BGH, Urteil vom 13.01.2003 - II ZR 173/02
Fundstelle
openJur 2010, 9191
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Mai 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluß der Beklagten vom 16. Mai 2001 abgewiesen worden ist.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 22. November 2001 wie folgt abgeändert:

Der Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 16. Mai 2001 zu TOP 7, den Kläger aus wichtigem Grund aus der Beklagten auszuschließen, wird für nichtig erklärt.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen; die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist Gesellschafter der beklagten GmbH mit einer Stammeinlage von 0,1 % ihres Stammkapitals, das 5 Mio. DM beträgt. Am 16. Mai 2001 wurde in einer Gesellschafterversammlung der Beklagten unter TOP 7 über den Antrag der Gesellschafterin G. W. abgestimmt, den Kläger aus wichtigem Grunde aus der Gesellschaft auszuschließen und die Geschäftsführer zur Erhebung einer entsprechenden Ausschließungsklage anzuweisen. Für den Antrag wurden 34.811 Stimmen, gegen ihn 15.069 Stimmen abgegeben. Der Kläger selbst stimmte nicht mit ab. Sodann stellte der Versammlungsleiter fest, daß dem Ausschließungsantrag stattgegeben worden sei.

Gegen diesen Gesellschafterbeschluß hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben und zusätzlich die Feststellung begehrt, daß der Ausschließungsantrag der Gesellschafterin W. in der Gesellschafterversammlung vom 16. Mai 2001 abgelehnt worden sei, weil er nicht die erforderliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefunden habe. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die -zugelassene -Revision des Klägers.

Gründe

Die Revision ist überwiegend begründet und führt zur Nichtigerklärung des angefochtenen Gesellschafterbeschlusses. Die zusätzlich erhobene Beschlußfeststellungsklage ist als unzulässig abzuweisen.

I. 1. Gegen die Zulässigkeit der Anfechtungsklage bestehen keine Bedenken. Insbesondere fehlt für sie -entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG 15. Aufl. Anh. § 47 Rdn. 69) -nicht deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis, weil mit dem angefochtenen Gesellschafterbeschluß nur über die Erhebung einer Ausschließungsklage gegen den Kläger entschieden worden und über seine Ausschließung aus wichtigem Grund erst in dem gerichtlichen Ausschließungsverfahren durch rechtsgestaltendes Urteil unter umfassender Würdigung aller Umstände zu entscheiden ist. Denn der Gesellschafterbeschluß ist notwendige materielle Voraussetzung für die Erhebung der Ausschließungsklage (vgl. BGHZ 9, 157, 177); seine Anfechtbarkeit wegen eines formellen Mangels -wie hier des Fehlens der erforderlichen Mehrheit -kann nur durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden (vgl. Sen.Urt.

v. 13. Januar 2003 -II ZR 227/00).

2. Unzulässig ist dagegen der Antrag des Klägers auf Feststellung, daß der Ausschließungsantrag seiner Mitgesellschafterin in der Gesellschafterversammlung vom 16. Mai 2001 abgelehnt worden sei. Ist -wie hier -das Beschlußergebnis von dem Versammlungsleiter festgestellt worden, kommt eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO anstelle oder neben der Anfechtungsklage nicht in Betracht (vgl. BGHZ 104, 66, 69; Sen.Urt. v. 1. März 1999 -II ZR 205/98, ZIP 1999, 656). Auch eine Verbindung der Anfechtungsmit einer sog. "positiven Beschlußfeststellungsklage" (analog § 248 AktG) scheidet hier aus, weil diese sich nur gegen die Ablehnung eines Beschlußantrags durch Gesellschafterbeschluß richten kann (vgl. BGHZ 97, 30 f.; 104, 66, 69), während der Kläger hier umgekehrt einen positiven Gesellschafterbeschluß anficht. Ist dieser auf die Anfechtungsklage für nichtig zu erklären, so steht damit zugleich fest, daß der in der Gesellschafterversammlung gestellte Ausschließungsantrag keinen Erfolg hatte.

II. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluß vom 16. Mai 2001 begründet, weil die für ihn erforderliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht erreicht worden ist.

1. Der Senat hat in BGHZ 9, 157 ff. die bis heute maßgebenden Grundsätze für die im Gesetz nicht unmittelbar geregelte Ausschließung eines Gesellschafters aus einer GmbH entwickelt und dafür ein zweistufiges Verfahren vorgesehen, das zunächst einen von einer breiten Mehrheit der abgegebenen Stimmen (unter Ausschluß derjenigen des Betroffenen) getragenen Gesellschafterbeschluß voraussetzt. Erforderlich ist danach eine Mehrheit von 75 %, wie sie § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG für die Auflösung der Gesellschaft vorschreibt, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts Gegenteiliges bestimmt. An dieser Rechtsprechung, die im Schrifttum überwiegend Zustimmung (vgl. u.a. Hachenburg/Ulmer aaO, Anh. § 34 Rdn. 24; Lutter/Hommelhoff aaO, § 34 Rdn. 28; Roth/Altmeppen, GmbHG 3. Aufl. § 60 Rdn. 48; Rowedder/ Bergmann in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. § 34 Rdn. 82; Tschernig, GmbHR 1999, 696), zum Teil aber auch Ablehnung erfahren hat (für einfache Mehrheit u.a. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG 17. Aufl. Anh. § 34 Rdn. 9; Scholz/Winter, GmbHG 9. Aufl. § 15 Rdn. 140), ist festzuhalten.

a) Das qualifizierte Mehrheitserfordernis in Anlehnung an § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG rechtfertigt sich zum einen daraus, daß die Ausschließung ein besonders einschneidender Eingriff in das Mitgliedschaftsverhältnis des betroffenen Gesellschafters ist und an die Stelle der -anderenfalls allein verbleibenden -Auflösung der Gesellschaft tritt, die alle Gesellschafter gleichermaßen treffen würde. Zum anderen berührt die Ausschließung aber auch die Interessen der verbleibenden Gesellschafter und der Gesellschaft insofern, als dem Auszuschließenden eine Abfindung zu zahlen ist und dadurch Liquidität aus der Gesellschaft abfließt. Daß der Gesellschafterbeschluß die Rechtswirkung der Ausschließung bei Fehlen einer gegenteiligen Satzungsregelung nicht unmittelbar herbeiführt, sondern darüber erst in dem gerichtlichen Verfahren nach Erhebung der Ausschließungsklage unter umfassender Würdigung aller Umstände definitiv entschieden wird, ist -entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kein entscheidendes Argument dafür, eine einfache Mehrheit ausreichen zu lassen. Der Senat hat in BGHZ 9, 157, 177 die Hürden für die gesellschaftsinterne Vorentscheidung über die Ausschließung eines Gesellschafters bewußt hoch angesetzt, um zu verhindern, daß schon ein mit geringfügiger relativer Mehrheit ausgestatteter Gesellschafter oder eine entsprechende Gruppe von Gesellschaftern die Ausschließung eines ihnen mißliebigen Gesellschafters, der den anderen nicht untragbar erscheint, überhaupt betreiben können. Daß dadurch die Erhebung einer Ausschließungsklage aus der Sicht der für sie votierenden Gesellschafter leichter "blockiert" werden kann als bei einer Entscheidung durch die einfache Mehrheit, ist zum Schutz des betroffenen Gesellschafters und einer ihn stützenden Minderheit von immerhin mehr als 25 % hinzunehmen. Sachliche oder unsachliche Gründe können sowohl hinter einem Ausschließungsbegehren wie auch hinter einer vermeintlichen "Blockadehaltung" stecken; nicht selten verbirgt sich dahinter ein Machtkampf zwischen zwei Gesellschaftergruppen, von denen die eine durchaus ein berechtigtes Interesse daran haben kann, ein gerichtliches Ausschließungsverfahren zu verhindern. Im übrigen ließe sich eine "Blockierung" auch bei einem einfachen Mehrheitserfordernis nicht ausschließen, wenn es dem betroffenen Gesellschafter gelingt, genügend andere auf seine Seite zu ziehen. Hier wie dort sind die trennungswilligen Gesellschafter nicht rechtlos gestellt, wenn tatsächlich ein gravierender Ausschließungsgrund vorliegt, weil sie gegen die treuwidrige Ablehnung eines Ausschließungsantrags durch Gesellschafterbeschluß mit einer Anfechtungsund positiven Beschlußfeststellungsklage vorgehen können (vgl. BGHZ 97, 28, 31).

b) Soweit der Rechtsprechung des Senates zu dem qualifizierten Mehrheitserfordernis (in Anlehnung an § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) entgegengehalten wird, daß § 61 Abs. 2 GmbHG schon einer Gesellschafterminderheit von 10 % sogar das Recht zur Erhebung einer Auflösungsklage aus wichtigem Grund zubillige (vgl. insbesondere Scholz/Winter aaO, § 15 Rdn. 140 m.w.N.), überzeugt das deshalb nicht, weil § 61 Abs. 1 GmbHG dafür einen wichtigen Grund voraussetzt, welcher der Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks gleichkommt und damit die Intensität eines wichtigen Grundes für den Ausschluß eines Gesellschafters regelmäßig erheblich übersteigt (vgl. Lutter/ Hommelhoff aaO, § 34 Rdn. 28).

c) Kein Argument gegen das qualifizierte Mehrheitserfordernis läßt sich weiter daraus gewinnen, daß für den Gesellschafterbeschluß über die Zwangseinziehung eines Geschäftsanteils gemäß § 34 Abs. 2 GmbHG i.V.m. §§ 46 Nr. 4, 47 Abs. 1 GmbHG regelmäßig (bei Fehlen einer gegenteiligen Satzungsbestimmung) die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (vgl. schon BGHZ 9, 157, 177). Denn die Zulässigkeit der Zwangseinziehung hängt davon ab, daß sich die Gesellschafter einer entprechenden statutarischen Regelung unterworfen haben (vgl. § 34 Abs. 2 GmbHG; BGHZ 116, 359, 363), woran es bei der statutarisch nicht vorgesehenen Ausschließung eines Gesellschafters gerade fehlt. Soweit gemäß § 6 der Satzung der Beklagten für die Zwangseinziehung eines Geschäftsanteils bei dessen Pfändung oder bei Vermögensverfall des betreffenden Gesellschafters ein mit einfacher Mehrheit zu fassender Gesellschafterbeschluß ausreicht, läßt sich daraus ein entsprechendes Quorum für den Beschluß über die Erhebung der Ausschließungsklage nicht ableiten (vgl. Sen.Urt. v. 20. September 1999 -II ZR 345/97, ZIP 1999, 1843).

d) Schließlich liegt auch kein wesentlicher Unterschied zwischen dem vorliegenden und dem in BGHZ 9, 157 ff. entschiedenen Fall darin, daß dort der Auszuschließende ein Mehrheitsgesellschafter war, während der Kläger nur 0,1 % der Anteile an der Beklagten hält. Da der Auszuschließende kein Stimmrecht hat, bezieht sich das qualifizierte Mehrheitserfordernis ohnehin immer nur auf das Stimmenverhältnis zwischen den übrigen Gesellschaftern und gilt unabhängig von der Höhe der Beteiligung des auszuschließenden Gesellschafters.

2. Das angefochtene Urteil kann daher, soweit die Anfechtungsklage abgewiesen worden ist, nicht bestehenbleiben. Da die Sache entscheidungsreif ist, hatte der Senat gemäß § 563 Abs. 3 n.F. ZPO in der Sache selbst zu entscheiden und den angefochtenen Gesellschafterbeschluß entsprechend § 248 Abs. 1 AktG für nichtig zu erklären. Dagegen ist die von dem Kläger zusätzlich erhobene Feststellungsklage in den Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden (vgl. oben I 2). Da das Feststellungsbegehren im wesentlichen schon durch die Anfechtungsklage abgedeckt wird und keine streitwerterhöhende Bedeutung hat, fällt dessen Abweisung kostenmäßig nicht ins Gewicht (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 n.F. ZPO).