OLG Hamm, Urteil vom 19.07.2013 - 26 U 98/12
Fundstelle
openJur 2013, 35611
  • Rkr:

Bei einer offenen Prostata-Operation ist eine Aufklärung über das Risiko von Erektionsstörungen nicht erforderlich. Eine solche Aufklärung ist nicht erforderlich, weil eine Erektionsstörung bei einer regelrecht durchgeführten offenen Prostata-Operation nicht auftreten kann.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.03.2012 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der am ...#.19... geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 29.6.2008 bis zum 12.7.2008 in der Klinik der Beklagten, um eine Verkleinerung der Prostata (Prostataadenomnukleation) und eine Circumcision durchführen zu lassen. Am 27.6.2008 erfolgte die Aufklärung durch den Beklagten zu 3) unter Verwendung von DIOmed-Aufklärungsbögen. Der Eingriff wurde am 30.6.2008 von den Beklagten zu 3) und 4) statt durch eine TUR (Transurethrale Resektion) als sogenannte offene Prostataoperation durchgeführt. Im Zuge der Operation wurden zur Vermeidung einer Entzündung der Nebenhoden die Samenleiter durchtrennt (Vasektomie). Am 26.09.2008 und 31.10.2008 erfolgten Folgeoperationen, die nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens sind.

Der Kläger hat ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000 EUR sowie die Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden mit der Begründung geltend gemacht, seit dem Eingriff, über den er nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, leide er unter Erektionsstörungen.

Nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst mündlicher Erläuterung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) bestehe schon deshalb nicht, weil der Kläger weder dargelegt noch unter Beweis gestellt habe, dass

er von diesem behandelt worden sei. Im übrigen seien weder ein Behandlungsfehler noch ein Aufklärungsversäumnis festzustellen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die offene Prostata-Operation regelgerecht durchgeführt worden. Die Ejakulationsstörung sei eine typische Nebenerscheinung einer Prostata-Operation. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei auch die Durchtrennung der Samenleiter aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden. Um Entzündungen der Nebenhoden dauerhaft auszuschließen, müsse eine Durchtrennung vorgenommen werden. Diese Methode sei zwar in der medizinischen Literatur umstritten. Es handle sich aber um einen anerkannten Nebeneingriff. Die Erektionsschwäche, unter der der Kläger leide, könne nicht auf die Operation zurückgeführt werden. Die betroffenen Nerven seien von der Ausschälung des inneren Prostatagewebes nicht betroffen gewesen. Die Störung beruhe vielmehr auf dem Diabetes mellitus des Klägers, der eine Durchblutungsstörung verursache, den vom Kläger eingenommenen blutdrucksenkenden Mitteln und seinem langjährigen Zigarettenkonsum. Psychische Belastungen infolge der Operation habe der Kläger nicht dargelegt. Alternative Behandlungsmethoden seien wegen der Größe der Prostata des Klägers nicht in Betracht gekommen. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe auch fest, dass der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Der Beklagte zu 3) habe in Rahmen seiner persönlichen Anhörung geschildert, den Kläger zunächst über eine Operation per TUR und sodann über eine offene Operation aufgeklärt zu haben. Dies stimme mit den Angaben des Klägers überein. Zwar habe sich der Beklagte zu 3) nicht mehr im Detail erinnern können. Er habe jedoch seine grundsätzliche Vorgehensweise bei der Aufklärung geschildert. Den Kläger habe er darauf hingewiesen, dass die Samenleiter zur Vermeidung von Entzündungen durchtrennt werden würden. Daneben sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass in Folge von Nervenverletzungen Erektionsprobleme auftreten könnten. Diese Vorgehensweise hat der Sachverständige aus medizinischer Sicht als ordnungsgemäß akzeptiert. Es sei auch davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall die Aufklärung in der geschilderten Weise vorgenommen worden sei. Dies werde durch die handschriftlichen Eintragungen in der Dokumentation belegt. Der Kläger habe demgegenüber offenbar nur ein

unzureichendes Erinnerungsvermögen, da er sich nicht mehr daran habe erinnern können, drei Unterschriften geleistet zu haben. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger medizinische Fachbegriffe nicht richtig verstanden habe. Wegen der weiteren Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, mit der er geltend macht, über die Vasektomie vom 30.6.2008 nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden zu sein. Er trägt vor, die Feststellung des Landgerichts, er habe sich für einen Bauchschnitt entschieden, sei nicht belegt. Als medizinischer Laie könne er eine Entscheidung in diesem Sinne überhaupt nicht treffen. Der Beklagte zu 3) habe nicht erklären können, wann die Aufklärungsbögen unterzeichnet worden seien. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, er habe mit Sicherheit drei Unterschriften geleistet, treffe nicht zu und sei auch nicht nachvollziehbar. Er sei auch nicht damit einverstanden gewesen, dass man ihm die Samenleiter durchtrennt und er auf diese Weise steril geworden sei. Gegen die Annahme des Landgerichts sprächen auch objektive Gesichtspunkte. Es sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Eingriff nicht um eine Notmaßnahme gehandelt habe, denn es habe nur gutartiges Gewebe entfernt werden müssen. Es habe zu der gewählten Methode, die nach Aussage des Sachverständigen umstritten sei, eine Alternative bestanden. Er hätte sich in einer anderen Klinik behandeln lassen und eine andere Eingriffsmethode gewählt, denn dafür wäre genügend Zeit gewesen und er hätte zuvor auch noch einmal Rücksprache mit seinen Urologen nehmen können. Er sei sich sicher, dass er auf die Durchtrennung der Samenleiter nicht hingewiesen worden sei. Er sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass infolge dieses Eingriffs nur noch eine sogenannte retrograde Ejakulation stattfinden könne. Auf die Aufklärungsbögen ergebe sich schließlich auch kein Zusammenhang des Diabetes mit der durchgeführten Vasektomie.

Der Kläger beantragt abändernd,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 14.1.2011 sowie außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 600,36 € und außergerichtlich verauslagte Kosten i.H.v. 71 € zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm jeden weiteren materiellen und /oder immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der am 30.6.2000 durchgeführten Behandlung (Operation) entstanden ist bzw. noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil. Ergänzend tragen sie vor, nach den Feststellungen des Sachverständigen sei die Durchtrennung des Samenleiters aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden. Der Samenleiter werde durchtrennt, um Entzündungen dauerhaft ausschließen zu können. Diese Methode werde zwar kontrovers diskutiert, sei jedoch durch eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 2007 gerechtfertigt. Ungefähr die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland führten diesen Eingriff durch. Die Erektionsschwäche sei auch nicht auf die Operation zurückzuführen. Die erektile Dysfunktion beruhe vielmehr auf dem Diabetes des Klägers, seinem Zigarettenkonsum sowie den von ihm eingenommenen blutdrucksenkenden Mitteln. Zu der gewählten Operationsmethode habe keine Alternative bestanden. Der Kläger sei auch ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen müsse nicht erfolgen. Die Wahl der Operationsmethode sei Sache des Arztes. Weder eine TUR noch die Lesermethode seien indiziert gewesen. Selbst wenn der Kläger nicht wirksam aufgeklärt worden wäre, wäre der Eingriff nicht rechtswidrig gewesen, weil sich die Beklagten auf eine hypothetische Einwilligung berufen könnten. Der Kläger sei jedoch durch den Beklagten zu 3) ausführlich aufgeklärt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat den Kläger sowie die Beklagten zu 3) und 4) persönlich angehört. Der Sachverständige, Dr. med. I, hat sein Gutachten erneut ergänzt und mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll nebst Berichterstattervermerk verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die dagegen mit der Berufung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Den Beklagten ist weder ein Behandlungsfehler noch ein Fehler bei der Aufklärung des Klägers über mögliche Risiken der Operation vorzuwerfen.

1. Ein Behandlungsfehler im Zuge der beim Kläger durchgeführten Prostataoperation lässt sich nicht feststellen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist die Operation fachgerecht durchgeführt worden. Die aufgetretene retrograde Ejakulation ist danach zwangsläufige Folgeerscheinung der Operation, die auf die erforderliche Erweiterung des Blasenhalses zurückzuführen ist und nach den Ausführungen des Sachverständigen den Rückfluss des Ejakulats in die Blase zur Folge hat. Die vom Kläger weiterhin beklagte Erektionsschwäche lässt sich nicht auf die Operation zurückführen. Bei der offenen Prostataoperation kann es nach den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund der angewandten Technik, bei der das innere Gewebe manuell ausgeschält wird, nicht zu Verletzungen von Nerven kommen, die Ursache für erektile Dysfunktionen sein könnten.

2. Der Kläger ist auch ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Seine Rüge, er sei weder über die Durchführung einer Vasektomie, noch darüber aufgeklärt worden, dass es zu Erektionsstörungen bzw. einer retrograden Ejakulation kommen könne, ist unbegründet.

a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Hergang des Aufklärungsgesprächs sind zutreffend. Der Kläger hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat wie schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht bestätigt, dass die Unterschriften auf den bei den Krankenunterlagen befindlichen drei Aufklärungsbögen betreffend die Prostata-TUR (Doku Uro P2), die Beschneidung (Doku UroG 10) und die offene Prostatektomie (Doku UroP1) von ihm stammten. Dem Kläger ist auch jeweils eine Durchschrift des Aufklärungsbogens ausgehändigt worden. Das steht für den Senat fest, weil sich in den Original-Krankenunterlagen der für Patienten bestimmte, abtrennbare Teil des Aufklärungsbogens nicht mehr

befindet. Der Sachverständige hat zu dem Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe diese Seite mit den schriftlichen Hinweisen ausgehändigt erhalten, ausgeführt, dass der Aufklärungsbogen regelmäßig eine abtrennbare Seite enthalte, die dem

Patienten übergeben werde. Unstreitig ist der Kläger ein weiteres Mal durch den Beklagten zu 3) mündlich aufgeklärt worden, nachdem er, wie er bei seiner Anhörung durch das Landgericht angegeben hatte, von dem zweiten Oberarzt der Abteilung, Herrn Dr. X, über die TUR-Methode aufgeklärt worden war und die nachfolgende Untersuchung ergeben hatte, dass die Prostata dafür zu groß sei. Deshalb habe er, der Kläger, sich für einen Bauchschnitt entschieden. In dem vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogen ist dementsprechend wörtlich von einer "operativen Ausschälung der Prostata" die Rede.

b) Auch die Rügen des Klägers zu den, den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zwischen ihm und dem Beklagten zu 3) betreffenden Feststellungen des Landgerichts sind unbegründet.

aa) Nach den Ausführungen des Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass eine Aufklärung über das Risiko von Erektionsstörungen nicht erforderlich ist. Der Sachverständige hat dazu erklärt, dass bei einer - wie hier - regelgerecht ausgeführten, offenen Prostata-Operation erektile Dysfunktionen nicht auftreten können, so dass darüber auch nicht aufzuklären ist. Bei der offenen Operation werde, so der Sachverständige, das innere Prostatagewebe ausgeschält. Eine Verletzung der an der Außenseite des Organs verlaufenden Nerven, die zu einer Erektionsstörung führen könnten, sei nicht möglich, weil diese von der Ausschälung nicht betroffen werden könnten. Eine Aufklärung über dieses Risiko werde daher, so der Sachverständige, üblicherweise nicht gemacht.

bb) Eine ordnungsgemäße Aufklärung über das Risiko des Eintritts einer retrograden Ejakulation infolge der Operation ist entgegen dem Berufungsvorbringen des Klägers erfolgt. Das ergibt sich bereits aus dem vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogen. Der Sachverständige hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens bestätigt, dass dieses Risiko in dem Aufklärungsbogen UroP1 erwähnt ist.

cc) Über das weitere Risiko einer Harninkontinenz infolge der Operation ist unstreitig aufgeklärt worden. Das ergibt sich aus der Berufungsbegründung des Klägers, in der dieser ausführt, dass er sich daran erinnern könne, über das Inkontinenzrisiko aufgeklärt worden zu sein.

dd) Schließlich geht auch die Rüge des Klägers, er sei über die Durchtrennung des Samenleiters mit der daraus resultierenden Zeugungsunfähigkeit nicht aufgeklärt worden, ins Leere. Die Samenleiterdurchtrennung war nach den Ausführungen des Sachverständigen medizinisch indiziert. Die Durchtrennung der Samenleiter im Zuge der Operation ist danach zur Vermeidung von Entzündungen der Nebenhoden erforderlich. Man könne zwar, wie der Sachverständige erklärt hat, auf die Durchtrennung verzichten, habe jedoch dann das größere Risiko, dass eine Entzündung auftreten könne. Eine alternative Behandlungsmethode hat hingegen nicht existiert. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen, der erklärt hat, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation im Jahr 2008 die Laser-Behandlungsmethode noch nicht zur Verfügung gestanden habe. Auch eine Operation unter Antibiotika-Prophylaxe schließt, worauf der Sachverständige weiter hingewiesen hat, das Risiko einer Entzündung nicht vollständig aus.

Die danach erforderliche Aufklärung des Klägers ist nach der Überzeugung des Senats erfolgt. Der Beklagte zu 3), der unstreitig das Aufklärungsgespräch mit dem Kläger geführt hat, hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht bereits angegeben, dass er zwar keine genaue Erinnerung mehr an das Aufklärungsgespräch mit dem Kläger habe, jedoch grundsätzlich im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs auf mögliche Komplikationen eingehe, die er dann handschriftlich in die Dokumentation an der vorgesehenen Stelle eintrage. Er habe auf das Entzündungsrisiko und die daher bestehende Notwendigkeit zur Samenleiterdurchtrennung und auch auf die Folge der Zeugungsunfähigkeit hingewiesen. Der Senat geht davon aus, dass diese Angaben zutreffend sind. Die Angaben des Beklagten zu 3) werden nämlich dadurch bestätigt, dass sich auf dem Aufklärungsbogen betreffend die Prostata-Operation die Eintragung "Vasektom abtrennen" befindet. Wie oben bereits ausgeführt, ist davon auszugehen, dass die betreffende Seite - wie üblich - abgetrennt und dem Kläger ausgehändigt worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

Zitate0
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte