OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.09.2013 - 1 U 18/12
Fundstelle
openJur 2013, 40817
  • Rkr:

1. Der Erwerber von Wohnungseigentum kann im formularmäßigen Bauträgervertrag nicht an Abnahmeerklärungen zum Gemeinschaftseigentum gebunden werden, die ein ihm vom Bauträger vorgegebener Sachverständiger oder der erste Verwalter abgeben. 2. Ebenso wenig kommt eine Bindung solcher Erwerber an bereits abgegebene Abnahmeerklärungen des Sachverständigen oder des Verwalters in Betracht, die ihren Bauträgervertrag erst nachher abschließen ("Nachzügler"). 3. Der Rechtsanwalt verstößt nicht allein dadurch gegen das Gebot des sichersten Weges, dass er nicht vorsorglich lange vor Eintritt der Verjährung die Klage für den Mandanten einreicht und dadurch das Risiko fern liegender gerichtlicher Fehlbeurteilungen vermeidet.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9. 12. 2011 verkündete Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Klageforderung besteht nicht. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden - die Kosten des erfolglos geführten Vorprozesses - beruht nicht auf einer Pflichtverletzung des ursprünglichen, im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbenen Beklagten (nachfolgend vereinfachend als Beklagter bezeichnet), sondern darauf, dass das Landgericht im Vorprozess den Schadensersatzanspruch der Wohnungseigentümer gegen den Bauträger unvorhersehbar zu Unrecht als verjährt angesehen hat, ohne dass der Beklagte hierzu pflichtwidrig beigetragen hätte.

1. Eine Haftung des Beklagten lässt sich entgegen der Ansicht des Landgerichts im angefochtenen Urteil nicht damit begründen, dass der Beklagte die Klägerin nicht hinreichend auf die Folgen der rügelosen Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB hingewiesen hat. Ein solcher Hinweis war schon deshalb nicht geboten, weil eine rügelose Abnahme die Berechtigung des Bestellers, Schadensersatz wegen eines Mangels zu verlangen, unberührt lässt (vgl. nur BGH NJW 1980, 1952 f.; Pause/Vogel, in: Kniffka, Bauvertragsrecht, § 640 Rn. 75). Der Beklagte hat im Vorprozess von Anfang an Schadensersatz für die Klägerin geltend gemacht. Alle an diesen vermeintlich pflichtwidrig unterlassenen Hinweis gestützten Ausführungen im landgerichtlichen Urteil liegen neben der Sache.

2. Der Beklagte hat auch in Bezug auf die Verjährung des Schadensersatzanspruchs der Wohnungseigentümer gegen den Bauträger seine anwaltlichen Pflichten gegenüber der Klägerin nicht verletzt. Er hat die Klage im Vorprozess rechtzeitig erhoben, um die Verjährung zu hemmen. Dass das Landgericht dies im Vorprozess verkannt hat, ist dem Beklagten nicht anzulasten und war von diesem nicht vorauszusehen. Die Annahme einer Verjährung bereits im November 2005 lag aus verschiedenen Gründen fern.

2.1. Der Schadensersatzanspruch der Erwerber verjährte binnen fünf Jahren nach der Abnahme (§ 638 BGB a. F., § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Eine Verjährung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 198 BGB kam insoweit nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2012, 1137, 1138 [Tz. 12 f.] m. w. N.).

2.2. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs der Erwerber begann nicht mit der ersten Begehung durch den Sachverständigen SV1 im November 2000 oder mit der Übersendung seines zugehörigen Protokolls zu laufen.

2.2.1. Das Gutachten des Sachverständigen SV1 war schon seinem Inhalt nach nicht als Abnahmeerklärung auszulegen. Auf S. 2 f. des Abnahmegutachtens ist ausgeführt, dieses stelle „ein Begehungsprotokoll als Arbeitsabnahme“ dar und enthalte keine Rechtsbewertung (Bl. 413 f. d. A.). Der Sachverständige hat sich demgemäß explizit zu der Rechtsfrage, ob die Leistungen des Bauträgers im Wesentlichen vertragsgerecht waren, nicht geäußert. Hinzu kommt, dass das Abnahmegutachten so viele, teilweise schon für sich gesehen, jedenfalls in der Gesamtschau erhebliche Mängel festhielt, dass es nicht als Billigung in diesem Sinne aufzufassen war. Auch die damalige Verwalterin Dr. A hat sich in der anschließenden Korrespondenz mit der Bauträgerin für diese in der Sache nicht günstiger geäußert. Ob die damalige Verwalterin und einzelne Erwerber in der Folgezeit zu Recht von einer durch SV1 erklärten Abnahme und hierbei rechtlich von einem zutreffenden Verständnis des Abnahmebegriffs ausgingen, ist ohne Belang.

2.2.2. Hinzu kam, dass das Abnahmeprotokoll des Sachverständigen SV1 auch aus Rechtsgründen die Verjährung nicht zuungunsten aller Erwerber in Gang setzen konnte. Der Bauträgervertrag mit den Erwerbern B wurde erst Ende Januar 2001 abgeschlossen, lange nach der Begehung vom November 2000; jedenfalls diese Erwerber („Nachzügler“) konnten an eine hypothetische Abnahmeerklärung SV1 nicht gebunden sein, ihr Schadensersatzanspruch konnte nicht 2005 verjähren (vgl. Vogel BauR 2010, 1992, 1995 ff.). Außerdem können Erwerber von Wohnungseigentum ohnehin nicht formularmäßig an Abnahmeerklärungen eines ihnen vom Bauträger vorgegebenen Sachverständigen gebunden werden (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2012, 237, 239; OLG Brandenburg v. 13.6.2013 - 12 U 162/12, BeckRS 2013, 12027; Vogel NZM 2010, 377, 379; Hogenschurz MDR 2012, 386, 387 f.), ebenso wenig an solche des ersten Verwalters (vgl. OLG Düsseldorf BauR 2013, 470, 473 f.).

2.2.3. Der Beklagte hat die dazu wesentlichen Tatsachen und Rechtserwägungen schriftsätzlich ausreichend vorgebracht, insbesondere in der Replik des Vorprozesses vom 1. 4. 2006 (Anl. B 10, Bl. 422 ff. d. A.). Er hat keineswegs für die Klägerin eine Abnahme am 9. 11. 2000 unstreitig gestellt, sondern eine zweistufige Abnahme (mit einem endgültigen Abnahmetermin am 27. 3. 2001) geltend gemacht. Dass das Landgericht im Vorprozess die Rechtslage bezüglich der Abnahme und der Verjährung überhaupt und insbesondere die Beweislast des Bauträgers für eine den Verjährungsbeginn auslösende Abnahme verkannt hat, beruht nicht auf Versäumnissen des Beklagten. Es würde die Anforderungen an das Gebot für den Rechtsanwalt überspannen, den sichersten Weg für den Mandanten zu beschreiten, verlangte man von ihm, diese Fehlbeurteilung des Gerichts als möglich vorauszusehen und vorsorglich lange vor dem frühestens im März 2006 in Betracht kommenden Verjährungseintritt zu klagen.

2.3. Die Erhebung der Klage war dazu geeignet, die Hemmung der Verjährung zu bewirken, weil die Klägerin im Sinne der zu § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB entwickelten Grundsätze Anspruchsberechtigte war. Zwar standen die Schadensersatzansprüche gegen den Bauträger den einzelnen Erwerbern aus den Bauträgerverträgen zu, die Erwerber waren „aktiv legitimiert“. Die Klägerin war indessen als gesetzliche Prozessstandschafterin zur Prozessführung befugt, weil der auf Mängel des Gemeinschaftseigentums beruhende kleine Schadensersatzanspruch gemeinschaftsbezogen und deshalb von der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband geltend zu machen ist. Nach der Rubrumsberichtigung im Vorprozess ist die Klägerin des vorliegenden Verfahrens auch als Klägerin des Vorprozesses anzusehen.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.