OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 02.07.2013 - 6 WF 104/13
Fundstelle
openJur 2013, 43723
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Michelstadt vom 15.05.2013 wird verworfen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,00 Euro.

Gründe

Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch gem. §§ 63 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unzulässig.

I.

Mit Schreiben vom 21.12.2012 schickte die Staatsanwaltschaft Darmstadt an das Amtsgericht - Familiengericht - Michelstadt ein als Antrag formuliertes Schreiben mit dem Begehren, für die Kinder ... einen Ergänzungspfleger zu bestellen. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass die leibliche Mutter der drei Kinder und ihr Lebensgefährte beschuldigt werden, hinsichtlich zweier weiterer Kinder ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht vernachlässigt zu haben. Um zu überprüfen, ob die Kinder ordnungsgemäß versorgt wurden, seien ärztliche Unterlagen beizuziehen und solle versucht werden, A [Kind] zu vernehmen.

Die Kindesmutter hat für die drei Kinder das gemeinsame Sorgerecht mit dem gesetzlichen Kindesvater, der nicht ihr derzeitiger Lebensgefährte ist. Der sorgeberechtigte Kindesvater hält sich derzeit in der JVA ... auf. In Bezug auf D [Kind] ist ein Abstammungsverfahren anhängig.

Nachdem der mit Beschluss vom 18.01.2013 für die Kinder bestellte Verfahrensbeistand in seiner Stellungnahme erklärt hatte, dass A nicht aussagebereit ist, erklärte die Staatsanwaltschaft nach Hinweis des Amtsgerichts, dass sie den Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers in Bezug auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für A zurücknehme.

In seiner schriftlichen Anhörung durch das Amtsgericht erklärte der sorgeberechtigte Kindesvater mit Schreiben an das Gericht vom 01.05.2013, dass er mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten und als Sorgeberechtigter gesondert seine Zustimmung zur Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht erklären werde.

Mit Beschluss vom 15.05.2013 entzog das Amtsgericht Michelstadt der Kindesmutter für die drei Kinder in Bezug auf die Entscheidung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht das Sorgerecht und übertrug es auf eine berufsmäßig bestellte Ergänzungspflegerin. Einen teilweisen Entzug der Sorge bei dem Kindesvater in Verbindung mit der Bestellung eines Ergänzungspflegers lehnte das Amtsgericht in diesem Beschluss ab.

Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Darmstadt mit Schreiben vom 23.05.2013, bei Gericht per Fax eingegangen am gleichen Tag, Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass sie zum einen auch nach dem seit September 2009 geltenden Recht beschwerdeberechtigt ist und dass zum anderen hier ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist. Wegen der Gefahr einer den Interessen der Kinder zuwiderlaufenden Entscheidung durch den Kindesvater sei vorbeugend die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich. Der äußerlich nur bei einem Elternteil gegebene Interessengegensatz könne wegen gleichgelagerter Interessen auch zu einem Interessengegensatz beim anderen Elternteil führen. Dass die Eltern getrennt leben, führe nicht dazu, dass man von einem sachgerechten Verhalten des Kindesvaters ausgehen kann, zumal gegen die Kindeseltern im Jahr 2007 bereits ein Strafverfahren wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflichten eingeleitet worden war, das gem. § 153a StPO eingestellt wurde. Zuletzt sei wegen der jederzeitigen Widerrufsmöglichkeit der Zusage des Kindesvaters vorbeugend ein Ergänzungspfleger zu bestellen.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Verfahren nicht beschwerdeberechtigt im Sinne des § 59 FamFG ist.

Nach altem Recht wurde der Staatsanwaltschaft ein Beschwerderecht zugebilligt (siehe Engelhardt in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., 2005, § 57 Rn 18). Dies wurde in der Rechtsprechung auf § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.06.1999, Az.: 3 W 132/99, FamRZ 2000, 243, Rn 8 zitiert nach juris) oder - ohne Begründung - auf § 20 FamFG gestützt (Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.08.2005, Az.: 14 UF 64/05, OLGR Naumburg 2006, 392, Rn 2 zitiert nach juris).

Nach neuem Recht setzt ein Beschwerderecht jedenfalls eine Rechtsbeeinträchtigung oder eine spezialgesetzlich normierte Beschwerdebefugnis voraus. Denn gem. § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde nur demjenigen zu, der durch den angefochtenen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. § 59 Abs. 1 FamFG entspricht inhaltlich der Regelung in § 20 Abs. 1 FGG. Erforderlich ist eine Beeinträchtigung von Rechten, die von einer bloßen Beeinträchtigung von Interessen zu unterscheiden ist. (BGH, Beschluss vom 18.04.2012, Az.: XII ZB 623/11, FamRZ 2012, 292, Rn 8, zitiert nach juris). Die neue durch das FamFG getroffene Regelung der Beschwerdebefugnis unterscheidet sich von der Regelung durch das FGG insoweit, als § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG keinen Eingang in das FamFG gefunden hat. Nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG stand gegen eine Verfügung, durch welche die Anordnung einer Pflegschaft abgelehnt oder aufgehoben wird, jedem, der ein rechtliches Interesse an der Änderung der Verfügung hat, ein Beschwerderecht zu. § 57 FGG wurde in das neue Recht nicht übernommen. Stattdessen ist die Beschwerdebefugnis in § 59 FamFG zusammenfassend geregelt. Über den Fall der Rechtsbeeinträchtigung hinaus räumt § 59 FamFG nur Behörden bei entsprechender besonderer gesetzlicher Anordnung eine Beschwerdebefugnis zu (BGH, a.a.O.). Daneben bestehen im FamFG im Betreuungs- und Unterbringungsrecht spezialrechtliche Ausdehnungen der Beschwerdebefugnis (siehe §§ 303 und 335 FamFG). Gesetzliche Anordnungen im Sinne des § 59 Abs. 3 FamFG finden sich im FamFG z.B. für das Jugendamt (u.a. §§ 162 Abs. 3 Satz 2, 194 Abs. 2, 205 Abs. 2 und 213 Abs. 2 FamFG) und außerhalb des FamFG z.B. für das Standesamt (§ 53 Abs. 2 PStG). Für die Staatsanwaltschaft existiert eine solche spezialgesetzliche Regelung - anders als z.B. in den verschiedenen Berufsordnungen (§ 157 Abs. 2 BRAO, § 118 Abs. 3 Steuerberatungsgesetz, § 95 Abs. 3 des Gesetzes über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer, § 116 Abs. 3 Patentanwaltsordnung) - in Verfahren nach dem FamFG nicht. Die spezialgesetzliche Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz a.F., nach der die Staatsanwaltschaft in dem vormundschaftsgerichtlichen Verfahren über die Genehmigung einer Entlassung einer unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft stehenden Person aus der deutschen Staatsangehörigkeit beschwerdebefugt war, wurde im Rahmen des FGG-Reformgesetztes mangels Bedeutung aufgehoben (siehe Art. 3 des FGG-Reformgesetztes und S. 316 der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/6308). Eine Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft lässt sich daher nach geltendem Recht nicht auf eine spezialgesetzliche Norm stützen.

Eine nach neuem Recht erforderliche Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen der Staatsanwaltschaft ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Ein solches rechtlich schutzwürdiges Interesse muss sich nicht aus normiertem einfach- oder verfassungsrechtlichen Vorschriften ergeben, sondern kann auch auf geltenden Rechtsgrundsätzen wie z.B. dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes basieren (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2011, Az.: XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465, Rn 11, zitiert nach juris). Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses, als in Betracht kommendes rechtlich geschütztes Interesse, sind vorliegend aber nicht erkennbar. Dass aus dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse nicht zwingend ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Entscheidung des Sorgeberechtigten zugunsten der Beweiserhebung folgen kann, bedarf keiner weiteren Begründung. Rechtlich geschützt ist nur das Interesse an der Bestimmung eines Entscheidungsträgers für das Kind, der allein im Interesse des Kindes handelt. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Strafverfolgungsinteressen wäre im Fall einer notwendigen Entscheidung über die Entbindung eines die Kinder behandelnden Arztes von der Schweigepflicht entsprechend möglich, wenn der sorgeberechtigte Elternteil wegen Interessengegensatzes gem. § 1629 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB an der Vertretung der Kinder gehindert und daher das Sorgerecht in diesem Bereich zu entziehen und ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist. Anders als im Fall der Entscheidung über ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO tritt der Sorgerechtsentzug nicht kraft Gesetzes ein, sondern durch gerichtliche Entscheidung (OLG Hamburg, Beschluss vom 26.03.2013, Az.: 13 UF 81/12, Rn 20, zitiert nach juris). Dabei wird im vorliegenden Fall angesichts des Alters der Kinder davon ausgegangen, dass sie keinesfalls selbst die Entscheidung treffen können (zur Zulässigkeit einer generalisierten Betrachtungsweise anhand des Alters der Kinder siehe Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 26.03.2013, Az.: 13 UF 81/12, Rn 22, zitiert nach juris). Nach § 1629 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB soll einem Elternteil das Sorgerecht nur entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zum Interesse des Elternteils als gesetzlichem Vertreter in erheblichem Gegensatz steht. Ein erheblicher Interessengegensatz ist dabei gegeben, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.03.2012, Az.: 2 WF 42/12, FamRZ 2013, 45 (Leitsatz), NJW-RR 2012, 839, Rn 26, zitiert nach juris; Beschluss vom 27.03.2003, Az. 16 UF 25/03, FamRZ 2004, 51, Rn 9 zitiert nach juris). Dabei müssen im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die sorgeberechtigten Eltern aufgrund eines erheblichen Interessengegensatzes nicht in der Lage sind, das Kindesinteresse in der gebotenen Weise zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe, a.a.O.). Selbst bei "typischen" Interessenkollisionen liegt es im Rahmen tatrichterlicher Verantwortung, nach Abwägung aller Umstände zu entscheiden, ob eine vorbeugende Pflegschaftsanordnung geboten oder ein Zuwarten ratsam erscheint, wobei sich letzteres anbietet, wenn aufgrund der Einzelumstände kein Anlass zu der Annahme besteht, dass der Vertreter die Belange des Kindes nicht in gebotenem Maße wahrt und fördert (BGH, Beschluss vom 05.03.2008, Az.: XII ZB 2/07, FamRZ 2008, 1156, Rn 16, zitiert nach juris). Da es sich bei der Entziehung der Vertretungsbefugnis um einen Eingriff in das Elternrecht handelt, ist zudem das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind nicht ausreichend, sondern darüber hinaus der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (BGH, Beschluss vom 18.01.2012, Az.: XII ZB 489/11, FamRZ 2012, 436, Rn 7 zitiert nach juris, Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O., Rn 20, zitiert nach juris). Dies führt dazu, dass selbst wenn ein Interessengegensatz feststellbar ist, das Sorgerecht nicht entzogen werden darf, wenn zu erwarten ist, dass der Sorgerechtsinhaber im Interesse seines Kindes handelt (OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Nach der danach erforderlichen tatrichterlichen Gesamtabwägung vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit ist eine Beeinträchtigung der Strafverfolgungsinteressen der Staatsanwaltschaft derzeit nicht erkennbar. Es ist schon zweifelhaft, ob hier ein Interessenwiderstreit mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, denn der sorgeberechtigte Kindesvater ist nicht Beschuldigter des Strafverfahrens und lebt mit der Kindesmutter nicht mehr zusammen. Ein Strafverfahren, das gegen die Kindeseltern im Jahr 2007 eingeleitet und im Jahr 2010 nach § 153a StPO vorläufig eingestellt wurde, kann keinen gleichgelagerten Interessenwiderstreit begründen, solange die erteilten Auflagen und Weisungen erfüllt werden. Dass letzteres nicht der Fall ist, hat die Staatsanwaltschaft nicht vorgetragen. Auch entsteht hier kein Interessenwiderstreit dadurch, dass der Kindesvater selbst Interesse an dem erfolgreichen Ausgang des Strafverfahrens hat, z.B. als Initiator des Strafverfahrens zur Vermeidung einer falschen Beschuldigung (so in dem der Entscheidung des Hanseatischen OLG zu Grunde liegenden Fall, a.a.O., Rn 22, zitiert nach juris) oder wegen eines in Bezug auf die Kinder laufenden Sorgerechtsverfahrens. Der vorbeugende Entzug des Sorgerechts mit Bestellung eines Ergänzungspflegers ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Die erforderliche hinreichend konkrete Gefahr einer den Interessen des Kindes zuwiderlaufenden Entscheidung durch den Sorgeberechtigten ist hier nicht gegeben. Es besteht keine hinreichend konkrete Gefahr, dass der Kindesvater über die Entbindung der die Kinder behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht nicht von den Interessen der Kinder geleitet entscheiden wird. Er hat schriftlich bekundet, dass er beabsichtigt, mit der Staatsanwaltschaft im Interesse der Kinder zusammenzuarbeiten und angekündigt, dass er beabsichtigt, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Anhaltspunkte dafür, dass der Kindesvater diese Erklärung widerrufen wird, liegen nicht vor. Die abstrakte Gefahr eines Widerrufs der Erklärung reicht für den teilweisen Entzug des Sorgerechts nicht aus.

Da im Hinblick auf das Sorgerecht des Kindesvaters keine einschränkenden Anordnungen getroffen werden, ist der Ausgang des in Bezug auf D. angestrengten Abstammungsverfahrens und mögliche daran anschließende Sorgerechtsverfahren hier ohne Belang.

Aufgrund der Kostenfreiheit der Beschwerdeführerin ergeht die Kostenentscheidung nicht auf der Grundlage des § 84 FamFG, sondern nach § 81 FamFG. Wegen der Kostenfreiheit der Beschwerdeführerin sind Gerichtskosten nicht zu erheben. Im Übrigen basiert die Kostenentscheidung auf billigem Ermessen, wobei berücksichtigt wurde, dass sich im Beschwerdeverfahren niemand außer der Beschwerdeführerin eingelassen und die sich stellende Frage der Beschwerdebefugnis bisher nicht höchstrichterlich entschieden ist.

Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Die Frage des Inhalts und Umfangs einer Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft im familiengerichtlichen Verfahren über die Bestellung eines Ergänzungspflegers hat grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung über den Beschwerdewert beruht auf §§ 40, 45 FamGKG.