OLG Schleswig, Beschluss vom 31.10.2013 - 3 Wx 46/13
Fundstelle
openJur 2013, 44237
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 1. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 1. im Beschwerdeverfahren trägt die  Beteiligte zu 2. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Der Geschäftswert im Beschwerdeverfahren beträgt 4.659,00 €.

Gründe

I.

Der geschiedene und am … 2010 verstorbene Herr A, nachfolgend Erblasser genannt, hatte am 16. Oktober 2007 ein handschriftliches Testament errichtet, mit dem er seinen Sohn, den Beteiligten zu 1., zu seinem Erben berief (Bl. 6 der Beiakte, nämlich des Akte des Amtsgerichts zum Aktenzeichen 1 IV 1108/10).

Der Beteiligte zu 1. hat mit notariellem Antrag vom 1. Dezember 2010 beim Amtsgericht Kiel – Nachlassgericht - einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist. Die Beteiligte zu 2., Tochter und einziges weiteres Kind des Erblassers, ist diesem Antrag mit der Begründung entgegengetreten, sie habe Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers. Der Erblasser sei am 6. Dezember 2007 in einem stark verwahrlosten und abgemagerten Zustand in das Universitätsklinikum eingeliefert und nachfolgend mit der Verdachtsdiagnose Demenz auf die geschlossene psychiatrische Station zur stationären Behandlung verlegt worden.

Das Amtsgericht hat zunächst schriftliche Zeugenaussagen u.a. von verschiedenen Nachbarn des Erblassers - wie z.B. von Frau Dr.  B (Bl. 63 ff d.A.) und Herrn C (Bl. 78 ff d.A.) - u.a. zu dessen gesundheitlichen Zustand in Bezug auf dessen Testierfähigkeit zur Zeit der Errichtung des Testaments eingeholt. Verschiedene Krankenunterlagen betreffend die stationären Behandlungen des Erblassers vom 7.12.2007 bis 13.02.2008 wie der Bericht des Zentrums für Integrative Psychiatrie vom 12. Februar 2008 (Bl. 57 ff d.A.) sind vorgelegt worden. Sodann hat das Amtsgericht ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Testierfähigkeit des Erblassers eingeholt. Der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige Herr D, leitender Arzt für forensische Psychiatrie und Psychotherapie, und Herr E, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und für Neurologie, haben in ihrem  Gutachten vom 14. Mai 2012 zusammenfassend festgestellt, dass bei dem Erblasser bereits vor und auch im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit in der Form einer Demenzerkrankung, eines Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs und einer organisch bedingten Persönlichkeitsveränderung vorgelegen habe und dass der Erblasser „zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bedingt durch die Störungen der Gedächtnisfunktionen, die Persönlichkeitsveränderungen und die Fremdbeeinflussbarkeit zu einer freien Willensentscheidung nicht mehr in der Lage“ gewesen sei (Bl. 96 ff d.A.).

Der Beteiligte zu 1. hat nachfolgend, nämlich mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 31. August 2012 seinen Erbscheinantrag zurückgenommen.

Mit notariellem Antrag vom 20. September 2012 hat der Beteiligte zu 1. einen Erbschein beantragt, der ihn und die Beteiligten zu 2. als Erben zu je ½ ausweist. Die Beteiligte zu 2. hat erklärt, dagegen keine Einwendungen zu erheben. Das Amtsgericht hat dementsprechend antragsgemäß einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt.

Mit Beschluss vom 1. März 2013 hat das Amtsgericht über die Kosten in den beiden Erbscheinverfahren entschieden, nämlich ausgesprochen, dass von der Erhebung von Gerichtskosten in dem durch die Antragsrücknahme erledigten ersten Verfahren abgesehen wird, dass die Gerichtskosten des zweiten Verfahrens von dem Beteiligten zu 1. zu tragen sind und dass die außergerichtlichen Kosten der beiden Beteiligten von ihnen jeweils selbst zu tragen sind. In dem Beschluss ist u.a. ausgeführt, hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten habe das Gericht keine Veranlassung gesehen, von der grundsätzlichen Kostenfolge abzusehen. Wenn ein Fall des § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG vorgelegen hätte, nämlich wenn der erste Antrag des Beteiligten zu 1. von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte und der Beteiligte zu 1. dies hätte erkennen müssen, hätte dies zu einer Einschränkung des Ermessens führen können. Aber ein solcher Fall sei nicht gegeben gewesen. Denn der Antrag habe weder von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt, noch habe der Beteiligte zu 1. dies erkennen können. Denn aufgrund der von der Beteiligten zu 2. geäußerten Bedenken an der Testierfähigkeit des Erblassers seien vom Amtsgericht zunächst schriftliche Zeugenaussagen und sodann ein Sachverständigengutachten eingeholt worden. Erst aus dem sodann eingegangenen Gutachten vom 14. Mai 2013 habe sich ergeben, dass der Erblasser mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zur Zeit der Testamentserrichtung nicht mehr testierfähig gewesen sei. Mithin verbleibe es bei der grundsätzlichen Kostenfolge, wonach jeder der Beteiligten seine Kosten selbst zu tragen habe. Im Übrigen wird auf den Beschluss vom 1. März 2013 (Bl. 180 ff d.A.) Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 2. Beschwerde eingelegt und zwar insoweit, als das Amtsgericht ausgesprochen hat, dass die außer-gerichtlichen Kosten des ersten Erbscheinantrages von den Beteiligten jeweils selbst zu tragen seien. Sie führt u.a. aus, der Beteiligte zu 1. habe in der Vergangenheit, wenigstens seit 2005 intensiven Kontakt mit dem Erblasser gehabt. Er sei von Bekannten und Nachbarn wie C und Frau F über die seit 2005/2006 bei dem Erblasser bestehende medizinische Problematik sowie über dessen geistige und körperliche Verfassung, insbesondere über dessen geistige Verwirrtheit informiert worden. Aufgrund dieser Umstände habe er gewusst, dass der Erblasser das Testament vom 16. Oktober 2007 zu einer Zeit geistiger Verwirrung geschrieben habe. Es liege ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG vor; dies hätte der gebotenen Kostenentscheidung bezüglich ihrer außergerichtlichen Kosten zugrunde gelegt werden müssen.

Der Beteiligte zu 1. ist dem Beschwerdevorbringen mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 17. April 2013 entgegengetreten (Bl. 194 f d.A.). Er trägt u.a. vor, er sei davon ausgegangen, dass der Erblasser geschäftsfähig gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem vorgelegten Entlassungsbericht der Klinik. Danach sei der Erblasser nach der stationären Behandlung als voll orientiert und bewusstseinsklar entlassen worden.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. ist dahin auszulegen, dass sie eine Abänderung der Kostenentscheidung in dem Beschluss vom 1. März 2013 dahin begehrt, dass die ihr in dem Verfahren über den ersten Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1., nämlich über den Antrag vom 1. Dezember 2010 entstandenen außergerichtlichen Kosten von diesem zu erstatten sein sollen.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig.

Voraussetzung für die Zulässigkeit ist, dass der Beschwerdewert über 600,00 € liegt (§ 61 Abs. 1 FamFG). Für die Bezifferung des Beschwerdewerts sind vorliegend die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2. maßgeblich, die ihr in dem Verfahren über den ersten Erbscheinantrag entstanden sind und die als notwendige Kosten erstattungsfähig sein können. Als solche Kosten kommen die in dem Verfahren ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten in Betracht. Denn sie hat sich in dem gerichtlichen Verfahren über den ersten Erbscheinantrag durch ihre Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen. Die ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten beziffern sich bei Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 475.766,00 € auf annehmbar rund 4.659,00 €  (Verfahrensgebühr: 1,3-fache Gebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG, d.h. 1,3 x 2.996,00 € = 3.894,80 €; Auslagenpauschale: 20,00 €; Summe: 3.914,80 € + 19 % MWSt. = 4.658,61 €).

Der Vermerk des Amtsgerichts vom 5. April 2013 – „Ich helfe der Beschwerde aus den Gründen des Beschlusses vom 01.03.2013 nicht ab“ – stellt keine ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung nach § 68 Abs. 1 FamFG dar. Denn weder ist in der gebotenen Form eines Beschlusses, noch ist mit Rücksicht auf die Beschwerdebegründung mit einer gebotenen Begründung entschieden worden (Senat SchlHA 2011, 169; Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 68 Rn. 12b). Im Hinblick auf den eingetretenen Zeitablauf sieht der Senat von einer Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens ab.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht mit Beschluss vom 1. März 2013 angeordnet, dass die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2. hin-sichtlich des gerichtlichen Verfahrens über den ersten Erbscheinantrag von ihr selbst zu tragen sind.

Gemäß § 83 Abs. 2 FamFG gilt im Fall der Antragsrücknahme § 81 FamFG entsprechend. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Nachlassgericht die Kosten des Verfahrens, u.a. die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu verteilen.

In § 81 Abs. 2 FamFG sind Regelbeispiele für die Kostenentscheidung nach Billigkeit aufgeführt, die im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung zu beachten sind. Für den Fall, dass ein Antrag eines Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste, bestimmt § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, dass das Gericht die Kosten des Verfahrens regelmäßig diesem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegen soll. Andere Regelbeispielfälle betreffen u.a. die Fälle, dass ein Beteiligter durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) oder zu einer wesentlichen Tatsache unwahre Angaben gemacht hat (§ 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG). Dabei ist die Auflistung der Tatbestände, bei denen eine solche Kostenentscheidung zu Lasten eines Beteiligten regelmäßig der Billigkeit entspricht, nicht als abschließend zu verstehen.

Im Übrigen ist § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG - anders als bei dem früher geltenden § 13a FGG, bei dem der Grundsatz galt, dass jeder Beteiligter seine außerge-richtlichen Kosten selbst zu tragen hat - keine Grundsatzregelung bzw. kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu entnehmen. Insbesondere kann aus den Regelungen in § 81 Abs. 1 und Abs. 2 FamFG nicht der Schluss gezogen werden, dass dann, wenn kein Regelbeispielfall gemäß § 81 Abs. 2 FamFG und auch kein einem Regelbeispiel entsprechender Fall vorliegt, in der Regel keine Kostenerstattung stattfindet. Die Anordnung einer Erstattung der außergerichtlichen Kosten bzw. die Anordnung, dass keine Kostenerstattung stattfindet, hat sich vielmehr als Ergebnis einer stets vorzunehmenden Billigkeitserwägung darzustellen (Senat, Beschluss vom 8.11.2010 – 3 Wx 123/10 – SchlHAnz 2011, 204 = NJW-RR 2011, 576; OLG München FamRZ 2012, 1895; Schindler in MüKoFamFG, 2. Aufl. 2013, § 81 Rn. 8; Keidel/Zimmermann, aaO., § 81 Rn. 44).

Mit der Regelung in § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, ausschließlich das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zum Maßstab der Kostenverteilung zu machen (wie es nach den §§ 91 f ZPO im Zivilprozessverfahren gilt). Allerdings ist das Maß des Obsiegens und Unterliegens in streitigen FamFG-Verfahren, insbesondere in Antragsverfahren ein Umstand, der im Rahmen der gemäß § 81 Abs 1 Satz 1 FamFG gebotenen Billigkeitserwägung zu berücksichtigen ist. Daneben können in die Billigkeitserwägung einfließende Gesichtspunkte folgende Umstände sein: Die Art der Verfahrensführung, das Vorbringen unwahrer Behauptungen, eine objektiv von vornherein erkennbare Aussichtslosigkeit des Antrages bzw. der erhobenen Einwendung und eine schuldhafte Veranlassung des Verfahrens (Senat und OLG München, jeweils aaO.; Keidel/Zimmermann, aaO., § 81 Rn. 48; Schindler in MüKoFamFG, aaO., § 81 Rn.12).

Für den Fall der Rücknahme eines Erbscheinantrags gilt mithin, dass allein die Antragsrücknahme kein Grund zu einer Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers ist. Auch in diesem Fall ist eine Billigkeitsabwägung geboten.

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Kostenentscheidung des Amts-gerichts als ermessensfehlerhaft. Denn das Amtsgericht ist bei der getroffenen Kostenentscheidung - unzutreffend - davon ausgegangen, dass es bei der gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG zu treffenden Ermessensentscheidung eine grundsätzliche Kostenfolge bzw. eine Grundregel gibt, die dahin lautet, dass jeder der Beteiligten in der Regel seine Kosten selbst trägt (Seite 2 des Beschlusses, Bl. 181 d.A.: „. . . Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten sah das Gericht keine Veranlassung, von der grundsätzlichen Kostenfolge abzuweichen . . . . Insofern verblieb es hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten bei der grundsätzlichen Kostenfolge, so dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt . . .“).

Mithin ist eine Ermessensentscheidung des Senats geboten.

Bei der nach §§ 83 Abs. 2, 81 FamFG gebotenen Billigkeitserwägung sind vorliegend folgende Umstände zu berücksichtigen:

(1.)

Ein Regelbeispiel gemäß § 81 Abs. 2 FamFG, wonach es in der Regel gerechtfertigt ist, dem Beteiligten zu 1. die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2. ganz oder teilweise aufzuerlegen, liegt nicht vor bzw. die Voraussetzungen dafür können nicht festgestellt werden. Das Amtsgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, dass der (erste) Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1. vom 1. Dezember 2010 nach dessen damaligen Kenntnisstand nicht von vornherein aussichtslos war (§ 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG). Es gibt keine, jedenfalls keine hinreichende Grundlage für eine Feststellung dahin, er hätte zu dieser Zeit erkennen müssen, dass das Testament vom 16. Oktober 2007 aufgrund von Testierunfähigkeit des Erblassers unwirksam war. Erst das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten vom 14. Mai 2013 mit der zusammenfassenden Feststellung, dass der Erblasser mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zur Zeit der Testamentserrichtung nicht mehr testierfähig gewesen sei, ist dafür eine Grundlage gewesen.

Für den anderen Standpunkt der Beteiligten zu 2., nämlich dass der Beteiligte zu 1. von vornherein die Aussichtslosigkeit seines Antrags erkannt haben soll, dies zumindest hätte erkennen müssen, gibt es keine tragfähige Tatsachengrundlage. Auch das Vorliegen eines dem Regelbeispiel nach § 81 Abs. 2  Nr. 2 FamFG entsprechenden Falles, nämlich dass bei einer objektiven Betrachtung aufgrund einer sorgfältigen Prüfung von vornherein erkennbar gewesen ist, dass der Antrag aussichtslos ist (Senat NJW-RR 2011, 576), kann nicht festgestellt werden.

Es ist zu berücksichtigen, dass nach der gesetzlichen Regelung in § 2229 Abs. 4 BGB jeder Erwachsener bzw. jeder ab dem 16. Lebensjahr bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen ist (Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 2229 Rn. 11). Testierunfähig ist gemäß § 2229 Abs. 4 BGB, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage war, die Bedeutung einer von ihm abgegeben Willenserklärung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähigkeit beinhaltet mithin Feststellungen in zwei Stufen, nämlich einerseits das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung zur maßgeblichen Zeit und andererseits eine dadurch bedingte mangelnde Einsichts- oder Handlungsfähigkeit im Hinblick auf die fragliche Willenserklärung zur maßgeblichen Zeit. Es ist allgemein anerkannt ist, dass eine Testierunfähigkeit im vorgenannten Sinne in zweifelhaften Fällen in der Regel nur aufgrund einer Begutachtung durch einen Facharzt der Psychiatrie oder Neurologie festgestellt werden kann (BGH FamRZ 1984, 1003; BayObLG FamRZ 2001, 55; Palandt/Weidlich, aaO., § 2229 Rn. 12).

Vorliegend steht aufgrund des vom Amtsgericht eingeholten Gutachtens vom 14. Mai 2012 fest, dass der Erblasser zur Zeit der Errichtung des Testaments am 16. Oktober 2007 testierunfähig war. Diese Feststellung kann im Rahmen der gebotenen Billigkeitsabwägung gemäß §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. FamG aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen des Amtsgerichts getroffen werden. Denn die Sachverständigen haben aufgrund der eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen und der herangezogenen Krankenunterlagen nachvollziehbar und plausibel festgestellt, dass bei dem Erblasser mit größter Wahrscheinlichkeit bereits vor und auch zur Zeit der Testamentserrichtung eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit in der Form einer Demenzerkrankung, eines Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs und einer organisch bedingten Persönlichkeitsveränderung vorlag und dass der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bedingt durch die mit der Demenzerkrankung einhergehenden Störungen der Gedächtnisfunktionen, der Persönlichkeitsveränderung und der Fremdbeeinflussbarkeit nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in Lage war. Von dieser Feststellung ist das Amtsgericht im Übrigen bei der antragsgemäßen Entscheidung über den zweiten Erbscheinantrag sowie bei seinem Beschluss vom 1. März 2013 ausgegangen.

Aber es kann nicht festgestellt werden, dass der Beteiligte zu 1. diese Tatsachengrundlage bereits bei oder vor Beantragung des Erbscheins mit notarieller Erklärung vom 1. Dezember 2010 erkannt hat oder hätte erkennen müssen. Es ist schon offen, ob der Beteiligte zu 1. Kenntnis von den tatsächlichen Umständen aus der Zeit vor und bis zum 16. Oktober 2007 hatte, die u.a. die Zeugen Frau Dr. B und Herr C in ihren schriftlichen Aussagen betreffend den Erblasser bekundet haben und die Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung der Sachverständigen gewesen sind, nämlich z.B. betreffend die Persönlichkeitsveränderung, den  Alkohol- und Medikamentenmissbrauch und die leichte Beeinflussbarkeit. Der Beteiligte zu 1. hat die von den Zeugen bekundeten Umstände wie etwa einen Alkohol- und Medikamentenmissbrauch des Erblassers in der Zeit vor und nach dem 16. Oktober 2007 mit dem Hinweis in Abrede gestellt, dass er Dahingehendes nicht wahrgenommen habe. Mit Rücksicht darauf, dass der Beteiligte zu 1. in X wohnt und seinen Vater etwa drei- bis viermal im Jahr besuchte und ansonsten mit ihm (nur) telefonischen Kontakt hatte, ist es möglich, dass er tatsächlich von diesen Umständen keine Kenntnis hatte. Etwas Anderes kann auch dann, wenn er – wie er vorgetragen hat – seinen Vater Mitte September 2007 und Mitte November 2007 besucht hat, nicht festgestellt werden. Im Übrigen sprechen die Angaben der Zeugin F dagegen, dass der Beteiligte zu 1. die genannten Umstände erkannt hat bzw. erkennen musste. Die Zeugin hat in ihrem Schreiben vom 11. Mai 2011 (Bl. 68 f d.A.) u.a. ausgeführt, sie habe seit vielen Jahren immer persönlichen Kontakt zu dem Erblasser als Nachbarn gehabt und zwar in ihrem und in seinem Haus. Er habe ihr bei handwerklichen Arbeiten geholfen, sei in einem guten Zustand und orientiert gewesen. Seine Erkrankungen seien erst gekommen, als er im Dezember 2007 auf dem Fußweg vor seinem Hause hingefallen sei. Nach seinem Krankenhausaufenthalt sei er körperlich nicht mehr so gut beieinander gewesen.

Selbst wenn der Beteiligte zu 1. von den von den Zeugen bekundeten Umständen Kenntnis gehabt hätte, kann nicht festgestellt werden, dass er damit auch die Testierunfähigkeit seines Vaters zum fraglichen Zeitpunkt erkannt hätte oder hätte erkennen müssen. Dies gilt auch, wenn dabei nicht auf den Beteiligten zu 1. sondern auf eine objektive Betrachtung aufgrund einer sorgfältigen Prüfung abgestellt wird. Zwar sind die von den Zeugen Dr. B und C bekundeten Umstände in einer Gesamtschau mit dem nachfolgenden Geschehen am 6. Dezember 2007 und den anschließenden stationären Behandlungen des Erblassers u.a. in einer psychiatrischen Fachabteilung bzw. Einrichtung vom 7. Dezember 2007 bis 13. Februar 2008, hier u.a. der Verdachtsdiagnose „Demenz vom Alzheimer Typ“ geeignet gewesen, Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung zu begründen. Aber die Umstände sind – auch bei einer objektiven Betrachtung in einer Gesamtschau – keine hinreichende Grundlage für eine Feststellung dahin, dass sich für einen Beteiligten die Annahme, der Erblasser sei zur Zeit der Testamentserrichtung am 16. Oktober 2007 testierunfähig gewesen, im Sinne eines Erkennenmüssens aufgedrängt hätte. Denn keiner der Zeugen hat etwas dazu angegeben, dass der Erblasser zu dieser Zeit oder kurz zuvor und danach ein auffälliges Verhalten gezeigt hätte. Dagegen spricht, dass die ärztliche Diagnose für eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit in der Form einer Demenzerkrankung erst rund zwei Monate nach dem maßgeblichen Zeitpunkt gestellt worden ist. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Erblasser sich nach dem Entlassungsbericht des Zentrums für Integrative Psychiatrie vom 12. Februar 2008 im Laufe der stationären Behandlung kooperativ, absprachefähig und orientiert gezeigt hat und nach der bis zum 13. Februar 2008 andauernden stationären Behandlung in eine eigene häusliche Versorgung, unterstützt durch einen regelmäßigen Pflegedienst entlassen worden ist. Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass das Vorliegen einer Demenzerkrankung nicht bedeutet, dass der Betroffene testierunfähig ist. Insbesondere kann aus dem Vorliegen einer leichten bis mittelschweren Demenzerkrankung nicht regelhaft auf Testierunfähigkeit zu einem bestimmten (früheren) Zeitpunkt geschlossen werden. Vielmehr ist eine solche Feststellung nur aufgrund einer Würdigung des Gesamtverhaltens und der Gesamtbildes des Betroffenen zur fraglichen Zeit möglich. Dies kann in Zweifelsfällen in der Regel nur ein Arzt für Psychiatrie und/oder Neurologie als Sachverständiger aufgrund von hinreichenden Anknüpfungstatsachen und seines Erfahrungswissens leisten. Vorliegend haben dies erst die vom Amtsgericht herangezogenen Sachverständigen mit dem Gutachten vom 14. Mai 2012 geleistet.

Weitergehend ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das Ergebnis der Sachverständigen zur Feststellung einer Testierunfähigkeit in der zweiten Stufe, nämlich ob die vorliegend gegebene krankhafte Störung der Geistestätigkeit die freie Willensbestimmung des Erblassers bei der Errichtung des Testaments am 16. Oktober 2007 aufgehoben hat, nicht im Sinne einer Aussage eindeutig ist, dass dies mit an Sicherheit grenzender bzw. höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Die Sachverständigen konnten vielmehr (nur) die Feststellung treffen, dass dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

Ein Fall eines anderen Regelbeispiels nach § 81 Abs. 2 FamFG liegt nicht vor. Dass der Beteiligte zu 1. zu (wesentlichen) Umständen unwahre Angaben gemacht hat oder durch ein (grobes) Verfahren Anlass zu dem Verfahren gegeben hat, kann nicht festgestellt werden.

(2.)

Es ist zu beachten, dass der Beteiligte zu 1. mit der Rücknahme seines ersten Antrages sich in die unterlegende Position in diesem Verfahren begeben hat bzw. dass er ohne Antragsrücknahme in dem Verfahren unterlegen gewesen wäre. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Erbscheinverfahren um ein Antragsverfahren handelt, dass das Verfahren von den Beteiligten streitig geführt worden ist und dass es sich letztlich um einen vermögensrechtlichen Streit, nämlich um die vermögensrechtliche Nachfolge nach dem Erblasser gehandelt hat, erscheint das Unterliegen des Beteiligten zu 1. für die gebotene Billigkeitsentscheidung als ein nicht unerheblicher Gesichtspunkt, der für die Anordnung einer Kostenerstattung zu seinen Lasten sprechen kann.

(3.)

Es ist zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 1. für sich in Anspruch nehmen kann, dass er mit seinem (ersten) Erbscheinantrag dem im Testament vom 16. Oktober 2007 dokumentierten Willen des Erblassers entsprochen hat, dass es zur Zeit der Antragstellung auch bei objektiver Betrachtung aufgrund einer sorgfältigen Prüfung unklar bzw. zweifelhaft gewesen ist, ob der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung testierunfähig war, und dass er – ohne dass sein Antrag bei objektiver Betrachtung von vornherein aussichtslos gewesen wäre - eine Klärung der Wirksamkeit des Testaments und damit der Grundlage für die Erbfolge herbeigeführt hat. Dies spricht im Rahmen der Billigkeitserwägung gegen die Anordnung einer Kostenerstattung zu seinen Lasten.

(4.)

Es kann im Rahmen der gebotenen Billigkeitserwägung zwar grundsätzlich berücksichtigt werden, dass die beiden Beteiligten als Kinder des Erblassers in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander stehen, und zwar als Gesichtspunkt gegen die Anordnung einer Kostenerstattungspflicht (Schindler in MüKoFamFG, aaO., § 81 Rn. 12; a.A. Keidel/Zimmermann, aaO., § 81 Rn. 48). Aber diesem Umstand kann in Erbscheinantragsverfahren in der Regel keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Denn nach der Natur der Sache stehen die Beteiligten in diesen Verfahren sehr oft in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander, ohne dass dieser Umstand Auswirkungen für den bestehenden Streit und Art und Weise des deswegen geführten Verfahrens hätte.

Vorliegend ist bedenken, dass zwischen den Beteiligten über die Tatsache, dass sie über den Erblasser miteinander verwandt sind, keine hinausgehende Verbundenheit bestanden hat bzw. besteht; jedenfalls kann dies nicht festgestellt werden. Deswegen kann dem Bestehen ihrer verwandtschaftlichen Beziehung im Rahmen der Billigkeitsabwägung keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden.

(5.)

Weitere Umstände, die für die gebotene Billigkeitsabwägung von Bedeutung sein können, sind nicht ersichtlich bzw. vorgetragen.

Die Abwägung der vorstehend genannten erheblichen Umstände, nämlich auf der einen Seite, dass der Beteiligte zu 1. in dem Verfahren über den ersten Erbscheinantrag ohne Rücknahme unterlegen gewesen wäre, und auf der anderen Seite, dass er mit seinem Erbscheinantrag dem dokumentierten Willen des Erblassers entsprochen hat und dass er in einem Zweifelsfall – ohne dass sein Antrag auch bei objektiver Betrachtung aufgrund sorgfältiger Prüfung von vornherein aussichtslos gewesen wäre – eine Klärung zu der Frage der Wirksamkeit des vorliegenden Testaments und damit zur Grundlage der Erbfolge nach dem Erblasser herbeigeführt hat, stehen sich widersprechend gegenüber. Der erstgenannte Gesichtspunkt ist zwar erheblich, kann aber – für sich allein – in der Regel kein Grund für eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beteiligten zu 1. als Antragsteller sein. Andere Gesichtspunkte für eine solche Entscheidung liegen nicht vor. Die zweitgenannten Gesichtspunkte sprechen gegen eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beteiligten zu 1. Bei dieser Sachlage ergibt die gebotene Abwägung, dass die Anordnung einer gänzlichen oder auch nur anteiligen Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2. im Verfahren über den ersten Erbschein nicht billig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Der auf 4.659,00 € festgesetzte Geschäftswert entspricht dem geschätzten Betrag, der der Beteiligten zu 2. annehmbar als außergerichtliche (erstattungsfähige) Kosten, hier als Rechtsanwaltskosten im Verfahren über den ersten Erbscheinantrag entstanden sind.