LAG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2013 - 9 Sa 205/13
Fundstelle
openJur 2013, 37177
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21.12.2012 - 1 Ca 3677/12 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.06.2012 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird - nicht - zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren nur noch über die Frage der Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 13.06.2012.

Die Beklagte, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, betreibt den Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen. Sie unterhält auch den Fahrkartenprüfdienst. Es besteht ein Betriebsrat.

Der am 09.06.1982 geborene ledige und niemandem gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.05.2011 als Prüfer (Fahrscheinkontrolleur) tätig. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 2.099,00 €. Die Einzelheiten der Beschäftigung regelt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 15.04.2011, Bl. 42/43 GA.

Der Kläger arbeitet in einem Dreier-Team. Diese Mitarbeiter führen Prüfungen in Zügen gemeinsam durch, wobei nicht alle drei Prüfer stets im gleichen Wagen prüfen, sondern sich auch im Zug verteilen.

Am Sonntag, 06.05.2012, hatte der Kläger mit seinen Kollegen M. und T. Prüfdienst in der Schicht 8230. Die drei Prüfer hatten um 06.15 Uhr den Dienst aufgenommen. Dienstplanmäßiges Ende der Arbeitszeit war um 14.39 Uhr. Von 12.00 - 12.45 Uhr hat die Gruppe ordnungsgemäß Pause gemacht. Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Kläger nach der Pause gegen 13.00 Uhr seinen Dienst vorzeitig beendete. Er trug in seinen Arbeitsbericht vom 06.05.2012 als Arbeitszeitende 14.39 Uhr ein, Bl. 54/55 GA.

Mit Schreiben vom 04.06.2012 (Bl. 49 - 53 GA) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Klägers an. Im Schreiben verwies sie auf einen Arbeitszeitbetrug des Klägers am 06.05.2012. Der Kläger habe nach der Pause seinen Arbeitsplatz verlassen. Sodann kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.06.2012 außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum 31.07.2012, Bl. 5 GA.

Mit seiner am 18.06.2012 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingereichten Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Er habe seine Schicht bis 14.39 Uhr ordnungsgemäß absolviert und sei bei einer Personalienfeststellung - wie in seinem Arbeitsbericht vermerkt - um 14:30 Uhr zugegen gewesen. Insoweit habe die Fahrt in Köln um 14.06 Uhr geendet, sodann sei die Personenkontrolle durchgeführt worden bis 14.30 Uhr. Die fristlose Kündigung scheitere schon deshalb, weil die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten habe. Auch sei zu beachten, dass die Beklagte bereits mehrfach versucht habe, ihn loszuwerden und ungerechtfertigte Vorwürfe erhoben habe. Auch seien die Aussagen von Frau M. nicht glaubhaft. Sie belaste ihn ungerechtfertigt.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass die Kündigungen der Beklagten vom 13.06.2012 rechtsunwirksam ist und dass das Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die Kündigung sei wirksam. Der Arbeitsbericht des Klägers habe ihr am 14.05.2012 vorgelegen. Ab dem 28.05.2012 sei er bearbeitet worden und hierbei sei aufgefallen, dass er ab 13.00 Uhr keine Fahrgäste kontrolliert habe. Am 01.06.2012 habe sie zunächst ein Gespräch mit dem Kläger geführt, der angegeben habe, an diesem Tag unter Kopfschmerzen gelitten zu haben, er sei aber auf dem Zug gewesen. Noch am gleichen Tag habe sie danach mit der Kollegin des Klägers, der Zeugin M., ein Gespräch geführt, in welchem diese den Kläger des Verlassens des Arbeitsplatzes um 13:00 Uhr bezichtigt habe. Bei einem Gespräch am 04.06.2012 habe Frau M. unter Bezugnahme auf eine SMS des Klägers mitgeteilt, dass sie sich von ihm bedroht fühle. Bei der Anhörung des weiteren Teamkollegen, Herrn T., habe dieser einen extrem verunsicherten Eindruck hinterlassen. In einerm weiteren Gespräch mit dem Kläger unter Beteiligung der Betriebsratsmitglieder B. und L. habe der Kläger erneut bestätigt, die Schicht zu Ende gefahren zu haben. Dies sei unzutreffend, was sich aus den Angaben von Frau M. ergebe. Im Ergebnis stünde für sie fest, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz entgegen der Einträge in seinem Prüfbericht vorzeitig verlassen habe. Die im Prüfbericht des Klägers enthaltene Personenfeststellung entlaste ihn nicht, weil er diese von seinen Kollegen abgeschrieben haben müsse. Der festgestellte Sachverhalt rechtfertige die fristlose Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung. Denn der Kläger arbeite in einer Vertrauensposition. Auch die Interessenabwägung ginge zu seinen Lasten aus. Sie, die Beklagte, müsse sich jederzeit auf ihn verlassen können. Zudem sei die Dauer des Arbeitsverhältnisses kurz und sei nicht unbelastet. Der Kläger habe bereits am 30.12.2011 eine Abmahnung und am 13.12.2011 und 31.08.2011 eine Abmahnung erhalten.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der beiden Teamkollegen des Klägers. Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat es festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 13.06.2012 beendet worden sei, sondern bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2012 fortbestanden habe. Zwar könne ein Arbeitszeitbetrug dem Grunde nach eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Die fristlose Kündigung scheitere aber, weil die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Der Prüfbericht des Klägers habe ihr jedenfalls am 14.05.2012 vorgelegen. Am 01.06.2012 habe sie mit der Kollegin Frau M. gesprochen. Allerdings habe Frau M. bereits in der Woche nach dem 06.05.2012 darauf hingewiesen, nicht mehr mit dem Kläger zusammenarbeiten zu wollen und von dem Vorfall berichtet. Insoweit seien die am 01.06.2012 aufgenommenen Ermittlungen verspätet, so dass die Kündigungserklärungsfrist bei Ausspruch der fristlosen Kündigung bereits abgelaufen gewesen sei. Die ordentliche Kündigung sei hingegen wirksam und beende das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2012. Dabei sei die Anhörung des Betriebsrates nicht zu beanstanden, weil der Kläger hierzu substantiiert nichts vorgetragen habe. Der von der Beklagten behauptete Arbeitszeitbetrug, der grundsätzlich auch zur fristlosen Kündigung berechtige, läge nach Auffassung der Kammer vor. Die glaubwürdige Zeugin M. habe glaubhaft klar und widerspruchsfrei bekundet, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz gegen 13.00 Uhr verlassen habe. Diese Aussage habe die Aussage des Zeugen T. nicht erschüttert. Denn das Auftreten des Zeugen sei von extremer Unsicherheit geprägt gewesen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die zuvor erfolgte 30 Telefonanrufe des Klägers beim Zeugen nur den Sinn gehabt hätten, den Zeugen zu verunsichern. Auch die Angaben des Klägers in seinem Prüfbericht stünden dem nicht entgegen, weil er die entsprechende Kenntnis der Personenkontrolle auch anderweitig erlangt haben könne. Die Zeugin C. sei nicht zu vernehmen gewesen, weil diese zum Sachverhalt keine Angaben machen könne. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine Abmahnung scheide aus, da für den Kläger offensichtlich sei, dass die Beklagte dieses Verhalten nicht hinnehmen würde. Auch wiege die Tat schwer. Der Kläger habe sich für 1,5 Stunden ungerechtfertigt Vergütung erschlichen.

Gegen das ihm am 25.01.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 18.02.2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 15.04.2013 - mit einem am 15.04.2013 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger meint, sein Verhalten rechtfertige auch die ordentliche Kündigung nicht. Zutreffend habe das Arbeitsgericht entschieden, dass die fristlose Kündigung unwirksam sei. Soweit es aber die ordentliche Kündigung für wirksam gehalten habe, habe es übersehen, dass der Vorwurf, selbst wenn er zuträfe, die ordentliche Kündigung nur nach vorangegangener Abmahnung rechtfertigen könne. Diese läge aber nicht vor. Es sei davon auszugehen, dass er sich, falls der Vorwurf zutreffen sollte, künftig infolge der Abmahnung vertragstreu verhalten hätte. Dies gelte auch bei Vorwürfen im Vertrauensbereich. Das Fehlverhalten erreiche auch nicht einen Schweregrad, der eine Abmahnung als überflüssig erscheinen lassen würde. Es handele sich um einen isolierten, einmaligen Verstoß. Zudem bestünde keine Heimlichkeit, weil die Teammitglieder sich gegenseitig kontrollierten. Zudem habe das Arbeitsgericht verkannt, dass er tatsächlich keinen Arbeitszeitbetrug begangen habe. In tatsächlicher Hinsicht sei zunächst zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht davon ausgehe, dass sich die Teammitglieder während der gesamten Prüfung durchgängig sehen könnten. Dies sei nicht der Fall, weil die Kontrollen im Zug alleine durchgeführt würden. Richtig sei, dass er am relevanten Tag geprüft habe und auch bei einer Personalienfeststellung von 14.00 - 14.30 Uhr dabei gewesen sei. Dass er bei "Kontrollierte Fahrgäste" zwei Striche gemacht habe, bedeute nicht, dass er nichts getan habe. Wahrscheinlich sei entweder sein Akku leer gewesen, oder keine Druckerrolle vorhanden gewesen. Auch habe er ein zeitguthaben von 107 Stunden, so dass keine Veranlassung zu einer Manipulation bestanden habe. Das Arbeitsgericht Düsseldorf habe die Aussage der Zeugin M. unzutreffend gewürdigt und einseitig auf deren Aussage abgestellt und die Aussage des Zeugen T. unzutreffend abgewertet. Das Verhältnis zwischen ihm und Frau M. sei seit längerem gestört. Dies zeige schon, dass sich die Zeugin in bahnärztlicher Behandlung befände und dort als Grund Auseinandersetzungen mit ihm, dem Kläger, angegeben habe. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, weshalb Frau M. als Zeugin glaubwürdiger sein solle als Herr T.. Der Zeuge T. habe ausdrücklich bekundet, dass wenn es Auffälligkeiten gegeben hätte, er diese vermerkt hätte. Auch sei die Aussage von Frau M. nicht widerspruchsfrei. So habe sie bekundet, die S 12 um 13.01 Uhr von Gleis 1 genommen zu haben, um den Dienst fortzusetzen. Tatsächlich fahre die S 12 von Gleis 11. Auch sei ihre Aussage überaus präzise, was für eine "erlernte" Aussage spräche. Dass der Zeuge T. demgegenüber unsicher gewesen sein soll, sei als solches nicht trennscharf, sondern könne verschiedene Ursachen haben. Auch dass er, der Kläger, Herrn T. mehrfach angerufen habe, sei irrelevant. Denn auch Herr T. habe ihn öfter angerufen, etwa um Aufklärung über die mit dem Mobiltelefon geführten Telefonate gebeten. Letztlich habe die Zeugin M. nachträglich Eintragungen in ihr Buch vorgenommen, was sich aus unterschiedlichen Farben bei den Einträgen ergebe.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Düsseldorf vom 21.12.2012 - 1 Ca 3677/12 - wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.06.2012 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und macht unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend geltend: Der Kläger habe einen Arbeitszeitbetrug begangen. Insoweit habe die Beweisaufnahme den Sachverhalt eindrucksvoll bestätigt. Das Arbeitsgericht habe auch die Zeugenaussagen zutreffend gewürdigt. Die Aussage der Zeugin M. sei klar und präzise gewesen. Dazu habe sie sich auf ihr persönliches Tagebuch bezogen. Sie habe bekundet, dass der Kläger nicht zum ersten Mal seinen Arbeitsplatz verlassen habe, sondern es am 06.05.2013 auf die Spitze getrieben habe. Die Aussage des Zeugen T. sei demgegenüber von Erinnerungslücken geprägt gewesen. Er habe allerdings auch nicht angeben können, an diesem Tag definitiv auch nach 13.00 Uhr weiter mit dem Kläger gearbeitet zu haben. Auch sei seine Aussage widersprüchlich zu derjenigen vom 04.06.2012. Insofern sei die Beweisaufnahme nicht zu beanstanden, so dass es einer Wiederholung nicht bedürfe. Ob das Verhältnis zwischen dem Kläger und Frau M. seit längerem gestört sei, wisse sie nicht. Dies bestreitet die Beklagte ebenso mit Nichtwissen wie die Behauptung, die Zeugin befände sich wegen der Auseinandersetzung mit dem Kläger in bahnärztlicher Behandlung. Der festgestellte Sachverhalt rechtfertige auch die ordentliche Kündigung. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass es sich um eine schwer zu kontrollierende Arbeitszeit handele. Zudem wiege der Vorwurf schwer. Der Kläger habe seine Arbeitszeit um 1,5 Stunden vorzeitig beendet. Eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich. Denn der Kläger arbeite in einer Vertrauensposition. Er sei berechtigt, Fahrgeldleistungen einzuziehen, so dass die Beklagte sich auf den Kläger verlassen können müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Gründe

I.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch begründet. Denn das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 13.06.2012 auch nicht mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.07.2012 beendet worden. Denn die ordentliche Kündigung der Beklagten ist rechtsunwirksam. Entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichtes wäre vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gewesen.

1.Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das KSchG gem. § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG Anwendung, da im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestand und die Beklagte ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger hat gem. § 4 KSchG rechtzeitig Klage erhoben, da die dreiwöchige Frist zwischen Zugang der Kündigung und Klageerhebung gewahrt ist.

2.Gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Das Gesetz differenziert also zwischen betriebsbedingter, personenbedingter und verhaltensbedingter Kündigung.

3.Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihrer Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn Umstände im Verhalten eines Arbeitnehmers vorliegen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund müssen die verhaltensbedingten Gründe nicht so schwerwiegend sein, dass sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Erforderlich ist ein Verhalten des Arbeitnehmers, durch das das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589; BAG v. 12.01.2006, 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980).

Diese Prüfung der Sozialwidrigkeit erfolgt auf dieser Grundlage regelmäßig in vier Stufen (so auch HaKo/Fiebig, § 1 KSchG Rz.201). Auf der ersten Stufe ist ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers festzustellen. Wie bei der fristlosen Kündigung ist auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers "an sich geeignet" ist, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Das vertragswidrige Verhalten muss sodann auf einer zweiten Stufe zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führen. Hierbei ist zu beachten, dass die Vertragsverletzung an sich im Allgemeinen schon eine Störung des Arbeitsverhältnisses bedeutet, es jedoch entscheidend darauf ankommt, ob auch in Zukunft eine Störung eintreten wird. Verhaltensbedingte Leistungsstörungen sind also nur dann kündigungsrelevant, wenn auch künftige Vertragsverstöße zu befürchten sind. Auf der dritten Stufe ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, die ordentliche Kündigung abzuwenden. Zuletzt ist auf der vierten Stufe eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Unabhängig davon, wie schwerwiegend ein Pflichtverstoß ist, bleibt stets zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das des Arbeitnehmers an seiner Fortsetzung überwiegt.

a)Die Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung der von ihr ausgesprochenen Kündigung auf einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug des Klägers.

aa)Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt der Beklagten. Denn nach der ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, der die erkennender Kammer folgt, stellt die vorsätzliche Nichteinhaltung der vereinbarten Arbeitszeit einen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar und ist an sich zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung geeignet. Denn der Arbeitnehmer, der dem Arbeitgeber geleistete Arbeitszeit vorspiegelt oder sich Arbeitsbefreiung erschleicht, kann unter Umständen sogar fristlos gekündigt werden, da er die wesentlichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Denn die Arbeitspflicht ist die Hauptpflicht des Arbeitnehmers. Insbesondere, wenn die Pflichtverletzung im Hinblick auf die Arbeitspflicht den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verweigerung der Arbeitspflicht erreicht, kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein (BAG v. 28.08.2008 - 2 AZR 15/07 NZA 2009, 192; BAG v. 26.08.1993, EZA Nr. 148 zu § 626 BGB; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdnr. 641; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB, Rdnr. 170).

Hinzu kommt: Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06, AP Nr. 210 zu § 626 BGB).

Dabei kommt es auf die strafrechtliche Würdigung des Sachverhaltes nicht an. Entscheidend ist die durch die Handlung zum Ausdruck kommende arbeitsrechtliche Pflichtverletzung (BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 12.5.2010 - 2 AZR 845/08; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06, AP Nr. 210 zu § 626 BGB).

Insoweit stellt sich die behauptete Pflichtverletzung ohne weiteres auf der ersten Stufe sogar einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung dar, weil der Kläger damit seine Hauptleistungspflicht verletzt und dadurch das Vermögen des Arbeitgeber geschädigt hätte.

bb)Die Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund, also die Tatsachen, die die Kündigung bedingen, trägt nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber. Dieser Darlegungslast genügt der Arbeitgeber zunächst durch die detaillierte Angabe des Kündigungsgrundes. Der Arbeitgeber muss dabei aber nicht von vornherein alle denkbaren Rechtfertigungsgründe entkräften. Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast hängt vielmehr davon ab, wie sich der Arbeitnehmer zum Sachverhalt einlässt. Insofern ist es zunächst Sache des Arbeitnehmers, nach § 138 Abs. 2 Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe darzulegen. Kommt der Arbeitnehmer seiner Pflicht nach, ist es wiederum Aufgabe des Arbeitgebers zu beweisen, dass keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorlagen (so schon BAG v. 12.08.1976 - 2 AZR 237/75, DB 1976, 2357; APS/Dörner, § 1 KSchG Rz.439; ErfK/Ascheid/Oetker, § 1 KSchG Rz.361; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz.412).

b)Auf dieser Basis hat die Beklagte durchaus Tatsachen vorgetragen, die - wenn sich der Kläger tatsächlich in entsprechender Wiese verhalten hätte, wie vom Arbeitsgericht herausgearbeitet - den Tatbestand des Arbeitszeitbetruges erfüllen würden. Dies kann allerdings offen bleiben. Denn aus Sicht der erkennenden Kammer hätte der Kläger vor einer Kündigung zunächst abgemahnt werden müssen. Daran fehlt es aber.

aa)Die verhaltensbedingte Kündigung ist sowohl in Form der fristlosen als auch der ordentlichen Kündigung zukunftsbezogen ausgerichtet. Die Vertragsverletzung kommt deshalb als Kündigungsgrund nur dann in Betracht, wenn aus ihr geschlossen werden kann, dass auch zukünftige Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu besorgen sind. Denn die verhaltensbedingte Kündigung ist keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, sondern es soll das Risiko künftiger Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist deshalb, ob Wiederholungsgefahr besteht oder ob die Pflichtverletzung künftige Folgewirkungen aufweist, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als ausgeschlossen erscheinen lassen (BAG v. 24.03.2011 - 2 AZR 282/10; BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 12.02.2009 - 2 AZR 603/07, NZA 2009, 894; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; BAG v. 13.06.2002 - 2 AZR 234/01, NZA 2003, 265). So kann die negative Prognose aus der Schwere der Pflichtverletzung abgeleitet werden. Das vorangegangene Ereignis kann sich also insbesondere wegen der Schwere der Vertragsverletzung auch ohne Wiederholung künftig weiter belastend auswirken. Regelmäßig wird sich die negative Prognose aber erst nach einer Abmahnung treffen lassen. Denn entscheidend ist, dass der Arbeitgeber nicht mehr erwarten kann, dass sich der Arbeitnehmer künftig vertragsgerecht verhält (BAG v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027; 12.02.2009 - 2 AZR 603/07, NZA 2009, 894; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; BAG v. 27.11.2003 - 2 AZR 692/02 n.v.). Erst eine vorherige einschlägige Abmahnung verschafft dazu in der Regel die sichere Prognosegrundlage. Sie dient der Verobjektivierung der Prognose (BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980).

Dies gilt auch im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue wiederzugewinnen. Sie ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie nicht geeignet ist, die negative Prognose zu begründen. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie keinen Erfolg verspricht, also ungeeignet ist, die Warnfunktion zu erfüllen (BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980). Nichts anderes gilt, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber - auch für den Arbeitnehmer ersichtlich - offensichtlich ausscheidet. Dies gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich durch Straftaten gegen das Vermögen oder das Eigentum des Arbeitgebers (BAG v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027; BAG v. 28.10.2010 - 2 AZR 293/09; BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 12.05.2010 - 2 AZR 845/08; BAG v. 23.06.2009 - 2 AZR 103/08, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung).

bb)Die Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger nicht auf den Ausspruch einer Abmahnung berufen. Sie geht davon aus, dass die Pflichtverletzung des Klägers einen Schweregrad erreicht, der eine Abmahnung überflüssig erscheinen lässt. Dies ist aus Sicht der Kammer allerdings unzutreffend. Denn die Pflichtverletzung erreicht aus Sicht der Kammer noch keinen Schweregrad, der eine Abmahnung als aussichtslos erscheinen lassen würde.

Die Kammer verkennt mit der Rechtsprechung des BAG v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 dabei nicht, dass es dann keiner Abmahnung bedarf, wenn eine Verhaltensänderung selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine Pflichtverletzung handelt, bei der eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Kammer geht aber davon aus, dass die behauptete Arbeitsversäumnis von 1,5 Stunden zwar eine gravierende Pflichtverletzung ist. Auch wenn der Kläger beim behaupteten Sachverhalt vorsätzlich agiert hätte, darf nicht übersehen werden, dass er - selbst wenn der Sachverhalt zuträfe - nicht heimlich agierte oder aber mit erheblicher krimineller Energie zu Werke ging. Denn der Kläger wäre offen ersichtlich für die Gruppe nach Hause gegangen. Er legte in diesem Fall auch keine erhebliche kriminelle Energie an den Tag, weil er sich an diesem Fall nicht einmal viel Mühe gemacht hätte, seine Tat zu verschleiern. Denn in seinen Zeiterfassungsbogen trug er ein, dass er ab 13.00 Uhr keine Fahrgäste mehr kontrollierte. Zwar trug er noch eine Personenkontrolle für die Zeit 14.00 Uhr - 14.30 Uhr ein, die er nachträglich nach Rücksprache mit einem Teammitglied eingetragen haben müsste, was der Verschleierung gedient hätte. Entscheidend ist jedoch, dass die Angabe der kontrollierten Fahrgäste mit "0" auffallen musste und auch aufgefallen ist. Auch ist zu beachten, dass die Beklagte bei den Mitarbeitern im Außendienst, insbesondere bei Kontrolleuren zwar auf Vertrauen angewiesen ist. Schließlich ist die Kontrollaufgabe eine solche, bei der sich die Beklagte auf die Mitarbeiter verlassen können muss. Insbesondere ist die Arbeitszeit der Mitarbeiter schwer zu kontrollieren. Auch dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht dazu führen, dass die Pflichtverletzung einen Schweregrad erreicht, bei dem die Hinnahme als offensichtlich ausgeschlossen angesehen werden müsste. Denn die Beklagte selbst ist es, die sich dieses Systems der Kontrolle durch die Gruppe bedient. Es findet keine Arbeitszeiterfassung zu Beginn und Ende der Schicht statt, obgleich die Mitarbeiter in Köln bei Dienstende die Meldestelle aufsuchen müssen, die neun Minuten vom Hauptbahnhof entfernt ist. Wer sich dort einfindet und wer dort wann seine Prüfberichte einreicht, ist für die Beklagte selbst nicht nachvollziehbar. Nimmt man hinzu, dass es sich um einen Einzelfall handelt, weil die Beklagte selbst nicht konkret darlegen kann, dass der Kläger sich wiederholt in entsprechender Weise der Arbeit entzogen hat, kann nicht mehr von einer derart gravierenden Pflichtverletzung ausgegangen werden, dass eine Abmahnung überflüssig wäre. Denn seine Pflichtverletzung erreicht dann nicht das Maß einer Beharrlichkeit. Diese erreichte es erst im Falle einer Wiederholung nach erfolgloser Abmahnung.

c)Auch die Interessenabwägung geht zu Lasten der Beklagten aus.

aa)Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer Pflichtverletzung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG v. 24.03.2011 - 2 AZR 282/10, BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, BAG v. 28.01.2010 - 2 AZR 1008/08, DB 2010, 1709; BAG v. 10.11.2005 - 2 AZR 623/04, AP Nr. 196 zu § 626).

bb)Unabhängig davon, wie schwerwiegend ein Pflichtverstoß ist, bleibt stets zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Dabei lassen sich die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände nicht abschließend für alle Fälle festlegen (BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 10.12.2009 - 2 AZR 55/09; BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 236 ff.; APS-Dörner § 626 BGB Rdnr. 115).

Von besonderer Bedeutung sind Art, Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzung sowie der Grad des Verschuldens (BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 12.05.2010 - 2 AZR 845/08; BAG v. 10.12.2009 - 2 AZR 55/09; BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 981; BAG v. 21.1.1999 - 2 AZR 665/98 - AP Nr. 151 zu § 626 BGB; LAG Hamm v. 30.5.1996 - 4 Sa 2342/95, NZA 1997, 1056). Von den Sozialdaten ist vorrangig die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu beachten, insbesondere die Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falles - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls nicht von vornherein von der Berücksichtigung ausgeschlossen, wenn sie auch im Einzelfall in den Hintergrund treten und im Extremfall sogar völlig vernachlässigt werden können (BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - NZA 2006; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 981; BAG v. 16.12.2004 - 2 ABR 7/04, EzA § 626 Nr. 7; BAG v. 20.01.2000 - 2 ABR 378/99. BAGE 93, 255; LAG Hamm v. 30.05.1996 - 4 Sa 2342/95 - NZA 1997, 1056; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz.1184; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rz. 278).

Auf Seiten des Arbeitgebers können insbesondere nachteilige betriebliche Auswirkungen der Pflichtverletzung berücksichtigt werden, also ob es infolge der Vertragsverletzung zu betrieblichen Störungen gekommen ist. Das Vorliegen von betrieblichen Störungen ist jedoch nicht unabdingbare Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung, da die Pflichtverletzung schon in der Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten besteht. Dies gilt vor allem bei Verstößen des Arbeitnehmers gegen seine Hauptleistungspflicht. Es wirkt sich im Rahmen der Interessenabwägung dann nur noch zusätzlich zu Lasten des Arbeitnehmers aus, wenn sein Verhalten negative betriebliche Auswirkungen hatte (vgl. auch BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 10.12.2009 - 2 AZR 55/09; BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - NZA 2006; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 981; BAG v. 16.12.2004 - 2 ABR 7/04, EzA § 626 Nr. 7).

cc)Zu seinen Lasten ist zu berücksichtigen, dass es sich - eine Pflichtverletzung unterstellt - nicht um ein Kavaliersdelikt handelte. Das Gegenteil wäre der Fall. Aus Sicht der Kammer hätte der Kläger insoweit in erheblichem Maße die ihm obliegenden arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Denn objektiv spiegelte er dem Arbeitgeber geleistete Arbeitszeit vor, die tatsächlich nicht erbracht worden wäre. Insoweit hätte der Kläger auch ungerechtfertigte Vergütung für den Zeitraum der Nichtarbeit erhalten. Dann wäre dem Arbeitgeber durch das Verhalten des Klägers ein nicht unerheblicher Schaden entstanden. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zugunsten des Klägers zunächst die bisherige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Auch wenn der Kläger erst seit dem 12.07.2010 und damit seit etwa 1,5 Jahren beschäftigt ist, hat er doch auch in dieser Zeit seine Arbeitsleistung erbracht und damit bereits ein gewisses Vertrauenskapital aufgebaut. Zwar gab es in der Vergangenheit bereits einige Abmahnungen. Die Abmahnungen vom 30.12.2011 und 13.12.2011 sowie 31.08.2011 sind jedoch im Wege des Vergleiches ersatzlos aus der Personalakte entfernt worden und zeigen, dass die Beklagte hier offenbar "über das Ziel hinausgeschossen ist". Nur eine Abmahnung vom 03.11.2011 soll in der Akte bis zum 03.11.2012 verbleiben. Diese Abmahnung hat aber keinerlei Bezug zum streitgegenständlichen Vorwurf. Auch ist der Kläger infolge dieses Vergleiches überhaupt erst in dem neuen Team mit Frau M. und Herrn T. eingesetzt worden. Sein Lebensalter liegt mit 31 Jahren hingegen im "frühen mittleren Bereich". Zugunsten des Klägers ist weiter zu berücksichtigen, dass er nicht heimlich und ohne erhebliche kriminelle Energie agierte, was bereits im Rahmen der Abmahnung dargelegt worden ist. Zudem gibt es auch überhaupt kein verlässliches System zur Erfassung der Arbeitszeit, sondern offenbar nur die Kontrolle durch die Gruppe. In dieser Situation geht die umfassende Interessenabwägung trotz der erheblichen Pflichtverletzung noch gerade zugunsten des Klägers aus.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 91 ZPO. Danach hat die in vollem Umfang unterliegende Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht liegen nicht vor. Es ist weder über Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, noch liegt eine divergente Entscheidung der Kammer zu einer divergenzfähigen Entscheidung eines Divergenzgerichtes vor. Schließlich ist auch kein absoluter Revisionsgrund gem. § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ersichtlich, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.

Dr. UlrichFriedrichMindemann