Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.09.2013 - 22 AS 13.40052
Fundstelle
openJur 2013, 35912
  • Rkr:

1. Entfällt nach § 38 Satz 1 BauGB das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens bei der (gebundenen) Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine öffentlich zugängliche Abfallbeseitigungsanlage, so hat die Genehmigungsbehörde die gemeindlichen städtebaulichen Belange, deren Umfang durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG begrenzt wird, abwägend zu berücksichtigen.2. Zu diesen Belangen kann auch der Ausschluss der Lagerung von gefährlichen Abfällen in einem festgesetzten Gewerbegebiet mit textlichen Festsetzungen nach § 31 Abs. 1 BauGB zur Sicherung der kommunalen Abwasserentsorgung gehören.Prüfungsmaßstab bei gerichtlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts mit Doppelwirkung im Interesse des Begünstigten;Berücksichtigung städtebaulicher Belange bei der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine öffentlich zugängliche Abfallbeseitigungsanlage;Umfang der berücksichtigungsfähigen Belange;Lagerplatz (auch) für gefährliche Abfälle;Bauschutt.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.

III. Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat mit Bescheid des Landratsamts Cham vom 20. Dezember 2012 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur zeitweiligen Lagerung von gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen, zur Lagerung von Eisen- und Nichteisenschrotten einschließlich Autowracks und zur Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen erhalten. Das Landratsamt ist hierbei davon ausgegangen, dass die Beigeladene das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 BauGB erteilt habe und hat der Antragstellerin gemäß § 31 Abs. 2 BauGB verschiedene Befreiungen von den Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans gewährt. Die Beigeladene hat gegen die Genehmigung Klage (Az. 22 A 13.40006) erhoben, über die noch nicht entschieden wurde; sie macht u.a. geltend, das Landratsamt habe sich darüber hinweggesetzt, dass sie ihr Einvernehmen verweigert bzw. nur mit – im Bescheid vom 20. Dezember 2012 unzureichend berücksichtigten – Maßgaben erteilt habe.

Die Antragstellerin hat beim Landratsamt vergeblich die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Genehmigung beantragt (ablehnender Bescheid vom 24.4.2013). Vorliegend beantragt sie beim Verwaltungsgerichtshof,

die sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 20. Dezember 2012 anzuordnen.

Sie macht geltend, bei Fortbestand der aufschiebenden Wirkung der von der Beigeladenen erhobenen Anfechtungsklage gegen die Genehmigung vom 20. Dezember 2012 drohe ihr erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Außerdem sei die Anfechtungsklage ohne Erfolgsaussicht, weil die Genehmigung rechtmäßig sei und keine Rechte der Beigeladenen verletze. Soweit die Beigeladene ihr gemeindliches Einvernehmen bezüglich einer Lagerung von Bauschutt auf dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin verweigert habe, sei eine solche Bauschuttlagerung gar nicht Gegenstand der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Die Maßgaben, an deren Beachtung das Einvernehmen gebunden gewesen sei, habe die Beigeladene vor Erlass des Bescheids vom 20. Dezember 2012 zum Teil wieder fallen gelassen; die verbliebenen Maßgaben seien durch die der Genehmigung beigefügten Nebenbestimmungen berücksichtigt worden.

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen jeweils,

den Antrag abzulehnen.

Die Beigeladene macht geltend, entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei mit dem Bescheid vom 20. Dezember 2012 auch die Lagerung von Bauschutt auf dem Betriebsgelände genehmigt worden. Insoweit habe die Beigeladene jedoch ihr gemeindliches Einvernehmen verweigert; das Landratsamt habe sich darüber hinweggesetzt und das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 28 Abs. 2 GG dadurch verletzt. Gehe man davon aus, dass ein Fall des § 38 BauGB vorliege und deshalb das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB nicht erforderlich sei, so sei die Genehmigung vom 20. Dezember 2012 gleichwohl rechtswidrig. Es fehle in diesem Fall nämlich vollständig an der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Belange. Weil das Landratsamt von einer gebundenen Zulassungsentscheidung, nicht aber von der Anwendbarkeit des § 38 BauGB, ausgegangen sei, liege ein vollständiger Abwägungsausfall vor. Rechtswidrig sei die erteilte Genehmigung auch deshalb, weil eine Anlage zur Lagerung gefährlicher Abfälle grundsätzlich in einem Gewerbegebiet unzulässig sei und nur in einem Industriegebiet errichtet werden dürfe. Die Beigeladene habe ein berechtigtes Interesse daran, dass die im Bebauungsplan enthaltene Festsetzung eines Gewerbegebiets gemäß § 8 BauNVO eingehalten werde. Die entgegenstehenden Belange der Antragstellerin, die auf dem geplanten Standort noch keinen geschützten Bestand unterhalte, sondern eine neue Anlage errichten wolle, seien diesem Interesse der Beigeladenen unterzuordnen. Soweit die Antragstellerin auf bereits getätigte erhebliche Investitionen verweise, sei sie das damit verbundene wirtschaftliche Risiko vor der Bestandskraft der Genehmigung freiwillig eingegangen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsverfahrensakten und die Gerichtsakten einschließlich der Akte zum Klageverfahren Az. 22 A 13.40006 Bezug genommen.

II.

Der gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthafte Antrag der Antragstellerin (die als Beigeladene im Verfahren Az. 22 A 13.40006 die von der vorliegend Beigeladenen mit der Anfechtungsklage angegriffene immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 20. Dezember 2012 verteidigt) hat keinen Erfolg.

Im Rahmen des § 80a Abs. 3 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen, deren Ausgangspunkt der Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung ist und der im Rahmen der Interessenabwägung daraufhin zu untersuchen ist, ob die Anfechtungsklage des Dritten – innerhalb der ihr gezogenen Grenzen der Klagebefugnis und der Rechtsverletzung des anfechtenden Dritten – voraussichtlich erfolgreich sein wird (BayVGH, B.v. 8.8.2008 – 22 CS 08.1326 - BayVBl 2009, 402; BVerfG, B.v. 1.10.2008 – 1 BvR 2466/08 - BayVBl 2009, 398). Bei Drittanfechtungsklagen stehen sich konkrete Rechtspositionen Privater oder wie hier eines Privaten und einer durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Gemeinde (Stadt) gegenüber, die grundsätzlich gleichrangig sind. Die Frage, wer hier bis zur Hauptsacheentscheidung das Risiko der Herbeiführung vollendeter Tatsachen tragen muss, bestimmt sich in erster Linie nach dem materiellen Recht, also den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs. Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich nicht entnehmen, dass hier eine der beiden Rechtspositionen bevorzugt wäre oder dass für ihre sofortige Ausnutzung zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse vorliegen müsste (BVerfG a.a.O.).

Im vorliegenden Fall kann nicht von mangelnden Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage der Beigeladenen ausgegangen werden. Vielmehr ist zweifelhaft, ob bei der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 20. Dezember 2012 die wehrfähigen städtebaulichen Belange der Beigeladenen hinreichend berücksichtigt worden sind. Bei dieser rechtlichen Einschätzung hat das Interesse der Beigeladenen daran, dass mit der Zulassung und Errichtung der streitgegenständlichen Anlage zur Lagerung und Behandlung von teilweise gefährlichen Abfällen keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, größeres Gewicht als das gegenteilige wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin.

1. Nach vorläufiger Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs kann sich die Beigeladene hier allerdings weder auf § 31 noch auf § 36 BauGB berufen. Bei der streitgegenständlichen Anlage handelt es sich wohl um eine öffentlich zugängliche Abfallbeseitigungsanlage, über deren Genehmigung in einem Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu entscheiden ist, in dem die Beigeladene als Standortgemeinde beteiligt wurde. Dies hat gemäß § 38 Satz 1 Alternative 2 BauGB zur Folge, dass die §§ 29 bis 37 BauGB nicht anwendbar sind und somit auch das verfahrensrechtliche Einvernehmenserfordernis nach § 36 BauGB entfällt (vgl. Runkel in: Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, § 38 Rn. 79). Die streitgegenständliche Anlage ist immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BImSchG und §§ 1 und 2 der 4. BImSchV (vom 14.3.1997, BGBl I 1997, 504, in der vor der Neubekanntmachung vom 2.5.2013 geltenden Fassung) i.V.m. Nr. 8.12 Spalte 2 Buchst. a) und b), Nr. 8.11 Spalte 2 Buchst. b) bb) und Nr. 8.9 Spalte 2 Buchst. b) des Anhangs zur 4. BImSchV a.F.. Öffentlich zugängliche Abfallbeseitigungsanlagen im Sinn des § 38 Satz 1 BauGB sind solche, bei denen der Kreis der Anlieferer – anders als bei betriebseigenen Anlagen – nicht von vornherein begrenzt ist (Nds. OVG, U.v. 22.1.2009 – KS 288/07 - BImSchG-Rspr § 9 Nr. 16; juris Rn. 37, und B.v. 4.1.2005 - 7 ME 249/04 - NVwZ-RR 2006, 25, m.w.N.; Thür. OVG, B.v. 22.2.2006 – 1 EO 707/05 - ThürVBl 2006, 152; juris Rn. 100). Vorliegend stellen die Beteiligten nicht in Frage, dass die streitgegenständliche Anlage nicht lediglich einem bestimmten Betrieb zur Abfallentsorgung dient, sondern grundsätzlich jedem interessierten Anlieferer offen steht – gerade dies ist offenbar der Zweck der gewerblichen, gewinnorientierten Anlage; auch aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anlage nicht öffentlich zugänglich wäre.

2. Die nach § 38 BauGB gebotene Beteiligung der Beigeladenen und die Berücksichtigung ihrer städtebaulichen Belange sind wohl nicht in einer rechtlich einwandfreien Weise erfolgt.

2.1. Zwar wurde die Beigeladene im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren formell beteiligt. Der Annahme einer solchen Beteiligung steht nicht entgegen, dass das Landratsamt Stellungnahmen der Beigeladenen nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 38 Satz 1 BauGB eingeholt hat, sondern deshalb, weil es das Einvernehmen der Gemeinde für notwendig erachtet hat. Die Beteiligung der Beigeladenen erschöpfte sich vorliegend nicht in einer bloßen Anfrage der Genehmigungsbehörde an die Gemeinde, sondern bestand aus einem umfangreichen Schriftwechsel zwischen beiden Behörden, der sich über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren erstreckte, Umplanungen der streitgegenständlichen Anlage sowie gutachtliche Stellungnahmen verschiedener Fachbehörden, insbesondere des zuständigen Wasserwirtschaftsamts, mit einbezog und erkennbar von dem Bemühen des Landratsamts getragen war, den Bedenken der Beigeladenen Rechnung zu tragen (wenngleich unter einem anderen rechtlichen Blickwinkel). Damit ist das formelle Erfordernis der „Beteiligung“ im Sinn des § 38 Satz 1 BauGB erfüllt.

2.2. Allerdings bestehen vorliegend Bedenken, ob die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Hinblick auf die zu berücksichtigenden städtebaulichen Belange (§ 38 Satz 1 2. Halbsatz BauGB) einer gerichtlichen Prüfung standhält. Das Erfordernis der „Berücksichtigung“ verlangt zwar weniger als eine Herstellung des Einvernehmens (vgl. Runkel, a.a.O., § 38 Rn. 71 m.w.N.); die „Berücksichtigung“ städtebaulicher Belange erfordert aber, dass solche Belange als abwägungserhebliche Belange in die Entscheidung einfließen (Thür. OVG, B.v. 22.2.2006 – 1 EO 707/05 -, a.a.O., juris Rn. 101).

2.2.1. Der in den Fällen des § 38 BauGB eintretende Wegfall des Einvernehmenserfordernisses nach § 36 BauGB bedeutet nicht, dass die von der Standortgemeinde geltend gemachten Belange für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer öffentlich zugänglichen Abfallbeseitigungsanlage bedeutungslos werden. Zwar erfolgt die Zulassung einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Abfallbeseitigungsanlage in Gestalt einer gebundenen Genehmigung nach §§ 4 und 6 BImSchG (vgl. Nds. OVG, U.v. 22.1.2009 – KS 288/07 – a.a.O., juris Rn. 34, zur vergleichbaren Rechtslage nach §§ 4 und 6 BImSchG i.V.m. dem – am 1.6.2012 außer Kraft getretenen - § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG); auch der Abwägungsvorbehalt des § 38 Satz 1 2. Halbsatz BauGB ändert den Rechtscharakter dieser immissionsschutzrechtlichen Entscheidung nicht. Sie wird – trotz ihrer Ähnlichkeit mit einer Planfeststellung (§§ 10 und 13 BImSchG) – nicht zu einer planerischen Abwägungsentscheidung, sondern bleibt eine gebundene Entscheidung. Diese wird aber infolge der Ausdehnung des Fachplanungsprivilegs auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren um ein planerisches Element angereichert, so dass in einem Teilbereich eine Abwägung stattzufinden hat (Nds. OVG, U.v. 22.1.2009 –KS 288/07 – a.a.O., juris Rn. 25 und 34, m.w.N.).

2.2.2. Eine Einschränkung des Prüfungsumfangs hinsichtlich der von der Beigeladenen als Standortgemeinde geltend gemachten Belange ergibt sich daraus, dass die Beigeladene nur ihre eigenen städtebaulichen Belange zum Gegenstand der Prüfung machen darf, aber kein – auch kein aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitendes – Recht auf eine umfassende Prüfung des Bescheids unter allen rechtlichen Gesichtspunkten hat; als rechtlich geschützte Positionen kommen vielmehr auch im Hinblick auf das Abwägungsgebot des § 38 Satz 1 2. Halbsatz BauGB nur solche Belange in Betracht, die sich als eigene Belange der Beigeladenen dem Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zuordnen lassen (BayVGH, U.v. 4.4.2013 – 22 A 12.40048 - UPR 2013, 312, juris Rn. 39; Nds. OVG, U.v. 22.1.2009 –KS 288/07 – a.a.O., juris Rn. 38, m.w.N.).

2.2.3. Vorliegend macht die Beigeladene geltend, die streitgegenständliche Anlage diene (auch) der Lagerung gefährlicher Abfälle und sei damit grundsätzlich in dem – vorliegend festgesetzten – Gewerbegebiet „Sanddickicht“ bauplanungsrechtlich unzulässig; ihr „richtiger“ Standort sei vielmehr ein Industriegebiet. Dieser Einwand könnte auf eine nachhaltige Störung der kommunalen Planung hindeuten (vgl. zu dieser Voraussetzung z.B. BayVGH, U.v. 11.7.2008 – 22 A 07.40058NVwZ-RR 2009, 11 m.w.N.) und stellt somit wohl grundsätzlich einen berücksichtigungsbedürftigen städtebaulichen Belang dar. Ein nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftiger Lagerplatz (auch) für gefährliche Abfälle ist bei typisierender Betrachtung – die sich an den Grundzügen einer Planung, nicht der atypischen Ausgestaltung eines konkreten Vorhabens orientiert – in einem Gewerbegebiet wohl nicht gebietsverträglich. Denn ein solches Gebiet dient gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben, zu denen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Lagerplätze für (auch) gefährliche Abfälle grundsätzlich nicht gehören (vgl. OVG NRW, B.v. 27.11.2009 – 8 B 1549/09.AK - DVBl 2010, 444, juris Rn. 80 m.w.N.; BayVGH, B.v. 7.1.1997 – 22 CS 96.2192 - GewArch 1997, 167). Hinzu kommt, dass die Beigeladene im Bebauungsplan „Sanddickicht“ das von der Lagerung gefährlicher Abfälle typischerweise ausgehende Gefährdungspotential mit der textlichen Festsetzung unter Nr. 9.0 des Bebauungsplans dahingehend geregelt hat, dass die Ansiedlung von Betrieben, die mit wassergefährdenden Stoffen gemäß §§ 19g bis 19l WHG umgehen, ausgeschlossen wird bzw. im Einzelfall zu prüfen ist, und dass „nur abwasserextensive und nicht grundwassergefährdende Betriebe zugelassen“ sind. Dass im konkreten Fall die im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vorzunehmende, nicht streng typisierende Betrachtungsweise (vgl. hierzu § 15 Abs. 3 BauNVO und die Ausführungen in BayVGH, B.v. 3.5.2013 – 22 ZB 13.7, juris, m.w.N.; ferner BayVGH, B.v. 11.7.2013 – 22 ZB 13.331) zum Ergebnis führt, dass die Anlage aufgrund ihrer Besonderheiten bauplanungsrechtlich gebietsverträglich wäre, bedarf der näheren Prüfung und ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht ohne Weiteres zu bejahen. Der Einwand der Beigeladenen gehört somit nach vorläufiger Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs zu denjenigen Belangen, deren Berücksichtigung eine Gemeinde dann, wenn das Landratsamt über eine in einem festgesetzten Gewerbegebiet nach § 30 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB zu errichtende immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage zur Lagerung (auch) gefährlicher Abfälle zu befinden hat, bei der Abwägung der städtebaulichen Belange nach § 38 Satz 1 Halbsatz 2 BauGB einfordern kann.

2.2.4. Die gebotene Auseinandersetzung mit diesem Belang hat das Landratsamt bei der Erteilung der angefochtenen Genehmigung wohl nicht vorgenommen. Der Beigeladenen kann insoweit nicht entgegen gehalten werden, das Landratsamt habe auf diesen von ihr geltend gemachten Belang keine Rücksicht zu nehmen brauchen, weil die Beigeladene im Lauf des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens auf die Geltendmachung dieses Belangs verzichtet habe. Dies ist wohl nicht der Fall gewesen. Vielmehr hat die Beigeladene in Übereinstimmung mit dem Beschluss ihres Bau- und Umweltausschusses vom 12. Juli 2011 (vgl. S. 2 Nr. A.2 und S. 3 und 4 Nrn. B und C des Auszugs aus dem Sitzungsbuch, Bl. 90 ff. der Behördenakte) durch ihren Ersten Bürgermeister bzw. über ihre Bevollmächtigten in Schreiben ans Landratsamt (vom 18.7.2011 und vom 12.9.2011 bzw. vom 9.9.2011 und vom 29.9.2011, Bl. 88 und 128 bzw. Bl. 120 und 144 der Behördenakte) die Einvernehmenserteilung an Maßgaben geknüpft, denen aus ihrer Sicht mit Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Rechnung getragen werden musste; zu diesen Maßgaben gehörte auch die (in Nr. B auf S. 3 letzter Absatz, Nr. C 1 auf S. 4 des Auszugs aus dem Sitzungsbuch vom 12.7.2011 enthaltene) Forderung nach dem Abschluss einer die Abwasserentsorgung betreffenden Sondervereinbarung für den „abwasserintensiven Betrieb“ der Antragstellerin. Soweit die Antragstellerin und der Antragsgegner meinen, auf diese Forderung habe die Beigeladene später verzichtet, was sich aus der E-Mail des Sachbearbeiters H... vom 19. April 2012 ans Landratsamt (Bl. 213 der Behördenakte) ergebe, kann dem nicht gefolgt werden. Abgesehen von der die Organkompetenz betreffenden Rechtsfrage, ob der Sachbearbeiter – ohne vorangegangenen Beschluss des zuständigen Bau- und Umweltausschusses – einen solchen Verzicht mit bindender Wirkung für die Beigeladene nach außen gegenüber dem Landratsamt erklären konnte, ist der Inhalt der Erklärung schon wegen der sprachlichen Ungenauigkeit fraglich und lässt Zweifel offen, ob und unter welchen Bedingungen im Gegensatz zu den unveränderten Beschlüssen des Bau- und Umweltausschusses nunmehr der Abschluss einer Sondervereinbarung entbehrlich sein soll (vgl. den Wortlaut: „…kann aufgrund der neu vorgelegten Planunterlagen [Antrag Immissionsschutz] auf eine zwischen dem Antragsteller und der Stadt Roding zu schließende Sondervereinbarung verzichtet werden, sofern auch aus der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung eine ordnungsgemäße Ableitung des Niederschlagswassers in die Straßenentwässerung der Stadt Roding beurteilt werden kann“).

2.2.5. Eine Abwägung der widerstreitenden Belange hat das Landratsamt auch im Hinblick auf die Lagerung von – teilweise gefährlichem – Bauschutt in der streitgegenständliche Anlage unterlassen. Entgegen dem Vortrag des Antragsgegners (Schriftsatz vom 17.5.2013, Bl. 74 ff der Gerichtsakte) und der Antragstellerin umfasst nämlich die streitgegenständliche Genehmigung auch die Lagerung von Bauschutt, die seitens der Beigeladenen stets als ohne besondere Schutzvorkehrungen unzulässig bezeichnet und sowohl bei der Erteilung des Einvernehmens als auch in ihren immissionsschutzrechtlichen Stellungnahmen abgelehnt worden ist (vgl. Anforderung einer Stellungnahme der Beigeladenen durch das Landratsamt mit Schreiben vom 3.2.2011, Bl. 52 der Behördenakte; Schreiben des Landratsamts an die Beigeladene vom 27.7.2011, Bl. 94 der Behördenakte; Mitteilung der Beschlusslage durch die Beigeladene mit Schreiben vom 18.7.2011 ans Landratsamt, Bl. 88 der Behördenakte). Dass vorliegend die auf dem Betriebsgelände genehmigte Lagerung von Bauschutt auch Bestandteile einschließt, die als gefährliche Abfälle im Rechtssinn anzusehen sind, wird weder durch die maßgeblichen technischen Regelwerke oder Rechtsvorschriften noch durch die streitgegenständliche Genehmigung ausgeschlossen. Rechtlich unerheblich ist das in der Abfallentsorgungsbranche üblicherweise verwendete Begriffsverständnis von „Bauschutt“ (vgl. z.B. die Begriffe auf den Internet-Seiten „www.muellvertilger.de“ und „www.breitsamer.com/index.php?beratung“), das dem Vortrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 29. Juli 2013 (S. 1 unten, S. 2 oben) entspricht, mit dem diese zu begründen versucht, dass die angefochtene Genehmigung keine Bauschuttlagerung umfasse. Es gibt zwar den Begriff des „Bauschutts“ in den maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht, insbesondere nicht in der Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis vom 10. Dezember 2001 (Abfallverzeichnis-Verordnung – AVV – BGBl I 2001, S. 3379). Es gibt hingegen in der Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV (Abfallverzeichnis) im Kapitel 17 mit der Überschrift „Bau- und Abbruchabfälle (einschließlich Aushub von verunreinigten Standorten)“ mehrere Schlüsselnummern, unter denen Stoffe aufgelistet sind, die umgangssprachlich – und nach dem Verständnis des Bau- und Umweltausschusses der Beigeladenen – zwanglos als „Bauschutt“ bezeichnet werden können und teilweise als gefährlich eingestuft sind. Gemäß Nr. 2.1.1.1 des angefochtenen Bescheids umfasst die Genehmigung nach Art und Menge die in der Beilage 4 der Antragsunterlagen unter Angabe des AVV-Schlüssels genannten Abfallstoffe/-arten. Diese Beilage 4 nennt auf Seite 4 die Schlüsselnummer 170106...(G), die für Gemische oder getrennte Fraktionen von Beton, Ziegeln, Fliesen und Keramik steht, in denen auch gefährliche Stoffe enthalten sind (gemäß § 3 Abs. 1 AVV sind die mit einem Sternchen (...) versehenen Abfallarten im Abfallverzeichnis gefährlich im Sinn des § 48 KrWG).

3. Vorliegend kommt zwar in Betracht, dass das Landratsamt im Rahmen seiner nach § 38 Satz 1 BauGB vorzunehmenden Abwägung rechtsfehlerfrei zum Ergebnis gelangen könnte, dass mit geeigneten Nebenbestimmungen den von der Beigeladenen geltend gemachten städtebaulichen Belangen ausreichend Rechnung getragen werden kann und dass die streitgegenständliche Anlage doch im Gewerbegebiet „Sanddickicht“ der Beigeladenen genehmigt werden kann.

Eine solche Abwägung hat bisher aber wohl noch nicht stattgefunden. Die Erwägungen des Landratsamts, mit denen es – auch mit dem Ziel, den Belangen der Beigeladenen Rechnung zu tragen – Nebenbestimmungen in die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung aufgenommen und sich im Übrigen mit den Bedenken der Beigeladenen auseinandergesetzt hat, können eine solche Abwägung nicht ersetzen. Dies gilt schon deshalb, weil das Landratsamt – wie oben ausgeführt – die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens geprüft, hierbei aber zu Unrecht von dessen Erteilung in Bezug auf die Lagerung von gefährlichen Abfällen und Bauschutt ausgegangen ist und fehlerhaft angenommen hat, die Beigeladene habe auf ihre im Interesse einer sicheren Abwasserentsorgung aufgestellte Forderung nach Abschluss einer Sondervereinbarung verzichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG festgesetzt.