BGH, Beschluss vom 25.08.2009 - 4 ARs 6/09
Fundstelle
openJur 2013, 37555
  • Rkr:
Tenor

Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 4. Strafsenats, der an dieser festhält.

Gründe

Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:

Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.

Er hat daher bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.

Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (vgl. nur Senatsbeschlüsse NStZ 2007, 352; NStZ 2000, 440; StV 1991, 451). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung, sondern bildet einen selbstständigen Verfahrensabschnitt. Daher ist regelmäßig (zu einer Ausnahme vgl. Senatsbeschluss NStZ 2006, 713) der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, wenn der Angeklagte bei dieser Verhandlung als einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung nicht anwesend ist (vgl. nur BGH NJW 1998, 2541 m.w.N.). Nach Ansicht des Senats ist wegen der Bedeutung des Rechts des Angeklagten auf effektive Ausübung seines Fragerechts an dieser Rechtsprechung festzuhalten. Er muss die Möglichkeit haben, Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen, ehe dieser entlassen wird und ist nicht darauf angewiesen, zum Zwecke der Befragung einen besonderen Anforderungen genügenden Beweisantrag zu stellen (vgl. BGH aaO).

a) Der Senat hat in seiner Stellungnahme zu dem Anfragebeschluss des 5. Strafsenats im Verfahren 5 StR 460/08 darauf hingewiesen, dass er grundsätzliche Bedenken dagegen hat, den Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 338 Nr. 6 StPO anzugleichen. Diese Bedenken bestehen auch im Fall der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten. Ungeachtet des Umstandes, dass der Wortlaut des § 247 StPO der vom 5. Strafsenat beabsichtigten weiten Auslegung des Vernehmungsbegriffs nicht entgegensteht, sprechen jedenfalls der unterschiedliche Sinn und Zweck der Vorschriften über das Anwesenheitsrecht des Angeklagten einerseits und das Anwesenheitsrecht der Öffentlichkeit andererseits gegen eine identische Auslegung. Anders als der Angeklagte ist die Öffentlichkeit am Verfahren nicht beteiligt. Einschränkungen ihres grundsätzlich bestehenden Anwesenheitsrechts sind daher eher hinzunehmen als Einschränkungen der Rechte des Angeklagten. So verneint der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch der Sitzungsöffentlichkeit darauf, sämtliche Vorgänge während der Hauptverhandlung im Sitzungssaal erkennen und verstehen zu können (vgl. nur BGH NStZ 1991, 122 für die Inaugenscheinnahme einer Urkunde). Auch besteht bei Ausschluss der Öffentlichkeit keine Unterrichtungspflicht, wie sie § 247 Satz 4 StPO für den Angeklagten vorsieht.

b) Zudem spricht auch § 248 StPO nach seinem Wortlaut ("die vernommenen Zeugen") dafür, die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung zu rechnen, sondern als selbstständigen Verfahrensabschnitt anzusehen. Diese Vorschrift enthält eine spezielle Regelung über die Entlassung von Zeugen und Sachverständigen. § 248 Satz 2 StPO, wonach vor deren Entlassung die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte zu hören sind, ist die gesetzgeberische Intention zu entnehmen, eine vorzeitige Entlassung des Zeugen zu verhindern und damit das Recht zu dessen Befragung abzusichern (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 248 Rn. 6; Diemer in KK, StPO, 6. Aufl. § 248 Rn. 4).

2. In den Fällen, in denen die vorschriftswidrige Verhandlung über die Entlassung des Zeugen (und dessen daraufhin erfolgte Entfernung) in Abwesenheit des Angeklagten vor Beendigung der Hauptverhandlung offenbar wird, ist der Tatrichter nach Auffassung des Senats allerdings nicht gehindert, den Verfahrensfehler zu heilen. Dies kann dadurch erfolgen, dass der Angeklagte auf ausdrückliches Befragen mitteilt, keine Fragen mehr an den bereits entlassenen Zeugen stellen zu wollen. Gibt der Angeklagte im Anschluss an seine Unterrichtung durch den Vorsitzenden hingegen zu erkennen, er habe noch Fragen an den bereits entlassenen Zeugen, wird dieser erneut herbeizuschaffen sein, um die Befragung durch den Angeklagten zu ermöglichen. Insoweit gilt weder der einschränkende Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO noch ist dem Angeklagten eine Bindung an die besonderen Anforderungen eines Beweisantrags auferlegt (vgl. BGH NJW 1998, 2541). Wird dem Angeklagten die Möglichkeit das Fragerecht auszuüben nach der Entlassung des Zeugen nicht eingeräumt, sei es, weil der Fehler im Verlauf der Hauptverhandlung nicht bemerkt wird, sei es, weil der Zeuge nicht mehr herbeigeschafft werden kann, obwohl der Angeklagte dies verlangt hat, muss es bei dem absoluten Revisionsgrund verbleiben. Die "Herabstufung" zu einem relativen Revisionsgrund mit der Möglichkeit, über die Annahme fehlenden Beruhens des Urteils auf dem Verfahrensfehler eine Aufhebung des Urteils zu vermeiden, würde nach Auffassung des Senats dem fundamentalen Recht des Angeklagten nicht gerecht, nicht ohne übergeordnete Gründe von der Verhandlung über seine Strafsache ausgeschlossen zu werden.

Tepperwien Maatz Athing Franke Mutzbauer