sind. Es kann dabei offen bleiben, ob sich die Rechtmäßigkeit der Sperrzeitverkürzungen allein nach den Bestimmungen der "Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Regelung der Sperrzeiten der Stadt U. " vom 24. Juli 2001 richtet, weil diese Verordnung für Vergnügungsstätten keine gesonderten Regelungen getroffen hat. Die Voraussetzungen einer Gewährung sind jedoch in § 3 der Verordnung, in § 3 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen, zur Regelung von Zuständigkeiten und Festlegungen auf dem Gebiet des Gewerberechts (GewRV) und in § 4 GastV NRW - der bis zum 29.12.2009 geltenden Vorgängerregelung - identisch. Demnach konnte bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse für einzelne Betriebe die Sperrzeit verkürzt werden, und diese Voraussetzungen hat die Antragsgegnerin individuell für die Spielhallen der Antragstellerin bejaht.

Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin erteilten Sperrzeitverkürzungen mit einem allgemeinen, also nicht an bestimmte Umstände geknüpften Widerrufsvorbehalt verbunden. Dies steht der Anwendung des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG nicht entgegen. Der Vorbehalt des Widerrufs (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG) gibt der Behörde die Befugnis, bei Vorliegen bestimmter Umstände einen Verwaltungsakt aus in ihm selbst oder in einer Vorschrift genannten Gründen zu widerrufen. Sind solche Gründe - wie hier - nicht genannt, kann die Behörde den Verwaltungsakt nach den Grundsätzen über die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens widerrufen,

vgl. Kopp/Ramsauer, § 36 VwVfG, Rn. 23f.

Der Widerruf ist daher entsprechend der Zwecksetzung des Widerrufsvorbehalts gerechtfertigt, wenn die Voraussetzung für die Sperrzeitverkürzung nicht mehr vorliegen, wie es die Antragsgegnerin im Ergebnis zutreffend angenommen hat.

Nach § 17 des Gesetzes zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (Ausführungsgesetz NRW Glücksspielstaatsvertrag - AG GlüStV NRW) vom 13.11.2012 (GV. NRW. 2012, 524) beginnt die Sperrzeit für Spielhallen täglich um 01.00 Uhr und endet um 06.00 Uhr. Da die Übergangsregelungen dieses Gesetzes § 17 AG GlüStV NRW ausdrücklich oder konkludent ersichtlich nicht erfassen, gilt diese Sperrzeitregelung nach § 24 Abs. 1 AG GlüStV NRW ab dem 01.12.2012.

§ 17 AG GlüStV NRW ist ein für den Betrieb von Spielhallen vorrangig zu beachtendes spezielles Gesetz, das die bisher geltende Rechtslage modifiziert. Ausgehend von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, der in Verbindung mit Art. 70 GG den Ländern hinsichtlich des Rechts der Spielhallen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zuweist, können die Länder gesetzliche Regelungen die Spielhallen betreffend erlassen. Von dieser Möglichkeit hat Nordrhein-Westfalen durch die Regelungen in §§ 16-18 AG GlüStV Gebrauch gemacht. Die fraglichen Sperrzeitverkürzungen sind allein aufgrund des § 18 Abs. 1 GastG i.V.m. § 3 Abs. 6 Satz 1 GewRV / § 4 GastV bzw. der wörtlich entsprechenden Regelung in der Verordnung der Antragsgegnerin erteilt worden. Grundregel nach der Gewerberechtsverordnung ist, dass Spielhallen als Vergnügungsstätten gelten, die von 01.00 Uhr bis 06.00 Uhr grundsätzlich geschlossen zu halten sind. Die Sperrzeitverkürzung erfolgte aufgrund einer für alle in § 3 GewRV genannten Betriebe und Veranstaltungen geltenden Ausnahmevorschrift, die an das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder an besondere örtliche Verhältnisse anknüpft. Von der allgemeinen Möglichkeit zur Verlängerung der Öffnungszeiten sind Spielhallen nach § 17 AG GlüStV NRW nunmehr ausgenommen.

Der Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG steht im Ermessen der Behörde. Die ergangenen Bescheide lassen insoweit erkennen, dass die Antragsgegnerin Fragen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erwogen hat. Ferner werden die Ansichten der Antragstellerin gewürdigt, die im Rahmen der Anhörung vorgetragen worden sind. Ausdrückliche Ermessenserwägungen fehlen, ohne dass die ergangenen Bescheide dadurch rechtswidrig würden. Die im gerichtlichen Verfahren geäußerte Auffassung der Antragsgegnerin, ihre Entscheidung sei gesetzlich determiniert, ist allerdings nur im Ergebnis zutreffend. Die Kammer geht davon aus, dass das Ermessen der Antragsgegnerin dahin verdichtet ist, dass allein der Widerruf der Sperrzeitverkürzung rechtmäßig ist (sogenannte Ermessensreduzierung auf Null).

Die nunmehr geltende Rechtslage erlaubt für Spielhallen keine Ausnahme, wie sie zuletzt in der Gewerberechtsverordnung vorgesehen war. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Schutzwürdigkeit des von einer Sperrzeitregelung Begünstigten nicht allein wegen des Widerrufsvorbehalts reduziert ist. Der Zweck der Sperrzeitregelung nach der GastV und nach der GewRV umfasst neben dem Schutz der Nachtruhe auch den Schutz einer Vielzahl anderer öffentlicher Belange, etwa der Volksgesundheit, der Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs oder auch der Eindämmung des Spieltriebs. Bei § 4 Abs. 3 Satz 1 GastV bzw. § 3 Abs. 6 GewRV handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, nicht nur um einen Erlaubnisvorbehalt.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.09.1976- 1 C 7.75 -, GewArch 1977, 24; Beschluss vom 23.07.2003- 6 B 33.03 -, GewArch 2003, 433.

Die Verkürzung oder Aufhebung der Sperrzeit ist daher nicht schon möglich, wenn der Schutz der Nachtruhe von Anwohnern und die weiteren oben angeführten Belange nicht konkret beeinträchtigt erscheinen. Voraussetzung ist, dass im Einzelfall ein öffentliches Bedürfnis für eine solche Maßnahme festgestellt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Bedürfnis, das über jenes des Betreibers und der Kunden der Gast- oder Vergnügungsstätte hinausgeht. Ausreichend wären auch besondere örtliche Verhältnisse. Diese liegen vor, wenn sich der fragliche örtliche Bereich so von den Verhältnissen anderer örtlicher Bereiche unterscheidet, dass eine Abweichung von der allgemeinen Sperrzeit gerechtfertigt erscheint. Für den Begriff der örtlichen Verhältnisse sind danach die Eigenart der näheren Umgebung, die anzutreffenden Lebensgewohnheiten und der prägende Lebensrhythmus maßgebend; es kommt darauf an, wie der Betrieb in die Umgebung hineinpasst.

Ein öffentliches Bedürfnis für eine vom Regelfall abweichende Festsetzung der Sperrzeit erfordert die Feststellung von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Leistungen des in Rede stehenden Betriebes während der allgemeinen Sperrzeit in erheblichem Maße in Anspruch genommen werden, dass darüber hinaus aus der Sicht der Allgemeinheit - nicht aus der des an der Verkürzung interessierten Gewerbetreibenden - eine zu schließende Bedarfslücke besteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 07.05.1996 - 1 C 10.95 -,BVerwGE 101, 157.

Spielhallen gehören nicht zu den Vergnügungsstätten, deren Angebot typischerweise erst nach Beginn der allgemeinen Sperrzeit angenommen wird und für die Betriebszeiten innerhalb der allgemeinen Sperrzeit prägend sind. Die GewRV geht vielmehr davon aus, dass im Regelfall dem Bedürfnis der Allgemeinheit an dem Besuch einer Spielhalle durch Öffnungszeiten bis 01.00 Uhr hinreichend Rechnung getragen wird.

Dass für die Antragstellerin ausnahmsweise anderes gelten könnte, ist nicht vorgetragen oder anderweitig erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Die Kammer legt in ständiger Rechtsprechung für eine Sperrzeitverlängerung bzw. -verkürzung für eine Spielhalle im Hauptsacheverfahren einen Streitwert von 7.500 EUR zu Grunde (hier also insgesamt 15.000 EUR), der wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens nur zur Hälfte in Ansatz gebracht wurde.