BGH, Urteil vom 28.01.2003 - VI ZR 263/02
Fundstelle
openJur 2010, 9299
  • Rkr:
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juni 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom 8. Dezember 1970, den er im Alter von nahezu acht Jahren erlitten hat. Am 31. Januar 1974 hat er, vertreten durch seine Eltern, eine Formularerklärung der Beklagten unterzeichnet. In deren Text heißt es u.a.:

"Zur Abgeltung meiner Ansprüche aus dem obigen Schadensereignis beanspruche ich DM 20.000 und erkläre, daß gegen Zahlung dieses Betrages alle Ansprüche aus dem obigen Schadensereignis, die von mir oder meinen Nachfolgern gegen den Versicherungsnehmer, gegen die mitversicherte Person, gegen die C. Versicherung Aktiengesellschaft ... sowie gegen sonstige Dritte geltend gemacht werden können, für jetzt und die Zukunft ohne Vorbehalt auf für etwaige heute nicht übersehbare Folgen abgefunden sind."

Handschriftlich ist eingefügt worden:

"Vorbehalten bleiben materielle Zukunftsansprüche nach einer Grundquote von 66 2/3 %."

Die Beklagte zahlte im Anschluß an diese Erklärung 20.000 DM und rechnete weitere materielle Schadensersatzansprüche des Klägers ab. Ende November/Anfang Dezember 1975 zahlte sie auf eine erforderliche Narbenkorrektur einen Vorschuß über 1.000 DM. Nach Beibringung aller Rechnungen und Abzug von Erstattungen der Krankenkasse ergab sich eine Überzahlung der Beklagten in Höhe von 500,92 DM.

Im September 1981 forderte der Kläger durch seinen damaligen Anwalt für eine erneute Narbenkorrektur einen Vorschuß von 2.150 DM. Die Beklagte verrechnete hierauf die Überzahlung und zahlte einen Vorschuß von 500 DM. Nach Vorlage der Rechnungen leistete sie im Januar 1982 restliche 98,58 DM sowie 32,22 DM restliche Anwaltskosten. Im Januar 1989 verwies die Beklagte den Kläger hinsichtlich anteiliger Kosten für einen Heimtrainer an die Krankenkasse.

Der Kläger machte mit Schreiben vom 28. Januar 1999 Ansprüche auf Schadensersatz geltend. Nachfolgender Schriftwechsel und Gespräche der Parteien blieben erfolglos. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Zahlung von 2.563,56 DM nebst Zinsen sowie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm 66 2/3 % sämtlicher materieller Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 8. Dezember 1970 künftig noch entstehen werden, sofern die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht meint, die dreijährige Verjährungsfrist habe gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. mit Kenntnis des Geschädigten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen begonnen. Zur Kenntnis des Schadens sei die Kenntnis ausreichend, daß eine unerlaubte Handlung zu einem Schaden geführt habe. Diese Kenntnis umfasse auch diejenigen nachträglich auftretenden Schadensfolgen, die im Zeitpunkt der Kenntnis als möglich voraussehbar gewesen seien. Mit der Klage mache der Kläger zwar Schadensposten geltend, die erst ab dem Jahre 1999 angefallen seien. Dabei handele es sich aber um Auswirkungen des Unfalls, die sich bereits in den siebziger Jahren angekündigt hätten.

Die Abfindungserklärung vom 31. Januar 1974 habe lediglich zu einer Unterbrechung der Verjährung geführt. Sie enthalte kein selbständiges Anerkenntnis und führe nicht zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren. Zweck des Vorbehalts sei lediglich gewesen, den materiellen Zukunftsschaden von dem Anspruchsverzicht des Klägers auszunehmen. Die Parteien hätten keine selbständige Rechtsgrundlage schaffen wollen. Dafür sei die Interessenlage des Geschädigten allein nicht ausreichend.

Auch eine Vereinbarung mit urteilsersetzender Wirkung gemäß § 218 Abs. 1 BGB a.F. sei nicht anzunehmen. Für die Beklagte habe kein Anlaß zu der Annahme bestanden, der Kläger werde andernfalls Ansprüche auf Ersatz des materiellen Zukunftsschadens einklagen. Sie habe den Kläger auch nicht klaglos stellen wollen.

Schließlich sei auch ein Verzicht der Beklagten auf die Einrede der Verjährung zu verneinen. Das Regulierungsverhalten der Beklagten ergebe nichts anderes.

Da die Hemmung der Verjährung nach § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG spätestens mit der Zahlung des Abfindungsbetrages geendet habe, sei der Ersatzanspruch bei Klageerhebung verjährt gewesen.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision stand.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht in tatrichterlicher Auslegung des Abfindungsvergleichs der Parteien vom 31. Januar 1974 davon aus, der Vergleich sei nicht als konstitutives Anerkenntnis (§ 781 BGB) zu werten mit der Folge, daß sich die Verjährungsfrist nicht deshalb auf 30 Jahre verlängere.

Die Revision beanstandet vergeblich, das Berufungsgericht habe bei seiner Auslegung nicht berücksichtigt, daß es ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Verpflichtung darstelle, wenn der Schuldgrund in der Urkunde nicht oder nur in allgemeiner Form erwähnt werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schließt zwar die Angabe eines nur allgemein bezeichneten Schuldgrunds die Annahme eines selbständigen Schuldanerkenntnisses nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1962 -V ZR 151/60 -WM 1962, 1138, 1139). Im Zweifel kann aber nicht von einem abstrakten Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB ausgegangen werden, wenn auf den Schuldgrund ausdrücklich hingewiesen wird (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2002 -VI ZR 288/00 -VersR 2002, 996, 997; BGH, Urteil vom 15. Januar 1990 -II ZR 311/88 -NJW 1990, 2678). Das ist bereits nach dem Wortlaut der Erklärung der Fall.

Im übrigen ist die Auslegung vertraglicher Vereinbarungen -wie die Revision nicht verkennt -Sache des Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, insbesondere wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2002 -VI ZR 230/01 -VersR 2002, 474 m.w.N.). Solche Fehler sind hier nicht ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Revision weist die Abfindungserklärung auch ausreichend deutlich auf den Schuldgrund hin, weil sie die "Abgeltung" der "Ansprüche aus dem obigen Schadensereignis", das mit der Bearbeitungsnummer bei der Beklagten näher gekennzeichnet ist, regelt. Damit war für jeden mit der Sache Befaßten eine eindeutige Zuordnung der Abfindungserklärung zu dem hier zu entscheidenden Schadensfall hergestellt. Der Schuldgrund für die Haftung der Beklagten war so konkret angegeben, daß die Wertung der Abfindungserklärung als "abstraktes Schuldversprechen" fernliegt. Auch sonst zeigt die Revision keine Anhaltspunkte auf, welche die Annahme rechtfertigen könnten, die Parteien hätten ein von dem Schuldgrund der Haftung für den Verkehrsunfall losgelöstes selbständiges Zahlungsversprechen der Beklagten vereinbaren wollen. Die Höhe der Schäden des Klägers vermag eine Verselbständigung der Haftung der Beklagten nicht zu rechtfertigen. Die Festschreibung einer Haftung der Beklagten von 66 2/3 % führt unter den genannten Umständen ebenfalls nicht zu einer Ablösung der Haftung von dem zugrundeliegenden Unfall und zur Schaffung des neuen Schuldgrundes einer vertraglichen Vereinbarung.

2. Ohne Rechtsfehler entnimmt das Berufungsgericht der Abfindungserklärung in Verbindung mit dem Vorbehalt künftiger materieller Ansprüche zugunsten des Klägers kein titelersetzendes Anerkenntnis gemäß § 218 Abs. 1 BGB a.F. (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB). Seine Auffassung, daß die Beklagte kein auf den Zukunftsschaden gerichtetes Anerkenntnis mit dem Ziel abgegeben hat, den Kläger klaglos zu stellen (wie das Voraussetzung für eine Anwendung des § 218 Abs. 1 BGB wäre), begegnet aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken.

Insbesondere ergab der Umstand, daß die Parteien in die Abfindungsvereinbarung keinen Verjährungsverzicht für materielle Zukunftsschäden aufgenommen haben, keine Anhaltspunkte für eine derartige Absicht. Hierfür kann allein die Interessenlage des Geschädigten bei Abschluß der Abfindungsvereinbarung nicht maßgebend sein (vgl. Senatsurteile vom 26. Mai 1992 -VI ZR 253/91 -VersR 1992, 1091, 1092; vom 8. Dezember 1998 -VI ZR 318/97 -VersR 1999, 382, 383; vom 29. Januar 2002 -VI ZR 230/01 -VersR 2002, 474, 475). Der Interessenlage der Beklagten hätte ein titelersetzendes Anerkenntnis nicht entsprochen; diese hätte sich dadurch der wirksamen Einrede der Verjährung für 30 Jahre wie nach einem gerichtlichen Feststellungsurteil begeben. Bei dieser Sachlage spricht nichts für eine übereinstimmende Willensrichtung beider Parteien im Sinne der Revision, wie sie jedoch für die Annahme eines titelersetzenden Anerkenntnisses erforderlich wäre (vgl. Senatsurteile vom 23. Oktober 1984 -VI ZR 30/83 -VersR 1985, 62, 63 und vom 23. Juni 1998 -VI ZR 327/97 -VersR 1998, 1387, 1388). Die Vereinbarung enthielt auch keine Äußerung der Beklagten -wie sie der Entscheidung des Senats vom 6. März 1990 (VI ZR 44/89 -VersR 1990, 755) zugrunde lag -, wonach die Ansprüche des Klägers "dem Grunde und der Höhe nach für Vergangenheit und Zukunft ersetzt werden" würden. Durch bloße Rückschlüsse aus nicht genutzten Möglichkeiten der Vereinbarung eines Verjährungsverzichts (dazu näher unten zu 3) können die erforderlichen Anhaltspunkte für den übereinstimmenden Willen beider Vertragsparteien nicht ersetzt werden.

3. Die Revision kann auch keine Rechtsfehler aufzeigen, soweit das Berufungsgericht einen (stillschweigenden) Verzicht der Beklagten auf die Einrede der Verjährung verneint hat.

Allerdings wäre ein solcher Verzicht auf die Verjährung nicht ohne Rechtsfolgen, selbst wenn er lediglich stillschweigend erklärt worden wäre. Er wäre zwar wegen Verstoßes gegen § 225 BGB a.F. unwirksam. Die Berufung auf die Unwirksamkeit könnte aber einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen, wenn die Beklagte beim Kläger den Eindruck erweckt hätte, sie werde dessen Ansprüche befriedigen oder doch nur mit sachlichen Einwendungen bekämpfen, und wenn sie dadurch den Kläger von einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten hätte (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2002 -VI ZR 230/01 -aaO). Die Beklagte hat jedoch weder auf die Einrede der Verjährung verzichtet noch hat sie den Kläger von der rechtzeitigen Erhebung einer Feststellungsklage abgehalten.

Die Revision vermag schon nicht darzulegen, daß die Abfindungserklärung vom 31. Januar 1974 einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht auf die Geltendmachung der Verjährungseinrede enthält. Der Wortlaut der Abfindungserklärung und die Interessenlage des Klägers bilden hierzu vorliegend keine tragfähige Grundlage. Darauf weist das Berufungsgericht zutreffend hin.

Die Beklagte hat ferner nicht zu erkennen gegeben, sie werde die Ansprüche des Klägers ohne Rücksicht auf die Einrede der Verjährung befriedigen; auch hat sie den Kläger nicht von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten. Die Hinnahme des materiellen Vorbehalts des Klägers durch die Beklagte war -entgegen der Ansicht der Revision -nicht geeignet, ohne zusätzliche Umstände bei der Erklärung des Vorbehalts einen (stillschweigenden) Verzicht der Beklagten auf die Einrede der Verjährung zum Ausdruck zu bringen. Der Vorbehalt stellte lediglich klar, daß Ansprüche auf Ersatz des materiellen Zukunftsschadens von dem in der Abfindungserklärung enthaltenen Verzicht des Klägers auf weitere Ansprüche nicht umfaßt waren. Einen darüber hinausgehenden Inhalt hat das Berufungsgericht der Erklärung in tatrichterlicher Auslegung ohne Rechtsfehler nicht entnommen.

Ohne Erfolg weist die Revision in diesem Zusammenhang auf das Regulierungsverhalten der Beklagten in den Jahren 1982 -1989 hin. 1989 hat die Beklagte eine Erstattung unter Hinweis auf die Zuständigkeit der Krankenkasse verweigert. Ein Vertrauen des Klägers darauf, er müsse seine behaupteten Ansprüche nicht klageweise durchsetzen, konnte durch eine solche Verweigerung nicht begründet werden. Soweit die Beklagte 1982 Ansprüche des Klägers reguliert hat, hat das Berufungsgericht -von der Revision nicht beanstandet darauf hingewiesen, es habe sich um einen so unbedeutenden Betrag gehandelt, daß sich für die Beklagte weder ein genaues Studium der Akten noch eine Überprüfung der Rechtslage gelohnt habe. Die vereinzelte Zahlung eines unbedeutenden Kleinbetrages aber konnte in dem Kläger ebenfalls kein Vertrauen darauf begründen, die Beklagte werde seine Ansprüche in Zukunft ohne Rücksicht auf die Einrede der Verjährung befriedigen.

Die Revision kann schließlich nicht auf das Schreiben der Beklagten vom 18. Februar 1999 abstellen. Dieses Schreiben wäre zwar möglicherweise geeignet gewesen, den Ablauf der Verjährungsfrist zu hemmen (§ 852 Abs. 2 BGB a.F.). Es konnte aber auf die zum damaligen Zeitpunkt bereits abgelaufene Verjährungsfrist keinen Einfluß mehr haben. Allein der Wille des Ersatzverpflichteten, die Angelegenheit gegebenenfalls nochmals zu prüfen, führt nicht dazu, die bereits abgelaufene Verjährung erneut in Gang zu setzen. Hier war die Verjährungsfrist jedenfalls seit Beginn des Jahres 1979 abgelaufen. Sie war zwar mit Abschluß des Abfindungsvergleichs durch Zahlung der Abfindungssumme unterbrochen (§ 208 BGB a.F.) und neu in Gang gesetzt worden (§ 217 BGB a.F.). Die Zahlungen der Beklagten in den Jahren 1981 und später erfolgten aber auf den bereits verjährten Anspruch. Eine erneute Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung war daher nicht mehr möglich (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1996 -IX ZR 159/95 -NJW 1997, 516, 517).

4. Das Berufungsgericht hat schließlich die Feststellungsklage auch insoweit zu Recht abgewiesen als sie den Ersatz eines Verdienstausfallschadens des Klägers umfaßte.

Die Revision stellt allerdings zu Recht darauf ab, daß die Verjährung gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. nur für das Stammrecht, nicht aber für die aus dem Stammrecht fließenden weiteren Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfallschadens gilt. Letztere verjähren vielmehr in vier Jahren nach Schluß des Jahres, in dem sie entstanden sind (§§ 197, 198, 201 BGB a.F.; vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2002 -VI ZR 288/00 -aaO). Anders als in dem der genannten Senatsentscheidung zugrundeliegenden Fall waren hier jedoch die Ansprüche nicht immer wieder durch laufende Zahlungen der beklagten Versicherung anerkannt worden. Vielmehr war das Stammrecht seit 1979 verjährt. Davon wurden auch die Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen erfaßt (§§ 201, 197 BGB a.F.; vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1972 -VI ZR 85/71 -VersR 1972, 1078, 1079; vom 3. Juli 1973 -VI ZR 38/72 -VersR 1973, 1066, 1067; vom 30. Mai 2000 -VI ZR 300/99 -VersR 2000, 1116, 1117).

5. Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.