Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.09.2013 - 14 CS 13.1383
Fundstelle
openJur 2013, 36454
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. In Abänderung der Nr. 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Juni 2013 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den für sofort vollziehbar erklärten Baueinstellungsbescheid des Landratsamts Nürnberger Land vom 26. April 2013 zu Recht abgelehnt. Die auf die fristgerecht dargelegten Gründe beschränkte Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) erfordert keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Die mit der Beschwerde vor allem gerügte Ermessensbetätigung und die Sofortvollzugsanordnung durch die Bauaufsichtsbehörde sind nicht zu beanstanden.

Zunächst ist unstreitig, dass das Wohnbauvorhaben der Antragstellerin die gesetzliche Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO verletzt, weil es am Standort des früher vorhandenen Gebäudes errichtet werden soll, das nur einen Abstand von ca. 2 m zum südlich angrenzenden, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Nachbargrundstück FlNr. 960/2 hatte und damit nicht den gesetzlichen Mindestabstand von 3 m einhielt.

Selbst wenn es sich bei dem abgerissenen Gebäude um ein Wohngebäude gehandelt haben sollte, so ergibt sich daraus, dass sich dieses in einem Abstand von ca. 2 m zum Nachbargrundstück befunden hat, nicht das Recht, an derselben Stelle ein neues Wohngebäude mit demselben Abstand zu errichten, weil der Bestandsschutz mit dem Abriss, der schon 2010 oder früher erfolgte, erloschen ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2012 – 15 ZB 12.2116 – juris Rn. 8 m.w.N.).

Im Übrigen ist auch nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem Atlbestand um ein in zulässiger Weise errichtetes und bestandsgeschütztes Wohngebäude gehandelt hat. Im Vorbescheidsverfahren, das dem Baugenehmigungsverfahren voran ging (Bauplan-Nr. VB-2008-17-3), hat die Antragstellerin das Gebäude noch als Nebengebäude bezeichnet. In diesem Fall wäre selbst bei bloßer Nutzungsänderung in ein Wohngebäude eine abstandsflächenrechtliche Neubewertung notwendig (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2008 – 14 B 06.2813BayVBl 2008, 730).

Unstreitig ist auch, dass im Baugenehmigungsbescheid vom 7. August 2012, der auf Grund der im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren erfolgten Zusicherung im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO erging, keine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilt wurde. Eine solche war auch nicht beantragt worden, was hierfür Voraussetzung gewesen wäre (Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Damit ist Genehmigungsinhalt der erteilten Baugenehmigung lediglich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach dem Prüfungsmaßstab des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Für die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Vorschriften ist der Bauherr selbst verantwortlich.

Durch die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO ist die Bauaufsichtsbehörde nicht gehindert, das Bauvorhaben einzustellen, wenn die Abstandsflächenvorschriften nicht eingehalten werden, wie Art. 55 Abs. 2 BayBO ausdrücklich klarstellt. Die in den diesbezüglichen Bauplänen dargestellte Situierung des Baukörpers ist nur bauplanungsrechtlich – z. B. im Innenbereich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB – zu prüfen. Auf die Erteilung einer Baugenehmigung besteht nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ein Rechtsanspruch („ist zu erteilen“), soweit die Baugenehmigungsbehörde nicht von der Ablehnungsbefugnis des Halbsatzes 2 der Vorschrift bei Verstoß gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften Gebrauch macht. Verpflichtet, von der Ablehnungsbefugnis Gebrauch zu machen, ist die Bauaufsichtsbehörde nicht (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand Februar 2013, Art. 68 Rn. 174). Es ist Sinn und Zweck des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs, dass der Bauherr und seine für ihn tätigen sachverständigen Personen für die Einhaltung der Vorschriften, die nicht Prüfungsmaßstab einer Baugenehmigung sind, selbst verantwortlich und die Behörden insoweit entlastet sind. Auch das Verwaltungsgericht hätte im vorangegangenen Klageverfahren auf Erteilung der Baugenehmigung bei planungsrechtlicher Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht die Möglichkeit gehabt, die Klage wegen Verletzung von Vorschriften abzuweisen, die nicht zum Prüfungsumfang des Baugenehmigungsverfahrens gehören. Deshalb bestand für das Verwaltungsgericht auch keine Veranlassung, die Einhaltung sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften wie Art. 6 BayBO zu überprüfen.

Das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde hinsichtlich der Baueinstellung (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO) ist nach dem Vorstehenden daher auch durch den Umstand nicht eingeschränkt, dass die Zusicherung, der Antragstellerin eine Baugenehmigung auf der Grundlage des dem Landratsamt vorgelegten Antrags (Bauakte Bl. 16 ff.) und der damit verbundenen Bauvorlagen zu erteilen, im unmittelbaren Anschluss an den gerichtlichen Augenschein am 16. Mai 2012 erfolgte. Dabei kann offen bleiben, ob der Bauaufsichtsbehörde, die sich mit diesen Fragen aus ihrer Sicht bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht befassen musste, weil sie das Bauvorhaben für planungsrechtlich unzulässig hielt, vor Erteilung der Baugenehmigung positiv bekannt war, dass das Bauvorhaben Abstandflächenvorschriften verletzt. Der Senat weist aber darauf hin, dass ein Abstandsflächenplan von der Bauherrin nicht vorgelegt wurde, sondern nur Lagepläne im Maßstab 1:1000 (Bl.1 ff. der Bauakte), in denen das früher bestehende Gebäude eingezeichnet ist und das Neubauvorhaben in Rot innerhalb der Außenmauern des Altgebäudes dargestellt wurde, so dass daraus der genaue Abstand des Neubauvorhabens zur Grundstücksgrenze nicht zu messen ist, und dass ein Übersichtsplan (Entwässerung) im Maßstab 1:500 (Bl. 11 der Bauakte) vorgelegt wurde, in dem das Bauvorhaben mit einem Abstand von ca. 6 mm zur Grundstücksgrenze eingezeichnet ist, so dass diese Darstellung den Eindruck erweckt, der Mindestabstand von 3 m könnte eingehalten sein. Nur ergänzend ist darauf hin zu weisen, dass nach der Zusicherung des Landratsamts vom 16. Mai 2012 ein neuer Bauantrag vom 3. Juli 2012 (Eingangsstempel des Landratsamts vom 4. Juli 2012) und neue Baupläne (Eingangsstempel 17. Juli 2012) eingereicht wurden und die ursprünglichen Baupläne vom 8. August 2010 teilweise ungültig gestempelt sind.

Verstößt ein Bauvorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, ist die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich gehalten, den Bau einzustellen, insbesondere wenn ansonsten später eine Baubeseitigungsverfügung im Raum stünde. Das ist hier der Fall. Schließlich sind bei einem Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften Nachbarrechte verletzt. Unabhängig davon, ob der Nachbar im Fall einer Verwirklichung eines – wie hier – grob abstandsflächenrechtswidrigen Bauvorhabens einen Anspruch auf Erlass einer Beseitigungsanordnung hat, dürfte jedenfalls das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde in solchen Fällen regelmäßig dahingehend auszuüben sein, den Bau, zumal wenn er noch nicht weit fortgeschritten ist, einzustellen. Ein bei der Ermessensausübung zu berücksichtigender Vertrauenstatbestand kann hier auch deswegen nicht vorliegen, weil der Nachbar, dessen Rechte durch den Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften verletzt werden, ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2012 im Klageverfahren auf Erteilung der Baugenehmigung nicht beteiligt war.

Auch die Sofortvollzugsanordnung der Baueinstellungsverfügung ist nicht zu beanstanden. Eine Baueinstellung ist regelmäßig nur mit einer Sofortvollzugsanordnung sinnvoll, da sie ansonsten ihren Zweck verfehlen würde (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2006 – 2 CS 05.2635 – juris Rn. 4).

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V. mit der Empfehlung in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327), wonach der hier mangels anderer Anhaltspunkte anzusetzende Auffangstreitwert im Eilverfahren zu halbieren ist. Die Befugnis des Verwaltungsgerichtshofs, den Streitwertansatz der Vorinstanz zu ändern, folgt aus § 63 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).