LAG Köln, Urteil vom 12.03.2013 - 11 Sa 663/12
Fundstelle
openJur 2013, 36904
  • Rkr:

Auch ohne vorherige Abmahnung kann die grobe Beleidigung einer Arbeitskollegin eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.04.2012 - 6 Ca 5600/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie um die Wirksamkeit der Anfechtung des Arbeitsvertrages.

Der Kläger ist seit dem 01.10.2010 bei der Beklagten als Versicherungsmakler in Teilzeit zu einer monatlichen Vergütung von 2200,-- € brutto beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt lief gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung. Am 10.02.2011 wurde der Kläger vom Amtsgericht Hamburg wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu 90 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt. Hierbei ging es zum einen um die Fälschung eines Sachkundenachweises, zum anderen um Fälschung einer Unterschrift unter einem Lebensversicherungsvertrag.

Nach einer Auseinandersetzung mit der Zeugin S -M am 05.07.2011, deren Hergang zwischen den Parteien streitig ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 05.07.2011 fristlos, hilfsweise focht sie den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.

Mit seiner Feststellungsklage wendet sich der Kläger gegen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Anfechtung des Arbeitsvertrages. Zudem macht er Vergütungsansprüche geltend.

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil vom 12.04.2012 (Bl. 80 ff. d. A.) die Feststellungsklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte den Arbeitsvertrag wirksam angefochten habe, da der Kläger sie bei Abschluss des Arbeitsvertrages arglistig getäuscht habe. Der Kläger habe die Beklagte nicht darüber informiert, dass sein Arbeitsverhältnis zum vorherigen Arbeitgeber aufgrund einer fristlosen Kündigung beendet worden sei und dass der wichtige Grund dieser Kündigung eine Urkundenfälschung gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe, wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens der Parteien sowie der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihm am 08.06.2012 zugestellte Teilurteil hat der Kläger unter dem 09.07.2012 Berufung eingelegt und diese am 06.08.2012 begründet.

Der Kläger meint, er sei nicht verpflichtet gewesen, von sich aus auf die Vorstrafen hinzuweisen. Er habe den Strafbefehl lediglich auf Empfehlung seiner damaligen Verteidigerin aus Beweisgründen akzeptiert, nicht hingegen den damit verbundenen Unrechtsvorwurf. Jedenfalls sei der Beklagten die falsche Sachkundenachweisbescheinigung bekannt gewesen. Eine Beleidigung der Zeugin S -M stellt der Kläger in Abrede. Er habe lediglich sinngemäß erklärt, dass er das Verhalten der Beklagten, ihm die fällige Vergütung nicht auszuzahlen, zum Kotzen fände.

Der Kläger beantragt,

das am 12.04.2012 verkündete und am 08.06.2012 zugestellte Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln - 6 Ca 5600/11 - abzuändern und festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Anfechtung vom 05.07.2011 noch durch die Kündigung vom 05.07.2011 fristlos aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte sieht sich durch den Kläger bei Eingehung des Arbeitsvertrages arglistig getäuscht. Der Kläger habe vorgespiegelt, er habe seinem vorherigen Arbeitgeber freiwillig durch Aufhebungsvertrag verlassen und sie nicht darüber informiert, dass sich das Ermittlungsverfahren auch auf den Vorwurf der Fälschung einer Kundenunterschrift bezogen habe. Von dem Ermittlungsverfahren, soweit es die Fälschung des Sachkundenachweises betraf, habe sie erst später beiläufig erfahren, verbunden mit der unwahren Beteuerung des Klägers, dass der Vorwurf haltlos sei. Ferner habe er seine prekäre wirtschaftliche Lage verschwiegen. Die fristlose Kündigung sei u.a. deshalb begründet, weil der Kläger die Zeugin S -M als "Fotze" bezeichnet und sie angespuckt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 06.08.2012 und 27.09.2012 Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat Zeugenbeweis über die Behauptung der Beklagten, der Klägerin habe die Zeugin S -M beleidigt und bespuckt, erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.03.2013 verwiesen.

Gründe

I. Die Berufung ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis wirksam mit Schreiben vom 05.07.2011 fristlos gekündigt. Ob sie den Arbeitsvertrag rechtswirksam angefochten hat, konnte daher dahinstehen.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind "an sich" geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG, Urt. v. 07.07.2011 - 2 AZR 355/10 - m.w.N.).

2. Zur Überzeugung der Berufungskammer steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin S -M fest, dass der Kläger die Zeugin am 05.07.2011 in grober Art und Weise beleidigt hat. Der Kläger kam an diesem Tag aufgrund einer Auseinandersetzung mit seiner damaligen Partnerin und wegen Geldsorgen schlecht gelaunt in das Büro, welches er sich mit der Zeugin geteilt hatte. Er hat seine schlechte Laune an ihr, seiner ehemaligen Ehefrau, abgelassen. Er hat zunächst zornig ihren Laptop, an dem sie gearbeitet hat, zugeklappt, so dass sie ihre Hände wegziehen musste. Sodann hat er ihr den Weg am Schreibtisch versperrt als sie sich der Situation entziehen wollte. Schließlich hat er die Zeugin zweimal als "Fotze" bezeichnet und seine grobe Missachtung dadurch unterstrichen, dass er sie bespuckt hat. Die Beleidigungen des Klägers sind nicht entschuldbar. Selbst wenn er wegen angeblich ausgebliebener Vergütung oder sonstiger privater Umstände verärgert gewesen war, rechtfertigt dies in keiner Weise, seine aufgestauten Aggressionen durch Beleidigungen der Zeugin abzulassen, zumal diese ihn in keinster Weise provoziert hat und um Deeskalation bemüht war.

3. Angesichts der Schwere der Beleidigungen und der damit verbundenen Schwere der Pflichtverletzung war eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung entbehrlich. Die Bezeichnung der Zeugin als "Fotze" nebst Bespucken stellt eine hochgradig gehässige Ehrkränkung dar. Der Kläger musste angesichts der Schwere seines Fehlverhaltens wissen, dass die Beklagte als Arbeitgeber den Pflichtenverstoß nicht duldet und missbilligt. Besonders schwere Verstöße gegen vertragliche Pflichten bedürfen keiner vorherigen Abmahnung, wenn eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 24.03.2011 - 2 AZR 282/10 - m.w.N.).

4. Auch die Interessenabwägung des Klägers fiel zu Lasten des Klägers. Der Kläger war erst seit neun Monaten bei der Beklagten beschäftigt. Zwar traf die fristlose Kündigung ihn hart, weil er auch angesichts seiner finanziellen Schwierigkeiten auf das Einkommen bei der Beklagten angewiesen war. Jedoch war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Der Kläger teilte mit der von ihm beleidigten Zeugin ein gemeinsames Büro, diese wollte mit ihm nicht länger zusammenarbeiten. Der Betriebsfrieden war durch das Fehlverhalten des Klägers tiefgreifend gestört, das Arbeitsumfeld nachhaltig belastet. Das sofortige Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt daher das Interesse des Klägers an der Einhaltung der Kündigungsfrist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben sind. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls. Die angesprochenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.