LG Köln, Beschluss vom 12.06.2013 - 1 T 147/13
Fundstelle
openJur 2013, 34330
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 31.05.2013 - 214 C 175/13 - (Bl. 24 d. A.) wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens.

Verfahrenswert für beide Instanzen: 1.800,00 EUR

Gründe

I.

Unter dem 28.09.1989 schlossen die Antragstellerin - Hauptmieterin - und der Verein Wir selbst e. V. einen Mietvertrag bezüglich der Halle des Werkes 3 des ehemaligen Kolbgeländes mit einer Größe von ca. 1546 qm und die davor liegende Freifläche von ca. 1750 qm in der I-Straße bis 32 in ... Köln.

Dieses Mietverhältnis wurde durch Kündigung der Klägerin vom 22.06.2011, die jedenfalls als ordentliche Kündigung wirksam ist, zum 31.12.2011 beendet. In der Folge erwirkte die Antragstellerin gegen den Verein und weitere Einzelpersonen einen - inzwischen rechtskräftigen - Räumungstitel. Es wird Bezug genommen auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Köln vom 07.12.2012 (Az. 214 C 136/12) sowie den Beschluss des Landgerichts Köln vom 24.05.2013 (Az. 1 S 34/13), mit dem die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen wurde.

Bereits unter dem 15.03.2012 hatte der Verein Wir selbst e. V. mit dem Antragsgegner einen "Untermietvertrag für Wohnräume" über einen Bauwagen auf dem vorgenannten Gelände geschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 19ff. d. A. verwiesen. Diesen Umstand zeigte der Antragsgegner der zuständigen Gerichtsvollzieherin mit Schreiben vom 31.05.2013 an; eine gegen ihn gerichtete Räumung habe aufgrund des ihm zustehenden Besitzrechtes zu unterbleiben (Bl. 16 d. A.).

Zu einer Räumung der Liegenschaft, die zuletzt für den 03.06.2013 geplant war, ist es bislang nicht gekommen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dem Antragsgegner stehe wegen der Beendigung des Mietverhältnisses zwischen ihr und dem Verein Wir selbst e.V. kein Recht zum Besitz zu. Ohnehin sei davon auszugehen, dass das Mietverhältnis nicht zum Zweck der Wohnnutzung, sondern zum Zweck der Behinderung der Zwangsräumung abgeschlossen worden sei. Eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung sei zulässig. Eine Nichträumung des Antragsgegners würde für sie eine unzumutbare Härte darstellen, nicht hingegen für den auch an drei weiteren Wohnanschriften innerhalb von Köln gemeldeten Antragsgegner.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, die Halle des Werkes 3 des ehemaligen Kolbgeländes mit einer Größe von ca. 1546 qm und die davor liegende Freifläche von ca. 1759 qm, wie sie auf dem als Anlage AST1 beigefügten Plan farblich umrandet ist, gelegen in der I-Straße bis 32 in ... Köln zu räumen und geräumt an die Antragstellerin herauszuheben, durch Beschluss vom 31.05.2013 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, bei Gericht eingegangen am 02.06.2013.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 31.05.2013 - 214 C 175/13 - ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen.

1. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist bereits nicht zulässig, weil in der begehrten Rechtsfolge eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache läge. Mit der beantragten einstweiligen Verfügung soll nicht die Verwirklichung eines Rechtes gesichert, sondern dieses Recht bereits durchgesetzt werden.

Einstweilige Verfügungen, die bereits zur uneingeschränkten Befriedigung des Hauptsacheanspruchs des Antragstellers führen, sind nur ganz ausnahmsweise zulässig, wenn der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen ist, wenn darüber hinaus die geschuldete Handlung, soll sie ihren Sinn nicht verlieren, so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist, und wenn der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden ganz außer Verhältnis steht zu dem Schaden, der dem Antragsteller aus der sofortigen - vorläufigen - Erfüllung droht (OLG Köln, NJW-RR 1995, 1088).

a. Soweit hiernach mit der Leistungsverfügung gemäß § 940 ZPO grundsätzlich die Wiedereinräumung des durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitzes verlangt werden kann (vgl. allgemein BGH, NJW 1981, 865; OLG Köln, MDR 1995, 1215), fehlt es vorliegend jedenfalls an einem entsprechenden Verfügungsanspruch. Ein Anspruch nach §§ 858, 861 BGB scheidet aus, da die Antragstellerin im Zeitpunkt des Besitzerwerbs durch den Antragsgegner wegen des Mietverhältnisses mit dem Verein Wir selbst e. V. nicht unmittelbare, sondern nur mittelbare Besitzerin der Mietsache war, § 868 BGB (vgl. allgemein OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 1461). Ein Anspruch gemäß §§ 869, 868 BGB scheitert daran, dass der Antragsgegner gegenüber dem unmittelbaren Besitzer der Mietsache - dem Verein Wir selbst e.V. - keine verbotene Eigenmacht geübt hat. Im Gegenteil hat der Verein selbst dem Antragsgegner auf Grundlage des Untermietvertrages ein Besitzrecht eingeräumt.

b. Die eingangs benannten, allgemeinen Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Befriedigungsverfügung sind nicht dargelegt. Insbesondere kann der Verweis auf die zu erwartenden hohen Kosten der Räumung, die ohnehin und unabhängig von der Besitzposition des Antragsgegners anfallen, keine solche Härte begründen. Dass bzw. warum der Antragstellerin gerade das Abwarten eines gegen den Antragsgegner anzustrengenden Hauptsacheverfahrens unzumutbar wäre, ist nicht konkret dargelegt.

c. Schließlich kommt auch der Erlass einer Räumungsverfügung nach § 940a Abs. 2 ZPO nicht in Betracht, da diese Spezialvorschrift nur auf Wohnraum anwendbar ist und es sich bei der zu räumenden Fläche - der im Antrag näher bezeichneten, an den Verein Wir selbst e. V. vermieteten Fläche - nicht um Wohnraum handelt. Insoweit wird entsprechend auf die Gründe des Beschlusses der Kammer vom 06.03.2013 - 1 S 34/13 - verwiesen.

Die Kammer teilt dabei nicht die Auffassung des Amtsgerichts in seinem Beschluss vom 31.05.2013 - 214 C 175/13 -, wonach es zur Klärung der Frage, ob § 940a Abs. 2 ZPO hier Anwendung finden kann, auf das tatsächliche (Wohnraum-)Mietverhältnis zwischen dem Verein und dem Antragsgegner ankommt. Denn entscheidend ist das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und dem Verein, weil die Klägerin aus diesem Mietverhältnis und den im Verhältnis dieser Beteiligten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen den Anspruch auf Räumung auch gegenüber dem Antragsgegner ableitet. Das hier maßgebliche Mietverhältnis ist aber - wie angesprochen - als Gewerberaummietverhältnis zu bewerten.

Kommt demnach eine unmittelbare Anwendung des § 940a Abs. 2 ZPO nicht in Betracht, so kann die dortige Regelung auch nicht im Wege eines "erstrecht"-Schlusses auf Gewerbemietverhältnisse bzw. sonstige Mieträume wie hier zu beurteilen angewandt werden.

Gegen eine Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 940a Abs. 2 ZPO auch auf sonstige Mieträume spricht bereits der klare Wortlaut der Norm, der ausdrücklich von der "Räumung von Wohnraum" spricht. Auch die Gesetzessystematik spricht gegen die Anwendbarkeit der Norm auf sonstige Mieträume, da der Gesetzgeber die Vorschrift im Zuge des Mietrechtsänderungsgesetzes 2013 gerade in einer bestehenden Norm mit der amtlichen Überschrift "Räumung von Wohnraum" angesiedelt hat. Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien zum Mietrechtsänderungsgesetz 2013 (vgl. insbesondere die Begründung des Regierungsentwurfs vom 15.08.2012, BT-Drs. 17/10485 S. 33f.), dass der Gesetzgeber im Zuge der mit der Reform vorzunehmenden Änderungen auf von ihm als abänderungsbedürftig gewertete Missstände allein bei der Wohnraummiete reagieren wollte: Daraus folgt weiter, dass es sich bei § 940a Abs. 2 ZPO um eine auf Wohnraum zugeschnittene Spezialvorschrift handelt. Diese ist grundsätzlich daher eng auszulegen (so auch Streyl, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11.Aufl., 2013, § 940a Rn. 2, 3). Dieser Spezialcharakter der Norm verbietet damit aber auch eine Ausweitung in andere Mietverhältnisse im Sinne einer "erstrecht"-Auslegung. Dabei muss sicher berücksichtigt werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Wohnraummieter im Vergleich zu anderen Mietern grundsätzlich einen höheren Schutz genießen soll. Gestattet der Gesetzgeber hier in einem besonderen Fall durch § 940a Abs. 2 ZPO einen Eingriff in diesen besonders geschützten Rechtsbereich, so mag man durchaus überlegen können, ob diese Situation sich auch in anderen Mietverhältnissen stellt. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung ist eine Ausdehnung oder entsprechende Anwendung auf andere Mietverhältnisse nicht möglich (so auch Horst, MDR 2013, 249). Dies gilt umso mehr, als bereits weit vor der abschließenden Beratung des Mietrechtsänderungsgesetzes 2013 im Deutschen Bundestag Stimmen - etwa aus dem Deutschen Mietgerichtstag - auf die erkennbare Lücke des seinerzeitigen Gesetzesentwurfs des § 940a Abs. 2 ZPO für Gewerbemietverhältnisse hingewiesen hatten (so etwa Streyl, veröffentlicht in NZM 2012, 248, 252). Wenn der Gesetzgeber es aber dennoch bei der gewählten Regelung beließ, zeigt dies nach Auffassung der Kammer, dass er damit die Regelung auch nur auf Wohnraummietverhältnisse angewendet wissen wollte. Die Kammer sieht sich daher auch nicht in der Lage, der in der Kommentarliteratur von Streyl vertretenen Auffassung einer entsprechenden Anwendung des § 940a Abs. 2 ZPO auf Gewerbemietverhältnisse (Streyl, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 1. Auflage 2013, § 940a Rn. 57) beizutreten.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.