LG Köln, Beschluss vom 12.09.2013 - 34 T 148/13
Fundstelle
openJur 2013, 35651
  • Rkr:

Die Entscheidung über die Anordnung einer Hausdurchsuchung zum Zwecke der Ingewahrsamnahme und Abschiebung eines Ausländers ist in Nordrhein-Westfalen den Amtsgerichten zugewiesen.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 24.06.2013 wird der Beschluss des Amtsgerichts Kerpen vom 05.06.2013 (68 XIV 12/13) aufgehoben.

Gründe

I.

Die Antragstellerin beantragte am 29.05.2013 bei dem Amtsgericht in Kerpen einen Hausdurchsuchungsbeschluss sowie einen einstweiligen Betretensbeschluss für die Räumlichkeit S-Straße in 50170 Kerpen für den Morgen des 11.06.2013, gegen 6:00 Uhr. Zur Begründung führte sie aus, dass dort eine Frau L aufhältig sei, die vollziehbar ausreisepflichtig, jedoch nicht ausreisebereit sei. Die Antragstellerin beabsichtige, die vorgenannte Person in die Türkei abzuschieben, und zwar per Flug am 11.06.2013 um 11:45 Uhr von Düsseldorf nach Istanbul. Die Durchsuchung solle dem Aufgriff der vorgenannten Person dienen, um diese zwangsweise zum Flughafen in Düsseldorf zu verbringen. Hinsichtlich der Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts in Kerpen verwies die Antragstellerin auf § 42 Abs. 1 PolG NRW.

Mit Beschluss vom 31.05.2013 wies das Amtsgericht die Antragstellerin darauf hin, dass beabsichtigt sei, sich für unzuständig zu erklären und den Antrag an das Verwaltungsgericht Köln zu verweisen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Durchsuchung das Ziel habe, die Abschiebung zu ermöglichen. Die Abschiebung sei jedoch eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, wofür allein die Verwaltungsgerichte zuständig seien.

Die Antragstellerin nahm zu diesem Hinweis mit Schreiben vom 04.06.2013 Stellung. Darin führte sie aus, dass hier das Ausländeramt als Ordnungsbehörde zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werde.

Mit Beschluss vom 05.06.2013 hat das Amtsgericht Kerpen den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen. Gegen diesen Beschluss, der Antragstellerin zugestellt am 14.06.2013, hat diese mit Schreiben vom 24.06.2013 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

1)

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 17 Buchst. a Abs. 4 S. 2 GVG in Verbindung mit §§ 567 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Beschwerdeverfahren finden hier gemäß § 17 Buchst. a Abs. 4 S. 2 GVG Anwendung, da das FamFG als hier einschlägige Verfahrensordnung (vergleich dazu im Einzelnen nachfolgend) keine eigenständigen Regelungen über die Rechtswegbeschwerde enthält (vergleich Lückemann in Zöller, ZPO, neunundzwanzigste Auflage, § 17 Buchst. a GVG Rn. 15). Das Landgericht ist gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Variante 2 GVG zuständiges Beschwerdegericht, da die beantragte Hausdurchsuchung dem Zweck dient, die Betroffene zum Zwecke der Abschiebung in Gewahrsam zu nehmen. Die Ingewahrsamnahme stellt jedoch eine Freiheitsentziehung dar, da diese sich nicht auf ein kurzfristiges Festhalten an einem Ort beschränkt, sondern der zwangsweisen Verbringung an einen anderen Ort dient (Bumiller/Harders, FamFG, neunte Auflage, § 415 Rn. 9). Damit liegt hier eine Freiheitsentziehungssache im Sinne des §§ 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Variante 2 GVG vor.

2)

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, da die Antragstellerin bei der beantragten Hausdurchsuchung zur Gefahrenabwehr handelt und das nordrheinwestfälische Landesrecht die Entscheidung über die Durchsuchung und die Freiheitsentziehung den ordentlichen Gerichten zuweist (§§ 14, 24 OBG NRW in Verbindung mit §§ 35, 36 Abs. 2 S. 2 PolG NRW und 41, 42 Abs. 1 S. 2 und 3 PolG NRW).

a)

Die beantragte Hausdurchsuchung stellt eine Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, da sich die Betroffene als Ausländerin unter Verstoß gegen § 4 AufenthG ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufhält. Der Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz stellt gleichzeitig eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Die Abschiebung der Betroffenen im Sinne von § 58 AufenthG, auf die die beantragte Hausdurchsuchung abzielt, führt zu einer Beendigung des illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet. Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit wird abgewehrt.

b)

Die beantragte Hausdurchsuchung und die beabsichtigte anschließende Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Abschiebung finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 14, 24 OBG NRW in Verbindung mit §§ 41, 42, 35, 36 PolG NRW. Die Ausländerbehörde der Antragstellerin ist eine Ordnungsbehörde im Sinne von § 14 OBG NRW. Für diese gelten gemäß § 24 OBG NRW die vorgenannten Vorschriften des Polizeigesetzes entsprechend. Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Variante 2 Polizeigesetz NRW kann damit die Ordnungsbehörde eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befindet, die nach § 35 PolG NRW in Gewahrsam genommen werden darf. Ob die Voraussetzungen der genannten Vorschriften im konkreten Einzelfall vorliegen, muss hier nicht entschieden werden, da es hier allein um die Frage der Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte geht.

c)

Die Anordnung der Durchsuchung und der anschließenden Freiheitsentziehung sind gemäß §§ 42 Abs. 1, 36 Abs. 2 S. 1 PolG NRW den Amtsgerichten zugewiesenen. Das Handeln der Ordnungsbehörden zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist zwar öffentlichrechtlich. Mithin ist für einen Streit über eine Maßnahme der Gefahrenabwehr grundsätzlich gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die §§ 42 Abs. 1, 36 Abs. 2 S. 1 PolG enthalten jedoch eine abdrängende Sonderzuweisung im Sinne von § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO (vergleiche dazu VG Oldenburg, Urteil vom 06.06.2012, NVwZ-RR 2012, 721 ff. Rn. 13; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 2.Auflage 2006, § 40 Rn. 628 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, neunzehnter Auflage 2013, § 40 Rn. 49 b; Haack in Gäditz, VwGO, 2013. §§ 40 Rn. 143; Reimer in Posser/Wolff, VwGO, 2008 Rn. 50 b, 202). Dies hat zum Hintergrund, dass der Gesetzgeber den Amtsgerichten - aufgrund ihrer Erfahrungen im Strafverfolgungsbereich - eine größere Sachnähe zutraut und sie ortsnäher sind (Vergleich Sodan a.a.O. Rn. 629 ff.).

d)

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

3.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 574 Abs. 2 ZPO nicht ersichtlich sind. Insbesondere erfordert nicht die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die von Seiten des Ausgangsgerichts zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Berlin Tiergarten, Beschluss vom 14.02.2012, 382 XIV 37/12 - zitiert nach juris - betrifft zum einen nicht das hier anzuwendende Landesrecht in Nordrhein-Westfalen. Zum anderen geht es dort um eine andere Fallgestaltung, und zwar die Durchsetzung einer angeordneten Passherausgabe im Wege der Wohnungsdurchsuchung.

Eine Kostenentscheidung war nicht geboten, da die Beschwerde Erfolg hat und die Betroffene nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt ist.