LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19.08.2013 - 13 Ta 213/13
Fundstelle
openJur 2013, 35619
  • Rkr:

1. Es kann dahinstehen, ob die bundeseinheitlichen Vorschriften über die Gewährung von Reiseentschädigungen an mittellose Personen und Vorschusszahlungen für Reiseentschädigungen an Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehrenamtliche Richterinnen, ehrenamtliche Richter und Dritte (in Nordrhein-Westfalen AV vom 26.05.2006 (5670 - Z. 14) - JMBl. NRW S. 145 - in der Fassung vom 01.09.2009) lediglich eine (nicht beschwerdefähige) Tätigkeit der Gerichtsverwaltung regeln oder ob sie auch für eine richterliche Entscheidung über einen Antrag auf Reiseentschädigung maßgebend sind. Jedenfalls wenn eine auf die Prüfung der Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO gestützte richterliche Entscheidung vorliegt, ist gegen diese die Beschwerde nach § 127 ZPO statthaft.

2. Die Gewährung von Reiseentschädigung setzt voraus, dass im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände festgestellt werden kann, dass die Anreise zum Termin auch bei einer bemittelten Partei zur verständigen Wahrnehmung ihrer Rechts als notwendig zu erachten wäre (Anschluss an LAG Rheinland-Pfalz vom 15.02.2010 - 8 Ta 25/10 - juris; VGH Baden-Württemberg 29.09.2009 - 1 S 1682/09 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen 28.10.2011 - 12 E 587/11 - juris).

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.02.2013 (Reiseentschädigung) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gründe

A.

Der Kläger war bei der Beklagten im Jahr 2009 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich Technik und Wissenschaft angestellt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten innerhalb der Wartezeit mit Wirkung zum 25.09.2009. Mit seiner im Februar 2013 erhobenen Klage verlangt der Kläger Schadenersatz wegen Verdienstausfalls wegen unterbliebener Zeugniserteilung in Höhe von zuletzt 151.200,- € sowie erweiternd Schmerzensgeld in Höhe von 6,9 Mio. €.

Mit Antrag vom 18.02.2013 hat er Gewährung einer Reiseentschädigung für den Gütetermin am 12.03.2013 beantragt. Mit Beschluss vom 26.02.2013 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Voraussetzungen einer Bewilligung von Reiseentschädigung richteten sich nach §§ 114 ff. ZPO. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage fehle jedoch. Für einen ersatzfähigen Verdienstausfall müsse der Arbeitnehmer jedenfalls vortragen, ein bestimmter Arbeitgeber sei bereit gewesen, ihn einzustellen, habe sich aber nur wegen des fehlenden Zeugnisses davon abhalten lassen. Für den Schmerzensgeldanspruch gebe es keine Rechtsgrundlage.

Gegen den ihm am 02.03.2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit einem am 05.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz "Berufung" eingelegt. Mit einem am 21.03.2013 eingegangenen Schriftsatz hat er auf Nachfrage klargestellt, dass seine Eingabe als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.02.2013 behandelt werden solle.

Der Kläger, der Leistungen nach SGB II bezieht, ist zum Gütetermin am 12.03.2013 auf eigene Kosten erschienen.

Der Kläger hat in der Sache zunächst vorgetragen, von der Beklagten zeitnah zur Kündigung ein Zeugnis erbeten zu haben. Das Arbeitsgericht hat ihm aufgegeben, das entsprechende Schreiben zur Akte zu reichen. Daraufhin hat der Kläger insbesondere die Auffassung vertreten, ein Arbeitgeber sei nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch ohne Verlangen des Arbeitnehmers verpflichtet, ein Zeugnis zu erteilen. Zu einem konkreten Zeugnisverlangen im Jahr 2009 hat er weiter nichts vorgetragen. Im Gütetermin hat die Beklagte ausdrücklich bestritten, dass der Kläger damals die Erteilung eines Zeugnisses geltend gemacht habe. Das Arbeitsgericht hat den Kläger u. a. darauf hingewiesen, eine Pflicht zur Erteilung eines Zeugnisses bestehe erst nach Ausübung des Wahlrechts des Arbeitnehmers zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis und ihm aufgegeben, seinen Vortrag unter Berücksichtigung des streitigen Sachvortrags unter Beweisantritt zu substantiieren. Insoweit ist weiterer Vortrag des Klägers nicht erfolgt.

B.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Beschwerde ist statthaft. Die Entscheidung des Richters über ein Gesuch der Partei auf Reiseentschädigung stellt keine Tätigkeit der Justizverwaltung dar, sondern einen auf der Anwendung der §§ 114 ff. ZPO beruhenden Akt der Rechtsprechung, gegen den die Beschwerde gemäß § 127 ZPO gegeben ist. Anderes folgt auch nicht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (13.09.2006 - 1 O 169/06 -, juris), wonach es sich bei einer Entscheidung über eine Reiseentschädigung auf der Grundlage der bundeseinheitlichen Vorschriften über die Gewährung von Reiseentschädigungen an mittellose Personen und Vorschusszahlungen für Reiseentschädigungen an Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehrenamtliche Richterinnen, ehrenamtliche Richter und Dritte (in Nordrhein-Westfalen AV vom 26.05.2006 (5670 - Z. 14) - JMBl. NRW S. 145 - in der Fassung vom 01.09.2009) um eine nicht beschwerdefähige Tätigkeit der Gerichtsverwaltung handelt. Zwar sprechen für diese Entscheidung gute Gründe. Nach Ziffer 2 der Verwaltungsvorschrift kann nämlich im Eilfall auch die Präsidentin oder der Präsident bzw. die Direktorin oder der Direktor des Amtsgerichts, in dessen Bezirk sich der Antragsteller aufhält, im Verwaltungsweg eine Reiseentschädigung bewilligen. Für die hier zu treffende Beschwerdeentscheidung ist allerdings maßgeblich, dass der Kläger keine Entscheidung der Gerichtsverwaltung angreift, sondern eine solche der auch in der Sache zuständigen Kammer. Diese hat die angefochtene Entscheidung zudem ausdrücklich auf eine Prüfung der Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO gestützt. Dem ist auch der Kläger nicht entgegengetreten.

Die Beschwerde ist zudem frist- und formgerecht eingereicht worden.

2. Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

a) Auf der Grundlage der §§ 114 ff. ZPO scheidet eine Gewährung von Reiseentschädigung an den Kläger aus.

Nach § 114 ZPO ist insoweit grundsätzlich erforderlich, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Dies kann hier nicht angenommen werden. Insoweit erlaubt sich die Beschwerdekammer zunächst auf den angefochtenen Beschluss, den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 23.04.2013, mit dem das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers zurückgewiesen worden ist, sowie auf die auf seine hiergegen gerichtete Beschwerde hin ergangene Nichtabhilfeentscheidung vom 03.05.2013 zu verweisen. Die für Prozesskostenhilfe-Beschwerden zuständige Kammer des Landesarbeitsgerichts hat die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 20.06.2013 rechtskräftig zurückgewiesen. Bezogen auf die Schmerzensgeldklage ist bereits die Verletzung eines der in § 823 BGB genannten Rechtsgüter durch eine rechtswidrige Handlung der Beklagten nicht einmal im Ansatz erkennbar. Soweit der Kläger Schadenersatz wegen verspäteter Zeugniserteilung begehrt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Erfolgsaussicht. Seinen Vortrag in der Klageschrift, er habe die Beklagte bereits im Jahr 2009 zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses aufgefordert, hat der Kläger trotz des Bestreitens der Beklagten und der gerichtlichen Auflage nicht substantiiert. Auch hat er keinerlei Beweis angetreten. Vielmehr vertritt er die Rechtsansicht, der Arbeitgeber sei bereits ohne ein entsprechendes Verlangen zur Erteilung eines Zeugnisses verpflichtet. Diese Rechtsansicht ist mit der gesetzlichen Regelung unvereinbar. Beim Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung eines Zeugnisses handelt es sich nämlich um einen sog. verhaltenen Anspruch, der zwar spätestens mit der Beendigung des Dienstverhältnisses entsteht, der in seiner Erfüllbarkeit aber davon abhängt, dass der Gläubiger sein Wahlrecht bereits ausgeübt hat. Der Arbeitgeber gerät mit seiner Pflicht zur Erteilung eines Zeugnisses nach § 630 BGB erst in Verzug iSd. § 286 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitnehmer sein Wahlrecht ausgeübt und - bei Nichterteilung des Zeugnisses - dessen Erteilung gegenüber dem Schuldner iSv. § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB angemahnt hat, sofern eine Mahnung nicht gemäß § 286 Abs. 2 BGB ausnahmsweise entbehrlich ist (zuletzt BAG 12.02.2013 - 3 AZR 120/11 - DB 2013, 1307 RN 16 mwN). Nach dem trotz der Hinweise und Auflagen ungenügenden Prozessvortrag des Klägers erscheint ausgeschlossen, dass dem Arbeitsgericht die Feststellung ermöglicht wird, der Kläger habe bereits im Jahr 2009 ein qualifiziertes Zeugnis verlangt.

b) Anderes folgt auch nicht bei Berücksichtigung der von der erkennenden Beschwerdekammer im Hinweis vom 06.05.2013 wiedergegebenen Auffassung insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH 07.03.2006 - 25 ZB 05.31119 - NJW 2006, 2204; siehe auch OVG Sachsen-Anhalt 13.09.2006 - 1 O 169/06 -, juris RN 2). Danach kann in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, das Grundrecht auf rechtliches Gehör auch im Hinblick auf das Gebot effektiven und gleichen Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) gebieten, auch der unbemittelten Person effektiv zu ermöglichen, den eigenen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht zu vertreten, ohne dass dies von einer vorherigen Prüfung der Erfolgsaussichten abhängig gemacht wird. Denn auch insoweit kann es nur um die Gleichstellung der unbemittelten Partei mit der bemittelten gehen. Die Gewährung einer Reiseentschädigung kann daher auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nur erfolgen, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände festgestellt werden kann, dass die Anreise zum Termin auch bei einer bemittelten Partei zur verständigen Wahrnehmung ihrer Rechte als notwendig zu erachten wäre (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 15.02.2010 - 8 Ta 25/10 - juris; VGH Baden-Württemberg 29.09.2009 - 1 S 1682/09 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen 28.10.2011 - 12 E 587/11 - juris). Dies ist im Hinblick auf die völlige Aussichtslosigkeit des Klagebegehrens nicht anzunehmen. Auf diese hat ihn das Arbeitsgericht mit dem angefochtenen Beschluss rechtzeitig vor dem fraglichen Termin hingewiesen. Der Kläger benötigte die mündliche Verhandlung offensichtlich auch nicht, um den tatsächlichen Ablauf aus seiner Sicht - insbesondere ein frühzeitiges Verlangen auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses - im Einzelnen vorzutragen. Um die bereits in der Klage enthaltene pauschale Behauptung zu wiederholen und die in rechtlicher Hinsicht abwegige Ansicht vorzubringen, der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zeugniserteilung sei nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne ein entsprechendes Verlangen fällig, wäre eine bemittelte Partei bei verständiger Wahrnehmung ihrer Rechte nicht zum Termin angereist.

c) An der Unbegründetheit der Beschwerde ändert sich auch nichts, wenn die bundeseinheitlichen Vorschriften über die Gewährung von Reiseentschädigungen an mittellose Personen und Vorschusszahlungen für Reiseentschädigungen an Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehrenamtliche Richterinnen, ehrenamtliche Richter und Dritte (AV vom 26.05.2006 (5670 - Z. 14) - JMBl. NRW S. 145 - in der Fassung vom 01.09.2009) ergänzend herangezogen werden. Bedenken an der Anwendung dieser Vorschriften durch den Richter bestehen insoweit, als die rechtsprechende Gewalt grundsätzlich nur an Gesetz und Recht gebunden ist, Art. 20 Abs. 3 GG, nicht jedoch an von der vollziehenden Gewalt erlassene Verwaltungsvorschriften. Für eine Anwendung der genannten Vorschriften bei der richterlichen Entscheidung über die Gewährung von Reiseentschädigungen könnte allerdings sprechen, dass es sich bei Prozesskostenhilfeleistungen in der Sache um ein nicht streitiges, seinem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren handelt, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen (vgl. nur BGH 03.03.2004 - IV ZB 43/03 - NJW 2004, 1805 RN 11 mwN). Die Bewilligung derartiger Sozialleistungen durch ein Gericht steht inhaltlich daher einem Akt der Exekutive nahe. Die Beschwerdekammer konnte die aufgeworfene Frage letztlich dahingestellt sein lassen, weil auch nach Maßgabe der genannten Vorschriften eine Bewilligung von Reiseentschädigung nicht in Betracht kommt. Diese schreiben nämlich nicht vor, dass mittellosen Personen Reiseentschädigungen zu gewähren sind; vielmehr "können" diese gewährt werden. Das sich insofern ergebende Ermessen ist entsprechend den unter b) ausgeführten Grundsätzen auszuüben: Die Anordnung einer Reisekostenentschädigung zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift kommt nach vorheriger Ablehnung der PKH-Bewilligung allenfalls dann in Betracht, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände festgestellt werden kann, dass die Anreise zum Termin auch bei einer bemittelten Partei zur verständigen Wahrnehmung ihrer Rechte als notwendig zu erachten wäre (LAG Rheinland-Pfalz 15.02.2010 - 8 Ta 25/10 - juris; VGH Baden-Württemberg 29.09.2009 - 1 S 1682/09 - juris mwN.). Dies ist wie bereits ausgeführt im Hinblick auf die völlige Aussichtslosigkeit der Klage jedoch nicht anzunehmen.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Nübold