VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.10.2013 - 6z L 1106/13
Fundstelle
openJur 2013, 43258
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Die Antragstellerin hat nicht gemäß § 123 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Zuteilung des begehrten Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin nach den für das Wintersemester 2013/2014 maßgeblichen Regeln und tatsächlichen Verhältnissen zusteht.

Studienplätze im Studiengang Humanmedizin werden gemäß § 1 Satz 2 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen - VergabeVO - in Verbindung mit ihrer Anlage 1 in einem zentralen Vergabeverfahren nach Maßgabe der §§ 6 ff. VergabeVO vergeben. Die Antragstellerin erfüllt mit einer Wartezeit von zwölf Halbjahren und der Abiturnote 2,2 exakt die für eine Auswahl nach Wartezeit (§ 14 VergabeVO) zum Wintersemester 2013/2014 maßgebliche Auswahlgrenze. Sie ist jedoch bei der Verlosung unter den die Auswahlgrenze genau erreichenden Bewerbern (§ 18 Abs. 2 Satz 2 VergabeVO) nicht zum Zuge gekommen. In der Abiturbestenquote hat die Antragstellerin sich nicht beworben; im Übrigen lag die Auswahlgrenze für Bewerber mit Hochschulzugangsberechtigung aus Nordrhein-Westfalen bei 1,0.

Die Auffassung der Antragstellerin, dass das geltende System der Studienplatzvergabe zu Lasten langjährig Wartender gegen Verfassungsrecht verstößt, teilt auch die beschließende Kammer. Sie hat diese Auffassung in ihrem Vorlagebeschluss vom 19. März 2013 ausführlich begründet.

VG Gelsenkirchen, Vorlagebeschluss vom 19. März 2012 - 6 K 4171/12 u.a. -, juris und www.nrwe.de.

Die Kammer hat indes bereits in dem vorgenannten Beschluss ausgeführt, dass aus der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften kein unmittelbarer Zulassungsanspruch des langjährig wartenden Bewerbers resultiert, und sich damit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen angeschlossen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 u.a. -, NJW 2012, 1096 ff.; siehe auch die Beschlüsse der Kammer vom 8. Oktober 2012 - 6z L 1018/12 -, juris, vom 5. Februar 2013 - 6z L 13/13 - und vom 28. März 2013 - 6z L 303/13; anders noch die Beschlüsse vom 28. und 29. September 2011 - 6 L 940/11 u.a. -, juris.

Soweit die Antragstellerin mit Blick auf die überlange Wartezeit eine Zulassung über die Härtefallregelung des § 15 VergabeVO begehrt, vermag die Kammer ihr ebenfalls nicht zu folgen.

Eine Härtefallzulassung dürfte bereits daran scheitern, dass die Antragstellerin den gemäß § 15 VergabeVO erforderlichen Antrag (Sonderantrag D) nicht gestellt hat. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht der Kammer in seinem Beschluss vom 6. September 2012 - 1 BvL 13/12 - vorgehalten, sie habe sich entgegen ihrer Amtsermittlungspflicht mit der Möglichkeit einer Zulassung gemäß § 15 VergabeVO nicht hinreichend befasst, obwohl auch die Klägerin des dem Bundesverfassungsgericht seinerzeit vorgelegten Verfahrens gar keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Das Bundesverfassungsgericht scheint den in § 15 VergabeVO vorgesehenen Antrag also - möglicherweise aufgrund verfassungskonformer Auslegung - im Einzelfall für entbehrlich zu halten.

Die Kammer braucht sich indes mit dem Antragserfordernis nicht näher zu befassen, weil sie der Überzeugung ist, dass eine besondere Härte im Sinne von § 15 VergabeVO vorliegend nicht gegeben ist. Die Studienplätze der Härtequote werden an Bewerber vergeben, für die es eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, wenn sie keine Zulassung erhielten. Eine außergewöhnliche Härte liegt gemäß § 15 Satz 2 VergabeVO und Art. 9 Abs. 3 Vergabestaatsvertrag 2008 vor, wenn besondere, insbesondere soziale oder familiäre Gründe in der Person des Bewerbers die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern.

Dass allein der Umstand einer überlangen Wartezeit für sich genommen keine Härte im Sinne des § 15 VergabeVO zu begründen vermag, hat die Kammer in ihrem Vorlagebeschluss vom 19. März 2013 - 6z K 4171/12 - bereits erläutert (dort unter III. 2. - S. 94 ff.). An den dortigen Ausführungen hält die Kammer weiter fest und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug. Eine Zulassung von Studienbewerbern über die Härtefallregelung allein wegen ihrer überlangen Wartezeit erscheint der Kammer nach wie vor nicht vertretbar.

Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. September 2012 - 1 BvL 13/12 - darauf hingewiesen hat, dass die Härtefallquote zwar in der (untergesetzlichen) Vergabeverordnung auf 2% begrenzt sei, der Vergabestaatsvertrag 2008 aber eine Verteilung von bis zu 20% der Studienplätze in den Vorabquoten ermögliche, gilt im Übrigen Folgendes: Zum vorliegend streitgegenständlichen Wintersemester 2013/2014 konnten im Studiengang Humanmedizin insgesamt 9.068 Plätze vergeben werden. Davon sind nach den Angaben der Antragsgegnerin (Bl. 23 der GA) 1.046 Plätze - 11,54% - in den Vorabquoten vergeben worden (Ausländer: 468, Bundeswehr: 214, Härte 52, Zweitstudium: 312). Hätte man über diese 1.046 Plätze hinaus alle Bewerber, die mit zwölf oder mehr Halbjahren Wartezeit keinen Studienplatz erhalten haben, als Härtefälle zugelassen, so wären weitere 1.311 Zulassungen hinzugekommen (so die Angabe der Antragsgegnerin, Bl. 27 der GA). Es wären also insgesamt (1.046 + 1.311 =) 2.357 Studienplätze in den Vorabquoten vergeben worden, was einem Anteil von rund 25,99% der Studienplätze entspricht. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass durch eine Erweiterung der Vorabquotenzulassungen auf 25,99% zwangsläufig die Zahl der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze gesunken wäre; statt (9.068 - 1.046 =) 8.022 Plätzen hätten in den Hauptquoten nur noch (9.068 - 2.357 =) 6.711 Plätze vergeben werden können. Dadurch wäre auch die Zahl der in der Wartezeitquote verfügbaren Plätze (20%) von 1.604 auf 1.342 gesunken. Es hätten also 262 weitere Bewerber mit zwölf oder mehr Halbjahren Wartezeit keine Zulassung in der Wartezeitquote erhalten. Auch sie hätten konsequenterweise in der Härtefallquote zugelassen werden müssen, wodurch die Zahl der in den Vorabquoten Zugelassenen auf (2.357 + 262 =) 2.619 (28,88%) angestiegen wäre (und so weiter). Insgesamt wäre also jedenfalls die Limitierung der Vorabquoten auf zwei Zehntel in Art. 9 Abs. 1 des Vergabestaatsvertrags 2008 gesprengt und die Härtefallquote zu einer Hauptquote erweitert worden. Als "verfassungskonforme Auslegung" lässt sich dies weder bezeichnen noch rechtfertigen.

Ein (geringfügig) anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man die 167 Bewerber herausrechnet, die grundsätzlich in der Wartezeitquote ausgewählt worden sind, aber wegen der Verengung ihres Antrags auf nur eine Hochschule oder wenige Hochschulen nicht haben zugelassen werden können (vgl. die Angaben der Antragsgegnerin, Bl. 27 der GA). Da diese Bewerber durch die Beschränkung ihres Zulassungsantrags selbst dazu beigetragen haben, dass "ihr" Wartezeitstudienplatz nicht zugeteilt werden konnte und daher in das Auswahlverfahren der Hochschulen verschoben worden ist, wäre es denkbar, ihnen trotz der langen Wartezeit eine Härtefallzulassung zu versagen. Auch ohne diese 167 Bewerber würde allerdings das 20%-Limit des Art. 9 Abs. 1 Vergabestaatsvertrag 2008 deutlich überschritten.

Ist somit eine generelle Zuordnung aller langjährig Wartenden zur Härtefallquote nicht möglich, so bleibt nur die Annahme eines Härtefalles aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalles. Besondere Umstände, die gerade bei der Antragstellerin - im Vergleich zu der Vielzahl der anderen langjährig Wartenden - eine außergewöhnliche Härte begründen könnten, sind indessen nicht ersichtlich. Dies gilt entgegen der Annahme der Antragstellerin auch für den Umstand, dass diese eine auf das Medizinstudium hinführende Berufsausbildung absolviert hat. Denn es ist nicht ersichtlich, dass gerade dieser Umstand zu einer besonderen Härte führt. Dass die Antragstellerin, die nach dem Erwerb der Hochschulreife und vor der Aufnahme der MTA-Ausbildung noch mit einer deutlich kürzeren Wartezeit, jedenfalls aber mit einer Zulassung zum Studium innerhalb einer zumutbaren Wartezeit gerechnet haben dürfte, sich in ihrem Vertrauen enttäuscht sieht, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Allerdings teilt sie dieses Schicksal mit einer Vielzahl von Mitbewerbern, von denen wiederum ein großer Anteil ebenfalls zunächst eine einschlägige Berufsausbildung angetreten hat. Eine schematisierende Zuordnung all dieser Bewerber zur Härtefallquote würde deren Charakter als Ausnahmeregelung, die der Lösung von Problemen des Einzelfalles dient, erkennbar zuwider laufen. Auch insoweit nimmt die Kammer auf die Ausführungen in ihrem Vorlagebeschluss vom 19. März 2013 - 6z K 4171/12 - (dort unter III.2. - S. 99 f.) Bezug. Dort hat die Kammer im Übrigen auch dargelegt, dass eine Bevorzugung derjenigen Bewerber, die jahrelang kontinuierlich auf einen Studienplatz gewartet haben gegenüber Gelegenheitsbewerbern, die sich erstmals, aber mit erheblicher "Wartezeit" um einen Studienplatz bemühen, derzeit aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt, wenngleich eine solche Differenzierung im Ergebnis durchaus wünschenswert erschiene.

Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, dass die Härtefallquote ohnehin nicht bis zum Limit von 2% ausgeschöpft werde, und damit möglicherweise zum Ausdruck bringen möchte, dass jedenfalls diejenigen langjährig Wartenden, die sich zu einem gerichtlichen Vorgehen entschieden haben, in dieser Sonderquote zugelassen werden könnten, verkennt sie die Folgen eines solchen Vorgehens. Die Plätze, die in der Härtefall-Vorabquote nicht vergeben werden, bleiben nicht etwa unbesetzt, sondern sie fallen gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 VergabeVO in die Wartezeitquote. Die Vergabe eines Studienplatzes der Härtefallquote an die Antragstellerin hätte also zur Folge, dass ein anderer Bewerber mit mindestens ebenso langer Wartezeit keine Zulassung erhalten könnte. Für eine solche Bevorzugung der Antragstellerin sieht die Kammer keine Rechtfertigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Praxis des erkennenden Gerichts in Verfahren der vorliegenden Art.