VG München, Urteil vom 19.06.2013 - M 1 K 13.1293
Fundstelle
openJur 2013, 32585
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verlängerung einer ihm erteilten Baugenehmigung.

Er ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 1230/3 Gemarkung ... Er erhielt mit Bescheid des Landratsamtes ... (Landratsamt) vom 6. April 2006 die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines bestehenden Betriebsgebäudes in einen Elektronik- und Computermarkt mit einer Verkaufsfläche von 1122,67 m² (Bl. 25 der Bauakten). Die Gesamtfläche wurde im Bauantrag mit 1.923,43 m² angegeben (Bl. 23 der Bauakten). Die Beigeladene hatte zu dem Bauvorhaben das Einvernehmen verweigert, später aber erteilt. Die Baugenehmigung wurde nicht ausgenutzt. Am 30. März 2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Verlängerung der Baugenehmigung. Nach der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens verlängerte das Landratsamt mit Bescheid vom 21. April 2010 die Gültigkeit der Baugenehmigung bis zum 6. April 2012.

Am 4. April 2012 reichte der Kläger bei der Bauaufsichtsbehörde einen erneuten Verlängerungsantrag ein. Mit Schreiben vom 16. Mai 2012 leitete das Landratsamt diesen Antrag der Beigeladenen zu. Diese verweigerte mit Beschluss des Bauausschusses vom 3. Juli 2012 ihr Einvernehmen. Das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 3 „Gewerbegebiet ...-Ost“. Dem Vorhaben würde nur zugestimmt, wenn sich der Kläger in einem städtebaulichen Vertrag verpflichte, einen angemessenen finanziellen Beitrag zu den Kosten der Herstellung des Autobahnzubringers zu übernehmen, der das Gebiet erschließe. Das verweigerte der Kläger mit Schreiben vom 18. Dezember 2012. Das Landratsamt hat über den Verlängerungsantrag nicht entschieden.

Am 27. März 2013 hat der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben mit dem Antrag,

den Beklagten zu verurteilen, „die beantragte Baugenehmigung vom 6. April 2006 zu verlängern“.

Der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ermessensentscheidung und das Recht auf eine Entscheidung aufgrund einer von sachfremden Gesichtspunkten und Erwägungen freien Beurteilung würden verletzt. Der Beklagte sei nicht ermächtigt, die Baugenehmigungserteilung vom Abschluss eines städtebaulichen Vertrages abhängig zu machen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz vom 25. März 2013 sowie die darin enthaltenen Beweisanträge Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei der Verlängerung einer Baugenehmigung handele es sich in der Sache um eine Neuerteilung mit der Folge, dass das Einvernehmen der Gemeinde einzuholen sei. Entscheidend seien die nunmehr geltenden materiellen Anforderungen an das Bauvorhaben. Seit der letztmaligen Verlängerung sei eine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten. Das Bundesverwaltungsgericht habe durch Urteil vom 24. März 2011 entschieden, dass die Beigeladene befugt war, die Kosten der städtebaulichen Maßnahme für die Gewährung von Baurecht auf die Grundstückseigentümer umzulegen. Gleichzeitig sei entschieden worden, dass das auch für die Zulassung einer Ausnahme entsprechend gelte. Das Bauvorhaben liege im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 3 in der konsolidierten Fassung 2012. Eine Verlängerung der Baugenehmigung scheitere daran, dass die Gemeinde das erforderliche Einvernehmen zur Erteilung einer Ausnahme von der Festsetzung C.1.d verweigere, wenn nicht in einem städtebaulichen Vertrag die Erschließungskosten nachträglich übernommen würden.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Beklagten. Ergänzend weist sie darauf hin, dass sie dem Kläger mit Schreiben vom 23. Mai 2013 den Entwurf eines städtebaulichen Vertrages zugeleitet habe.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die als Untätigkeitsklage (§ 75 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Verlängerung der Baugenehmigung über den 6. April 2012 hinaus noch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO). Dabei ist gemäß § 88 VwGO davon auszugehen, dass der Kläger neben der unbedingten Verpflichtung zur Verlängerung der Baugenehmigung (so der Wortlaut des Klageantrags) auch beantragt, dass über seinen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (so die Klagebegründung) entschieden wird.

Nach Art. 69 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) gilt die Baugenehmigung grundsätzlich vier Jahre. Diese Frist kann nach Art. 69 Abs. 2 BayBO auf schriftlichen Antrag jeweils bis zu zwei Jahre verlängert werden. Der Antrag muss vor dem Erlöschen der Baugenehmigung bei der Bauaufsichtsbehörde eingehen. Das war vorliegend der Fall. Der Kläger hat seinen Verlängerungsantrag am 4. April 2012 beim Landratsamt eingereicht.

In materiell-rechtlicher Hinsicht gilt für die Verlängerung der Geltungsdauer der Genehmigung nichts anderes als für die erstmalige Erteilung. Eine Verlängerung ist nur möglich, wenn das Vorhaben zu dem Zeitpunkt, zu dem über den Antrag entschieden wird, noch den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht (BayVGH, B.v. 12.8.2012 – 14 ZB 10.1005 – juris; U.v. 17.10.2003 – 2 B 99.2667BayVBl 2004, 216). Ist das der Fall, muss die Behörde dem Antrag entsprechen, ansonsten muss sie ihn ablehnen. Die Bedeutung der Verlängerungsmöglichkeit liegt in einer verfahrensmäßigen Erleichterung für den Bauherrn. Das bedeutet aber keine Einschränkung des materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstabes. Sofern für die Erteilung der Baugenehmigung das Einvernehmen der Gemeinde erforderlich ist, gilt das auch für die Verlängerung.

Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 3 der Beigeladenen in der Fassung vom 6. November 2012. Er setzt für das Grundstück des Klägers „Gewerbegebiet“ fest. Das vom Kläger geplante Vorhaben ist aber in einem Gewerbegebiet unzulässig. Es handelt sich um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der im Sinne des § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO) raumordnungsrechtlich relevant ist. Großflächig ist ein Einzelhandelsbetrieb dann, wenn die Verkaufsfläche 800 m² überschreitet (BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10.4 – NVwZ 2006, 452; U.v. 24.11.2005 – 4 C 14.04NVwZ 2006, 455). Diese Grenze ist bei einer Verkaufsfläche von mehr als 1.100 m² deutlich überschritten. Das Vorhaben des Klägers hat auch eine größere Geschossfläche als 1.200 m² (§ 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO). Das ist unbestritten und bedarf keiner weiteren Begründung. Dass die in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO enthaltene Vermutung der raumordnungsrechtlichen Relevanz widerlegt wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Damit widerspricht das Bauvorhaben den Bebauungsplanfestsetzungen. Eine Verlängerung kommt nur in Betracht, wenn von den Festsetzungen des Bebauungsplanes eine Ausnahme (§ 31 Abs. 1 Baugesetzbuch - BauGB) bzw. eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) zu erteilen wäre. Der Bebauungsplan Nr. 3 „Gewerbegebiet ...-Ost Fassung 2012“ sieht in seiner textlichen Festsetzung C.1.c. in den Gewerbe- und Industriegebietsflächen unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme von dem Verbot vor, dort Betriebe mit Verkauf an Endverbraucher zuzulassen. Hierunter fällt das Vorhaben des Klägers zwar dem Grunde nach. Gleichwohl wäre es nicht im Weg einer Ausnahme zuzulassen, weil es unabhängig davon wegen seiner Sondergebietspflichtigkeit am vorgesehenen Standort nicht realisiert werden kann. Das bedeutet, dass eine Verlängerung der Baugenehmigung nur möglich ist, wenn neben der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale für eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zusätzlich die Voraussetzungen für eine Befreiung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB gegeben sind. Das ist aber letztlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn sowohl für eine Ausnahme als auch eine Befreiung ist nach § 36 Abs. 1 BauGB das Einvernehmen der Gemeinde erforderlich. Wie sich aus dem insoweit klaren Wortlaut von § 31 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB ergibt, steht die Erteilung eines entsprechenden Dispenses im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Auch die Gemeinde hat – was die Erteilung ihres Einvernehmens angeht – insoweit ein Ermessen. Sie kann ihr Einvernehmen aus den gleichen Gründen verweigern, welche die Baugenehmigungsbehörde zur Ablehnung heranziehen kann (BayVGH, B.v. 24.1.1992 – 1 CS 91.3190BayVBl 1992, 434). Hat die Gemeinde ihr Einvernehmen in rechtmäßiger Weise verweigert, ist die Bauaufsichtsbehörde daran gebunden. Eine Ersetzungsbefugnis steht ihr nur dann zu, wenn die Einvernehmensverweigerung rechtswidrig war.

Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 31 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB unterstellt, hat die Beigeladen vorliegend ihr Einvernehmen in rechtmäßiger Weise verweigert.

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beigeladene die Erteilung ihres Einvernehmens davon abhängig gemacht hat, dass der Kläger zum Abschluss eines städtebaulichen Vertrages im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB bereit ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Ob die Kosten einer städtebaulichen Maßnahme Voraussetzung oder Folge eines Vorhabens sind, hängt von der planerischen Konzeption der Gemeinde ab. Städtebauliche Maßnahmen sind daher als Voraussetzung oder Folge eines Vorhabens anzusehen, wenn eine Gemeinde nachvollziehbar davon ausgehen darf, dass durch die weitere Überplanung von bisher nichtbebauten Grundstücken Investitionskosten für öffentliche Einrichtungen entstehen, die sie zu tragen hätte, und sie im Hinblick auf diese Kosten abwägungsfehlerfrei von einer derartigen Überplanung absehen dürfte. Wenn eine unteilbare städtebauliche Maßnahme durch mehrere Vorhaben veranlasst ist, ist jedes Vorhaben für die Kosten der Maßnahme kausal. Ein gemeindlicher Selbstbehalt für die Fremdnützlichkeit einer städtebaulichen Maßnahme und das Allgemeininteresse ist bei Folgekostenverträgen im Sinne des § 11 Abs. 1 BauGB nicht erforderlich (BVerwG, Urt. v. 24.3.2011 – 4 C 11.10 – juris). In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bindungswirkung (§ 121 VwGO) zwischen Kläger und Beigeladener festgestellt, dass die konkreten städtebaulichen Maßnahmen, deren Umlegungsfähigkeit vom Kläger bestritten wird, Gegenstand eines Nachfolgelastenvertrages sein können. Es besteht für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Das bedeutet auch, dass die im Klageschriftsatz enthaltenen Beweisanträge nicht entscheidungserheblich sind. Sie sind – etwas verkürzt ausgedrückt – darauf gerichtet festzustellen, dass die tatsächlichen Verhältnisse für die zugunsten der Beigeladenen ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend ermittelt worden waren. Damit kann der Kläger im vorliegenden Verfahren aber nicht gehört werden. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die inhaltliche Richtigkeit der Revisionsentscheidung zu überprüfen.

In der vorgenannten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beigeladene befugt ist, ihr Einvernehmen für die Erteilung einer Ausnahme vom Abschluss eines Folgekostenvertrags abhängig zu machen; nichts anderes kann bei einer Befreiung gelten.

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob der dem Kläger von der Beklagten im Mai 2013 übermittelte Vertragsentwurf insgesamt zulässig ist oder ob er Klauseln enthält, die nicht mit dem geltenden Recht vereinbar sind. Denn die Beigeladene hat nicht darauf bestanden, dass eben dieser Vertrag unterschrieben wird. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Einvernehmen lag dessen Text noch gar nicht vor. Das war auch nicht notwendig, weil der Kläger das Angebot, das Einvernehmen zu erteilen, wenn ein Folgekostenvertrag unterschrieben wird, generell abgelehnt und nicht vorgetragen hat, der konkret übermittelte Vertragsentwurf sei nicht akzeptabel.

Da somit die Beigeladene ihr Einvernehmen zu Recht verweigert hat, hat der Kläger weder einen Anspruch auf die Verlängerung der Baugenehmigung noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch das Landratsamt. Denn dieses hat – wie bereits erwähnt – keine Entscheidungsbefugnis, wenn das Einvernehmen zu Recht verweigert wurde. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Einvernehmen der Gemeinde auch nicht als fiktiv erteilt gilt. Denn die Beigeladene hat die in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB genannte Frist eingehalten. Das Schreiben, mit dem die Beigeladene vom Eingang des Verlängerungsantrages unterrichtet wurde, hat das Datum 16. Mai 2012. Unterstellt man eine Aufgabe zur Post am gleichen Tag, gilt es in entsprechender Anwendung des Art. 41 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Selbst bei einer Übermittlung an die Beigeladene am gleichen Tag wäre die Frist gewahrt. Denn das Schreiben der Beigeladenen ging beim Landratsamt am 16. Juli 2012, also rechtzeitig, ein.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen Klageantrag gestellt und sich deshalb dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO dem Kläger aufzuerlegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 168.357,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. Nr. 9.1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327).