Hessischer VGH, Urteil vom 31.10.2013 - 8 C 127/13.N
Fundstelle
openJur 2013, 44230
  • Rkr:

1. Gemeindevertreter und von ihnen gebildete Fraktionen haben in Hessen kein wehrfähiges Recht auf Herstellung der sog. Medienöffentlichkeit von Sitzungen der Gemeindevertretung.

2. § 52 Abs. 1 HGO gewährleistet lediglich die sog. Saalöffentlichkeit. Die Herstellung der sog. Medienöffentlichkeit ist ausschließlich aufgrund einer entsprechenden allgemeinen Regelung in der Hauptsatzung der Gemeinde zulässig (§ 52 Abs. 3 HGO).

3. Eine solche Regelung in der Hauptsatzung einer Gemeinde kann nicht im Wege prinzipaler Normenkontrolle (§ 47 VwGO), sondern allenfalls durch eine sog. Normerlassklage durchgesetzt werden. Für eine solche Klage ist in erster Instanz nicht das Oberverwaltungsgericht (der Verwaltungsgerichtshof), sondern das jeweilige Verwaltungsgericht zuständig.

Tenor

Die Normenkontrollanträge werden abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens haben zu je einem Viertel die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. sowie im Übrigen der Antragsteller zu 3. zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller halten § 12 Abs. 6 der mit Beschluss vom 11.Oktober 2012 neu gefassten Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-Stadt für rechtswidrig und begehren mit ihren am 15. Januar 2013 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof gestellten Normenkontrollanträgen, diese Bestimmung für ungültig zu erklären. Sie hat folgenden Wortlaut:

„In den Sitzungen ist nur der bei der Stadtverordnetenvorsteherin/dem Stadtverordnetenvorsteher angemeldeten Presse das Fotografieren gestattet. Tonaufnahmen sind lediglich für Zwecke der Schriftführung erlaubt (§ 35).Filmaufnahmen sind nicht zulässig.“

Im Vorfeld der Abstimmung über die neue Geschäftsordnung hatte der Ältestenrat der Stadtverordnetenversammlung am 14. August 2012u.a. über einen Antrag der FDP-Fraktion vom 25. April 2012 zur Änderung der Hauptsatzung hinsichtlich Bild- und Tonaufnahmen beraten, diesen Antrag aber nicht weiter behandelt und beschlossen,der Stadtverordnetenversammlung die zitierte Fassung des §§ 12 Abs.6 der Geschäftsordnung zur Beschlussfassung vorzuschlagen.

Der Antragsteller zu 3. ist Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt A-Stadt und Vorsitzender der aus zwei Personen bestehenden Fraktion „Die Linke“. Er macht geltend, darüber hinaus als freier Journalist tätig und Inhaber der Internet-Domain „www…..de“ zu sein.Die Antragsteller sind der Auffassung, die gesetzlich vorgeschriebene Öffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlung sei aufgrund der angegriffenen Bestimmung der Geschäftsordnung nicht effektiv gewährleistet. Der ordnungsgemäße Sitzungsbetrieb werde durch die vom Antragsteller zu 3. beabsichtigte Videodokumentation der Sitzungen nicht beeinträchtigt. Dies zeige schon das prominente Beispiel des Deutschen Bundestags, dessen Plenarsitzungen live ins Internet übertragen und anschließend in einer Mediathek zum Abruf bereitgestellt würden.

Die Antragsteller beantragen,

§ 12 Abs. 6 der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt A-Stadt für ungültig zu erklären.

Die Antragsgegner beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie halten sämtliche Anträge für unzulässig. Für die Antragsteller zu 1.und 2. gelte dies schon deshalb, weil sie als Teilorgan bzw. als Mitglied des Gemeindeorgans Stadtverordnetenversammlung durch die angegriffene Geschäftsordnungsregelung nicht beschwert seien. Das Verbot von Film- und Tonaufnahmen ergebe sich nämlich bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 52 Abs. 1 und 3 Hessische Gemeindeordnung (HGO), so dass insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag bestehe. Im Übrigen berühre das Verbot den Antragsteller zu 2. nicht in seiner Funktion als Stadtverordneter. Abgesehen davon gehöre es nicht zu den Organkompetenzen eines Stadtverordneten, während einer Sitzung Kollegen oder gar die anwesende Öffentlichkeit zu filmen. Auch Fraktionen könnten nur durch Gesetz oder Geschäftsordnung zugewiesene Befugnisse ausüben und seien nicht berufen,vermeintliche Rechte ihrer Mitglieder geltend zu machen. Sie hätten deshalb grundsätzlich keinen Anspruch auf Herstellung der Saalöffentlichkeit von Stadtverordnetensitzungen, erst recht nicht auf Herstellung der gesetzlich nicht eingeräumten Medienöffentlichkeit. Der Antragsteller zu 3. sei nicht antragsbefugt, weil er nicht Journalist, sondern Student sei und auch tatsächlich keine Internetplattform betreibe. Im Übrigen handele es sich bei der angegriffenen Bestimmung um eine Norm des Innenrechts der Antragstellerin zu 2. ohne Außenwirkung, da sie nicht als Satzung beschlossen worden sei.

Jedenfalls seien die Normenkontrollanträge unbegründet, da das gesetzliche Verbot von Film- und Tonaufnahmen in § 52 Abs. 1 und 3HGO von den Antragstellern nicht angegriffen und durch die dadurch geschützten Persönlichkeitsrechte gerechtfertigt sei, so dass durch diese Regelung die von ihnen für sich in Anspruch genommene Rundfunk- und Medienfreiheit zulässigerweise eingeschränkt sei (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 1. vom 3. April 2013Bezug genommen.

Dem Senat liegen die die streitige Geschäftsordnung betreffenden Akten der Antragsgegnerin zu 1. (ein Hefter) vor. Sie sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Gründe

Die gegen die Antragsgegnerin zu 2. gerichteten Normenkontrollanträge der Antragstellerin zu 1. und des Antragstellers zu 2. sowie der gegen die Antragsgegnerin zu 1.gerichtete Normenkontrollantrag des Antragstellers zu 3. sind unzulässig.

Die Statthaftigkeit der gestellten Anträge ergibt sich aus § 47Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der VwGO (HessAGVwGO). Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof in Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGOüber die Gültigkeit im Rang unter dem Landesgesetz stehender Rechtsvorschriften, auch soweit diese nicht in § 47 Abs. 1 Nr. 1VwGO (als Satzungen erlassene Bauleitpläne) genannt sind. Die angegriffene Verordnung ist eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift. Zwar ist die angegriffene Geschäftsordnung nicht als Satzung erlassen worden und daher der Form nach keine Rechtsnorm mit Außenwirkung, sondern ein sog.Innenrechtssatz (Hess. VGH, Urteil vom 3. Mai 2007 – 8 N2474/06 –, LKRZ 2007, 280 = HGZ 2008, 21 = juris Rn 12 ff.).Derartige Rechtsvorschriften hat der Senat aber in seiner bisherigen Rechtsprechung hinsichtlich der Zulässigkeit der abstrakten (prinzipalen) Normenkontrolle stets Satzungen gleichgestellt (a.a.O., juris Rn. 13 f.):

 „Diese Bestimmung der Geschäftsordnung über die Fraktionsmindeststärke unterliegt als eine unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschrift nach diesen Vorschriften der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle. Zwar regelt die Geschäftsordnung nicht mit der für eine Rechtsvorschrift charakteristischen Außenwirkung das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, sondern lediglich die innere Organisation der Antragsgegnerin und den Ablauf ihrer Meinungs- und Willensbildung.Nach Sinn und Zweck des Normenkontrollverfahrens sind aber jedenfalls Bestimmungen einer Geschäftsordnung, die die Rechte von Mitgliedern kommunaler Vertretungsorgane in abstrakt-genereller Weise regeln, wie hier das Recht der Stadtverordneten, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, trotz ihres Charakters als bloße Innenrechtssätze in den Anwendungsbereich des § 47 VwGOeinzubeziehen. Durch die Möglichkeit einer allgemein verbindlichen Ungültigkeitserklärung einer untergesetzlichen Rechtsvorschrift soll der individuelle Rechtsschutz der Betroffenen dadurch verbessert werden, dass sie nicht gezwungen sind, eine inzidente Prüfung der Norm in einem Klageverfahren gegen eine darauf gestützte konkrete Verwaltungsentscheidung herbeiführen zu müssen;zugleich sollen dadurch die Verwaltungsgerichte entlastet werden.Diese Zwecke eines Normenkontrollantrags gemäß § 47 VwGO erfassen auch einen Streit um die innerorganisatorische Rechtsstellung der Mitglieder eines kommunalen Vertretungsorgans, denn es ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte anerkannt, dass solche Organrechte ebenso wie subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers im Klagewege durchgesetzt werden können, so dass es auch ein Bedürfnis für eine Normenkontrolle in diesem Innenrechtsstreit gibt (vgl.BVerwG, Beschluss vom 15. September 1987 - 7 N 1.87 -, NVwZ 1988 S.1119 ff. = juris Rdnrn. 6 bis 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Juni 2002 - 1 S 896/00 -, NVwZ-RR 2003 S. 56 ff. = juris Rdnr.18; Hess. VGH, Beschluss vom 24. Juli 2006 - 8 NG 1156/06 -, NVwZ2007 S. 107 ff. = juris Rdnr. 26).

Daraus ergibt sich auch, dass der Normenkontrollantrag entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht - wie bei einem Rechtsstreit im Außenverhältnis zwischen Gemeinde und Bürger -gegen die Gemeinde als Gebietskörperschaft, sondern - da es sich um ein organinternes Streitverfahren handelt - gegen das Organ zu richten ist, das die streitige Geschäftsordnung beschlossen hat,also gegen die Gemeindevertretung (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. Juli 2006, a.a.O., juris Rdnr. 24).“

Zwar unterscheidet sich die hier vorliegende Konstellation von dem damals zu entscheidenden Fall dadurch, dass § 12 Abs. 6 der hier angegriffenen Rechtsvorschrift nicht die Verhältnisse oder das Verhalten der Antragsteller zu 1. und 2. als Teilorgan bzw. als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung regeln soll, sondern das Verhalten beliebiger Personen ohne Rücksicht auf ihre Beziehungen zu diesem Gemeindeorgan betrifft. Wer sich dagegen im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle mit Aussicht auf Erfolg wehren kann (vgl. dazu auch Hess. VGH, Beschluss vom 24. Juli 2006 – 8 NG1156/06 – (HGZ 2006, 416 = NVwZ 2007, 107 = juris Rn. 26),ist aber keine Frage der Statthaftigkeit entsprechender Normenkontrollanträge, sondern ein Problem der Antragsbefugnis (§47 Abs. 2 VwGO).

Die Antragstellerin zu 1. ist unabhängig von ihrer Rechtsnatur (vgl. Ruder in: Rauber, Rupp u.a., HGO, Erl. 2 zu § 36a m.w.N.)jedenfalls als Vereinigung i. S. d. § 61 Nr. 2 VwGObeteiligtenfähig, weil ihr ein Recht zustehen kann (§ 36a Abs. 1 S.3 HGO, §§ 26 Abs. 1, 28 Abs. 1, 44 der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin zu 2.). Ob sie darüber hinaus als juristische Person anzusehen ist (so Ruder a.a.O.), was ihre Beteiligtenfähigkeit nach § 61 Nr. 1 VwGO zur Folge hätte, kann hier dahinstehen.

Die Beteiligtenfähigkeit der Antragsteller zu 2. und 3. ist unproblematisch gegeben, weil es sich um eine natürliche Person handelt (§ 61 Abs. 1 VwGO). Dass der Antragsteller zu 3. als Antragsteller zu 2. zugleich vermeintliche organschaftliche Rechte als Stadtverordneter verficht, ändert daran nichts.

Die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. sind jedoch nicht antragsbefugt, weil sie nicht geltend machen können,durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in absehbarer Zeit in ihren Rechten verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2Satz 1 VwGO). Denn zum einen hat die Aufnahme des § 12 Abs. 6 in die angegriffene Geschäftsordnung die schon kraft Gesetzes bestehende Einschränkung der Rundfunk- und Medienfreiheit bei Sitzungen von Gemeindevertretungen nicht verschärft, zum anderen haben Gemeindevertreter und von ihnen gebildete Fraktionen kein wehrfähiges Recht auf Herstellung der Rundfunk- und Medienöffentlichkeit während öffentlicher Sitzungen dieser Gremien.

Mit der Anfügung des § 52 Abs. 3 HGO durch Gesetz vom 16.Dezember 2011 (GVBl. I. S. 786) hat der Gesetzgeber bestätigt, dass mit der damals beibehaltenen Regelung in § 52 Abs. 1 HGO nur die prinzipiell zu gewährleistende sog. Saalöffentlichkeit von Sitzungen der Gemeindevertretung gemeint war und ist, die weitergehende Medienöffentlichkeit hingegen verboten bleibt,nunmehr allerdings mit dem Vorbehalt, dass durch die Hauptsatzung Film- und Tonaufnahmen mit dem Ziel der Veröffentlichung zugelassen werden können (VG Kassel, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 3 L109/12.KS –, NVwZ-RR 2012, 660 = juris Rn. 11 m.w.N.).

In dem dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden Änderungsantrag vom 2. November 2011 (LT-Drs. 18/4621) zu ihrem eigenen Entwurf für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze vom 4. August 2011 (LT-Drs.18/4031) haben die Fraktionen der CDU und SPD für den späteren § 52Abs. 3 HGO folgende Begründung gegeben (LT-Drs. 18/4621 S. 9f.):

 „Die durch das Internet in der Praxis immer bedeutsamere Frage der sog. Medienöffentlichkeit bei den Sitzungen der Gemeindevertretungen soll ebenso wie jüngst in Mecklenburg-Vorpommern (§ 29 Abs. 5 der dortigen Kommunalverfassung v. 13.07.2011) gesetzlich geregelt werden. Die bisherige Rechtslage – Zulassung des Internet-Streams mit einfacher Mehrheit,jedoch Veto-Recht für die Minderheitsange-hörigen bei eigenen Wortmeldungen – erscheint zunehmend unattraktiv und unbefriedigend.

Eine generelle – vom Willen der Gemeindevertreter unabhängige – gesetzliche Erlaubnis zum ‚Streamen‘, wie im Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKEv. 08.11.2010 vorgesehen (LT-Drs. 18/3116), ginge jedoch zu weit und kommt daher nicht in Betracht. Vielmehr soll es den Mandatsträgern vor Ort obliegen, die Hauptsatzung der Gemeinde entsprechend anzupassen, wenn sie die Internet-Übertragung wollen.Die Kommunalparlamente (vgl. § 32 HKO zur entsprechenden Anwendung auf die Kreistage) erhalten somit eine neue Möglichkeit, die Einwohner und Bürger am kommunalen Geschehen teilhaben zu lassen.

Durch die für diese Entscheidung erforderliche qualifizierte Mehrheit (§ 6 Abs. 2 S. 1 HGO) ist ein ausreichender Minderheitenschutz gewährleistet. Eine einstimmige Beschlussfassung, wie vom Hessischen Städte- und Gemeindebund im Rahmen der Anhörung gefordert (vgl. INA/18/65 S. 206), erscheint dagegen übertrieben und liefe in der Praxis allzu leicht auf einen Ausschluss von Ton- und Filmaufnahmen wie bei Gerichtsverfahren (vgl. § 169 GVG) hinaus. Es steht den Vertretungskörperschaften frei, durch entsprechende Ausgestaltung der Hauptsatzung die Medienöffentlichkeit auch bei den öffentlichen Sitzungen ihrer Hilfsorgane (Ausschüsse und Beiräte) zuzulassen.“

Mithin hat der Gesetzgeber das fortbestehende gesetzliche Verbot von Film- und Tonaufzeichnungen unter Erlaubnisvorbehalt gestellt mit der Maßgabe, dass nur durch die mit qualifizierter Mehrheit zu beschließende und zu ändernde Hauptsatzung – also generell durch Rechtsnorm und nicht für den Einzelfall – die Medienöffentlichkeit von Sitzungen der Gemeindevertretung ermöglicht werden kann.

Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens bewegt und nicht gegen höherrangiges Recht – insbesondere nicht gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG– verstoßen. Der Senat schließt sich hier dem Bundesverwaltungsgericht an, das zur Einschränkbarkeit der Pressefreiheit durch kommunalrechtliche Gesetzgebung in seinem Urteil vom 3. August 1990 – 7 C 14.90 – (BVerwGE 85,283 = juris Rn. 9) Folgendes ausgeführt hat:

 „Was die Rechtsgrundlage der Informationsbeschaffung im Pressewesen angeht, so hat der erkennende Senat entschieden, daßein Anspruch der Presse auf Information in seiner Ausprägung als Auskunftsanspruch gegen Behörden unmittelbar aus dem Grundgesetz nicht herzuleiten ist (BVerwGE 70, 310 <311 ff.>). Die Frage,wann und wo es zur Verwirklichung der Pressefreiheit im Bereich der Beschaffung publizistischer Informationen einer rechtlichen Verpflichtung öffentlicher Stellen zur Auskunft bedarf, kann weder mit einem - von der Verfassung vermeintlich vorgegebenen -einfachen Ja noch auf Grund einer allein am Einzelfall orientierten Betrachtung beantwortet werden. Das Grundgesetz hat es vielmehr den Gesetzgebern von Bund und Ländern überlassen, in Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen mit dem publizistischen Informationsinteresse zu regeln, ob und unter welchen – generell und abstrakt zu umschreibenden –Voraussetzungen ein Informationsrecht der Presse in der Form des Anspruchs auf Auskunft behördlicher Stellen besteht. Diese Erwägung trifft in gleicher Weise auf den hier in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Schutz der Informationsbeschaffung gegenüber der öffentlichen Verwaltung in der speziellen Form der Tonaufzeichnung von öffentlichen Sitzungen einer Gemeindevertretung zu. Auch die Zulässigkeit dieser Modalität der Beschaffung pressebedeutsamer Informationen ist nicht abschließend in der Verfassung vorentschieden; auch insoweit behält das Grundgesetz dem Gesetzgeber, hier dem für die Regelung des Kommunalrechts berufenen Landesgesetzgeber, die Entscheidung darüber vor, ob und wie er normiert.“

Dass die Antragsgegnerin zu 2. von der Ermächtigung in § 52 Abs.3 HGO keinen Gebrauch machen wollte, ergibt sich daraus, dass sie nach der Beratung eines entsprechenden Antrags in ihrem Ältestenrat nicht die Hauptsatzung, sondern auf dessen Vorschlag ihre Geschäftsordnung ergänzt hat. Durch diese Regelung werden die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. derzeit und in absehbarer Zukunft nicht in ihren Rechten verletzt (§ 47 Abs. 2 S.1 VwGO).

Zwar hat der Senat mit Urteil vom 6. November 2008 – 8 A674/08 – (NVwZ-RR 2009, 531 = juris Rn. 25 ff.) entschieden,dass Gemeindevertreter in Hessen ein wehrfähiges organschaftliches Recht darauf haben, in einem Kommunalverfassungsstreitverfahren gegen die Gemeindevertretung die Rechtswidrigkeit eines zu Unrecht erfolgten Ausschlusses der (Saal-) Öffentlichkeit feststellen zu lassen. Dies beruht aber darauf, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 52 Abs. 1 S. 2 HGO eine Schweigepflicht der Gemeindevertreter hinsichtlich der nichtöffentlich beratenen Gegenstände auslösen und sie dadurch in ihrer künftigen Mandatsausübung beeinträchtigen kann (§§ 24 Abs. 1, 35 Abs. 2 S. 1HGO). Derartige Rechtsfolgen hat ein Festhalten der Gemeindevertretung am gesetzlichen Verbot von Film- und Tonaufnahmen für die Gemeindevertreter und ihre Fraktionen nicht.Sie werden dadurch allenfalls reflexartig tangiert, weil sie nicht die Möglichkeit erhalten, die Tätigkeit dieses Gremiums in bestimmter, von ihnen gewünschter technischer Form zu dokumentieren und für ihre Öffentlichkeitsarbeit aufzubereiten. Dies hindert sie aber nicht an der wirksamen Wahrnehmung ihres Mandats.

Aus dem Senatsurteil vom 6. November 2008 (a.a.O.) lässt sich zugunsten der Antragstellerin zu 1. und des Antragstellers zu 2. im Übrigen auch deshalb nichts herleiten, weil sie sich weder durch eigene Anträge aufgrund ihres Antragsrechts nach § 26 Abs. 1 a.F.der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin zu 2. noch in sonst erkennbarer Weise, etwa durch Unterstützung des entsprechenden Antrags der FDP-Fraktion für eine Umsetzung des § 52 Abs. 3 HGO in der Hauptsatzung eingesetzt, sondern lediglich gegen die angegriffene Änderung der Geschäftsordnung gestimmt haben. Der Senat hatte aber in dem Urteil vom 6. November 2008 (a.a.O.) schon die Antragsbefugnis der betroffenen Gemeindevertreter – und nicht erst ihr Rechtschutzbedürfnis – für einen Normenkontrollantrag davon abhängig gemacht, dass sie zuvor selbst im Einzelfall von allen ihnen nach Gesetz und Geschäftsordnung zustehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht hatten, um eine öffentliche Beratung und Beschlussfassung über den betroffenen Gegenstand zu erreichen. Dies haben die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. hier in Bezug auf eine Herstellung der Medienöffentlichkeit nicht getan.

Da die von der Antragstellerin zu 1. und dem Antragsteller zu 2.begehrte Ungültigkeitserklärung von § 12 Abs. 6 der angegriffenen Geschäftsordnung das aus § 52 Abs. 1 und 3 HGO folgende Verbot der von ihnen angestrebten Film- und Tonaufnahmen nicht aufheben würde,fehlt ihnen auch das Rechtsschutzbedürfnis für ihre Normenkontrollanträge. Denn um ihr Ziel zu erreichen, müssten sie eine Änderung der Hauptsatzung der Antragsgegnerin zu 1. nach Maßgabe der §§ 6 Abs. 2, 52 Abs. 3 HGO durchsetzen, was mit einem Normenkontrollantrag nicht möglich ist. Zwar ist anerkannt, dass Ansprüche auf Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen im Verwaltungsrechtsweg durchgesetzt werden können, aber nicht im Verfahren nach § 47 VwGO, sondern mit einer sog. Normerlassklage,wobei als zulässige Klageart überwiegend die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO angesehen, alternativ aber auch die Zulässigkeit einer allgemeinen Leistungsklage erwogen wird (BVerwG,Urteil vom 3. November 1988 – 7 C 115.86 –, BVerwGE 80,355 = juris Rn. 20 ff.; Urteil vom 30. September 2009 – 8 CN1.08 –, NVwZ-RR 2010, 578 = juris Rn. 18 m.w.N.; kritisch Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, Rn. 13 zu § 47 m.w.N.).Unabhängig von der Klageart wäre für eine Normerlassklage aber instanziell nicht der Hessische Verwaltungsgerichtshof, sondern in erster Instanz das Verwaltungsgericht Gießen zuständig. Für einen im Verfahren nach § 47 VwGO teilweise für zulässig erachteten Normergänzungsantrag fehlt hier die Grundlage, weil die Antragsgegnerin zu 2. von der Satzungsermächtigung in § 52 Abs. 3HGO überhaupt keinen Gebrauch gemacht und nicht lediglich lückenhafte Satzungsbestimmungen erlassen hat (vgl. Kopp-Schenke,a.a.O. Rn. 14 m.w.N.).

Mithin sind die Normenkontrollanträge der Antragstellerin zu 1.und des Antragstellers zu 2. als unzulässig abzulehnen.

Gleiches gilt im Ergebnis auch für den Normenkontrollantrag des als natürliche Person ohne Weiteres beteiligtenfähigen Antragstellers zu 3. (§ 61 Abs. 1 VwGO).

Seine Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 VwGO) ist sowohl rechtlich als auch tatsächlich problematisch, kann aber als gegeben unterstellt werden, weil auch er aus den bereits dargestellten Gründen jedenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis für seinen Normenkontrollantrag hat.

Als wehrfähiges Recht kommt beim Antragsteller zu 3. vor allem Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG i.V.m. dem zu seiner Auslegung heranzuziehenden Art. 10 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S.1198) in Betracht.Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in Art. 5 S. 2 GG explizit geschützten Medienfreiheiten (Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit)zwar grundsätzlich entwicklungsoffen für neue Techniken sind, aber nicht ohne Weiteres zu einer „diffusen allgemeinen Medienfreiheit“ – etwa im Sinne einer „Internetfreiheit“ – führen (Degenhart in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Juni 2011, Rn 20 f. zu Art. 5 GGm.w.N.). Während die Informationsverbreitung und Meinungsäußerung über Internet durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sehr weitgehend gewährleistet ist, greift besonders für die Informationsbeschaffung zur Verbreitung im Internet der Schrankenvorbehalt im Hinblick auf die allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG). Noch stärker werden vor allem die Rundfunk- und Filmfreiheit durch Art.10 Abs. 1 S. 3, Abs.2 EMRK beschränkt. Es ist daher rechtlich sehr zweifelhaft, ob der Antragsteller zu 3. ein wehrfähiges Recht auf Zulassung der durch §52 Abs. 1 und 3 HGO verbotenen Film- und Tonaufnahmen hat.

Es ist auch vom Tatsächlichen her nicht davon auszugehen, dass er ein durch Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK geschütztes „Medium“ betreibt oder in absehbarer Zeit betreiben will. Die Antragsgegnerinnen haben unwidersprochen darauf hingewiesen, dass er beruflich nicht als Journalist, sondern als Student tätig sei. Die angeblich betriebene Internetplattform sei zwar freigeschaltet, aber ohne Inhalte. Bisher sei der Antragsteller zu 3. publizistisch lediglich durch Mitteilungen über Aktivitäten seiner Fraktion in einer Internetpublikation namens „www.giessener-zeitung.de“ in Erscheinung getreten.Auch die vom Antragsteller zu 3. in der mündlichen Verhandlung hierzu abgegebenen Erklärungen sprechen eher dafür, dass nicht er als Privatperson, sondern die Antragstellerin zu 1. die Internetplattform www…..de betreiben will; ihr stehen aber die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK nicht zu.

Dies alles kann letztlich dahinstehen, denn jedenfalls fehlt auch dem Antragsteller zu 3. ein Rechtsschutzbedürfnis, weil er sein Ziel mit einem Normenkontrollantrag nicht erreichen kann. Auch er ist auf die Möglichkeit einer Normerlassklage auf Umsetzung der Ermächtigung durch § 52 Abs. 3 HGO in der Hauptsatzung der Antragsgegnerin zu verweisen. Auf die Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis der übrigen Antragsteller in diesem Urteil wird Bezug genommen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen,weil sie unterliegen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Es erscheint angebracht,der Antragstellerin zu 1. und dem Antragsteller zu 2. je ein Viertel der Kosten aufzuerlegen, weil sie beide weitgehend identische organschaftliche Rechte geltend gemacht haben, während sich der Antragsteller zu 3. allein auf ein persönliches Grundrecht berufen hat und deshalb die andere Hälfte der Kosten tragen muss (§§ 159 S. 1 VwGO, 100 Abs. 2 ZPO).

Das Urteil wird wegen der Kosten mit Abwendungsbefugnis der Kostenschuldner für vorläufig vollstreckbar erklärt (§ 167 Abs. 2VwGO analog, 708 Nr. 10, 711 ZPO).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe fehlen (§132 Abs. 2 VwGO). Die durch den Fall aufgeworfenen bundesrechtlichen Grundsatzfragen sind durch die zitierte Rechtsprechung geklärt.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Der Streitwert wird entsprechend den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 5.000,-€ festgesetzt (NVwZ 2004, 1327; Nr. 35.5 Normenkontrolle), da die Antragsteller kein wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung haben (§ 52 Abs. 2 GKG). Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S. 5 GKG).

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