ArbG Wesel, Urteil vom 23.08.2013 - 6 Ga 22/13
Fundstelle
openJur 2013, 35500
  • Rkr:

Ein Unterlassungsanspruch eines Unternehmens gegen Arbeitskampfmaßnahmen besteht nur, wenn es sich um einen unmittelbaren Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt oder die hinreichende Gefahr eines solchen besteht. Die Streikmaßnahme muss nach ihrer "objektiven Stoßrichtung" gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit gerichtet sein.

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

3. Streitwert: 20.000,-- €

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Unterlassung von Streikmaßnahmen im Bereich der Schleuse G..

Die Verfügungsklägerin ist ein Binnenschifffahrtsunternehmen mit Hauptsitz in E., das in den Bereichen Steuerung, Koordinierung und Distribution von komplexen Massengutströmen tätig ist. Neben ihrem Hauptsitz in E. verfügt die Verfügungsklägerin über fünf weitere Niederlassungen in E., sowie jeweils eine Niederlassung in den O. und in G.. Die von ihr befrachteten Binnenschiffe transportieren ca. 10 Mio. to trockene Massengüter pro Jahr auf europäischen Wasserstraßen. Sie beschäftigt ca. 80 Arbeitnehmer.

Im Geschäftsbereich Reederei/Befrachtung ist die Verfügungsklägerin Partner für Massengutlogistik für die Industrie sowie die Agrar-, Energie- und Entsorgungswirtschaft. Im Geschäftsbereich Hafen/Umschlag schlägt die Verfügungsklägerin massenhafte Schuttgüter in E., H., N. und L. mit sechs eigenen Hafenbetrieben an strategisch relevanten Standorten um und lagert die entsprechenden Schuttgüter.

Die Verfügungsgegnerin ist eine bundesweit organisierte Gewerkschaft innerhalb des E.. Sie befindet sich in einer Tarifauseinandersetzung mit der C. E. aus Anlass der Umstrukturierung der X. (X.). Sie rief die Mitarbeiter der X. ab dem 01.07.2013 zu bundesweiten Streikmaßnahmen über mehrere Tage auf, die jeweils durch streikfreie Perioden unterbrochen wurden.

Aktuell hat die Verfügungsgegnerin in O. die Beschäftigten der X. für die Zeit vom 22.08.2013 - 06.00 Uhr- bis 24.08.2013 - 06.00 Uhr - erneut zum Streik aufgerufen.

Ziel dieses Streiks ist es, durch Tarifvertrag die Folgen einer etwaigen Umstrukturierung der X. abzumildern. Tarifliche Regelungen sollen für folgende Bereiche geschaffen werden:

-Ausschluss betriebsbedingter Beendigungskündigungen

-Ausschluss von Versetzungen

-Umfassende Einkommenssicherung und Nachteilsausgleiche

-Übernahme der Auszubildenden

-Härtefallregelungen

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, sie habe einen Anspruch auf Unterlassung sämtlicher Streikmaßnahmen der im Klageantrag genannten Bereich gegen die Verfügungsbeklagte, weil sie durch die Streikmaßnahmen der Verfügungsbeklagte daran gehindert sei, ihren Geschäftsbetrieb ohne Einschränkung aufrechtzuerhalten. Aufgrund des vorgenannten Streiks sei sie konkret nicht in der Lage die für das Kraftwerk C. gebunkerte Kohle von 40.000 to zu liefern, da sieben Schiffe an den Standorten E. und G. festliegen, weil die Schleusen nicht passiert werden können.

Diese durch die vollständig fehlende Funktionsfähigkeit der Schleusen bedingte Schädigung der Verfügungsklägerin und der gesamten Binnenschifffahrt sei von der Verfügungsbeklagten erkannt und sei bewusst initiiert. Die Verfügungsbeklagte beabsichtigte mit diesen Arbeitsniederlegungen - insbesondere über die Schädigung der Betriebe der Verfügungsklägerin - wirtschaftlichen Druck auf ihre eigentliche Kampfgegnerin, die C. E., auszuüben.

Dadurch sei das Recht der Verfügungsklägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt, woraus sich ein Unterlassungsanspruch ergebe. Es handele sich um einen unmittelbaren Eingriff, weil durch die Streikmaßnahmen die Schleusen der Kampfgegnerin ausfallen und so der Transport von Waren auf den Wasserstraßen unmöglich gemacht oder jedenfalls wesentlich erschwert werde.

Die Verfügungsklägerin ist ferner der Meinung, der Streik sei rechtswidrig, da insbesondere gegen die Friedenspflicht verstoße werde.

Sie hat ihren Vortrag glaubhaft gemacht durch eidesstattliche Versicherung ihres Vorstandsvorsitzenden W..

Die Verfügungsklägerin beantragt,

der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, sämtliche Streikmaßnahmen im Bereich der Schleuse G. zu unterlassen, soweit sie die Schiffe der Verfügungsklägerin oder im Auftrag der Verfügungsklägerin fahrende Schiffe in ihrer Transporttätigkeit behindern.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, die Streikmaßnahmen seien rechtmäßig und zur Durchsetzung der angestrebten Ziele erforderlich. Die von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Umstände der Drittbetroffenheit könnten einen Unterlassungsanspruch nicht begründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere auf die eidesstattliche Versicherungen des Vorstandsvorsitzenden der Verfügungsklägerin Bezug genommen.

Gründe

I.

Der Antrag ist zulässig.

Das Urteilsverfahren ist nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 ArbGG die zutreffende Verfahrensart, weil es sich um eine bürgerrechtliche Streitigkeit zwischen tariffähigen Parteien und einem Dritten handelt. Diese Streitigkeiten fallen in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgerichte.

II.

1.

Der Antrag ist unbegründet, weil schon kein Verfügungsanspruch besteht.

Nach den Vorschriften der §§ 935, 940 ZPO ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dann begründet, wenn der Verfügungskläger einen Verfügungsgrund und einen Verfügungsanspruch schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht hat.

Die Verfügungsklägerin kann nicht von der Verfügungsbeklagten verlangen, sämtliche Streikmaßnahmen im Bereich der Schleuse G. zu unterlassen. Ein Anspruch ergibt sich insbesondere auch nicht aus §§ 1004 Abs. 1 i.V.m. 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

2.

Arbeitskampfmaßnahmen bedürfen einer Rechtfertigung, wenn durch sie in Rechtspositionen der Arbeitgeber oder Dritter eingegriffen wird. Dabei kommen neben (arbeits-)vertraglichen Rechtspositionen die in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechte sowie insbesondere auch das Recht der einzelnen Arbeitgeber an dem von ihnen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht (vgl. BAG vom 22.09.2009 - 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347 ff.).

Das Recht des Betriebsinhabers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nach §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB deliktisch geschützt. Es ist auf die ungestörte Betätigung und Entfaltung des von dem Betriebsinhaber geführten Betriebs gerichtet und umfasst alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehende Einheit ausmacht. Durch die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenannte Einordnung des Rechts am bestehenden Gewerbebetrieb in dem Kreis der "sonstigen Rechts" des § 823 Abs. 1 BGB ist dieses Recht den dort ausdrücklich erwähnten Rechtsgütern hinsichtlich seinen Schutzes gleichgestellt. Der "Auffangtatbestand" ist geschaffen worden, um eine anderenfalls bestehende Lücke im Rechtsschutz zu schließen (BAG, a.a.O.).

Allerdings löst nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts nur ein unmittelbarer Eingriff in den Gewerbebetrieb oder die hinreichende Gefahr eines solchen Ersatz- oder Abwehranspruchs aus. Hierzu müssen die Eingriffe "gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen" sein. (vgl. BAG a.a.O.; BGH vom 29.01.1985 - VI ZR 150/83, NJW 1985, 1620 ff m.w.N.). Sie müssen ihrer "objektiven Stoßrichtung" nach gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit gerichtet sein. Auch muss ihnen eine Schadensgefahr eigen sein, die über eine Belästigung oder eine sozialübliche Behinderung hinaus geht und geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen bis an die Grenze der wirtschaftlichen Belastbarkeit (vgl. auch ArbG Frankfurt vom 25.03.2013 - 9 Ca 5558/12, ArbRB 2013, 98).

Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahme zulässig sind. Schließlich handelt es sich bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb um einen "offenen Tatbestand" dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre ergeben (BAG a.a.O.).

3.

Die Verfügungsklägerin kann einen Unterlassungsanspruch nicht auf eine unmittelbare Beeinträchtigung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs stützen. Ebenso wenig wie die Befahrbarkeit von Gleisen zum Gewerbebetrieb eines Eisenbahnunternehmers oder die Befahrbarkeit einer Straße zum Gewerbebetrieb eines Spediteurs gehört auch die Schiffbarkeit einer Wasserstraße nicht zum Bereich des Gewerbetriebs der Schifffahrttreibenden. Die zeitweilige, auch andere Schifffahrttreibende treffende Sperrung einer Wasserstraße greift daher nicht in dessen Gewerbebetrieb ein (BGH vom 21.12.1970, II ZR 133/68, NJW 1971, 886; BGH vom 11.01.2005 - XI ZR 34/04, MDR 2005, 686 ff.; Arbeitsgericht Frankfurt vom 27.03.2012 - 10 Ca 3468/11, ArbuR 2012, 183).

4.

Auch aufgrund der von der Verfügungsklägerin behaupteten "Drittbetroffenheit" ergibt sich kein Recht auf Unterlassung der Streikmaßnahmen.

a)

Nach ihrer "objektiven Stoßrichtung" richten sich die Streikmaßnahmen nicht gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Verfügungsklägerin oder anderer Binnenschiffer. Ziel des Streiks ist vielmehr die Ausübung von Druck auf die Verhandlungsbereitschaft des Verhandlungspartners. Die Antragsgegnerin kann auch keinen steuernden Einfluss darauf ausüben, welchen Binnenschifffahrtsunternehmen in welchen Umfang betroffen werden.

Auch aus dem Streikaufruf vom 14.08.2013 und Informationsmitteilungen ergibt sich, dass die objektive Stoßrichtung sich nicht gegen die Binnenschiffer richtet. Darin heißt es z.B.: "Die rechtzeitige Ankündigung soll den Binnenschiffern, Häfen und anderen Betroffenen helfen, sich darauf einzustellen."

Auch ergibt sich dies aus dem Interview vom 15.08.2013 (Der Tagesspiegel) des w. Bundesvorstands N. zum Streik der Schleusenwärter. Dort ist ausdrücklich erklärt worden, dass die Schädigung von Binnenschiffern nicht das Ziel der Streikmaßnahmen sei. Es werde den Betroffenen geraten, sich mit der Bundesregierung in Verbindung zu setzen, die es in der Hand habe, solche Effekte zu verhindern.

b)

Auch wegen des von der Verfügungsklägerin dargestellten Umfangs der Beeinträchtigung muss ein Unterlassungsanspruch verneint werden.

Die von der Verfügungsklägerin dargestellte Drittbetroffenheit besteht letztlich darin, dass in der Schleuse in G. sieben von ihr befrachtete Binnenschiffe betroffen sind und dadurch wirtschaftliche Schäden verursacht werden. Diesem Vortrag kann eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung bis an die wirtschaftliche Belastungsgrenze - wie sie nach den oben stehenden Ausführungen erforderlich ist - nicht entnommen werden. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass es sich nicht ausschließlich um Schiffe der Verfügungsklägerin handelt, sondern um Schiffe der von ihr eingesetzten Partikuliere. Welche finanziellen Folgen damit für die Verfügungsklägerin verbunden sind, ist nicht konkretisiert. Bzgl. des Umfangs der wirtschaftlichen Beeinträchtigung der zur Zeit der mündlichen Verhandlung noch ausstehenden Dauer der Streikmaßnahme (15 Stunden) hat die Verfügungsklägerin eine Schätzung in der Größenordnung von 20.000,-- € angenommen.

Letztlich ist eine Drittbetroffenheit in einem Komplex verflochtener Wirtschaftsysteme unvermeidbar. Sie wird im Rahmen einer vorzunehmenden Interessenabwägung erst dann relevant, wenn Schutzgüter der Allgemeinheit wie Leben, Gesundheit oder Dienstleistungen gefährdet sind. Eine darartige Feststellung konnte nicht getroffen werden.

Der Antrag war somit insgesamt zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 2 ff. ZPO festgesetzt.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

M.

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande O. (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

T.