Hessisches LAG, Beschluss vom 19.03.2013 - 4 TaBV 199/12
Fundstelle
openJur 2013, 40600
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 05. Juni 2012 - 1 BV 1/12 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über zwei Einstellungen.

Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. Sie vertreibt unter anderem pharmazeutische Produkte und beschäftigt in ihrem Betrieb in A regelmäßig weit mehr als zwanzig Arbeitnehmer, die von dem zu 2) beteiligten Betriebsrat repräsentiert werden.

Die Arbeitgeberin führte seit dem Jahr 2010 eine als „Ready-to-grow“ bezeichnete Umstrukturierungsmaßnahme durch, mit der insbesondere der Vertriebsaußendienst bis zum Jahr 2015 umgestaltet werden soll. Diese Maßnahme umfasste unter anderem die Einrichtung von zwei neuen Arbeitsplätzen von Gebietsverkaufsleitern im Außendienst (sogenannte „Pharmareferenten“) ab Anfang 2012. Auf Grund von Unsicherheiten über die Rentabilität dieser Arbeitsplätze entschloss sich die Arbeitgeberin, die beiden Arbeitsplätze für die Dauer von zwei Jahren mit Leiharbeitnehmern zu besetzen. Zu diesem Zweck beabsichtigte die Arbeitgeberin, die beiden vom vorliegenden Verfahren betroffenen Arbeitnehmerinnen einzustellen. Frau B steht seit 15. November 2010 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit dem Zeitarbeitsunternehmen C... GmbH. Frau D... wurde seit 01. November 2011 von dem Zeitarbeitsunternehmen E... beschäftigt. Sie wechselte zum 23. April 2012 ebenfalls in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit der Firma C... GmbH.

Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat mit zwei Schreiben vom 14. Dezember 2011 über die befristete Einstellung von Frau B... vom 01. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2013 sowie über die befristete Einstellung von Frau D... vom 01. Februar 2012 bis zum 31. Januar 2014. Der Betriebsrat widersprach den Einstellungen mit zwei am selben Tag zugegangenen Schreiben vom 20. Dezember 2011 jeweils gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG mit folgender Begründung:

„Der Betriebsrat stellt nach der Neuregelung ab 01. 12. 2011 AÜG § 1 Abs. 1 Satz 2 fest, dass die Beschäftigung durch Arbeitnehmerüberlassung nur noch vorübergehend möglich ist. Eine unbefristete Einstellung ... oder eine Befristung von > 6 Monaten kann nicht als vorübergehend angesehen werden.“

Darauf leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren ein, in dem sie erstinstanzlich - soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Interesse - beantragte,

die vom Betriebsrat verweigerten Zustimmungen zu den Einstellungen der Arbeitnehmerinnen D... und B... zu ersetzen.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl, 66, 67 d. A.) sowie auf die mit diesem in Bezug genommenen Aktenteile verwiesen. Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag der Arbeitgeberin erkannt und zur Begründung - kurz zusammengefasst - ausgeführt, die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung der vom vorliegenden Verfahren betroffenen Arbeitnehmerinnen sei zu ersetzen, da der Widerspruch des Betriebsrats nicht begründet sei. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG stehe den Einstellungen nicht entgegen, weil es sich jeweils nur um eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung handele. Eine auf zwei Jahre befristete Überlassung widerspreche dem Regelungszweck von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht und sei nicht als ein die Richtlinie 2008/104/EG verletzender Missbrauch der Leiharbeit zu betrachten. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Ausführungen unter II des angefochtenen Beschlusses (Bl. 68 - 71 d. A.) Bezug genommen.

Der Betriebsrat hat gegen den am 04. Juli 2012 zugestellten Beschluss am 03. August 2012 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis 04. Oktober 2012 am 04. Oktober 2012 begründet. Er hält an seiner Ansicht fest, dass eine zwei Jahre umfassende Arbeitnehmerüberlassung nicht vorübergehend im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG sei und der Richtlinie 2008/104/EG widerspreche. Diese verbiete die Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern. Diese dürften nur zur Abdeckung von Auftragsspitzen beschäftigt werden.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die Schriftsätze vom 04. Oktober 2012 und vom 15. Februar 2013 Bezug genommen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 05. Juni 2012 - 1 BV 1/12 - abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin verteidigt die Würdigung des Arbeitsgerichts wie in den Schriftsätzen vom 08. November 2012 und 06. Februar 2013 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrats zu der Einstellung von Frau B... und Frau D... zu Recht gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzt, da die Widersprüche des Betriebsrats nicht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründet sind.

1. Die Beteiligten haben die Formalien des Beteiligungsverfahrens gemäß § 99 BetrVG gewahrt. Dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die Einstellungen den Voraussetzungen von § 99 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BetrVG entsprechend unterrichtet hat, steht zwischen den Beteiligten außer Streit. Gleichermaßen hat der Betriebsrat den Einstellungen im Sinne von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG innerhalb einer Woche nach der Unterrichtung schriftlich unter Bezugnahme auf den Widerspruchsgrund von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG widersprochen.

2. Die Widersprüche sind jedoch nicht begründet, da die Einstellungen nicht im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gegen ein Gesetz verstoßen. Der Betriebsrat hat die Widersprüche ausschließlich mit der Erwägung begründet, die Einstellungen verletzten § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, da es sich um eine nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung handele. Diese Begründung trifft nicht zu.

a) Allerdings ist die Auslegung des Begriffs der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung und die Frage, ob ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der im Jahr 2011 novellierten aktuellen Fassung einen Widerspruch des Betriebsrats des Entleihers nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründen kann (zum fehlenden Widerspruchsrecht des Betriebsrats des Verleihers vgl. Hess. LAG 09. Juni 2012 - 4 TaBV 158/11 - ArbR 2013/115, zu II 2 a cc (1)), in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Nach einer Auffassung soll es sich bei § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG um einen „bloßen Programmsatz“ des Gesetzgebers handeln, der mangels einer Festlegung konkreter Tatbestandsvoraussetzungen und konkreter Rechtsfolgen nicht justiziabel sei (so Lembke DB 2011/414, 415; ähnlich Rieble/Vielmeier EuZA 2011/474, 489; ArbG Leipzig 15. Februar 2012 - 11 BV 79/11 - LAGE BetrVG 2001 § 99 Nr. 12 b, zu B aa; 23. März 2012 - 3 BV 84/11 - Juris, zu II 3 c aa; 23. März 2012 - 5 BV 85/11 - Juris). Weiter wird die Ansicht vertreten, da in den Definitionen des Anwendungsbereichs und der Begriffsbestimmungen in Artikel 1, 3 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG jeweils nur von vorübergehender Arbeit des entliehenen Arbeitnehmers beim Verleiher die Rede ist, betreffe die Richtlinie und dementsprechend die sie umsetzende Neuregelung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassungen nicht. Diese sei unbeschränkt zulässig (Giesen FA 2012/3; Thüsing/Stiebert DB 2012/632, 633 ff; in diese Richtung auch Sandmann/Marschall/Schneider AÜG Stand April 2012 § 1 Rn. 51; a. A. Düwell ZESAR 2011/449, 450; Leuchten NZA 2011/608, 609; Böhm DB 2012/918, 919; Zimmer AuR 2012/422, 423; Rieble/Vielmeier EuZA 2012/474, 487; LAG Niedersachsen 19. September 2012 - 17 TaBV 124/11 - AiB 2013/130, zu II 3.1).

Zum Teil wird aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG abgeleitet, dass die Dauer der Anstellung des Leiharbeitnehmers beim Verleiher die Dauer der Verleihung an einen bestimmten Entleiher überschreiten muss, so dass das frühere sogenannte Synchronisationsverbot wieder gelte (HWK-Kalb 5. Aufl. § 1 AÜG Rn. 35; ErfK-Wank 13. Aufl. § 1 AÜG Rn. 37; Düwell ZESAR 2011/449, 453; Ulber AiB 2011/351, 352; ArbG Offenbach am Main 01. August 2012 - 10 BV 1/12 - AiB 2012/685, zu I 2 d cc (4); a. A. Sandmann/Mar- schall/Schneider a. a. O, § 1 Rn. 51).

„...

Nach anderer Ansicht ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG eine erhebliche Einschränkung der Zulässigkeit von Leiharbeit daraus, dass nunmehr eine Beschäftigung von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen als nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr zulässig sein soll (LAG Niedersachsen 19. September 2012 a. a. O., zu II 3.2; LAG Berlin-Brandenburg 19. Dezember 2012 - 4 TaBV 1163/12 - BB 2013/116, zu B I 1 a). Die Gegenansicht hält einen Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen dagegen unter bestimmten Voraussetzungen nach wie vor für zulässig, entnimmt dem Umgehungsverbot von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG jedoch die Notwendigkeit einer Missbrauchskontrolle, Zu diesem Zweck wird eine entsprechende Anwendung der Befristungskontrolltatbestände von § 14 Abs. 1 TzBfG oder zumindest eine Orientierung an den diesen zu Grunde liegenden Wertungen als geboten betrachtet (so mit unterschiedlichen Akzentuierungen etwa Düwell ZESAR 2011/449, 453 f; Hamann RdA 2011/321, 326; Ulber AiB 2011/351, 352; ArbG Cottbus 25. April 2012 - 2 BV 8/12 - AiB 2012/612, zu B 4 c; ArbG Offenbach am Main 01. August 2012 a. a. O., zu I 2 d cc (3); zu letzterem Punkt a. A. LAG Düsseldorf 02. Oktober 2012 - 17 TaBV 48/12 - NZA 2012/1378, zu B II 3 c cc (3) (b)). Daraus wird zum Teil abgeleitet, dass eine dauerhafte Ersetzung von Stammbeschäftigten durch Leiharbeitnehmer eine unzulässige Umgehung der Richtlinie sei (etwa Düwell ZESAR 2011/449, 454; Hamann RdA 2011/321, 326; Zimmer AuR 2012/422, 423; Ulber AÜG 3. Aufl. § 14 Rn. 159).

b) Der Gesetzesbegründung für die Novellierung von § 1 AÜG (BT-Dr. 17/4804) sind folgende für die Auslegung relevante Erwägungen des deutschen Gesetzgebers zu entnehmen:

„Zu Nummer 2 (§ 1)

Zu Buchstabe a

Bislang gilt die Erlaubnispflicht ausschließlich für Verleiher, die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer gewerbsmäßig an Dritte (Entleiher) zur Arbeitsleistung überlassen wollen. Der Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie ist weiter und erfasst natürliche und juristische Personen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht (Artikel 1 Absatz 2 der Leiharbeitsrichtlinie). Daher stellt § 1 künftig darauf ab, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auf die Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Gewerberechts kommt es zukünftig für die Erlaubnispflicht der Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr an. Durch die Regelung wird klargestellt, dass beispielsweise auch konzerninterne Personalservicegesellschaften, die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer zum Selbstkostenpreis anderen Konzernunternehmen überlassen, eine Erlaubnis nach § 1 benötigen.

Zudem erfasst der Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit einem Verleiher einen Arbeitsvertrag geschlossen haben und die an einen Entleiher überlassen werden, um vorübergehend unter dessen Aufsicht und Leitung zu arbeiten (Artikel 1 Absatz 1 der Leiharbeitsrichtlinie). Dementsprechend definiert die Leiharbeitsrichtlinie auch die Überlassung als vorübergehend (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe e der Leiharbeitsrichtlinie). Die Einfügung in § 1 Absatz 1 dient der Klarstellung, dass das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung dieser europarechtlichen Vorgabe entspricht. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz regelt ein auf vorübergehende Überlassungen angelegtes Modell der Arbeitnehmerüberlassung, bei dem die Überlassung an den jeweiligen Entleiher im Verhältnis zum Arbeitsvertragsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vorübergehend ist. Dabei wird der Begriff „vorübergehend“ im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesondere auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzichtet.“

Für die der Neuregelung zu Grunde liegende Richtlinie 2008/104/EG waren unter Anderem folgende Erwägungsgründe maßgeblich:

„(8) Der Europäische Rat hat es im März 2005 für unabdingbar gehalten, der Lissabon-Strategie neue Impulse zu geben und ihre Prioritäten erneut auf Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Der Rat hat die integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005 - 2008) angenommen, die unter gebührender Berücksichtigung der Rolle der Sozialpartner unter anderem der Förderung von Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit und der Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes dienen sollen.

(9) Im Einklang mit der Mitteilung der Kommission zur sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum bis 2010, die vom Europäischen Rat im März 2005 als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie durch Stärkung des Europäischen Sozialmodells begrüßt wurden, hat der Europäische Rat die Ansicht vertreten, dass auf Seiten der Arbeitnehmer und der Unternehmen neue Formen der Arbeitsorganisation und eine größere Vielfalt der Arbeitsverträge mit besserer Kombination von Flexibilität und Sicherheit zur Anpassungsfähigkeit beitragen würden. Im Dezember 2007 hat der Europäische Rat darüber hinaus die vereinbarten gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze gebilligt, die auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt abstellen und sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern helfen sollen, die durch die Globalisierung gebotenen Chancen zu nutzen.

(10) In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen.

(11) Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei.

(12) Die vorliegende Richtlinie legt einen diskrimierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmarkte und der Arbeitsbedingungen.

...

(14) Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer sollten mindestens denjenigen entsprechen, die für diese Arbeitnehmer gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt würden.

(15) Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Fall von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.

(16) Um der Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen auf flexible Weise gerecht zu werden, können die Mitgliedsstaaten den Sozialpartnern gestatten, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, sofern das Gesamtschutzniveau der Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt.“

Von den Normen der Richtlinie sind für die Auslegung insbesondere die folgenden relevant:

„Kapitel II Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen

Artikel 5 Grundsatz der Gleichbehandlung

...

(5) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern und um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern.

...

Kapitel III Schlussbestimmungen

...

Artikel 10 Sanktionen

(1) Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder durch entleihende Unternehmen sehen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen vor. Sie sorgen insbesondere dafür, dass es geeignete Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gibt, um die Erfüllung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchsetzen zu können.

(2) Die Mitgliedsstaaten legen die Sanktionen fest, die im Falle eines Verstoßes gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie Anwendung finden, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein.“

c) Die Kammer entnimmt diesen Vorgaben und Vorstellungen der europäischen und deutschen Normgeber folgende Grundsätze:

aa) Die Richtlinie 2008/104/EG und damit auch der ihrer Umsetzung dienende § 1 Absatz 1 Satz 2 AÜG n. F. enthalten nicht nur unverbindliche Programmsätze. Die Richtlinie hat neben dem Zweck der Gewährleistung flexibler Beschäftigungsbedingungen unter Berücksichtigung der vielfältigen nationalen Arbeitsmärkte den gleichrangigen Zweck, einen Mindestschutzstandard zu Gunsten von Leiharbeitnehmern zu gewährleisten. Dies soll nach dem materiellen Gehalt der Richtlinie allerdings in erster Linie durch den Grundsatz der Gleichbehandlung (Artikel 5 der Richtlinie), durch den Zugang der Leiharbeitnehmer zu Beschäftigung, Gemeinschaftseinrichtungen und beruflicher Bildung (Artikel 6 der Richtlinie) sowie im Rahmen der kollektivrechtlichen Vertretung (Artikel 7, 8 der Richtlinie) gewährleistet werden.

Zur Dauer der Arbeitnehmerüberlassung enthält die Richtlinie dagegen nur geringe Vorgaben. Insbesondere ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass der europäische Normgeber mit Artikel 5 Abs. 5 der Richtlinie von den nationalen Gesetzgebern die Verhinderung eines Missbrauchs der durch die Richtlinie gewährleisteten Rechte der Arbeitgeber im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung verlangt. Einen derartigen Missbrauch sieht er insbesondere in der mehrfachen aufeinander folgenden Überlassung von Leiharbeitnehmern, mit der Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen. Solche Missbräuche sind gemäß Artikel 10 der Richtlinie im nationalen Recht zu sanktionieren, und zwar wirksam, angemessen und abschreckend. Es spricht daher alles dafür, § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG entsprechend der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. (BAG 28. September 1988 - 1 ABR 35/87 - BAGE 59/380, zu B II; 12. November 2002 - 1 ABR 1/02 - BAGE 103/304, zu B II 2) als Verbotsgesetz zu verstehen, dessen Verletzung den Betriebsrat des Entleihers zu einem Widerspruch nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG berechtigt (so etwa auch LAG Niedersachsen 19. September 2012 a. a. O., zu II 4.1; LAG Berlin-Brandenburg 19. Dezember 2012 a. a. O., zu B I 3; Hamann RdA 2011/321, 327; Düwell ZESAR 2011/449, 455; Zimmer AuR 2012/422, 426; Fitting BetrVG 26. Aufl. § 99 Rn. 192 a). Mit § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG soll eine nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verhindert werden. Damit wendet sich der Normgeber gegen eine nicht vorübergehende Beschäftigung des Leiharbeitnehmers beim Entleiher.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass durch diese Auslegung dem Betriebsrat des Entleihers systemwidrig ein Recht zur Kontrolle der Befristung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher eingeräumt werde (so aber Gussen FA 2013/134, 136). Das Widerspruchsrecht des Betriebsrats des Entleihers betrifft nicht die Dauer des Vertragsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Verleiher, sondern die Dauer der Eingliederung und damit der Einstellung des Leiharbeitnehmers beim Entleiher. Entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht war es auch nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolge im Rahmen von § 1 AÜG explizit klarstellt. Es gibt auch außerhalb von § 1 AÜG kein Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, in dem dies ausdrücklich geschehen ist. Ob ein solches Verbotsgesetz vorliegt, ist auch ohne Zitiergebot jeweils im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln.

bb) Der Inhalt des Begriffs „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist in erheblicher Weise auslegungsbedürftig, weil er seinem buchstäblichen Sinn nach wenig aussagekräftig ist. „Vorübergehend“ ist letztlich alles im Leben; das Leben selbst ist nur vorübergehend. Zur Ermittlung des Inhalts dieses Rechtsbegriffs bedarf es daher einer insbesondere am Normzweck, an der Entstehungsgeschichte und den Motiven des deutschen Gesetzgebers sowie den zu beachtenden europarechtlichen Vorgaben orientierten Auslegung.

cc) Diese ergibt zunächst eindeutig, dass der deutsche Gesetzgeber gemäß der Gesetzesbegründung nicht wieder feste Höchstüberlassungsfristen einführen wollte. Eine Notwendigkeit dazu lässt sich auch der Richtlinie 2008/104/EG nicht entnehmen. Daher ist der Auffassung des Betriebsrats, eine Überlassung von mehr als sechs Monaten oder zumindest von zwei Jahren sei generell unzulässig, nicht zu folgen.

Andererseits erscheint die Annahme, die Richtlinie und § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG erfassten die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung nicht, als nicht überzeugend. Werden mit Artikel 5 Abs. 5 der Richtlinie bereits wiederholte Überlassungen als möglicher Missbrauch betrachtet, schließt die Richtlinie die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung erst Recht aus. „Die Dauerüberlassung ermächtigte zum Unterbietungswettbewerb. Das ist widersinnig“ (so zutreffend Rieble/Vielmeier EuZA 2011/474, 487).

dd) Der deutschen Gesetzesbegründung ist weiter zu entnehmen, dass für den deutschen Gesetzgeber bei der Auslegung des Begriffs „vorübergehend“ nicht die Dauer der Beschäftigung des Leiharbeitnehmers beim Entleiher maßgeblich war, sondern das Verhältnis der Laufzeit des Arbeitsvertrages zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer und der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an den jeweiligen Entleiher. Erstere muss letztere deutlich überschreiten, ansonsten handelt es sich nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers nicht um vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung.

Die Kammer folgt daher der Ansicht, dass nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers das Synchronisationsverbot wieder gelten soll. Dies ist zwar im Wortlaut von § 1 AÜG nicht klargestellt worden. Der Begriff „vorübergehend“ ermöglicht auf Grund seiner erheblichen Auslegungsbedürftigkeit jedoch eine Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Vorstellung. Dem stehen Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG nicht entgegen.

ee) Weiter folgt aus der Gesetzesbegründung des deutschen Gesetzgebers, dass auch die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung mit Hilfe konzerneigener Personalservicegesellschaften zulässig sein soll, sofern letztere über eine wirksame Arbeitnehmerüberlassungsgenehmigung verfügen.

ff) Dem deutschen Gesetzgeber kann entgegen der vom Betriebsrat vertretenen Ansicht auch nicht unterstellt werden, dass er über die Gebote der Richtlinie hinaus eine erhebliche Beschränkung der Leiharbeit etwa durch ein generelles Verbot der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen herbeiführen wollte. Für eine derartige Absicht enthalten weder der Normtext noch die Gesetzesbegründung tragfähige Anhaltspunkte. Der Inhalt von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erschließt sich vielmehr aus seinem Zweck, nämlich der Umsetzung des Missbrauchsverbots von Artikel 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG. Danach können etwa wiederholte Überlassungen an denselben Verleiher missbräuchlich sein. Auch liegt es nicht fern, eine dauerhafte Substituierung von Stammarbeitskräften durch Leiharbeitnehmer als unzulässig zu betrachten. Für eine analoge Anwendung der Befristungskontrolltatbestände von § 14 Abs. 1 TzBfG dürfte zwar kein Raum bestehen, eine Orientierung an einzelnen dieser Tatbestände im Einzelfall dürfte dagegen sinnvoll sein, da sie vergleichbare Interessenlagen normieren.

d) Nach diesem Maßstab verletzt die zweijährige Beschäftigung von Frau D... und Frau B... § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht. Ein Verstoß gegen das Synchronisationsverbot liegt nicht vor, da sie bei ihrem Vertragsarbeitgeber unstreitig unbefristet angestellt sind. Eine bestimmte Höchstüberlassungsdauer lässt sich dem geltenden Recht entgegen der Ansicht des Betriebsrats nicht entnehmen. Die beiden betroffenen Arbeitnehmerinnen wurden der Arbeitgeberin auch weder wiederholt überlassen, noch werden sie von der Arbeitgeberin auf Dauerarbeitsplätzen unter Verdrängung von Stammarbeitnehmern beschäftigt. Bei ihren Arbeitsplätzen handelt es sich vielmehr um erprobungshalber neu eingerichtete Stellen, deren Rentabilität von der Arbeitgeberin für die Dauer der Beschäftigungszeit beider Arbeitnehmerinnen getestet werden soll. Eine derartige Vorgehensweise ist nicht missbräuchlich. Sie hätte im Gegenteil die Befristung der Arbeitsverträge mit von der Arbeitgeberin selbst angestellten Arbeitnehmern nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, 5 TzBfG rechtfertigen können. Damit steht der mit § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verfolgte Schutzzweck der Beschäftigung von Frau B... und Frau D... nicht entgegen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zugelassen.