Brandenburgisches OLG, Urteil vom 19.11.2013 - 2 U 3/13
Fundstelle
openJur 2013, 44909
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 24.01.2013, Az. 2 O 215/11, abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2011 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben beide Parteien jeweils zur Hälfte zu tragen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden: die Verordnung) wegen der Annullierung eines vom Kläger für den 10.12.2010 für 24 Passagiere gebuchten Fluges von Berlin nach Rom.

Zur Darstellung des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil hat der Kläger in erster Instanz zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2011 zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.979,14 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2011 zu zahlen.

Im Übrigen hat der Kläger die zuvor auf Zahlung von 11.979,14 € nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage zurückgenommen.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 6.000,00 € nebst Zinsen und zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen verurteilt und ausgesprochen, dass die Klage im Übrigen abgewiesen werde. Der Kläger habe einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 250,00 € je Fluggast aus Art. 7 Abs. 1 b, 5 Abs. 1 c der Verordnung. Der von der Beklagten als Ursache für die Annullierung behauptete Mangel an Enteisungsmitteln sei kein den Anspruch ausschließender „außergewöhnlicher Umstand” im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung, denn die Beschaffung von Enteisungsmitteln sei ein von der Beklagten beherrschbarer Vorgang gewesen. Ein Anspruch auf Ersatz der vom Kläger im Einzelnen dargelegten Schäden bestehe daneben nicht, da der Fluggast nur entweder den pauschalen oder den konkreten Ausgleich beanspruchen könne.

Mit der Berufung rügt die Beklagte, das Landgericht habe Art. 5 Abs. 3 der Verordnung fehlerhaft angewendet. Der Mangel an Enteisungsmittel, der zur Annullierung des Fluges geführt habe, sei ein „außergewöhnlicher Umstand” im Sinne dieser Vorschrift gewesen, so dass die Beklagte von der Pflicht zur Ausgleichszahlung befreit sei. Daraus, dass sie sich überobligatorisch darum bemüht habe, ihre Kontakte bei anderen Flughäfen zu nutzen, um Enteisungsmittel für die von der Flughafengesellschaft beauftragte G… GmbH & Co KG zu beschaffen, könne nicht geschlussfolgert werden, sie selbst habe die Enteisung am Flughafen … vornehmen können. Hierfür sei allein die G… GmbH & Co KG zuständig gewesen und nur sie sei dazu in der Lage gewesen.

Die Beklagte als Berufungsklägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 24. Januar 2013, Az. 2 O 215/11, die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger als Berufungsbeklagter beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit dessen Argumenten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).

Soweit die Beklagte die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt, war dies im Lichte der Berufungsbegründung als Antrag auf Abänderung zu verstehen, weil die Beklagte nichts vorträgt, was eine Aufhebung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen würde, und auch die Zurückverweisung nicht beantragt.

A. Hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten ist die Berufung begründet, weil diese Verurteilung erstinstanzlich nicht mehr beantragt war.

B. Hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung einer pauschalen Entschädigung in Höhe von 6.000,00 € ist die Berufung unbegründet. Das Landgericht hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlung aus Artikel 7 Abs. 1 Buchst. a) i. V. m. Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung i. V. m. § 398 BGB zugesprochen. Nach diesen Vorschriften hat der Fluggast im Fall der Annullierung eines Fluges bei Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 250,00 €, wenn nicht eine der Ausnahmeregelungen aus Artikel 5 Abs. 1 c) oder Abs. 3 der Verordnung gilt.

Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, auf deren Grundlage sie gemäß Art. 5 Abs. 3 oder Abs. 1 c) iii) der Verordnung von ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz aus Artikel 7 der Verordnung befreit wäre.

1) Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung

Nach Artikel 5 Abs. 3 der VO ist „ein ausführendes Luftfahrtunternehmen […] nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass[1)] die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich[2)] auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“.

Darlegungs- und beweisbelastet für diese Ausnahme ist schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („wenn es nachweisen kann“) die Beklagte. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges auf „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Vorschrift zurückging.

a) Außergewöhnliche Umstände

Nach der vom Landgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des EuGH können Umstände im Zusammenhang mit der Annullierung eines Fluges nur dann als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das

a) nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und

b) aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist

(vgl. EuGH Urteil vom 22.12.2008, Az. C 549-07 - Wallenthin-Herman/Alitalia - Rdnr. 23; BGH Urteil vom 12.11.2009, Az. Xa ZR 76/07, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 13).

aa) Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens

Der EuGH hat technische Probleme, die der Betrieb technologisch komplexer Flugzeuge unausweichlich mit sich bringe, nicht als „außergewöhnliche Umstände“ in diesem Sinne angesehen (EuGH a. a. O. Rdnr. 24 f.). Die Behebung eines technischen Problems, das auf eine fehlerhafte Wartung zurückzuführen sei oder sich bei einer Wartung zeige, sei Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens. Technische Probleme könnten dann zu solchen außergewöhnlichen Umständen gerechnet werden, wenn sie auf Vorkommnisse zurückzuführen seien, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens seien und von ihm tatsächlich nicht beherrscht werden können (EuGH a. a. O., Rdnr. 26), wie etwa Sabotage oder Terroranschläge.

Nach diesen Maßstäben ist das Urteil des Landgerichts in der Hauptsache im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es stellt keinen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar, dass die Flugzeuge der Beklagten mangels Enteisungsmittels nicht enteist werden konnten, wie sie behauptet. Nach dem eigenen unbestrittenen Vortrag der Beklagten müssen Flugzeuge bei winterlichen Wetterbedingungen vor dem Start auf Anordnung des Piloten enteist werden. Damit zählt die Enteisung vor Flügen unter winterlichen Wetterbedingungen zu den zu erwartenden technischen Voraussetzungen für den Start wie etwa die Betankung mit Kraftstoff. So wie ein technischer Fehler, der sich auch bei ordnungsgemäßer Wartung nicht vermeiden lässt, stellt sich ein Mangel an Betriebsstoffen wie Enteisungsmittel, der sich auch bei angemessener Bevorratung nicht vermeiden lässt, als Teil der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens dar. So wie ein Luftfahrtunternehmen sicherstellen muss, dass das von ihm für einen Flug eingesetzte Flugzeug frei von technischen Mängeln ist, die die Flugtauglichkeit beeinträchtigen, muss es dafür sorgen, dass die für den Flug erforderlichen Betriebsstoffe bereitstehen.

Die Beklagte kann sich hier auch nicht darauf berufen, dass die Enteisung im konkreten Fall nicht Teil ihrer eigenen Tätigkeit gewesen sei, weil die Enteisung am Flughafen … allein durch die G… GmbH & Co KG im Auftrag der Flughafengesellschaft durchgeführt worden sei. Nach dem Zweck der Verordnung, die Fluggastrechte zu stärken (vgl. den 1. und 4. Erwägungsgrund), kann es keine Rolle spielen, dass die Beschaffung und Bereitstellung des Enteisungsmittels an dem betroffenen Flughafen einem Dritten oblag, wie die Beklagte behauptet. Aus dem 7. Erwägungsgrund der Verordnung ergibt sich, dass das Luftfahrtunternehmen nicht einmal dann von seinen durch die Verordnung geschaffenen Verpflichtungen frei werden soll, wenn es das Flugzeug samt Besatzung mietet. Wenn sich das Luftfahrtunternehmen aber beispielsweise nicht haftungsbefreiend darauf berufen kann, dass das gemietete Flugzeug einen von dem Vermieter zu verantwortenden Defekt aufwies, dann kann es erst recht nicht von der Haftung befreit sein, wenn ein beauftragter Dritter für den Flug notwendige Leistungen nicht erbracht hat. Für dieses Verständnis spricht auch, dass bei der Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ der Grundsatz zu beachten ist, dass Ausnahmen von Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen sind (vgl. EuGH, a. a. O. Rdnr. 20 und Urteil vom 04.10.2012, Az. C-22/11 - Lassooy/ Finnair Oyi - Rdnr. 38).

Es kann deshalb hier dahinstehen, ob die Enteisung am Flughafen … ausschließlich durch die von der Flughafengesellschaft beauftragte G… GmbH & Co KG durchgeführt wurde und die Beklagte daher keinen direkten Einfluss auf deren Tätigkeit hatte, wie sie behauptet. Auf die Beeinflussbarkeit der Enteisung durch die Beklagte kommt es nach der Definition des EuGH nur an, wenn die Enteisung nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ist.

Das bis zum Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils nicht veröffentlichte Urteil des BGH vom 26.09.2013, Az. X ZR 160/12, zwingt nach dem Inhalt der dazu herausgegebenen Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 155/2013 nicht zu einer abweichenden Bewertung. Laut der Pressemitteilung soll der BGH entschieden haben, dass eine Beschädigung des Triebwerks durch Vogelschlag beim Landeanflug einen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Vogelschlag wirke von außen auf den Flugverkehr ein, sei für das Luftverkehrsunternehmen nicht vorhersehbar und auch nicht beherrschbar. Etwa mögliche Vogelvergrämungsmaßnahmen fielen nicht in den Verantwortungsbereich des Luftverkehrsunternehmens, sondern des Flughafenbetreibers.

Der Fall des Vogelschlags erscheint nicht vergleichbar mit dem vorliegenden. Vogelschlag ist ein Vorkommnis, das von außen in den Flugbetrieb eingreift und nicht zu seiner ordnungsgemäßen Durchführung zählt. Maßnahmen zur Vermeidung von Vogelschlag können nicht bezogen auf einen konkreten Flug getroffen werden, weil nicht absehbar ist, wo Vögel die Flugbahn eines bestimmten Flugzeuges kreuzen. Vogelvergrämungsmaßnahmen, die Vögel vom Gebiet eines Flughafens fernhalten, zählen ihrer Natur nach nicht zu dem Betrieb der Flugzeuge, die den Flughafen ansteuern, sondern zu dem Betrieb des Flughafens. Im Gegensatz dazu gehört die Enteisung zur vorhersehbar notwendigen Vorbereitung eines Fluges unter winterlichen Bedingungen.

bb) Fehlende Beherrschbarkeit

Selbst wenn man der Ansicht wäre, dass es sich bei dem Mangel an Enteisungsmittel um ein Vorkommnis handelte, das nicht zur normalen Tätigkeit einer Fluggesellschaft zählt, läge kein außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vor. Nach der Definition des EuGH wäre hierfür nämlich zusätzlich erforderlich, dass der Mangel an Enteisungsmitteln aufgrund seiner Natur oder Ursache von der Beklagten tatsächlich nicht zu beherrschen war (vgl. EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az. C 549-07 - Wallenthin-Herman/ Alitalia - Rdnr. 23). Auch dies ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht. Auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung ist für die Frage, ob ein Vorkommnis seiner Natur oder Ursache nach tatsächlich zu beherrschen ist, ein generalisierender Maßstab anzulegen. Dementsprechend hat der EuGH (a. a. O.) technische Mängel, die sich trotz der vorgeschriebenen turnusmäßigen Wartung zeigen, nicht als außergewöhnlich betrachtet, obwohl sie - bezogen auf den Einzelfall - als tatsächlich nicht vermeidbar angesehen werden müssten.

Ein Mangel an Betriebsstoffen, die für einen Flug benötigt werden, ist nach dem vorstehend beschriebenen generalisierenden Maßstab seiner Natur nach tatsächlich beherrschbar, denn er lässt sich im Regelfall durch eine rechtzeitige Beschaffung und Vorratshaltung in ausreichender Menge vermeiden. Ein im Einzelfall auftretender Lieferengpass lässt einen Mangel an Enteisungsmittel daher nicht seiner Natur nach als unbeherrschbar erscheinen.

Der Mangel an Enteisungsmittel war auch nicht aufgrund seiner Ursache nicht beherrschbar. Auch wenn die Ursachen des Mangels im konkreten Fall eine durch die Wetterlage begründete stark erhöhte Nachfrage nach Enteisungsmittel und gleichzeitige Lieferschwierigkeiten waren, wie die Beklagte behauptet, so waren zwar diese Ursachen als solche nicht beeinflussbar. Bei der gebotenen engen Auslegung des Ausnahmetatbestandes kann allerdings nicht schon dann ein nicht beherrschbares Vorkommnis angenommen werden, wenn seine Ursache als solche nicht beeinflussbar ist. Anderenfalls wäre jedes durch Wetter verursachtes Vorkommnis als nicht beherrschbar anzusehen. Damit wäre Frost als nicht beherrschbares Flughindernis einzustufen, obwohl er durch Enteisung ohne weiteres bewältigt werden kann. Entscheidend erscheint vor diesem Hintergrund vielmehr, ob die Wirkung einer bestimmten Ursache beherrschbar ist, wobei für die Feststellung der Beherrschbarkeit nicht auf den konkreten Fall abzustellen, sondern ein generalisierender Maßstab anzulegen ist. In diesem Sinne waren die Wirkungen der behaupteten erhöhten Nachfrage und Lieferschwierigkeiten beherrschbar, denn ihnen hätte im Vorhinein durch die Einlagerung entsprechend großer Vorräte an Enteisungsmittel begegnet werden können.

Gegen die hier vertretene Auffassung spricht auch nicht, dass die Unterhaltung von Vorräten an Enteisungsmitteln, die auch bei Lieferschwierigkeiten jede denkbare Nachfrage abdecken können, zusätzliche Kosten für die Dienstleister und in der Folge für die Luftfahrtunternehmen verursachen würde. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann nämlich die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.10.2012, Az. C-581/10 und C-629/10 - Nelson u. a./ Deutsche Lufthansa und The Queen/Civil Aviation Authority - Rdnr. 81 m. w. N.).

Auch hier kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass der Mangel für sie deshalb tatsächlich nicht beherrschbar gewesen sei, weil sie aufgrund der organisatorischen Verhältnisse am Flughafen … die Enteisung nicht selbst habe vornehmen können. Käme es für die Frage der Beherrschbarkeit darauf an, ob das Luftfahrtunternehmen an dem konkreten Flughafen für die Bereitstellung notwendiger Betriebsstoffe eigene Versorgungseinrichtungen unterhält oder auf Dienstleistungen Dritter angewiesen ist, dann wären die Ausgleichsansprüche des Fluggastes nach Artikel 7 der Verordnung davon abhängig, ob er eine Fluggesellschaft nutzt, die selbst in Versorgungsanlagen investiert hat und weiter davon, dass sich diese Versorgungsanlagen gerade an dem genutzten Flughafen befinden. Im Ergebnis wären die Fluggesellschaften, die in eine eigene Infrastruktur investiert haben, bei deren Versagen gegenüber den Fluggästen ausgleichspflichtig, während die Fluggesellschaften, die sich auf Dienstleistungen Dritter verlassen, von der Ausgleichspflicht befreit wären. Dieses Ergebnis widerspräche der Zielrichtung der Verordnung, den Fluggästen im Fall der Annullierung ihres Fluges wirkungsvolle Rechte zu sichern.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Luftfahrtunternehmen damit unbegrenzt für jede Dienstleistung Dritter hafteten. Ihre Haftung ist durch das Erfordernis, dass es sich um ein Vorkommnis im Zusammenhang mit ihrem normalen Betrieb handeln muss, begrenzt. Danach haften sie nicht, wenn die Dienstleistung Dritter ihrer Natur nach nicht zum normalen Betrieb eines Luftfahrtunternehmens zählt, sondern zum Beispiel zum Betrieb des Flughafens, wie etwa die Vergrämung von Vögeln, die Reinigung der Start- und Landebahn oder die Befeuerung. Auch steht es ihnen frei, im Fall der Schlechtleistung durch den Dienstleister von jenem Schadensersatz zu verlangen.

b) Vermeidbarkeit

Auf die Frage, ob sich der Mangel an Enteisungsmittel auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung, kommt es nach dem Vorstehenden nicht an, weil sich der Mangel an Enteisungsmittel bereits nicht als außergewöhnlicher Umstand darstellt.

2) Artikel 5 Abs. 1 c) iii) der Verordnung

Der Anspruch aus Artikel 7 der Verordnung ist auch nicht durch Artikel 5 Abs. 1 c) iii) der Verordnung ausgeschlossen.

Nach Artikel 5 Abs. 1 c) iii) der Verordnung besteht dann kein Ausgleichsanspruch, wenn ein Fluggast - wie hier - weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit von der Annullierung unterrichtet wurde und der Fluggast ein Angebot zur anderweitigen Beförderung erhält, das es ihm ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Abflugzeit zu erreichen. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht vorgetragen, dass sie dem Kläger eine anderweitige Beförderung innerhalb dieses Zeitrahmens angeboten hat. Vielmehr will sie ihm nur die kostenlose Umbuchung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ angeboten haben. Nach ihrem eigenen Vortrag waren am 10. Dezember 2010 keine Plätze auf einem Flug der Beklagten mehr verfügbar. Dazu, Plätze in Flügen anderer Luftfahrtunternehmen anzubieten, hält sie sich nicht verpflichtet und hat deshalb auch kein entsprechendes Angebot vorgetragen.

III.

Über den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des konkret berechneten Schadens aus §§ 280 Abs. 1, 281, 631 BGB bzw. §§ 280 Abs. 1, 281, 283, 275, 631 BGB war nicht zu entscheiden, da dem Antrag in der Hauptsache stattgegeben wurde.

IV.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aufgrund des Anwaltsschreibens vom 10.01.2011 (Anlage K 6) einen Anspruch auf Verzugszinsen auf die Hauptforderung aus § 288 Abs. 1 i. V. m. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Klageantrag war dahingehend auszulegen, dass der Kläger nicht eine einmalige Zinszahlung, sondern Zinsen in Höhe von jährlich fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begehrt, denn er hat sich in der Klagebegründung auf den gesetzlichen Zinsanspruch bezogen.

Die Kostenentscheidung erster Instanz war aufrecht zu erhalten, obwohl die Verurteilung zur Zahlung der Rechtsverfolgungskosten abgeändert wurde, denn die Klägerin hat in Höhe von etwa der Hälfte des ursprünglich geltend gemachten Betrages von 11.979,14 € obsiegt. Die Rechtsverfolgungskosten stellen sich als Nebenforderung dar, die den für die Quotelung maßgeblichen Streitwert nicht berührt.

Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO. Danach waren die Kosten im vorliegenden Fall ganz der Beklagten aufzuerlegen, weil sie hinsichtlich der Hauptforderung in vollem Umfang unterliegt.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision war zuzulassen. Die Frage, ob ein Mangel an für einen Flug notwendigen Betriebsstoffen, die von Dritten im Auftrag des Flughafenbetreibers bereitzustellen und anzuwenden sind, einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung darstellt, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, die in dieser Form bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist.

V.

Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf 6.000,00 € entsprechend der angefochtenen Verurteilung in der Hauptsache.