OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 09.09.2013 - 1 UF 105/13
Fundstelle
openJur 2013, 36777
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass familiengerichtliche Maßnahmen nicht veranlasst sind.

Gerichtskosten werden für das Verfahren insgesamt nicht erhoben;die Erstattung von außergerichtlichen Kosten wird nicht angeordnet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 €festgesetzt.

Gründe

I.

Das Jugendamt … O1 wandte sich unter dem ….07.2012unter Bezugnahme auf § 8a SGB VIII an das Familiengericht und teilte mit, es sei vom Hessischen Kindervorsorgezentrum darüber informiert worden, dass für das im Rubrum benannte Kind kein Nachweis für die Vorsorgeuntersuchung U 5 eingegangen sei. Eine Einschätzung, ob das Kind gefährdet sei, könne das Jugendamt ohne gerichtliche Hilfe nicht treffen, da die Kindeseltern bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos nicht mitwirkten.

Die Kindeseltern sind gegen die Gefährdungsmitteilung verwaltungsgerichtlich vorgegangen. Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher das Jugendamt verpflichtet werden sollte, von einer Mitteilung an das Familiengericht abzusehen bzw. an einem familiengerichtlichen Verfahren nicht mitzuwirken, hat das Verwaltungsgericht O1 abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kindeseltern wurde mit Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom ….11.2012zurückgewiesen (veröffentlicht in …). Die Kindeseltern haben hiergegen Verfassungsbeschwerde zum BVerfG eingelegt.

In einem Anhörungstermin vor dem Familiengericht haben die Kindeseltern erklärt, sie seien zwar bereit, mit dem Jugendamt die persönliche Situation der Familie und der Tochter zu erörtern, es bestehe aber keine Bereitschaft, sich zum gesundheitlichen Zustand des Kindes zu äußern oder gar ärztliche Bescheinigungen vorzulegen.

Das Jugendamt vertrat im Anhörungstermin vor dem Familiengericht die Auffassung, es bestehe keine Veranlassung, die Situation der Familie zu erörtern, sondern das Jugendamt sei gesetzlich gehalten zu prüfen, ob das Kind der U-Untersuchung zugeführt wurde.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht den Kindeseltern aufgegeben, gegenüber dem Jugendamt darzulegen, dass das Kind A im Sinne des Hessischen Kindergesundheitsschutzgesetzes untersucht wurde. Das Familiengericht hat seine Entscheidung auf §1666 BGB gestützt und damit begründet, es sei zu vermuten, dass die Kindeseltern die Gesundheitssorge nicht verantwortlich ausüben,denn sie würden sich weigern, das Kind zur Vorsorgeuntersuchung U 5vorzustellen, aber auch ihre Mitwirkung daran verweigern, dass das Jugendamt sich in sonstiger Weise darüber vergewissern könne, dass es dem Kind gut gehe.

Hiergegen wenden sich die Kindeseltern mit ihrer Beschwerde. Sie machen geltend, schon für die Annahme einer Gefährdungslage würden keine Anhaltspunkte bestehen, weshalb das Familiengericht auf die Gefährdungsmitteilung nichts habe veranlassen dürfen. Im Übrigen habe das Familiengericht auch keine Feststellungen hinsichtlich einer Gefährdung des Kindeswohls getroffen, sondern die Anordnung nur auf der Grundlage einer Vermutung getroffen.

Im Anhörungstermin vor dem Senat haben die Kindeseltern erklärt,sie seien nicht mehr bereit, am Verfahren mitzuwirken. Sie lehnten es ab, jedwede Angaben über die Situation (…ihres Kindes…) zu machen. Eine Verständigung über eine Mitwirkung am Verfahren konnte nicht bewirkt werden.

Auf ein an die Kinderärztin Frau B gerichtetes Anschreiben des Beschwerdegerichts hat diese unter dem ….09.2013 mitgeteilt,dass das Kind in ihrer Praxis regelgerecht betreut worden sei und aus kinderärztlicher Sicht keine Gefährdung des Kindeswohls vorliege.

II.

Die gem. §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Kindeseltern führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Der Senat gelangt zu der Feststellung,dass das Wohl des Kindes nicht gefährdet ist, weshalb familiengerichtliche Maßnahmen nicht veranlasst sind.

Die Bestimmungen des Hessischen Kinderschutzgesetzes sind indes für die Entscheidung des Senats unerheblich, weshalb auch die von den Beschwerdeführern geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelungen offen bleiben können. Das Hessische Kinderschutzgesetz verzichtet auf die zwangsweise Durchsetzung der Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen (vgl. Drucks. 16/7796 des Hessischen Landtages, S. 6), sondern begründet lediglich für das Jugendamt einen Gefahrerforschungsauftrag.

Der Senat hat auch nicht zu prüfen, ob das Jugendamt im Rahmen dieses Gefahrerforschungsauftrags zu Recht die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Mitteilung an das Familiengericht – hier nach § 8a Abs. 2 S. 1 HS 2 SGB VIII -angenommen hat. Denn ungeachtet der verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen der Regelung verpflichtet schon der bloße Eingang einer solchen Mitteilung das Familiengericht zur eigenständigen Prüfung, ob gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB geboten sind.Weder bindet eine Gefährdungsmitteilung das Familiengericht dahingehend, dass Maßnahmen nach § 1666 BGB anzuordnen wären, noch ist das Familiengericht an sorgerechtlich gebotenen Maßnahmen gehindert, wenn der Gefährdungsmitteilung die verwaltungsrechtliche Grundlage gefehlt haben sollte. Das Familiengericht muss in jedem Fall eine eigene Risikoeinschätzung vornehmen und sich erforderlichenfalls die hierzu erforderlichen Grundlagen im Rahmen seiner Amtsermittlung verschaffen.

Allerdings kann die Feststellung, es liege eine Kindeswohlgefährdung vor, nicht allein schon daraus hergeleitet werden, dass Vorsorgeuntersuchungen nicht durchgeführt wurden bzw.keine entsprechende Meldung an das Hessische Kindervorsorgezentrum erfolgt ist. Dieser Umstand gibt zwar Anlass zur Gefahrerforschung,rechtfertigt aber für sich allein genommen noch nicht die Feststellung, dass im konkreten Einzelfall eine Gefährdung auch tatsächlich vorliegt. Wegen einer in diesem Zusammenhang erfolgten Mitteilung nach § 8a SGB VIII sind daher nicht Maßnahmen zur Durchsetzung oder zum Nachweis der Vorsorgeuntersuchung anzuordnen,sondern nur solche Maßnahmen, die erforderlich sind, um eine Risikoeinschätzung zu ermöglichen.

Solcher Maßnahmen bedarf es dann nicht (mehr), wenn eine hinreichende Grundlage für die Risikoeinschätzung vorhanden ist.Eine solche Grundlage liegt inzwischen im Hinblick auf die ärztliche Mitteilung vom ….09.2013 vor. Danach besteht für den Senat kein Grund zur Besorgnis, die Eltern würden die Gesundheitssorge vernachlässigen, weshalb als Ergebnis der - jetzt ohne Maßnahmen gegen die Eltern möglich gewordenen -Risikoeinschätzung festgestellt werden kann, dass es sorgerechtlicher Maßnahmen nicht bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Es entspricht der Billigkeit, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen und eine Erstattung von Kosten nicht anzuordnen.

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40 Abs. 2, 45 Abs. 1FamGKG.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst.

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