OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.08.2013 - 16 B 878/13
Fundstelle
openJur 2013, 34942
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 15. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 iVm § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. Juni 2013 und folgend der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts gehen zutreffend davon aus, dass der Antragsteller fahrungeeignet und ihm daher die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen beruht darauf, dass er (zumindest) gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht bereit bzw. imstande ist, diesen Konsum und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Soweit es um die gelegentliche ‑ also mehr als nur einmalige ‑ Einnahme von Cannabis geht, hat das Verwaltungsgericht zutreffend und im Einklang mit der Senatsrechtsprechung betont, dass der Antragsteller einen einmaligen, gleichsam experimentellen Konsum im Vorfeld der Fahrt vom 1. März 2013 nicht einmal behauptet, geschweige denn substanziiert und widerspruchsfrei geschildert hat. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 12. März 2012 ‑ 16 B 1294/11 ‑, juris, Rdnr. 5 bis 14 (= Blutalkohol 49 [2012], 179), folgendes ausgeführt:

"[Der Senat geht] in Übereinstimmung mit weiteren Obergerichten,

vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2. März 2011 ‑ 10 B 11400/10 ‑, juris, Rdnr. 9 ff. (= NZV 2011, 573); OVG Schl.‑H., Urteil vom 17. Februar 2009 ‑ 4 LB 61/08 ‑, juris, Rdnr. 33, und Beschluss vom 7. Juni 2005 ‑ 4 MB 49/05 ‑, juris, Rdnr. 3 ff. (= NordÖR 2005, 332); VGH Bad.‑Württ., Urteil vom 21. Februar 2007 ‑ 10 S 2302/06 ‑, juris, Rdnr. 15 (= Blutalkohol 44 [2007], 190),

in ständiger Spruchpraxis davon aus, dass die Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss des Betäubungsmittels es grundsätzlich rechtfertigt, auf eine mehr als einmalige, gleichsam experimentelle Cannabisaufnahme zu schließen, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vorgang zwar geltend macht, die Umstände des behaupteten Erstkonsums aber nicht konkret und glaubhaft darlegt.

Vgl. aus jüngerer Zeit etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 25. Juli 2011‑ 16 B 784/11 ‑, vom 30. März 2011 ‑ 16 B 238/11 ‑, und vom 29. Juli 2009 ‑ 16 B 895/09 ‑, juris, Rdnr. 13 (= NZV 2009, 522).

Die zuletzt genannte Rechtsprechung, die sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu eigen gemacht hat, beruht auf der Überlegung, dass es ausgesprochen unwahrscheinlich ist, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits wenige Stunden nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät. Dies wiederum berechtigt zu der Erwartung, dass er sich ausdrücklich auf einen ‑ für ihn günstigen ‑ Erstkonsum beruft und zu den Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme glaubhaft erklärt. Tut er es wider Erwarten nicht, erscheint es daher zulässig, hieraus für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen.

Siehe dazu insbesondere OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2. März 2011 ‑ 10 B 11400/10 ‑, juris, Rdnr. 11 (= NZV 2011, 573).

An dieser Sichtweise ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens festzuhalten. Sie führt, anders als der Antragsteller meint, nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zu seinen Ungunsten. Vielmehr handelt es sich um einen Akt der Beweiswürdigung. Das Verwaltungsverfahren kennt ebenso wie der Verwaltungsprozess grundsätzlich keine Behauptungslast und Beweisführungspflicht (formelle oder subjektive Beweislast). Behörden und Verwaltungsgerichte ermitteln den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW bzw. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Indes sollen die Beteiligten bei der Sachaufklärung gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG NRW mitwirken bzw. sind hierzu nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO heranzuziehen. Da die in diesem Rahmen geregelte Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts nicht mit Zwang durchgesetzt werden kann, sondern bloß eine Obliegenheit der Beteiligten betrifft, sind sie im Ausgangspunkt zwar frei, selbst darüber zu entscheiden, ob sie ihre Mitwirkung verweigern wollen oder nicht. Unterlässt es ein Beteiligter aber ohne zureichenden Grund, seinen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, obwohl ihm das ohne Weiteres möglich und zumutbar ist und er sich der Erheblichkeit der in Rede stehenden Umstände bewusst sein muss, kann dieses Verhalten je nach den Gegebenheiten des Falles bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigt werden.

Vgl. zum Verwaltungsverfahren Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 26 Rdnr. 40 f. und 43 f., § 24 Rdnr. 12a ff. und 50; zum Verwaltungsprozess siehe Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 86 Rdnr. 11 f., § 108 Rdnr. 17.

So verhält es sich regelmäßig, wenn sich ein nach Cannabisgenuss verkehrsauffällig gewordener Fahrerlaubnisinhaber zu der Frage der Konsumhäufigkeit nicht oder nur unzulänglich äußert. Aus den genannten Gründen ist es erheblichen tatsächlichen Zweifeln ausgesetzt, dass einer Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr unter dem fahrerlaubnisrechtlich relevanten Einfluss von Cannabis ein Erstkonsum zugrundeliegt. Die Unwahrscheinlichkeit einer derartigen Sachverhaltsgestaltung rechtfertigt es, dem Betroffenen eine gesteigerte Mitwirkungsverantwortung aufzuerlegen, zumal er selbst durch sein Verhalten ‑ Fahren unter Drogeneinwirkung ‑ den entscheidenden Anlass gegeben hat, seine Konsumgewohnheiten im Vorfeld der Fahrt zu hinterfragen. Zugleich wird ein Cannabiserstkonsument, sollte es sich tatsächlich um einen solchen handeln, in aller Regel unschwer in der Lage sein, substantiiert darzulegen, wie es zu dem maßgeblichen Konsum gekommen ist und warum er sich schon kurz nach dem Konsumende wieder an das Steuer eines Kraftfahrzeugs gesetzt hat.

Hier ist der Antragsteller seiner nach den vorhergehenden Ausführungen bestehenden Mitwirkungsobliegenheit bislang nicht ansatzweise nachgekommen, obschon sich ihm die Notwendigkeit dazu spätestens in Kenntnis der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufdrängen musste. Vielmehr hat er ‑ soweit ersichtlich ‑ bis heute zu keinem Zeitpunkt, also weder gegenüber der Polizei noch gegenüber der Antragsgegnerin noch im gerichtlichen Verfahren, auch nur vorgetragen, lediglich das eine Mal Cannabis zu sich genommen zu haben. Für dieses Verhalten ist ein einleuchtender Grund nicht erkennbar, wenn man nicht annimmt, dass der Antragsteller bloß deshalb schweigt, um nicht vor die Alternative gestellt zu werden, entweder einen zum Entzug der Fahrerlaubnis führenden gelegentlichen Cannabiskonsum einzuräumen oder die Unwahrheit sagen zu müssen."

Ausgehend von diesen Grundsätzen, an denen der Senat festhält, ergibt sich vorliegend keine abweichende Bewertung, weil der Antragsteller einen Cannabiskonsum behauptet, der mehr als 24 Stunden vor der Verkehrskontrolle vom 1. März 2013 stattgefunden habe. Vielmehr knüpfen sich an diese Einlassung weitere Zweifel. Denn nach anerkannten gerichtsmedizinischen Erkenntnissen ist nach einem Einzelkonsum, wie ihn der Antragsteller sinngemäß behauptet, der Wirkstoff THC im Blutserum nur vier bis sechs Stunden nachweisbar; lediglich in Fällen des vom Antragsteller gerade bestrittenen wiederholten oder gar regelmäßigen Konsums kann sich diese Zeitspanne auf gelegentlich über 24 Stunden verlängern.

Vgl. zuletzt etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. Dezember 2012 ‑ 16 B 1211/12 ‑, unter Bezugnahme auf Schubert/Schneider/Eisenmenger/ Stephan, Begutachtungs‑Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 178.

Daher kann ausgeschlossen werden, dass allein der vom Antragsteller eingestandene Cannabiskonsum vom frühen Nachmittag des 28. Februar 2013 zu dem THC‑Wert von 2 ng/ml am Folgetag geführt hat; vielmehr muss wenige Stunden vor der Fahrt vom 1. März 2013 ein weiterer Konsum stattgefunden haben. Soweit sich der Antragsteller zur Erklärung hierfür auf einen regelwidrig gestörten THC‑Abbau beruft, steht dem entgegen, dass aus dem zugleich festgestellten THC‑COOH‑Wert von 70,8 ng/ml eine nicht unerhebliche Verstoffwechselung zuvor eingenommenen THCs hervorgeht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2013 ‑ 16 B 1378/12 ‑, juris, Rdnr. 6.

Schließlich belegt zur Überzeugung des Senats auch das rechtsmedizinische Gutachten der Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums N. vom 15. Mai 2013 das Vorliegen einer über einen Einzelfall hinausgehenden Cannabisproblematik des Antragstellers. Soweit darin wegen eines positiven THC‑COOH‑Wertes im Blutserum festgestellt wird, der Antragsteller habe "mindestens einmalig Cannabisprodukte (Haschisch/Marihuana) konsumiert", bezieht sich das auf die Analyse einer weiteren, am 8. Mai 2013 entnommenen Blutprobe. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Antragsteller in relativer zeitlicher Nähe zur der neuerlichen Blutuntersuchung (mindestens) ein weiteres Mal Cannabis konsumiert hat. Die Einlassung des Antragstellers, der festgestellte Wert könne zwanglos auch auf bloßes Passivrauchen zurückgeführt werden, ist unsubstanziiert und spekulativ.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).