FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2013 - 10 K 542/12
Fundstelle
openJur 2013, 34633
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind, ohne dass ein vorheriges amtsärztliches Attest vorlag.

Die Klägerin war als ... nichtselbständig tätig, ihr Ehemann arbeitete bei einer ... Mit der Einkommensteuererklärung 2007, die am 31. März 2008 beim beklagten Finanzamt einging, machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 12.228 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend (ESt-Akten Bl. 6 und 21), wovon der größte Betrag von 11.520 EUR auf die Vorauszahlung von Operations- und sonstigen Kosten an eine Firma X GmbH im Therapiezentrum A, sowie Arztrechnungen des dort tätigen Dr. Y entfielen. Ausweislich des Kontoauszugs wurde die Zahlung am 16.11.2007 im Voraus geleistet. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Daneben waren Beträge von 2 x 30,34 EUR für Rezeptgebühren vom 12.12. und 28.12.2007, Rezeptgebühren Krankengymnastik vom 14.8.2007 von 18,64 EUR, eine Kompressionsstrumpfhose vom 14.12.2007 mit 10 EUR, ein amtsärztliches Zeugnis vom 18.12.2007 mit 71,30 EUR enthalten. Beigefügt war eine nachgereichte Anlage, in der zusätzlich Fahrtkosten zum Therapiezentrum mit 337,20 EUR und ein Schnuppertag medizinische Leistung gemäß Anlage mit 99 EUR ergänzt worden waren, so dass die gesamten außergewöhnlichen Belastungen insgesamt 12.228 EUR betrugen. Die Operation vom 27.11.2007 erfolgte zunächst an den Beinen außen, außerdem waren Aufwendungen für den Aufenthalt im Therapiezentrum vom 26.11.2007 bis 2.12.2007 mit einem Rechnungsbetrag von 1.129,08 EUR enthalten. In der Folgezeit erfolgten weitere Operationen am 15.1.2008, bei denen die Beine innen operiert wurden, hierzu erfolgte ein Aufenthalt vom 14.1.2008 bis 20.1.2008, die Rechnung über die Schnuppertage über 99 EUR datierte vom 13.6.2007 für den Aufenthalt vom 11.6. bis 13.6.2007. Die Operation der Arme erfolgte am 7.4.2008.

Beigefügt war ein privatärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. B, C und D vom 26.7.2007, bei dem dargestellt wurde, dass im Sommer 2006 ein Lipödem diagnostiziert worden war, zwischenzeitlich eine Gewichtsreduktion um 15 Kilo erreicht worden und die Patientin mit flachgestrickten Kompressionsstrümpfen versorgt worden sei, diese betreibe mehrmals in der Woche Aquajogging. Bei der klinischen Untersuchung finde sich das deutliche Lipödem nicht nur an den Beinen, sondern diese begännen nun auch an den Oberarmen. Als Empfehlung wurde eine Fortführung der bisherigen entstauenden Maßnahmen vorgeschlagen, eventuell Liposuktion.

Die Klägerin beantragte bei ihrer Krankenkasse, der Z in E, die Kostenübernahme für eine Liposuktion. Durch Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Z dies ab. Zur Begründung führte sie aus, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode. Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege über diese Methode bisher nicht vor. Es stünden aus schulmedizinischer Sicht Behandlungsmöglichkeiten, nämlich die konservative Behandlung mittels komplexer physikalischer Entstauungstherapie (manuelle Lymphdrainage, Kompression, Krankengymnastik) zur Verfügung. Eine Kostenübernahme könne deshalb nicht erteilt werden. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsentscheidung vom 27.3.2008 zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.

Die Klägerin legte Atteste des behandelnden Arztes bei der X GmbH vor und zwar von Herrn Dr. Y. Dieser vertrat im Attest vom 24.4.2008 sowie den übermittelten Untersuchungsberichten (Befundberichten) vom 26.1.2008, auf die verwiesen wird, die Auffassung, dass die Operation aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sei, da die Patientin sonst eine lebenslange manuelle Lymphdrainage und Kompression gebraucht hätte. Ziel der Operation auf lange Sicht sei, dass die Patientin keine manuellen Lymphdrainagen und Kompression mehr benötige und schmerz- sowie beschwerdefrei sei.

Am 1.2.2008 stellte das Gesundheitsamt des F-Kreises folgende Bescheinigung für die Klägerin aus, die diese dem beklagten Finanzamt vorlegte:

Die Liposuktion ist als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und kann aus diesem Grund aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.

Der Gebührenbescheid über ein amtsärztliches Zeugnis/Gutachten datiert vom 18.12.2007 (ESt-Akte Bl. 39). In dem Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10.6.2008, auf den verwiesen wird, anerkannte das Finanzamt nur Aufwendungen von 80 EUR des Ehemannes der Klägerin als agB, errechnete eine zumutbare Belastung von 3.887 EUR und setzte die geltend gemachten Aufwendungen für die Liposuktion nicht an. Zur Begründung führte es im Steuerbescheid aus, dass die geltend gemachten agB für die Liposuktion steuerlich nicht anerkannt würden, weil eine medizinische Indikation nicht gegeben sei. Dagegen richtete sich der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch, der erfolglos blieb. Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück, da keine vorherige amtsärztliche Begutachtung erfolgt sei, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlungen zweifelsfrei ergebe. Es wies insbesondere auf die Entscheidung des BFH zur Liposuktion vom 29.5.2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865 hin.

Hiergegen erhob die Klägerin form- und fristgerecht Klage, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Sie vertrat die Auffassung, die medizinische Indikation sei zweifelsfrei belegt und die durchgeführten Heilbehandlungsmaßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Sie hätten nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregion gedient, sondern seien erforderlich gewesen, damit die Patientin in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten. Es sei zwar richtig, dass im Zeitpunkt des Veranlagungsverfahrens die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen noch nicht in den Behandlungskatalog aufgenommen worden seien, der für die Krankenkassen verbindlich festlege, welche Behandlungsmaßnahmen zu übernehmen sei. Derzeit lägen jedoch mehrere Verfahren bei Sozialgerichten vor, in denen Klagen gegenüber den beteiligten Krankenkassen erhoben worden seien auf Feststellung, dass diese verpflichtet seien, die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen, die auch Gegenstand des Verfahrens seien, zu übernehmen.

Diese Klagen blieben im Endergebnis erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 B 1 KR 11/08 R, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7.7.2011 L 8 KR 101/10, Sozialgericht Mainz, Urteil vom 23.4.2012, S 14 KR 143/11; jeweils Juris Datenbank). Die Urteile stützten sich darauf, dass zum einen die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet seien, die neue Methode der Fettabsaugung zu bezahlen, weil der gemeinsame Bundesausschuss diese Methode nicht positiv empfohlen habe und keine Ausnahme vorliege, in der dies entbehrlich sei. Als nicht vom gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich auch nicht über die Grundsätze des sog. Systemversagens, der vorliege, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruhe. Diese liege dann vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzung nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt worden sei. Ein sonstiger Ausnahmefall liege nicht vor. Da die Leistung zudem in ambulanter Form in Anspruch genommen werden könne, scheide ein Anspruch auf die Liposuktion in Form einer Krankenhausbehandlung als Naturalleistung von vornherein aus. Versicherte hätten nur dann Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden könne. Die Krankenhausbehandlung müsse demnach allein aus medizinischen Gründen erforderlich sein. Daran fehle es.

Die Klägerin vertritt hingegen die Auffassung, dass die medizinische Notwendigkeit dieser Heilbehandlungsmethode im Ergebnis nicht mehr bestritten werden könne. Das Problem der Verfahren um die Liposuktion liege im wesentlichen darin, dass dieses von den Beteiligten, zum Teil auch von den beteiligten Ärzten, wie z.B. dem hier beteiligten Gesundheitsamt, oft mit einer rein kosmetischen Operation verwechselt werde. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht der Fall, vielmehr habe diese dazu gedient, die Beweglichkeit und Arbeitsfähigkeit der Patientin wieder herzustellen und ihr insbesondere Spätkomplikationen der Lymphgefäße zu ersparen. Ferner legte die Klägerin Leitlinien einer deutschen Gesellschaft für Phlebologie zugrunde, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Darin werden zur Lipödemreduktion sowohl physikalische Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und intermittierende pneumatische Kompressionen genannt, andererseits auch die operative Therapie mittels Fettabsaugung. Vergleichsstudien zur konservativen und operativen Therapie seien nicht vorhanden. Ferner legte die Klägerin Unterlagen des ... Landesamtes für Bezüge und Versorgung vor, das die Beihilfefähigkeit der Liposuktion in dem dort genannten Fall bejahte.

Im Erörterungstermin vom 16.6.2010, auf den verwiesen wird, schilderte die Klägerin ihre Beschwerden. Als Problem der Lymphdrainagen und Kompressionstherapie schilderte sie, dass man sowohl lebenslang Kompressionsstrümpfe tragen müsse als auch lebenslang Lymphdrainagen erhalten müsse. Die Erkrankung führte bei der Klägerin mit Ausnahme der Zeiten, die für die Operationen erforderlich waren, nicht zur Arbeitsunfähigkeit oder zu Fehlzeiten deshalb. Der Betrag von 11.520 EUR stellte den Betrag für sämtliche Operationen an Armen und Beinen dar und musste im Voraus bezahlt werden.

Zum Zeitpunkt des Erörterungstermins war die Klägerin nach ihren Angaben beschwerdefrei, brauchte keine Kompressionsstrümpfe und keine Lymphdrainage mehr. Die Beine und Arme seien auch nicht dicker geworden, sondern so geblieben wie sie nach der Operation gewesen seien. Da beim BFH Revisionsverfahren mit den Az.: VI R 17/09, VI R 18/09 und VI R 11/09 anhängig waren, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 23. Juni 2010 zum Ruhen gebracht. Nachdem die Revision VI R 17/09 durch Urteil vom 11.11.2010 zugunsten der dortigen Kläger entschieden worden war und der BFH auf die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Attestes verzichtet hatte, wurde das Verfahren wieder aufgerufen. Die Entscheidung der Revision VI R 18/09 vom 11.11.2010 erging dementsprechend. Daraufhin erließ der Gesetzgeber schließlich im Jahressteuergesetz 2012 die neue Fassung der §§ 64, 84 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung -EStDV- mit rückwirkender Geltung für alle noch offenen Verfahren.

Daraufhin vertraten die Bevollmächtigten die Auffassung, es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor. In der Folgezeit stritten die Beteiligten über diese Rechtsfrage. Im Hinblick auf diese wurde das zwischenzeitlich wieder neu aufgenommene Verfahren unter dem Az.: 10 K 542/12 durch Beschluss vom 16. Mai 2012 erneut zum Ruhen bis zur Entscheidung des BFH im Revisionsverfahren VI R 13/12 gebracht. Durch Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 entschied der 6. Senat des BFH, dass die in § 84 Abs. 3 f EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei.

Nachdem eine weitere Entscheidung ausstand, vertraten die Kläger die Auffassung, es bestünden Zweifel, ob § 64 der EStDV im vorliegenden Fall angewandt werden könne. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2f EStDV - eine andere Vorschrift komme ja wohl nicht in Betracht - werde der Nachweis eines amtsärztlichen Gutachtens nur dann verlangt, wenn es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstofftherapie und Eigenbluttherapien handele. Im vorliegenden Fall stehe jedoch eine Liposuktion, d.h. ein operativer Eingriff im Streit. Aufgrund der bereits vorgelegten Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Phlebologie ergebe sich, dass es keinen Zweifel geben könne, dass die Behandlung des Lipödems der Beine durch eine Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Therapie sei. Hierfür werde die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens beantragt. Die Tatsache, dass die Krankenkassen die Operationen nicht zahlten, stehe in keinem Zusammenhang damit, dass es sich etwa um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, sondern liege schlichtweg darin, dass in diesen Behandlungskatalog nur auf Antrag Behandlungsmethoden aufgenommen worden seien. Die verschärften Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 2f EStDV seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das beklagte Finanzamt differenziere nicht zwischen wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden einerseits oder Behandlungsmethoden, die noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten seien, andererseits.

Die Kläger beantragen, 1. den zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung der Krankheitskosten in Höhe von 12.000 EUR für die durchgeführten Liposuktionen niedriger festgesetzt wird, 2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, 3. für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

Das beklagte Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht es sich zum einen auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung, hält die Neuregelung entsprechend der Rechtsprechung des BFH für verfassungsrechtlich zulässig und ist der Auffassung, dass es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, die nur durch ein vorheriges Attest eines Amtsarztes als medizinisch notwendig und zwangsläufig nachweisbar sei. Für diese Nachweiserfordernisse trage die Klägerin die Feststellungslast.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuererklärungen nebst sämtlichen Anlagen, den ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007, die Einspruchsbegründungen nebst sämtlichen Anlagen sowie die im Besteuerungs-, Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen Bezug genommen.

Die Beteiligten haben nach § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).

a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten -ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind.

Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch -SGB V-) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich, außerdem nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 f) EStDV für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden.

2. Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitjahr Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen -wie vorliegend- die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.

a) Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar; auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall erscheint -jedenfalls im Grundsatz- nicht unverhältnismäßig. Aufgrund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, Finanz-Rundschau 2011, 1067).

Auch die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ist hierbei nicht zu beklagen. Denn dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvL 11/06 u.a., BVerfGE 126, 369;BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10 BStBl II 2012, 577).

Da die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, schwer zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit der Entscheidung vom 14. Februar 1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295) grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung zweifelsfrei ergibt (- BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543).

Hinsichtlich des Erfordernisses einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung ist dem Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme fachlicher Beratung grundsätzlich zuzumuten (BFH-Urteile in BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732, und vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337). Dass die Anleitung der Finanzverwaltung zur Einkommensteuererklärung keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung enthält, rechtfertigt es nicht, von diesem Erfordernis abzusehen. Ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Gutachten hat der BFH nur ausnahmsweise dann als Nachweis ausreichen lassen, wenn das Erfordernis einer vorherigen amtlichen Begutachtung für bestimmte Aufwendungen erstmals höchstrichterlich aufgestellt worden war und vom Steuerpflichtigen deshalb nicht erwartet werden konnte, dass er dieses Erfordernis kennt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, und BFH-Beschluss vom 20. November 2003 III B 44/03, BFH/NV 2004, 335).

Aufwendungen für ärztliche Maßnahmen, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob sie zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich sind, hat der BFH seit jeher nur als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, wenn durch ein amtsärztliches Gutachten vor der Behandlung die medizinische Indikation nachgewiesen war. Bei Operationen, die häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, ist es daher dem Steuerpflichtigen zuzumuten, fachlichen Rat einzuholen, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für derartige Operationen steuerlich berücksichtigt werden. Im Streitfall war der besondere Charakter der Behandlungen für die Kläger auch erkennbar, weil ihre Krankenkasse die Aufwendungen hierfür nicht übernommen hatte (zum Vorstehenden für eine Liposuktion: BFH-Beschluss vom 24.11.2006 III B 57/06 BFH/NV 2007, 438).

Die zuvor bestehende Rechtslage wurde durch die neu eingeführten Regelungen des § 64, 84 EStDV mit rückwirkender Geltung bestätigt. Der BFH hat die Rückwirkung dieser Regelung auch für das Streitjahr 2007 in dem o.a. Urteil ausdrücklich bestätigt. Bei der Liposuktion handelt es sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen und der von der Klägerin selbst vorgelegten Atteste um eine Behandlungsmethode, die nach § 64 Nr. 2f EStDV eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode darstellt und deren Anwendung und Ergebnisse umstritten sind. Nach den Leitlinien wurden keine vergleichenden Untersuchungen über die Wirkungen der konservativen und operativen Methode angestellt. Die gesetzliche Krankenkasse und deren Medizinischer Dienst haben diese Methode vor der Behandlung als unkonventionelle Behandlungsmethode bezeichnet.

Nach § 64 Abs. 2 EStDV haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Nach der ausdrücklichen Gesetzesfassung der EStDV muss nach § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV der nach Satz 1 zu erbringende Nachweis vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt worden sein. Nach Abs. 2 der Vorschrift haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Das Landratsamt als zuständige Gesundheitsbehörde hat jedoch mit der Bescheinigung vom 1.2.2008 durch die zuständige Amtsärztin festgestellt, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt ist und aus diesem Grunde aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden kann. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden. Nach den Daten der Aufstellung für die außergewöhnlichen Belastungen des Streitjahres wurden die Kosten eines ärztlichen Zeugnisses mit Datum 18.12.2007 in Höhe von 71,30 EUR geltend gemacht, der Gebührenbescheid ist unter diesem Datum ergangen und von der Klägerin bezahlt worden. Damit muss die Klägerin bereits frühzeitig gewusst haben, dass das Gesundheitsamt diese Methode nicht anerkannt hat. Wenn sie die daraufhin folgenden Operationen dennoch durchführt, war ihr bewusst, dass sie diese auf eigenes Risiko durchführen ließ.

Damit steht für den Streitfall fest, dass jedenfalls der Nachweis durch ein vorher ausgestelltes Attest nicht erbracht werden kann, zumal diese Bescheinigung ausgestellt wurde, bevor im April 2008 die Arme operiert wurden. Die Klägerin hat daher den Nachweis, dass es sich um anerkannte wissenschaftliche Methode zur Behandlung dieses Falles handelt, vor der Operation gerade nicht erbracht. Das nach § 64 Abs. 2 EStDV zuständige Gesundheitsamt war vielmehr der Auffassung, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und aus diesem Grund nicht als medizinisch notwendig angesehen werden kann. Vielmehr könne die psychische Beeinträchtigung durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.

Die zuständige Gesundheitsbehörde hat daher die Notwendigkeit dieser Behandlungsmethode gerade verneint und sie mit einem kosmetischen Eingriff in Zusammenhang gebracht. Die nach dem 18.12.2007 und nach der Bescheinigung vom 1.2.2008 an den Beinen und den Armen vorgenommenen Operationen können nicht durch ein nachträgliches Sachverständigengutachten als notwendig anerkannt werden, da es insoweit an den formalisierten Nachweiserfordernissen fehlt. Das gleiche gilt für die vor dem 18.12.2007 durchgeführte Operation der Beine.

Der Senat ist auch der Auffassung, dass es sich insoweit um eine der in der Verordnung genannten Methoden ähnliche Methode handelt, wie sich sowohl aus der Rechtsprechung des BFH in den zitierten Beschlüssen und der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt. Auch die vorgelegten Leitlinien der Gesellschaft für Phlebologie ersetzen nicht den Nachweis durch ein vor der Maßnahme ausgestelltes amtsärztliches Attest.

Der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens im Finanzgerichtsverfahren bedurfte es angesichts der vorliegenden Rechtsprechung nicht. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass die Auffassungen darüber, ob die Liposuktion als Heilmethode anzuerkennen ist oder nicht, in der Fachliteratur ersichtlich unterschiedlich sind. Während diejenigen, die Operationen vornehmen, diese Methode als Heilmethode anerkennen, setzen andere Ärzte aus schuldmedizinischer Sicht auf physikalische Therapien. In jedem Fall kann ein Sachverständigen-Gutachten, das nur im Nachhinein anhand von Fotos und Unterlagen erstellt werden könnte, nicht die vorherige Untersuchung der Patientin und die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens ersetzen. Vielmehr ist das zuständige Gesundheitsamt für die Klägerin im konkreten Fall nach § 64 Abs. 2 EStDV 2011 gerade zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Durch ein nachträglich erstelltes Sachverständigen-Gutachten können demzufolge die Nachweiserfordernisse der §§ 64 Abs. 1 und 2, 84 EStDV 2011 nicht mehr erreicht werden. Das Sachverständigengutachten ist insofern ein untaugliches Beweismittel, so dass der Beweisantrag daher abzulehnen ist.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 FGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die streitigen Rechtsfragen durch die zwischenzeitlich ergangene und oben zitierte Rechtsprechung des BFH geklärt sind.