BGH, Urteil vom 27.10.2000 - V ZR 172/99
Fundstelle
openJur 2010, 7235
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 24. März 1999 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisonsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Beklagte ist Eigentümer früher landwirtschaftlich genutzter Grundstücke von insgesamt rund 34.000 qm Größe in S. (im folgenden: Stadt). Die Grundstücke waren im Flächennutzungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesen. Im Juni 1990 beschloß die Stadt, einen Bebauungsplan aufzustellen, aufgrund dessen die Grundstücke zu gewerblichen Zwecken bebaubar werden sollten.

Hiervon erhielt der Kläger Kenntnis. Mit dem Ziel, den von ihm im H.

Norden betriebenen Getränkegroßhandel in das geplante Gewerbegebiet zu verlegen, nahm er Verhandlungen mit der Stadt, dem Beklagten und den Eigentümern weiterer Grundstücke des Planungsgebiets auf. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 14. Januar 1992 kaufte er zusammen mit M. und W. als Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts die Grundstücke des Beklagten (im folgenden: Kaufgrundstücke) für insgesamt 5,5 Mio. DM. Der Besitz wurde den Käufern übertragen, sie leisteten auf den Kaufpreis eine Anzahlung von 2.500.000 DM.

Im Vertrag war den Käufern ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, daß ihnen der Kauf des an eines der Kaufgrundstücke angrenzenden Grundstücks "B. " nicht gelinge oder "die Baugenehmigungsbehörde per negativem Bescheid dem Käufer die aus der anliegenden Skizze ersichtliche Bebauung der Grundstücke verwehrt". Das Rücktrittsrecht konnte bis zum 30. Juni 1993 durch Erklärung gegenüber dem Urkundsnotar ausgeübt werden. Den Käufern gelang der Erwerb des Grundstücks "B. ". Die für die Ausübung des Rücktrittsrechts vereinbarte Frist wurde durch notariell beurkundete Änderungsverträge zweimal, letztmals bis zum 30. Juni 1994, verlängert.

Als Erschließung der Kaufgrundstücke reichte es den Käufern aus, die zu erstellende öffentliche Straße auf dem Grundstück "B. " enden zu lassen. Auf der Grundlage des Verhandlungsergebnisses mit ihnen beschloß die Stadt am 2. September 1993 einen Bebauungsplan. Die öffentliche Erschließung erfolgte hiernach nur bis auf das Grundstück "B. ".

Die Gesellschafterin W. schied aus der Erwerbergesellschaft aus. Ihr Anteil an der Gesellschaft wuchs den verbleibenden Gesellschaftern oder dem Kläger zu. Mit an den Urkundsnotar gerichtetem Schreiben vom 22. Juni 1994 erklärte der Kläger namens der Gesellschaft den Rücktritt vom Vertrag. Der Beklagte wies die Rücktrittserklärung mit Schreiben vom 4. Juli 1994 zurück, weil ihr keine Vollmacht von M. beigefügt war. Er hält den Rücktritt ferner deshalb für unwirksam, weil ein Baugesuch, das der Anlage zum Kaufvertrag entspricht, von den Käufern im Zeitpunkt des Rücktritts vom Vertrag weder gestellt noch von der Baubehörde förmlich ablehnend beschieden gewesen sei, die Kaufgrundstücke aufgrund des Eingreifens des Klägers in die Planungen der Stadt nachhaltig verschlechtert und insbesondere nicht an eine öffentliche Straße angebunden seien.

Mit der Klage haben der Kläger und die zwischenzeitlich aus dem Rechtsstreit ausgeschiedene M. von dem Beklagten Rückzahlung des auf den Kaufpreis bezahlten Teilbetrages von 2.500.000 DM verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hält den Rücktritt vom Vertrag für wirksam. Es meint, der Beklagte habe die Rücktrittserklärung nicht unverzüglich zurückgewiesen. Einer förmlichen Entscheidung über ein Baugesuch, das der Anlage zum Kaufvertrag entsprochen habe, habe es nicht bedurft, weil ein derartiges Gesuch nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Bei den Grundstücken habe es sich bei Abschluß des Kaufvertrages um landwirtschaftlich genutztes unbeplantes Gebiet im Außenbereich gehandelt. Sie hätten durch die Heranführung der öffentlichen Straße an das Grundstück "B. " profitiert. Daß sie ohne jegliche Anschlußmöglichkeit blieben, sei weder dargelegt noch unter Beweis gestellt. Daß ihre Erschließung aufgrund eines weiteren Bebauungsplans und einer Verlängerung der Straße über das Grundstück "B. " hinaus mit höheren Kosten für den Beklagten verbunden sei als bei einer anfänglich bis auf die Kaufgrundstücke reichenden Straßenführung, könne nicht festgestellt werden.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

1. Die Revision hat allerdings keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, der Beklagte habe die Rücktrittserklärung nicht unverzüglich im Sinne von § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen. Insoweit kann dahin gestellt bleiben, ob auf den Zugang der Erklärung beim Notar abgestellt werden muß, obwohl diesem eine Befugnis zur Zurückweisung nicht zustand, oder ob die Frist erst mit der Weiterleitung der Erklärung durch den Notar an den Beklagten begann.

Die Revision übersieht, daß die Darstellung der Berechtigung zur Zurückweisung einer Erklärung nach § 174 BGB demjenigen obliegt, der sich auf die Rechtzeitigkeit der Zurückweisung beruft (Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl., § 174 Rdn. 9; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., § 174 BGB Rdn. 1), und es daher Sache des Beklagten ist, darzustellen, wann der Notar das Schreiben des Klägers vom 22. Juni 1994 an ihn weitergeleitet hat. Weiterhin übergeht die Revision, daß der Kläger unstreitig dem Beklagten am Morgen des 22. Juni 1994 eine Mehrfertigung seines an den Notar gerichteten Schreibens übergeben hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Zurückweisung unverzüglich erfolgt ist, kann das nicht außer Betracht gelassen werden. Damit ist es zumindest im Ergebnis nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die Zurückweisung der Erklärung vom 22. Juni 1994 am 4. Juli 1994 als nicht mehr unverzüglich gewertet hat.

2.

Keinen Erfolg hat die Revision auch insoweit, als sie sich gegen die Auslegung der zur Verlängerung der Rücktrittsfrist getroffenen Regelungen durch das Berufungsgericht dahin wendet, daß durch sie keine Änderung der Voraussetzungen des vereinbarten Rücktrittsrechts vereinbart worden sei. Insoweit zeigt die Revison keinen revisionsrechtlich beachtlichen Auslegungsfehler des Berufungsgerichts auf.

3.

Entgegen der Auffassung der Revision stand auch § 351 BGB dem Rücktritt der Käufer vom Vertrag nicht entgegen.

Nach der Behauptung des Beklagten sind die Kaufgrundstücke aufgrund der Einflußnahme des Klägers auf die Planungsentscheidung der Stadt nicht durch eine öffentliche Straße erschlossen. Unstreitig beabsichtigte die Stadt zunächst, die Grundstücke des Planungsgebiets durch eine Ringstraße zu erschließen. Von dieser Planung nahm die Stadt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Abstand, weil der Eigentümer eines der Grundstücke des Planungsgebiets eine derartige Erschließung ablehnte. Die Revision macht hierzu zutreffend geltend, daß die Stadt nach der Aussage des Zeugen L. ohne die Einflußnahme des Klägers auf die Planung beschlossen hätte, die anstelle der ursprünglich geplanten Ringstraße vorgesehene Stichstraße bis auf das im Eigentum des Beklagten stehende Flurstück 82 zu führen. Damit wäre dieses Flurstück an die öffentliche Straße angeschlossen worden, die Bebaubarkeit des angrenzenden Flurstücks 81 wäre in die Hände des Klägers gelegt gewesen. Auch das mitverkaufte altlastenverdächtige Flurstück 236/33 wäre über das Flurstück 82 erreichbar geworden. Die Einflußnahme des Klägers auf die Planungsentscheidung der Stadt hat damit zur Folge, daß die zur Bebauung vorgesehenen Flurstücke 81 und 82, die den wesentlichen Teil der Kaufgrundstücke ausmachen, derzeit nicht durch eine öffentliche Straße erschlossen sind. Daß der Wert der Kaufgrundstücke am 22. Juni 1994 durch das Fehlen der Anbindung an eine öffentliche Straße hinter dem Wert der durch die Stichstraße erschlossenen Grundstücke des Planungsgebiets zurückbleibt, liegt auf der Hand.

Das schließt den Rücktritt der Käufer vom Vertrag jedoch nicht aus. Den Käufern kann die Einflußnahme auf die Willensbildung der Stadt nämlich nicht vorgeworfen werden (§ 351 BGB). Durch ihre Einflußnahme sollte die Bebaubarkeit der Kaufgrundstücke mit den für einen Getränkegroßhandel notwendigen Gebäuden ermöglicht und so das dem Beklagten bekannte, von den Käufern mit dem Abschluß des Vertrages verfolgte Ziel erreicht werden (vgl. Stau-dinger/Kaiser, BGB [1995], § 351 Rdn. 37). Die Grundstücke wurden auch nicht in einer den Rücktritt ausschließenden Weise umgestaltet (§ 352 BGB). Sie waren bei Abschluß des Kaufvertrages Bauerwartungsland, heute liegen sie im Bereich eines Bebauungsplans.

4. Zutreffend rügt die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht ein Beweisangebot des Beklagten übergangen hat. Der Beklagte hat vorgetragen, nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien sei eine förmliche Entscheidung über ein der Anlage zum Kaufvertrag entsprechendes Baugesuch Voraussetzung des Rücktritts gewesen. Dem entspreche der vereinbarte Wortlaut des Vertrages.

Da der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung ausschließt, war der vom Beklagten durch Vernehmung des Urkundsnotars als Zeuge angetretene Beweis zu erheben.

III.

Sollte der Beklagte durch die Vernehmung des Zeugen den Beweis seiner Behauptung zur Voraussetzung des vereinbarten Rücktrittsrechts nicht führen können, wird die Frage einer ergänzenden Vertragsauslegung zu prüfen sein.

Ein ergänzender Bebauungsplan, nach dem die Stichstraße über das Grundstück "B. " hinaus bis auf das Flurstück 82 geführt werden soll, ist bisher unstreitig nicht in Kraft getreten. Selbst bei einem Inkrafttreten dieses Plans verbleibt dem Beklagten nach seinem unter Beweis gestellten Vorbringen ein Nachteil von mehr als 700.000 DM gemessen an einer ohne die Einflußnahme des Klägers von der Stadt vorgesehenen Führung der Stichstraße bis auf das Flurstück 82. Einer Verpflichtung der Käufer zum Ersatz eines so begründeten Minderwertes der Kaufgrundstücke gemäß §§ 347, 989 BGB steht entgegen, daß der Kläger durch seine Einflußnahme auf die Willensbildung der Stadt nicht gegen Pflichten verstieß, die den Käufern gegenüber dem Beklagten oblagen. Daß die Einflußnahme dazu führen würde, daß die Kaufgrundstücke nicht dieselbe Wertentwicklung erfahren würden wie die übrigen Grundstücke des Planungsgebietes, haben die Parteien bei Abschluß des Kaufvertrages möglicherweise nicht bedacht. Insoweit stellt sich die Frage, ob dieser Nachteil nach dem Rücktritt der Käufer vom Vertrag beim Beklagten zu verbleiben hat, oder ob nicht eine ergänzende Vertragsauslegung dazu führt, daß die Käufer den behaupteten Nachteil auszugleichen haben.

Entsprechendes gilt zu dem weiteren Vorbringen des Beklagten, zu dem es an Feststellungen fehlt: Nach dem Vortrag des Beklagten ist der von der Stadt ursprünglich auf einem anderen Grundstück vorgesehene Lärmschutzwall auf das Flurstück 81 verlegt worden, um die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der Käufer herbeizuführen. Folge hiervon sei, daß die auf dem Flurstück verbliebene bebaubare Fläche kleiner sei, als sie es ohne die Einflußnahme des Klägers auf die Entscheidung der Stadt wäre. Schließlich hat der Beklagte in diesem Zusammenhang vorgetragen, die Einflußnahme des Klägers habe dazu geführt, daß die Flurstücke 81 und 82 nach dem beschlossenen Bebauungsplan nur großflächig zu bebauen seien und damit einen geringeren Wert als bei einer kleinflächigen Bebaubarkeit hätten, wie sie die Stadt ohne die Einflußnahme des Klägers beschlossen hätte.