VG Köln, Beschluss vom 14.10.2013 - 7 L 936/13
Fundstelle
openJur 2013, 41066
  • Rkr:

1. Zu den Voraussetzungen des Informationshandels des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei Empfehlungen zu Explantation risikobehafteter Medizinprodukte (hier: einstweiliger Rechtsschutz).

2. Das BfArM ist rechtlich nicht gehindert, TiBREEZE-Brustimplantate in seine Explantationsempfehlung betreffend Brustimplantate der Firma PIP einzubeziehen.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die im Jahre 2002 als Tochterunternehmen der Q. N. AG gegründete Antragstellerin entwickelt nach eigener Darstellung auf der Basis eines patentierten nanotechnischen Veredelungsverfahrens (Titanisierung) titanisierte Humanimplantate aus Kunststoff und bringt diese als Medizinprodukte in den Verkehr. Als Vorteile der Titanisierung von Implantaten beschreibt die Antragstellerin u.a. niedrige Entzündungsraten, ein natürliches Einwachsen und den Umstand, dass das Implantat vom menschlichen Körper nicht als fremd wahrgenommen wird.

Ausweislich der vorgelegten Chargenübersicht stellte die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, die Firma H. N1. GmbH, zwischen September 2003 und Februar 2004 unter der Bezeichnung "U. " insgesamt 728 Brustimplantate her und brachte sie in den Verkehr. Die Herstellung der Implantate erfolgte hierbei unter Verwendung von Vorprodukten (Silikon) der französischen Firma Poly Implant Prothese (PIP). Hierbei bezog die H. von der Firma PIP leere Silikonhüllen samt Verschlussteilen, beschichtete anschließend die Außen- und Innenseiten der Hüllen ebenso wie die Verschlussteile mit Titan. Die so vorbereiteten Produkte wurde anschließend von PIP mit Silikon befüllt und verschlossen.

Im Frühjahr 2010 stellte die französische "Agence française de Sécurité sanitaire de santé" (Afssaps) - seit 01.05.2012 "Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé" (ANSM) - als nationale Überwachungsbehörde fest, dass die PIP Brustimplantate nicht mit dem dafür vorgesehenen und spezifizierten Silikongel, sondern mit billigerem Industriesilikon befüllt hatte und die Produkte damit nicht verkehrsfähig waren. Hierüber informierte die Afssaps die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichte daraufhin mit Datum vom 01.04.2010 auf seiner Internet-Seite www.bfarm.de unter "Empfehlungen des BfArM Silikongelgefüllte Brustimplantate ..." erstmals die folgende Information:

"Das BfArM wurde von der französichen Medizinproduktebehörde Afssaps darüber informiert, dass sie die Vermarkung, den Vertrieb, den Export und die weitere Verwendung von Silikongelgefüllten Brustimplantaten des Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) europaweit untersagt hat.

Die französische Behörde hatte bei einer Inspektion festgestellt, dass die meisten Brustimplantate dieses Herstellers, die seit 2001 hergestellt wurden, nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen und dafür spezifizierten Silikongel gefüllt sind. Sie entsprechen daher nicht den gesetzlichen Anforderungen (z.B. der Richtline 93/42/EWG). Derzeit wird von der französischen Behörde untersucht, ob die Verwendung des Materials die Sicherheit der Implantate beeinflusst.

Es gibt Hinweise, dass Implantate dieses Herstellers auch in Deutschland eingesetzt worden sind.

Die Afssaps und das BfArM empfehlen Ärztinnen und Ärzten, die Silikongelgefüllte Implantate des genannten Herstellers eingesetzt haben, die betroffenen Patientinnen zu informieren und diese Brustimplantate der Fa. PIP bis auf weiteres nicht mehr einzusetzen. Patientinnen, bei denen Implantate dieses Herstellers eingesetzt worden sind, sollten sich bei weiteren Fragen mit ihren behandelnden Ärztinnen oder Ärzten in Verbindung setzen.

Das BfArM hat sich in dieser Sache mit den Überwachungsbehörden der Bundesländer in Verbindung gesetzt und diese informiert. ..."

Diese Information wurde in der Folgezeit durch datierte Ergänzungen in absteigender Reihenfolge fortlaufend aktualisiert, wobei die datumsälteren Veröffentlichungen unverändert blieben und sich im Internet bis heute daraus eine chronologische Abfolge der Veröffentlichungen ergibt.

So erfolgten u.a. die folgenden Veröffentlichungen:

"Ergänzung vom 29.09.2010 (aktualisiert 05.10.2010):

Die französische Behörde Afssaps hat am 28.09.2010 die Ergebnisse der Untersuchungen auf ihrer Internetseite veröffentlicht:

Ein Test belegt, dass das Silikongel von PIP-Brustimplantaten keine akute toxische Wirkung auf Gewebe hat. Auf Grund der Reizeigenschaften des Gels kann es jedoch bei einigen Patienten zu entzündlichen Reaktionen kommen.

Das Ergebnis eines Tests zur mechanischen Festigkeit zeigt die Rupturanfälligkeit der Implantate auf.

Auf Grund der Ergebnisse empfiehlt Afssaps folgendes:

● die letzte Ultraschalluntersuchung von Personen mit PIP-Brustimplantaten sollte nicht länger als 6 Monate zurückliegen;

● bei einer Ruptur bzw. dem Verdacht einer Ruptur sollten beide Prothesen explantiert werden. Affsaps wird in den nächsten Wochen in Zusammenarbeit mit Fachleuten einen Leitfaden erarbeiten."

...

"Ergänzung vom 23.12.2011:

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt Patientinnen mit PIP-Brustimplantaten, wegen des Risikos möglicher Rissbildungen in jedem Fall ihren implantierenden Arzt oder ihre Klinik aufzusuchen. Ziel dieser vorbeugenden Sicherheitsmaßnahme ist eine individuelle Risikoabwägung bei den betroffenen Patientinnen. Nur so kann im Einzelfall über geeignete Maßnahmen zur Risikominimierung entschieden werden.

Grundsätzlich sollten Brustimplantat-Patientinnen zunächst überprüfen, oder mit Hilfe ihres Arztes bzw. ihrer Klinik überprüfen lassen, ob bei ihnen Implantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) verwendet wurden. Falls dies der Fall ist, sollte im Gespräch mit dem implantierenden Arzt untersucht werden, ob die Implantate erkennbar geschädigt sind oder nicht. Im nachgewiesenen Fall einer Beschädigung bzw. einer Rissbildung ist grundsätzlich eine Explantation zu empfehlen, um weitergehende Gesundheitsgefahren zu vermeiden. Eine pauschale Empfehlung an alle Patientinnen, PIP-Brustimplantate grundsätzlich entfernen zu lassen, spricht das BfArM hingegen derzeit nicht aus.

Aufgrund des hohen Risikos einer gesundheitsgefährdenden Rissbildung waren Vertrieb und Verwendung von PIP-Brustimplantaten bereits im April 2010 europaweit untersagt worden. Zwischenzeitlich war darüber hinaus bekannt geworden, dass bei PIP-Brustimplantaten illegal minderwertiges Industriesilikon verwendet wurde. Dies unterliegt nicht denselben strengen Qualitätsanforderungen wie medizinisches Silikon.

In einer jetzt durchgeführten Untersuchung der französischen Gesundheitsbehörden konnte ein Zusammenhang zwischen PIP-Brustimplantaten und möglichen Krebserkrankungen nicht nachgewiesen werden. Die zuständigen Gesundheitsbehörden in Europa werden allerdings wenn nötig weitere Untersuchungen vornehmen. Abhängig vom Ergebnis dieser Untersuchungen können mögliche weitergehende Empfehlungen derzeit nicht ausgeschlossen werden.

Um eine möglichst umfassende Information der betroffenen Patientinnen sicher zu stellen, wird das BfArM die zuständigen Landesbehörden informieren und empfiehlt auch an Kliniken selbst, aktiv Kontakt zu ihren Patientinnen aufzunehmen. Grundsätzlich fordert das BfArM Ärzte in diesem Zusammenhang nochmals auf, ihrer Meldeverpflichtung nachzukommen.

In Frankreich waren mehr als 1.000 Fälle von gerissenen PIP-Brustimplantaten gemeldet worden, die Gesamtzahl von Patientinnen mit PIP-Brustimplantaten liegt dort bei 30.000. In Deutschland waren Stand 22.12.2011 insgesamt 19 Fälle gemeldet worden, die Gesamtzahl der Patientinnen mit PIP-Brustimplantaten ist nicht bekannt."

"Ergänzung vom 06.01.2012:

Entfernung der PIP- und Rofil-Brustimplantate als Vorsichtsmaßnahme empfohlen

Das BfArM hat am 23.12.2011 eine Empfehlung ausgesprochen, wonach sich betroffenen Patientinnen vom Arzt auf mögliche Rissbildungen der Implantate hin untersuchen lassen sollten, um anschließend über jeweils geeignete Maßnahmen zur Risikominimierung entscheiden zu können. Aufgrund in den letzten Tagen zunehmend eingehender Mitteilungen von Ärzten, Fachgesellschaften und Kliniken erweitert das BfArM diese Risikobewertung von PIP- bzw. Rofil-Brustimplantaten. Diese Mitteilungen sagen aus, dass Silikon auch aus solchen Implantaten vermehrt und im Zeitverlauf zunehmend austreten ("ausschwitzen") kann, bei denen keine Rissbildung vorliegt.

Die Mitteilungen von Ärzten, Fachgesellschaften und Klinken zeigen, dass mögliche Gesundheitsrisiken durch vermehrt ausgetretenes Silikon auch dann entstehen können, wenn keine Rissbildung vorliegt. Das BfArM empfiehlt daher, dass die betroffenen Implantate als Vorsichtsmaßnahme entfernt werden. Wie dringend eine Entfernung im Einzelfall ist, hängt wesentlich davon ab, wie lange die Patientin das Implantat bereits trägt. Dies sollte deshalb vor jeder Operation zwischen Arzt und Patientin besprochen werden.

Das BfArM steht in engem Kontakt mit den zuständigen Landesbehörden und Fachgesellschaften sowie den Behörden im europäischen Ausland, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. In diesem Zusammenhang weist das BfArM Ärzte und Klinken nochmals eindringlich auf ihre Meldeverpflichtung hin, wenn in der Praxis Schadensfälle auftreten. Nur auf Basis dieser sogenannten Vorkommnismeldungen kann das BfArM Maßnahmen zur Risikominimierung treffen."

Ergänzung vom 26.01.2012:

Brustimplantate U. der früheren H. N1. GmbH ebenfalls betroffen

Das BfArM informiert, dass die frühere H. N1. GmbH von September 2003 bis August 2004 Brustimplantate unter dem Namen U. in Verkehr gebracht hat, die unter Verwendung von PIP-Komponenten hergestellt wurden. Die Silkonhüllen wurden durch die H. N1. GmbH beschichtet und von PIP mit Silikongel befüllt.

Die Empfehlungen des BfArM geltend daher für diese Produkte entsprechend.

Eine Kundeninformation der Nachfolgefirma Q. N2. U1. GmbH ist in der Rubrik Medizinprodukte/Maßnahmen von Herstellern unter der Referenz-Nummer 0000/00 veröffentlicht."

...

Ergänzung vom 05.04.2012:

In Deutschland sind bei 5224 Frauen insgesamt 9205 Brustimplantate der Hersteller PUI, Rofil N. und H. N1. (Produkt "U. ") verwendet worden ...

Gleichwohl bleibt eine Dunkelziffer von etwa 10-20 %, ...

...

Das BfArM hatte im Januar empfohlen, dass die betroffenen Implantate als Vorsichtsmaßnahme entfernt werden sollten. Wie dringend eine Entnahme im Einzelfall ist, hängt wesentlich davon ab, wie lange die Patientin das Implantat bereits trägt. Dies sollte deshalb vor jeder Operation zwischen Arzt und Patientin besprochen werden.

Ergänzung vom 20.06.2012

Stellungnahme des BfArM zum Bericht der NHS-Expertengruppe

Am 18.06.2012 veröffentlichte die britische Gesundheitsbehörde NHS den Abschlussbericht ihrer Expertengruppe zu PIP-Brustimplantaten:

...

Die Gruppe kommt darin u.a. zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der bisher in verschiedenen Ländern durchgeführten Untersuchungen keine zytotoxischen (zellschädigenden) oder genotoxischen (Hervorrufen genetischer Mutationen) Wirkungen des PIP-Gels festgestellt wurden. ... Weiterhin wird in dem Bericht festgestellt, dass PIP-Implantate nach aktuellem Kenntnisstand ein gegenüber anderen Brustimplantaten zwei- bis sechsfach erhöhtes Risiko für Rupturen (Risse) aufweisen und dass dieser statistische Unterschied bereits nach fünf Jahren Tragezeit deutlich wird. Bei Explantationen zeigte sich eine höhere Wahrscheinlichkeit klinischer Probleme in Form lokaler Reaktionen und vergrößerter Lymphknoten. Lokale Reaktionen treten demnach bei PIP-Implantaten drei- bis fünffach häufiger auf als bei anderen Produkten. Zusammenfassend wird festgestellt, dass PIP-Implantate klar von minderer Qualität sind und unterhalb der üblichen Standards liegen. Belege für eine erhebliche Gesundheitsgefährdung bzw. ein deutlich erhöhtes Risiko klinischer Probleme ohne das Vorliegen einer Ruptur des Implantats haben die durchgeführten Untersuchungen jedoch nicht ergeben.

Das BfArM hat vom 23.12.2011 bis zum 04.06.2012 insgesamt 1015 Meldungen zu Explantationen von mit PIP-Silikongefüllten Implantaten erhalten.

In ca. 27 % der Meldungen mit Angaben zum Implantatzustand wurde eine Ruptur mindestens eines Implantats festgestellt, in ca. 20 % ein "Bleeding", also das Austreten von Silikon durch die Implantathülle berichtet. Die Rupturrate aus allen für Deutschland gemeldeten Explanationen liegt damit im oberen Bereich der von der NHS für einen Tragezeitraum von 10 Jahren ermittelten Rate zwischen 15 % und 30 %.

Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der Daten aus Großbritannien ist weiterhin davon auszugehen, dass das Risiko des Silikonaustritts aus der Implantathülle bei PIP-Produkten gegenüber hochqualitativen Implantaten um ein Mehrfaches erhöht ist und mit zunehmender Tragedauer ansteigt. Ein entsprechendes Implantatversagen ist gemäß den medizinischen Fachgesellschaften in vielen Fällen nur schwer und insgesamt nicht zuverlässig im Rahmen von Nachsorgeuntersuchungen festzustellen. Ausgetretenes Silikon kann sowohl zu lokalen Gewebereaktionen führen, als auch im Körper verteilt werden und sich z.B. in dem Lymphknoten der Achselhöhle ansammeln. Lokale Gewebereaktionen nach Ruptur und Silikonaustritt können den Ersatz durch ein neues Implantat innerhalb desselben Eingriffs erschweren oder unmöglich machen.

Zusammenfassend sind aus der Sicht des BfArM nach wie vor mittel- und langfristige Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit PIP-silikongefüllten Brustimplantaten nicht auszuschließen. Die am 06.01.2012 ausgesprochene Empfehlung einer Explantation als Vorsichtsmaßnahme hat daher weiterhin Bestand. Wie bei jeder medizinischen Intervention bleibt dies gleichwohl immer eine individuelle Entscheidung, die Arzt und Patientin in eigener Risikoabwägung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall zu beachtenden Gesichtspunkte treffen müssen.

Ergänzung vom 28.03.2013:

U. Brustimplantate der früheren H. N1. GmbH

Die Nachfolgefirma Q. N2. U1. GmbH hat an mehreren Chargen der U. Brustimplantate Untersuchungen durchführen lassen. Die Firma hat das BfArM informiert, dass die untersuchten Produkte mit dem regulären NUSIL Silicone MED3-6300 gefüllt waren.

Es wurde jeweils ein Produkt der folgenden Chargen untersucht:

18503, 28803, 19803, 21203, 22003, 22103, 22203, 23103, 23703, 25003, 25103, 15203, 31103, 31303, 34203, 34903

Aus Sicht des BfArM lässt sich im Fall des Herstellers PIP von den Untersuchungsergebnissen einzelner Produkte nicht zuverlässig auf die Gesamtheit einer Charge schließen. Die grundsätzliche Risikobewertung der PIP-Implantate durch das BfArM bleibt insofern unverändert. Gleichwohl weist das BfArM die Anwender auf diese Ergebnisse hin, um sie im Gespräch mit den betroffenen Patientinnen zu berücksichtigen.

(siehe auch Ergänzung vom 26.01.2012)"

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Erwähnung ihres Produkts in Zusammenhang mit den Ereignissen um die Firma PIP nicht gerechtfertigt sei. Nach erfolgloser außergerichtlicher Korrespondenz mit dem BfArM hat sie am 02.07.2013 um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie trägt im Wesentlichen vor:

Es könne dahinstehen und sei auch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, ob die Empfehlungen des BfArM zu einer Explantation von PIP-Implantaten sachgerecht seien. Auch komme es nicht darauf an, ob die Gleichsetzung von U. -Implantaten in der Empfehlung vom 26.01.2012 ursprünglich vertretbar gewesen sei. Denn jedenfalls mit dem Vorliegen der Untersuchungsergebnisse von U. -Explantaten durch das Labor Spectral Services AG/Köln stehe mit hinreichender Sicherheit fest, dass bei diesen nur das medizinisch zugelassene medizinische Silikon verwendet worden sei. Es seien insgesamt Stichproben von 16 Chargen untersucht worden, was einem Mengenanteil von 47,4 % der ausgelieferten Implantate entspreche. Die Untersuchungsmethoden seien valide und hätten zu dem Ergebnis geführt, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens fehlerhaften Silikons bei den übrigen Chargen bei unter 0,25 % liege.

Zudem hebt die Antragstellerin die Besonderheiten der U. -Implantate gegenüber anderen Brustimplantaten hervor. Sie wiesen eine deutlich geringere Ruptur- und Bleedingrate auf als diese. Es sei naheliegend, dass hierfür die kovalente titanhaltige Beschichtung verantwortlich sei.

Gleichwohl habe das BfArM nicht von seiner rigorosen Empfehlung zur Entfernung der Implantate abgesehen, sondern lediglich in der Veröffentlichung vom 28.03.2013 auf die Untersuchungen hingewiesen. Die Behörde gehe damit weiterhin von der Fehlerhaftigkeit der U. -Implantate aus und setzte diese mit den Produkten der Firma PIP gleich. Allein der Umstand, dass PIP-Silikon verwendet worden sei, rechtfertige diesen Schluss jedoch nicht. Aus der Verwendung von Vorprodukten der Firma PIP folge nicht automatisch die Fehlerhaftigkeit der Endprodukte. Bislang sei kein einiger Fall bekannt, in dem die von der Antragstellerin hergestellten U. -Brustimplanate nicht medizinisch zugelassenes Silikon enthalten hätten. Die Empfehlung beruhe damit auf einer doppelten Tatsachenunsicherheit. Denn es fehle der Nachweis medizinisch nicht zugelassenen Silikons und es gebe keinen Beleg für eine höhere Ruptur- oder Bleedingrate der Implantate der Antragstellerin. Die Warnung des BfArM verstoße damit gegen das vom Bundesverwaltungsgericht und vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Richtigkeitsgebot. Sie sei spekulativ und anders als bei PIP-eigenen Implantaten unbewiesen.

Die Empfehlung habe nicht nur für die Antragstellerin wirtschaftliche Nachteile und Reputationsschäden zur Folge, sondern für die betroffenen Patientinnen auch Gesundheitsrisiken durch vermeidbare und medizinisch nicht indizierte Revisionsoperationen. Ihre Änderung habe das BfArM gleichwohl abgelehnt. Hieraus folge auch der Anordnungsgrund. Zudem sei die Behauptung der Fehlerhaftigkeit der Implantate für die Antragstellerin existenzgefährdend, weil sie sich erheblichen Ersatzforderungen der betroffenen Patientinnen ausgesetzt sehen könnte und von der Veröffentlichung im Internet eine "Prangerwirkung" ausgehe.

Die Antragstellerin beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-- Euro zu unterlassen,

a) gegenüber der Öffentlichkeit zu behaupten, dass die U. -Brustimplantate der Antragstellerin nicht mit dem hierfür medizinisch zugelassenen Silikon (NUSIL MED 3-6300) befüllt und daher fehlerhaft sind

und/oder

b) gegenüber der Öffentlichkeit zu behaupten, dass die U. -Brustimplantate der Antragstellerin zu Gesundheitsrisiken führen, die über die Gesundheitsrisiken hinausgehen, die bei sonstigen handelsüblichen Implantaten bestehen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Anträge seien bereits unzulässig. Das BfArM habe die im Antrag genannten Äußerungen gar nicht getätigt. Diese beruhten auf einer Interpretation der Antragstellerin, für die keine sachliche Grundlage bestehe.

Die Anträge seien auch unbegründet.

Es fehle an dem erforderlichen Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin habe keinen Unterlassungsanspruch, da die Informationen und Empfehlungen des BfArM im Internet sachlich zutreffend seien. Soweit Unsicherheiten hinsichtlich der Tatsachenlage bestünden, werde auch darauf hingewiesen. Sie bildeten ein fortwährend aktualisiertes Spiegelbild der Erkenntnisse. Anhaltspunkte dafür, die U. -Implantate von den Empfehlungen auszunehmen, bestünden nicht. Nach den Äußerungen des Firmenchefs der PIP, Jean-Claude Mas, seien sowohl die Benannte Stelle als auch die französische Überwachungsbehörde über Jahre hinweg systematisch getäuscht worden. Abweichend vom überprüften Design habe die PIP nach eigenen Angaben 75 % der Implantate mit einem Silikongel befüllt, für das bis dahin keine unabhängigen Untersuchungen zur Eignung vorgelegen hätten. Bei Inspektionen seien der Herstellungsprozess auf den geprüften Ablauf umgestellt und sämtliche Hinweise auf ein geändertes Design versteckt worden. Bereits prima facie spreche nichts dafür, dass ausgerechnet die Antragstellerin von diesem betrügerischen Verhalten nicht betroffen wurde. Eine Auswertung der Meldungen zu PIP-Explantaten habe ergeben, dass in ca. 27 % der Meldungen mit Angaben zum Implantatzustand eine Ruptur mindestens eines Implantats vorgelegen habe. Bei ca. 20 % habe sich ein "Bleeding" gezeigt. Angesichts dessen seien die Stichprobenprüfungen der Antragstellerin nicht geeignet, eine abweichende Bewertung von U. -Implantaten zu rechtfertigen. Die Hochrechnung aus Stichproben einer Charge auf die gesamte Charge setze eine Gleichheit innerhalb der Charge voraus. Diese könne bei einem kriminell handelnden Unternehmen wie der PIP jedoch nicht unterstellt werden. Zudem seien keinerlei chargenbezogene Unterlagen vorhanden. Auch bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das bestehende Risiko bei U. -Implantaten allein durch das Herstellungsverfahen (Titanisierung) ausgeschlossen sei. Nach dem Stand der Meldungen (05.07.2013) habe in 40 % der Fälle mindestens eines der U. -Explantate eine Ruptur aufgewiesen; in 26,67 % der Fälle sei ein Bleeding festgestellt worden. Unterlagen zu eigenen Prüfungen im Herstellungsprozess habe die Antragstellerin nicht vorgelegt.

Auch bestehe kein Anordnungsgrund. Eine Existenzgefährdung sei fernliegend und nicht näher substantiiert. Die angeführte "Prangerwirkung" resultiere aus den objektiv vorliegenden Umständen.

Der Berichterstatter hat am 30.09.2013 einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlage sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat in beiden Varianten (a und b) keinen Erfolg.

Es bedarf keiner abschließenden Klärung der Frage, ob er bereits unzulässig ist, weil das BfArM die Behauptung, U. -Brustimplantate seien fehlerhaft und/oder führten zu größeren Gesundheitsrisiken als andere handelsübliche Implantate, möglicherweise in dieser Form gar nicht aufgestellt hat. Dann mangelte es an der entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Antragsbefugnis, da eine Rechtsverletzung durch die aufgeführten Empfehlungen von vornherein auszuschließen wäre oder aber am Rechtsschutzinteresse, weil Eilrechtsschutz zur Wahrung der Rechte nicht erforderlich wäre.

Zu diesen Voraussetzungen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO-Großkommentar, 3. Auflage 2010, § 123 Rn. 69-71.

Hierfür spricht, dass den Veröffentlichungen des BfArM die in dem Antrag zitierten Äußerungen, dass U. -Brustimplantate illegal befüllt und fehlerhaft seien und/oder zu gesteigerten Gesundheitsrisiken führten, nicht wörtlich, sondern ggf. nur im Wege der Interpretation zu entnehmen sind.

Die Anträge sind jedenfalls unbegründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung) oder die Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erforderlich ist (Regelungsanordnung). Die Begründetheit des Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch, also das zu schützende materielle Recht, und einen Anordnungsgrund, also die besondere Erforderlichkeit gerichtlichen Eilrechtsschutzes, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben:

Die Antragstellerin hat bei der in Verfahren der vorliegenden Art gebotenen summarischen Prüfung keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können.

Als Grundlage eines Unterlassungsbegehrens kommt nur der allgemeine öffentlichrechtliche Unterlassungsanspruch in Betracht, der als eigenständiges Institut des öffentlichen Rechts anzuerkennen bzw. aus den Grundrechten, hier namentlich aus Art. 12 Abs. 1 GG und/oder Art. 14 Abs. 1 GG, ggf. in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 1004 BGB, abzuleiten ist. Der Unterlassungsanspruch richtet sich auf die Abwehr fortwirkender hoheitlicher Rechtsbeeinträchtigungen und setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist, dieser Eingriff andauert oder die konkrete Gefahr seiner Wiederholung besteht.

Die Rechtmäßigkeit amtlicher Äußerungen zuständiger Stellen orientiert sich an den allgemeinen Grundsätzen für ein rechtsstaatliches Verhalten, insbesondere am Willkürverbot und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Aus dem Willkürverbot ist abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, also bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen. Rechtliche Wertungen sind auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen (Sachlichkeitsgebot). Mitgeteilte Tatsachen müssen zutreffend sein. Ist die Richtigkeit einer Information nicht abschließend geklärt, muss der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung der verfügbaren Informationsquellen aufgeklärt werden (Richtigkeitsgebot). Verbleiben dennoch Unsicherheiten, ist der Staat an der Informationsverbreitung dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liegt, dass die Marktteilnehmer über ein bestehendes Risiko aufgeklärt werden. Es ist dann aber auch angezeigt, sie auf verbleibende Unsicherheiten hinzuweisen, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Unsicherheit umgehen wollen.

OVG NRW, Beschluss vom 23.04.2012 - 13 B 127/12 -, DVBl. 2012, 781; BVerwG, Beschluss vom 11.12.2010 - 7 B 54.10 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12.07.2005 - 15 B 1099/05 -, NVwZ-RR 2006, 273; BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 u.a. -, BVerfGE 105, 252; BVerwG, Urteil vom 18.04.1985 - 3 C 34.84 -, BVerwGE 71, 198; Ossenbühl, Verbraucherschutz durch Information, NVwZ 2011, 1357.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Verlautbarungen amtlicher Stellen von Medien und Verbrauchern ein gesteigertes Vertrauen entgegen gebracht wird. Denn Behörden sind in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden und zur Objektivität verpflichtet.

OVG NRW, Beschluss vom 09.09.2013 - 5 B 417/13 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 09.03.2010 - 1 BvR 1891/05 -, NJW-RR 2010, 1195.

Den so skizzierten Anforderungen an öffentlichrechtliche Informationstätigkeit der Behörden werden die Hinweise des BfArM in Bezug auf U. -Brustimplantate in vollem Umfang gerecht.

Die streitbefangenen Informationen finden ihre Rechtsgrundlage in der aufgrund der Ermächtigung des § 37 Abs. 7 des Medizinproduktegesetzes (MPG) erlassenen Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung - MPSV) vom 24.06.2002, zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung vom 10.05.2012 (BGBl. I, 555). Gemäß § 24 MPSV kann die zuständige Behörde des Bundes über durchgeführte korrektive Maßnahmen, Empfehlungen und Ergebnisse der wissenschaftlichen Aufarbeitung nach § 23 MPSV über ihre Internet-Seite informieren. Für eine Information der Öffentlichkeit in Form von Empfehlungen bestand für das BfArM Anlass, nachdem im Jahre 2010 durch Kontrollen der französischen Überwachungsbehörde bekannt geworden war, dass Brustimplantate der Firma PIP im erheblichen Umfang mit minderwertigem Industriesilikon statt mit dem der Spezifikation entsprechenden medizinischem Silikon befüllt und auch in Deutschland PIP-Produkte verwendet worden waren. Die Veröffentlichung der sachlich zutreffenden Erkenntnisse war bei dieser Lage das einzige zu Gebote stehende Mittel, der durch die Verwendung minderwertigen Silikons unstreitig entstandenen Gefahrenlage im Interesse der betroffenen Patientinnen zu begegnen und diesen sowie ihren behandelnden Ärzten eine Grundlage für eine Entscheidung über die Explantation zu geben. Dies schließt nicht nur die bloße Mitteilung des Sachstandes und des Risikotatbestandes, sondern auch die am 06.01.2012 erstmals ausgesprochene und am 20.06.2012 bekräftigte Empfehlung der Explantation der betroffenen Produkte ein. Diese war sachgerecht und verhältnismäßig, weil nach dem vorliegenden Erkenntnisstand, der unverändert fortbesteht, PIP-Implantate mit für medizinische Zwecke nicht verkehrsfähigem Silikon eine deutlich überdurchschnittliche Ruptur- und Bleeding-Rate aufwiesen. Dieser Umstand bedeutete bereits als solcher ein gegenüber verkehrsfähigen Produkten erheblich gesteigertes Gesundheitsrisiko für die betroffenen Patientinnen, ohne dass es auf den Beleg zytotoxischer oder genotoxischer Risiken ankommt. Wie das BfArM in seiner ergänzenden Mitteilung vom 20.06.2012 unter Bezugnahme auf den Bericht der Expertengruppe bei der britischen Gesundheitsbehörde NHS unwidersprochen ausführt, zeigte sich bei Explantationen eine höhere Wahrscheinlichkeit klinischer Probleme in Form lokaler Reaktionen, die den Ersatz durch ein neues Implantat innerhalb desselben Eingriffs erschweren oder unmöglich machen können. Ausgetretenes Silikon kann sich hiernach überdies im Körper verteilen und z.B. in dem Lymphknoten der Achselhöhle ansammeln - ein Prozess, zu dessen Folgen naturgemäß (noch) keine Langzeiterkenntnisse vorliegen. Bei dieser Erkenntnislage eine Öffentlichkeitsinformation zu unterlassen, hätte die Behörde dem Vorwurf ausgesetzt, Patientinnen und Ärzten sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorzuenthalten. Dabei war auch die Empfehlung der Explantation geboten, da nach allen vorliegenden Informationen ein Implantatversagen bei einer körperlichen Untersuchung nicht ohne Weiteres feststellbar ist und in einer Vielzahl von Fällen erst nach der Explantation festgestellt werden konnte. Sie war auch verhältnismäßig, da die Risiken des Eingriffs vertretbar erschienen und sich das BfArM im Rahmen einer "Empfehlung" bewegte. Die Entscheidung über das "Ob" einer Explantation war und ist ausdrücklich der Risikoabwägung von Arzt und Patientin überantwortet. In der Ergänzung vom 20.06.2012 betont das BfArM erneut, dass es sich wie bei jeder medizinischen Intervention immer um eine individuelle Entscheidung handele, die Arzt und Patientin in eigener Risikoabwägung unter Berücksichtigung aller Einzelfallgesichtspunkte zu treffen hätten. Dass damit ein erheblicher Unsicherheitsbereich für die Betroffenen verbleibt, ist bei der bestehenden Sachlage unvermeidbar. Bestehenden Unsicherheiten über die Intensität des Risikos hat das BfArM durch entsprechende Formulierungen Rechnung getragen. Sicherheitsentscheidungen auch und gerade im medizinischen Bereich basieren stets auf einer Risikoeinschätzung, nicht auf Gewissheiten. Die Behörde ist, soweit es um individuelle medizinische Eingriffe geht, auf Warnungen und Empfehlungen beschränkt. Die Letztentscheidung über den Eingriff liegt stets beim Patienten.

Diese, von der Antragstellerin nicht grundsätzlich bestrittene Befugnis des BfArM umfasste auch das Recht, U. -Brustimplante in die angesprochenen Empfehlungen einzubeziehen (Mitteilung vom 26.01.2012). Diese Erweiterung findet ihre sachliche Grundlage in dem Umstand, dass U. -Implantate in ganz erheblichem Umfang unter Verwendung von PIP-Komponenten hergestellt wurden. Ihrer eigenen Darstellung nach bezog die Antragstellerin von der Firma PIP leere Silikonhüllen samt Verschlussteil. Diese wurden seitens der Antragstellerin nach ihrem Verfahren titanisiert und sodann an PIP zurückgesandt und dort mit Silikon befüllt. Nach dieser Sachverhaltsdarstellung lag der Schwerpunkt der Fertigung bei PIP, nicht bei der Antragstellerin. Deren Beitrag beschränkte sich auf die Titanisierung, also die besondere Form der Oberflächenveredelung. Zudem fiel die Zusammenarbeit mit PIP in den Zeitraum, in dem PIP nach den Angaben ihres in Frankreich angeklagten Firmenchefs, Jean-Claude Mas, 75 % der Implantate mit nicht verkehrsfähigem Silikongel befüllte. Die Annahme, dass U. -Implantate den gleichen Sicherheitsbedenken ausgesetzt sind wie von PIP selbst vermarktete, ist vor diesem Hintergrund nicht nur naheliegend, sondern im Interesse der Produktsicherheit geboten. Die hiermit verbundene Ungewissheit, ob und in welchem Umfang Implantate der Antragstellerin betroffen sind, liegt in der angesprochenen Natur der getroffenen Sicherheitsentscheidung. Gegen sie spricht nicht, dass nach Angaben der Antragstellerin bislang bei keinem Exemplar nicht verkehrsfähiges Silikon festgestellt werden konnte. Denn sie gründet sich auf dem Risiko, dass illegales PIP-Silikon verwendet wurde, nicht auf der Gewissheit.

Dieses Risiko ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil U. -Implantate infolge der Titanisierung generell geringere Ruptur- und Bleedingraten hätten als herkömmliche Produkte. Nach den Angaben der Antragsgegnerin, denen die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten ist, ist das Gegenteil der Fall. Hiernach war bei 40 % der explantierten U. -Implantate eine Ruptur, bei 26 % ein Bleeding festzustellen (Stand 05.07.2013). Hiermit ist ein deutlicher Hinweis darauf gegeben, dass allein die Titanisierung keinen gesteigerten Schutz gegen ein Implantatversagen zu geben vermag. Es spricht damit bei vorläufiger Bewertung einiges dafür, dass die Implantate der Antragstellerin, sollten sie mit illegalem PIP-Silikon befüllt sein, nicht von vornherein risikoloser sind als die Produkte anderer Hersteller.

Auch wird die Risikoannahme nicht durch den Umstand erschüttert, dass die Antragstellerin jeweils ein Brustimplantat aus 16 Chargen untersucht hat, bei denen es sich überwiegend um Explantate, zum Teil aber auch um Restexemplare der Antragstellerin gehandelt hat, und sich ihren Angaben zufolge in keinem Fall ein anderes als das legale NUSil-Silikon zeigte. Denn die Untersuchungsergebnisse basieren auf einer bloßen Stichprobe, die einen Rückschluss auf die insgesamt 728 in Verkehr gebrachten Implantate nicht zulässt. Zumindest missverständlich ist die Angabe der Antragstellerin, die Proben deckten 48,2 % der in Verkehr gebrachten Menge ab. Diese Annahme setzt voraus, dass sich aus dem Ergebnis des einzelnen Produkts auf die gesamte Charge schließen lässt. Gerechtfertigt ist dies äußerstenfalls dann, wenn die Chargen in sich jeweils homogen zusammengesetzt sind. Wie die Antragsgegnerin unwidersprochen dargelegt hat, wurde bei der Firma PIP jedoch keine hinreichende Chargenzuordnung getroffen. Brauchbare Herstellungsprotokolle fehlen offensichtlich. Die Verwendung illegalen Silikons erfolgte über Jahre hinweg, ohne dass ein nachvollziehbares Muster erkennbar war. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 06.02.2012 ist hierzu ausgeführt:

"Die Firma Poly Implant Prothèse (PIP) hat weltweit in hoher Stückzahl Produkte verkauft, die von der genehmigten Herstellungsweise abweichen und daher das CE-Kennzeichen unrechtmäßig tragen. Angesichts der veröffentlichten Äußerungen des Firmenchefs der PIP, Jean-Claude Mas, steht fest, dass sowohl die Benannte Stelle (TÜV-Rheinland LGA Products GmbH) als auch die französische staatliche Überwachungsbehörde (Afssaps) vom Hersteller lange Jahre getäuscht wurden. Abweichend von dem durch den TÜV zertifizierten Herstellungsprozess und abweichend von dem überprüften Design befüllte der Hersteller nach eigenen Angaben ca. 75 Prozent der hergestellten Implantate mit einem selbsterzeugten Silikongel, für das bis dahin keine unabhängigen Untersuchungen zur Eignung und Biokompatibilität als Implantatmaterial vorlagen. Bei entsprechenden Inspektionen durch die französische Behörde oder den TÜV Rheinland wurde nach Herstellerangaben der Herstellungsprozess wieder auf den geprüften Ablauf umgestellt und sämtliche Hinweise auf ein geändertes Design versteckt. Die französische Behörde berichtete später über ein nahezu perfektes System der Vertuschung (z.B. zwei vollständige Sets der Dokumentation). Es handelt sich nach Auffassung der Bundesregierung um einen kriminellen Vorgang, den es vollständig aufzuklären gilt, auch um Schwachstellen im System festzustellen, die eine derartige jahrelange Täuschung der Behörden und der Benannten Stelle ermöglicht haben".

Angesichts dieser Sachlage ist die Annahme einer Chargenhomogenität nur eine vage Hoffnung, die durch die Testung eines sehr kleinen Teils der Gesamtproduktion allein nicht bestätigt wird. Zudem oblagen die Befüllung und der Verschluss der Implantate vollständig der PIP. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang keinerlei Unterlagen zu eigenen Prüfungen der Vorprodukte oder der bei PIP fertiggestellten und zurückgesandten Implantate vorgelegt. Es muss daher nach wie vor von der naheliegenden Möglichkeit ausgegangen werden, dass auch U. -Implantate mit minderwertigem Silikon gefüllt sind und von diesen deshalb ein gesteigertes gesundheitliches Risiko ausgeht. Es braucht daher nicht geklärt zu werden, ob die von der Antragstellerin angewendeten Testmethoden überhaupt geeignet sind, die Verwendung verkehrsfähigen Silikons zu belegen, was in dem vom BfArM eingeholten Gutachten Schuber/Kaschta (Lehrstuhl Polymerwerkstoffe/Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) vom 13.08.2012 nachhaltig bezweifelt wird.

Durch die ergänzende Veröffentlichung vom 28.03.2013 hat das BfArM auch dem Interesse der Antragstellerin an einer wahrheitsgetreuen und möglichst vollständigen Darstellung der Sachlage hinreichend Rechnung getragen. Sie gibt den Sachverhalt der Untersuchungen und deren Ergebnis in angemessen knapper Form wieder und ist um eine in sachlicher Form gehaltene Stellungnahme der Behörde ergänzt. Damit bewegt sie sich im Rahmen des zur angemessenen Öffentlichkeitsinformation Zulässigen und Gebotenen.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft machen können. Dieser liegt im Fall eines Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO nur vor, wenn Gründe bestehen, aus denen sich die besondere Dringlichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt und die es unzumutbar erscheinen lassen, den Abschluss eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO-Großkommentar, 3. Auflage 2010, § 123 Rn. 80-86 m.w.N.

Es ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nichts dafür ersichtlich, dass der Antragstellerin bei einem weiteren Zuwarten erhebliche rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile drohen. Der Hinweis auf etwaige Schadenersatzklagen betroffener Patientinnen ist nicht einmal ansatzweise substantiiert. Umso weniger ist dafür erkennbar, dass die Antragstellerin durch die Informationspolitik des BfArM in ihrer Existenz bedroht ist, zumal sie - wie sie im Erörterungstermin angab, seit 2004 keine silikongefüllten Brustimplantate mehr in den Verkehr bringt. Soweit mit der Veröffentlichung - wie sie vorträgt - eine "Prangerwirkung" verbunden ist, resultiert dies aus den Notwendigkeiten behördlicher Öffentlichkeitsarbeit. Denn eine sachgerechte Information ist vorliegend schlechterdings undenkbar, ohne die Antragstellerin und ihr Produkt namentlich zu nennen. Demgegenüber fällt die Wahl des Geschäftspartners - hier PIP - in die Risikosphäre der Antragstellerin. Ein möglicher Ansehensverlust im geschäftlichen Verkehr wird zudem durch die gewählten sachlichen und keineswegs herabsetzenden Formulierungen deutlich abgemildert und rechtfertigt damit nicht die Notwendigkeit einstweiligen Rechtsschutzes. Überdies hat das BfArM in der außergerichtlichen Korrespondenz mit der Antragstellerin ausdrücklich erklärt, bei neuen Informationen zu U. -Implantaten seine Internet-Informationen entsprechend anzupassen. Entsprechende Daten beizubringen ist Sache der Antragstellerin. Solange sie fehlen, hat das öffentliche Interesse an einer Information über das bestehende Risiko in jedem Falle Vorrang.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG. Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen. Hierbei dient die Streitwertfestsetzung in arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren auch für Streitigkeiten im Recht der Medizinprodukte als Grundlage. Dort wird in Streitigkeiten um die Zulassung regelmäßig das wirtschaftliche Interesse auf 50.000,00 Euro pauschaliert, solange nicht konkrete abweichende Anhaltspunkte vorliegen. Dieser Betrag wird in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit Rücksicht auf die Vorläufigkeit der Entscheidung halbiert.