VG Münster, Beschluss vom 15.08.2013 - 1 L 286/13
Fundstelle
openJur 2013, 33732
  • Rkr:
Tenor

Die Stadt B. , vertreten durch den Bürgermeister, T.--straße 00, 00000 B. , wird beigeladen.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, über den Antrag der Antragstellerin auf Aufnahme in die X-Schule B. , Städtische Katholische Grundschule - Primarstufe -, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beiladung der Stadt B. als Schulträger der X-Schule erfolgt gemäß § 65 Abs. 2 VwGO als notwendig, weil die Entscheidung auch der Stadt B. gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Sie hat als Schulträger die Zahl der Eingangsklassen bestimmt und die Klassengröße der Eingangsklassen der X-Schule auf 25 Schüler festgelegt und damit die Aufnahmekapazität der Schule festgelegt.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin mit dem sinngemäß gestellten Antrag,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über ihren Antrag auf Aufnahme in die X-Schule B. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,

ist gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Das Begehren der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Neubescheidung des Aufnahmeantrags ist auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, denn die Antragstellerin wird im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bereits das erhalten, was sie auch im Klageverfahren beantragt hat. In diesen Fällen liegt der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund nur vor, wenn die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren schlechthin unzumutbar ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die einstweilige Anordnung ist notwendig zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, da dieser bei Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu spät für die Antragstellerin kommen würde. Der Unterricht beginnt bereits Anfang September 2013. Das Hauptsacheverfahren wird in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden können. Es ist der Antragstellerin auch nicht zuzumuten, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig eine andere Grundschule zu besuchen. Eine andere Grundschule derselben Schulart ist für die Antragstellerin nicht in zumutbarer Weise erreichbar. Die O-Schule, auf die der Antragsgegner als nächstgelegene Grundschule verweist, ist eine Gemeinschaftsgrundschule und keine katholische Bekenntnisschule. Die Antragstellerin hat sich aber bewusst für die Schulart (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW) der katholischen Bekenntnisschule entschieden.

Es besteht auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Antragstellerin gegen den Antragsgegner den geltend gemachten Anordnungsanspruch auf Neubescheidung hat.

Ein solcher Anspruch folgt aus § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW. Danach hat jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität, soweit der Schulträger keinen Schuleinzugsbereich gebildet hat.

Die X-Schule B. ist, wie oben erläutert, die katholische Bekenntnisschule und damit die Grundschule der gewünschten Schulart, die der Wohnung der Antragstellerin am nächsten liegt.

Die Aufnahmekapazität der X-Schule ist nicht erschöpft. Die Aufnahmekapazität bestimmt der Schulträger nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW, indem er unter Beachtung der Höchstgrenze für die zu bildenden Eingangsklassen an Grundschulen nach der Verordnung gemäß § 93 Abs. 2 SchulG NRW die Zahl und die Verteilung der Eingangsklassen auf die Schulen festlegt. Die Vorschrift des § 46 Abs. 3 SchulG NRW ist in der Fassung des 8. Schulrechtsänderungsgesetzes vom 13. 11. 2012 (GV. NRW. 2012 S. 514) anwendbar, da das Gesetz am 22. 11. 2012 und damit vor der Entscheidung des Schulträgers und vor der Aufnahmeentscheidung in Kraft getreten ist. Nach dem Beschluss des Rates der beigeladenen Stadt B. vom 28. 2. 2013 werden an der X-Schule zwei Eingangsklassen gebildet.

Die Zahl der pro Klasse aufzunehmenden Schüler richtet sich nach den Klassenbildungswerten, die sich aus der Verordnung zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW ergeben. Dabei lässt die Kammer offen, ob bereits die Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG NRW für das Schuljahr 2013/2014 vom 13. 5. 2013 (GV. NRW. 2013 S. 245) anzuwenden ist, die nach Art. 2 der Verordnung erst am 1. 8. 2013 in Kraft getreten ist. Nach Art. 1 § 6 a Abs. 1 Satz 3 der ÄnderungsVO gilt für Eingangsklassen der Grundschulen die Bandbreite von 15 bis 29. Nach dem bis zum 31. 7. 2013 geltenden § 6 Abs. 4 Satz 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW galt die Bandbreite 18 bis 30. Nach beiden Vorschriften ist die Kapazität noch nicht erschöpft.

Im Rahmen der Aufnahmeentscheidung ist der Antragsgegner verpflichtet, die Bandbreite auszuschöpfen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. 2. 2013 - 19 A 160/12 -, juris, Rdn. 54.

Das sind im vorliegenden Fall 29 bzw. 30 Schüler pro Eingangsklasse. Die X-Schule musste also insgesamt 58 bzw. 60 Schüler aufnehmen. Tatsächlich stellte sie nur 50 Plätze zur Verfügung. Da nunmehr weitere acht bzw. zehn Plätze zu besetzen sind, ist eine Neubescheidung des Aufnahmeantrags der Antragstellerin dahingehend vorzunehmen, dass ein Aufnahmeanspruch besteht. Insofern verdichtet sich der von der Antragstellerin geltend gemachte Neubescheidungsanspruch zu einem Aufnahmeanspruch. Da außer über den Aufnahmeantrag der Antragstellerin nur über drei weitere Anträge noch nicht unanfechtbar entschieden ist (die übrigen nicht in die Schule aufgenommenen Kinder haben die ablehnenden Bescheide bestandskräftig werden lassen), wird auch die nach der Änderungsverordnung berechnete Kapazität durch eine Aufnahme der Antragsteller aller Verfahren nicht vollständig erschöpft.

Dem steht die Festlegung des Schul- und Kulturausschusses des Rates der Beigeladenen, die Klassengröße in den Eingangsklassen aller Grundschulen mit Ausnahme der Schulen in Y und Z grundsätzlich auf 24 bzw. nach Entscheidung der jeweiligen Schulleitung auf 25 Schüler pro Klasse festzulegen, nicht entgegen. Eine solche Begrenzung der Klassengröße ist rechtswidrig. Sie ist nicht durch § 46 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW gedeckt. Nach dieser Vorschrift kann der Schulträger die Zahl der in die Eingangsklassen aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler einer Grundschule oder mehrerer Grundschulen begrenzen, wenn dies für eine ausgewogene Klassenbildung innerhalb einer Gemeinde erforderlich ist oder besondere Lernbedingungen oder bauliche Gegebenheiten berücksichtigt werden sollen. Die Kammer lässt offen, ob die Festlegung durch den Schul- und Kulturausschuss, die keine explizite Aufnahme in den Beschluss des Rates vom 28. 2. 2013 gefunden hat, überhaupt eine wirksam vorgenommene Begrenzung durch das dafür zuständige Organ des Schulträgers darstellt. Jedenfalls ist § 46 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW nach seinem Wortlaut und nach der Gesetzesbegründung,

LT-Drs. 16/815, S. 41,

als Ausnahmevorschrift zu verstehen. Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass grundsätzlich die Klassengrößen nach der Verordnung zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW einzuhalten sind; das macht auch § 46 Abs. 3 Satz 4 SchulG NRW deutlich, der ausdrücklich bestimmt, dass die Vorschriften zu den Klassengrößen unberührt bleiben. Die mögliche Begrenzung der Zahl der Schüler in den Eingangsklassen kann daher nicht, wie die Beigeladene es getan hat, unter Ausschluss zweier Grundschulen "grundsätzlich" auf alle übrigen Schulen angewendet werden. Denn durch eine solche generelle Festlegung würde der Schulträger in die Kompetenz des Verordnungsgebers eingreifen. Stattdessen wäre es erforderlich gewesen, für jede Grundschule, bei der eine ausnahmsweise Begrenzung der Klassengröße vorgenommen wird, anzuführen, welche der dafür zu erfüllenden Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW vorliegt. Eine konkret auf die X-Schule bezogene spezifische Begründung für eine Begrenzung der Klassengröße hat die Beigeladene indes nicht geliefert. Die in der Beschlussvorlage des Schul- und Kulturausschusses genannten - auf alle Grundschulen bezogenen - Gründe, noch Platz für zugezogene oder in der Eingangsphase verbleibende Schüler zu haben sowie einen adäquaten gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern zu ermöglichen, sind keine Gründe, die unter die in § 46 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW genannten Voraussetzungen zu subsumieren sind. Gleiches gilt für die Empfehlung aus dem Protokoll der Lenkungsgruppe "Integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung" vom 25. 1. 2013, die Klassengrößen sollten im Hinblick auf mögliche "GU-Kinder" geplant werden. Hinsichtlich des Gemeinsamen Unterrichts fehlt es an einer Darlegung, dass die Begrenzung der Klassengröße gerade wegen der konkreten Durchführung dieses Unterrichts in den Eingangsklassen der X-Schule notwendig ist, weil z. B. die Schule einen besonderen Schwerpunkt für Integration und Inklusion hat.

Vgl. dazu LT-Drs. 16/815, S. 41.

Besteht ein Aufnahmeanspruch bereits wegen der nicht ausgeschöpften Kapazität, kommt es auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung nicht mehr an. Die Kammer merkt jedoch, ohne dass es für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren erheblich ist, an, dass sich die vorrangige Auswahl der Kinder aufgrund des formellen Bekenntnisses weder aus einfachem Recht rechtfertigen lassen,

vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 8. 4. 2008 - 18 K 131/08 - juris, Rdn. 12 ff.,

noch von Verfassungs wegen geboten sein dürfte. Denn nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich ein Aufnahmeanspruch auch für bekenntnisfremde Kinder an einer Bekenntnisschule aus Art. 4 Abs. 1 GG i. V. m. dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung, wenn die Eltern für ihr Kind die Ausrichtung der gewünschten Schule als Bekenntnisgrundschule auf die Grundsätze dieses Bekenntnisses voll und ganz bejahen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. 1. 1989 - 19 B 2262/88 -, juris, Rdn. 23.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer bemisst die sich aus dem Antrag für die Antragstellerin ergebende Bedeutung der Sache im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit der Hälfte des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG, der für einen in einem Hauptsacheverfahren verfolgten Aufnahmeanspruch anzunehmen wäre.