ArbG Herne, Urteil vom 16.08.2011 - 2 Ca 1419/11
Fundstelle
openJur 2013, 41862
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.346,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2011 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 9.346,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Rückzahlungsverpflichtung wegen Fortbildungskosten.

Die Klägerin beschäftigte den Beklagten seit dem 01.04.2004 als Gesundheits- und Krankenpfleger.

Unter dem 12.12.2005 unterschrieben die Parteien folgende "Nebenabrede":

"Nebenabrede zum Arbeitsvertrag

vom 31.08.2004

geschlossen zwischen der

Ev. Krankenhausgemeinschaft H1/C1 gGmbH,

und

Herrn A1 G1

geboren am 22.12.1960

wohnhaft in 12345 D1, Hstr. 12

(1) Im Rahmen der nachfolgend genannten Weiterbildung "Fachpflege Psychiatrie" wird die Ev. Krankenhausgemeinschaft H1/C1 gGmbH den Mitarbeiter für den Besuch des Lehrgangs freistellen und die Lehrgangsgebühren übernehmen.

(2) Der Angestellte verpflichtet sich, die der Ev. Krankenhausgemeinschaft entstandenen Aufwendungen für die Weiterbildung, einschließlich der Lohnfortzahlungskosten - wie nachfolgend beschrieben - zu ersetzen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Angestellten oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde endet. Ausgenommen ist die Kündigung bzw. der Auflösungsvertrag aufgrund einer Schwangerschaft oder Niederkunft in den letzten drei Monaten. Endet das Arbeitsverhältnis wie oben beschrieben, dann sind

- im ersten Jahr nach Abschluss des Lehrganges, die gesamten Aufwendungen

- im zweiten Jahr nach Abschluss des Lehrganges, zwei Drittel der Aufwendungen

- im dritten Jahr nach Abschluss des Lehrganges, ein Drittel der Aufwendungen zurückzuzahlen.

(3) Die Rückzahlungsverpflichtung gilt auch für den Fall, dass der Mitarbeiter die Weiterbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grund abbricht. Die Kosten sind dann unmittelbar nach Aufgabe der Weiterbildung zu erstatten.

(4) Diese Nebenabrede bleibt auch bei Arbeitsvertragsänderungen gültig, sofern die Vertragsänderung nicht den Inhalt der Nebenabrede berührt.

H1, den 12.12.2005"

Die Weiterbildung dauerte vom 08.05.2006 bis zum 07.05.2008 und fand an 191 Arbeitstagen statt. Der Klägerin entstanden 23.436,61 € Gehaltskosten und 4.602,26 € Lehrgangsgebühren. Aufgrund der Ausbildung wurde der Beklagte höhergruppiert.

Ab Januar 2010 befand sich der Beklagte in einer arbeitsplatzbezogenen Konfliktsituation. Zwei Mitarbeiterinnen brachten Vorwürfe auf. Der Beklagte habe einen Mitarbeiter gedeckt, der den Psychologen Herrn B1 beleidigt habe. Er sei mit Restalkohol im Dienst aufgefallen. Er habe möglicherweise einen Blister Subutex entwendet. Das Projekt Schlafedukation des Beklagten wurde kurz vor der Vollendung ohne Begründung eingestellt. Die Klägerin führte über die Vorwürfe und Gerüchte mit den Beteiligten Gespräche und nahm drei Versetzungen vor, von denen der Beklagte nicht betroffen war.

Im Februar 2010 bewarb sich der Beklagte auf eine Stellenanzeige Akutpsychiatrie bei der Klägerin. Die Klägerin entschied sich für einen anderen Bewerber.

Der Beklagte begab sich in psychiatrische Behandlung. Unter dem 05.10.2010 erstellte seine behandelnde Ärztin ihm folgendes Attest:

"O.g. Patient befindet sich seit Juli 2009 in meiner fachärztlichen Behandlung. Bereits damals und im weiteren gesamten Zeitraum wurde von meiner Seite aufgrund der Schilderung des Patienten festgestellt, dass ein zerrüttetes Arbeitsverhältnis vorliegt."

Mit Schreiben vom 01.09.2010 kündigte der Beklagte sein Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.12.2010.

Mit Schreiben vom 19.10.2010 und vom 01.04.2011, letzteres mit Fristsetzung bis zum 21.04.2011, forderte die Klägerin den Beklagten zur Rückzahlung von 9.346,28 € auf.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr ein Rückzahlungsanspruch für die Fortbildungskosten in Höhe von 9.346,28 € (ein Drittel) zustünde. Die Nebenabrede sei wirksam. Es handele sich um keine allgemeinen Geschäftsbedingungen, da sie ganz individuell vereinbart worden sei. Sie bestreitet, dass der Beklagte gemobbt worden sei und dass seine psychische Erkrankung auf einem zerrütteten Arbeitsverhältnis beruht habe.

Sie beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 9.346,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2011 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Nebenabrede für unwirksam. Es handele sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, da sie bei Fortbildungen der Klägerin immer wieder verwendet werde. Sie stelle eine unangemessene Benachteiligung dar. Dies ergebe sich aus mehreren Gründen. Der Rückgang der Fortbildungsverpflichtung betrage ein Drittel pro Jahr. Dies sei nicht kleingliedrig genug. Bei einer monatlichen Betrachtungsweise hätte ihn nur eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 4/36 der Kosten getroffen, was ein knappes Drittel der Klageforderung betrage. Hätte er mit der Kündigung noch vier Monate gewartet, wäre er von der Rückzahlungsverpflichtung ganz frei geworden. Des Weiteren sei die Rückzahlungsverpflichtung unangemessen, weil sie keine Ratenzahlungsmöglichkeit vorsehe. Diese sei bei Berücksichtigung des Einkommens des Beklagten geboten gewesen. Auch sei sie zu unklar, weil nur für einen Juristen verständlich sei, was ein zu vertretender Grund ist. Auch bei Wirksamkeit der Nebenabrede bestünde der Rückzahlungsanspruch nicht. Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis sei ihm nicht zumutbar gewesen, weil er zu Unrecht nicht die Stationsleitung bekommen habe und weil er aufgrund Mobbings, gegen das die Beklagte nichts unternommen habe, erkrankt sei und ein zerrüttetes Arbeitsverhältnis vorgelegen habe. Er bestreitet, dass die Fortbildung zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt geführt habe, besonders weil er über fünfzig Jahre alt ist.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und ihre Anlagen sowie die Terminprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 9.346,28 € gegen den Beklagten aus der Nebenabrede vom 12.12.2005.

1.

Die Rückzahlungsvereinbarung vom 12.12.2005 ist wirksam.

a)

Es kann zu Gunsten des Beklagten davon ausgegangen werden, dass die Vereinbarung der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB unterliegt. In der Tat spricht vieles dafür, dass die §§ 307 ff. BGB Anwendungen finden zumindest nach § 310 Abs. 3 BGB, weil es sich um einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB handelt. Die Entscheidung darüber kann jedoch letztlich dahin stehen, weil die Vereinbarung auch am Maßstab der §§ 307 ff. BGB gemessen wirksam ist.

b)

Für arbeitsvertragliche Rückzahlungsklauseln gilt grundsätzlich das Prinzip der Vertragsfreiheit. Handelt es sich bei der Rückzahlungsvereinbarung um eine allgemeine Geschäftsbedingung, ist sie gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB daran zu messen, ob sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Rückzahlungsklauseln beeinträchtigen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen und sind nach wie vor grundsätzlich zulässig. Die Rückzahlungspflicht muss vom Standpunkt eines verständigen Betrachters einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Bei der Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese hat sich vor allem daran zu orientieren, ob und in welchem Maße der Arbeitnehmer mit der Aus- und Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt. Eine Kostenbeteiligung ist ihm umso eher zuzumuten, je größer der mit der Ausbildung verbundene Vorteil für ihn ist (Schaub/Vogelsang, Arbeitsrechtshandbuch, § 176 Rd.-Nr. 20 und 21).

Gemessen an diesen Anforderungen ist die Rückzahlungsvereinbarung wirksam. Die Einwände der Beklagtenseite greifen im Ergebnis nicht durch.

aa) Die Weiterbildung Fachpflege Psychiatrie führt zu einem deutlichen geldwerten Vorteil des Beklagten. Dieser lässt sich bereits daran erkennen, dass der Beklagte nach Abschluss der Fortbildung von der Klägerin höhergruppiert wurde. Die Argumentation des Beklagten, dass er bestreitet, dass die Fortbildung zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt führt, insbesondere weil der Kläger über fünfzig Jahre alt ist, ist unrichtig. Genauso gut könnte argumentiert werden, dass aufgrund der möglicherweise bestehenden Arbeitsmarktschwierigkeiten für ältere Arbeitnehmer eine Fortbildung für diese besonders wichtig ist. Keineswegs sind - und es wird unterstellt, dass die Klägerseite dies auch nicht behaupten will - Fortbildungen zumindest im pflegerischen Bereich von vorneherein für über Fünfzigjähre wertlos; eine derartige Ansicht wäre abwegig.

bb) Bei der zulässigen Gesamtbindungsdauer von drei Jahren ist ein Rückgang von einem Drittel je Jahr nicht zu beanstanden (BAG 23.04.1986 - 5 AZR 159/85 - NZA 1986, 741, 742; Schaub/Vogelsang, Arbeitsrechtshandbuch, § 176 Rd.-Nr. 27). Es trifft zu, dass der zurückzuzahlende Betrag bei der vereinbarten jährlichen Reduktion zu Beginn des dritten Jahres genauso hoch ist wie am Ende des dritten Jahres und dass bei einer monatsbezogenen Reduktion nur ein Drittel des Rückzahlungsanspruchs bestünde. Ähnliche Ergebnisse, bei denen nur geringfügige tatsächliche Unterschiede zu erheblich unterschiedlichen rechtlichen Ergebnissen führen, sind Stichtagsregelungen und Schwellenwerten immanent. Im Rahmen der Vertragsfreiheit sind Rückzahlungsvereinbarungen anzuerkennen, sofern im Rahmen einer Gesamtabwägung nicht unsachgerechte Kündigungsbeschränkungen erfolgen. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn wie hier die Rückzahlungspflicht sich jährlich und nicht monatlich verringert (BAG a.a.O.).

cc) Die Rückzahlungsvereinbarung ist auch nicht deswegen unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil sie keine Ratenzahlungsmöglichkeit enthielt. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Einkommens eines Gesundheits- und Krankenpflegers. Die Rechtsansicht, dass das Fehlen einer Ratenzahlungsmöglichkeit in einer Rückzahlungsvereinbarung zu deren Unwirksamkeit führen könnte, wird soweit ersichtlich nirgends vertreten.

dd) Die Rückzahlungsvereinbarung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil sie nicht hinreichend klar und eindeutig wäre, weil für einen Nichtjuristen nicht erkennbar wäre, was ein "von ihm zu vertretenden Grunde" (Abs. 2 S. 1 der Nebenabrede vom 12.12.2005) wäre. Zwar kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Selbst wenn dieses jedoch hinsichtlich der gerügten Formulierung der Fall sein sollte, würde es nur zur Unwirksamkeit der Variante "oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde" führen und nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Rückzahlungsvereinbarung. Die Variante "auf Wunsch des Angestellten [...]" bliebe erhalten.

c)

Auch andere Unwirksamkeitsgründe für die Rückzahlungsverpflichtung sind nicht ersichtlich.

2.

Die Rückzahlungsverpflichtung entfällt auch nicht deswegen, weil ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für den Kläger nicht zumutbar gewesen wäre aufgrund der Ablehnung seiner Bewerbung um die Stationsleitung und aufgrund eines wegen Mobbings zerrütteten Arbeitsverhältnisses.

a)

Erstens sind auch dann die Voraussetzungen der Nebenabrede vom 12.12.2005 erfüllt. Das Arbeitsverhältnis endete auf Wunsch des Beklagten. Er hat gekündigt. Daher entsprach das Ende des Arbeitsverhältnisses seinem Wunsch. Aus welchen Gründen dieser Wunsch bestand ist nicht maßgeblich.

b)

Des Weiteren hat der Beklagte nicht dargelegt, dass ihm ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht zumutbar gewesen wäre.

Eine Unzumutbarkeit aufgrund der Ablehnung seiner Bewerbung um die Stationsleitung scheidet aus.

Ein sogenanntes Mobbing hat er nicht hinreichend dargelegt.

Soweit seine behandelnde Ärztin ein zerrüttetes Arbeitsverhältnis diagnostizierte, kann diese Diagnose nur auf den subjektiven Schilderungen des Beklagten beruht haben.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte behauptet, dass sich sein Arbeitsverhältnis ab Januar 2010 negativ entwickelt habe. Er kündigte mit Schreiben vom 01.09.2010 zum 31.12.2010. Es ist unklar, warum der Kläger nicht - notfalls im Zustand der Arbeitsunfähigkeit - sein Arbeitsverhältnis weitere vier Monate hätte andauern lassen können, so dass die Rückzahlungsverpflichtung vollständig erloschen wäre.

3.

Der Rückzahlungsanspruch besteht in Höhe von 9.346,28 €. Er ergibt sich aus einem Drittel der Aufwendung (Abs. 2 der Rückzahlungsvereinbarung) von 23.436,61 € Gehaltskosten und 4.602,26 € Lehrgangsgebühren.

4.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 S. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG).

III.

Der Streitwert entspricht dem Betrag der bezifferten Zahlungsklage.