VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2013 - 2 L 522/13
Fundstelle
openJur 2013, 32339
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf die Wertstufe bis 25.000,--Euro festgesetzt.

Gründe

Der am 15. März 2013 bei Gericht eingegangene Antrag,

1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Eintritt des Antragstellers in den Ruhestand über den 30. September 2013 hinaus bis zum 30. September 2016 hinauszuschieben,

2. hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über den Antrag des Antragstellers vom 19. Dezember 2012 mit dem Inhalt, seine Lebensarbeitszeit über den 30. September 2013 hinaus bis zum 30. September 2016 zu verlängern, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,

hat insgesamt keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2010 - 6 B 1630/10 -, juris.

Der Antragsteller erstrebt mit seinem Antrag eine Vorwegnahme der Hauptsache, weil eine einstweilige Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet würde, den Eintritt des Antragstellers in den Ruhestand hinauszuschieben, bereits - wenn auch zeitlich begrenzt bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache - die Rechtsposition vermitteln würde, die er in der Hauptsache anstreben müsste. Eine solche Anordnung würde aber eine mit Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbarende und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehaltenen Entscheidung nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird.

Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258; OVG NRW, Beschlüsse vom 20. September 1984 - 6 B 1028/84 ‑, DÖD 1985, 280, und vom 30. Juni 2008 - 6 B 971/08 -, juris.

Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Zwar dürfte ein wirksamer Rechtsschutz im anhängig gemachten Hauptsacheverfahren 2 K 3130/13 wegen der Kürze der Zeit bis zum Eintritt des gesetzlichen Ruhestandes am 1. Oktober 2013 und der fehlenden Möglichkeit des Hinausschiebens der Altersgrenze nach dem Eintritt in den Ruhestand,

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2010 - 6 B 1630/10 ‑, juris, und vom 14. Juni 2011 - 1 A 871/09 -, juris,

nicht mehr zu erreichen sein. Der Antragsteller hat aber bereits nicht einmal ansatzweise vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, welche unzumutbaren Nachteile ihm drohen, wenn er nicht über den 30. September 2013 hinaus im aktiven Beamtenverhältnis bliebe. Er würde dann, im Gegenteil, so wie die zahlreichen anderen Ruheständler behandelt und es ist nicht erkennbar, warum dies gerade für ihn unzumutbar sein sollte.

Darüber hinaus würde er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich unterliegen.

Nach derzeitiger Erkenntnislage hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf Hinausschieben seines Eintritts in den Ruhestand über den 30. September 2013 hinaus noch einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner über seinen Antrag vom 19. Dezember 2012 auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit um drei Jahre bis zum 30. September 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet. Die Entscheidung des Antragsgegners, den dahingehenden Antrag des Antragstellers abzulehnen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Allerdings vermag das Gericht nicht abschließend zu beurteilen, ob der inzwischen unter dem 26. Juni 2013 ergangene Ablehnungsbescheid den formellen Anforderungen entspricht. Das gilt namentlich für das Erfordernis einer Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW sowie die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten, vgl. § 17 Abs. 1 Halbsatz 2 Nr. 1 und § 18 Abs. 2 und 3 LGG.

Etwaige Verfahrensfehler wären jedoch gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, weil offensichtlich ist, dass sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätten. Denn in materieller Hinsicht erfüllt der Antragsteller die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vollständig. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW in der ab 1. Juni 2013 ohne Übergangsvorschrift geltenden Fassung kann der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des Beamten um bis zu drei Jahre, jedoch nicht über das vollendete siebzigste Lebensjahr hinaus, hinausgeschoben werden, sofern dies im dienstlichen Interesse liegt und der Beamte den Antrag gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand gestellt hat. Letzteres hat der Antragsteller mit seinem unter dem 19. Dezember 2012 gestellten Antrag zwar erfüllt, es ist ihm aber nicht gelungen, glaubhaft darzulegen, dass das Hinausschieben der Altersgrenze in seinem Fall im dienstlichen Interesse liegt.

Vgl. zur Darlegungslast: OVG NRW, Beschluss vom 18. April 2013 - 1 B 202/13 -, juris, zur vergleichbaren Vorschrift des § 53 Abs. 4 Satz 1 BBG.

Auf den Hinweis des Gerichts vom 4. Juni 2013 zur geänderten Rechtslage ab dem 1. Juni 2013 hat der Antragsteller zu diesem Tatbestandsmerkmal keine Ausführungen gemacht.

Den sonstigen Umständen des Einzelfalles lässt sich ebenfalls ein dienstliches Interesse zugunsten des Antragstellers nicht entnehmen. Der Behauptung des Dienstherrn in seiner Klageerwiderung im parallelen Verfahren 2 K 3130/13, der Ist-Bestand beim Bezirksdienst, in dem der Antragsteller seinen Dienst versehe, liege nach der aktuellen belastungsbezogenen Kräfteverteilung über der Zielsollstärke, ist der Antragsteller substantiell nicht entgegengetreten. Seine Einlassung, diese Einschätzung möge zutreffend sein, führe aber nicht dazu, seinen Antrag abschlägig zu bescheiden, weil der Antragsgegner andere Möglichkeiten habe, dies zu regulieren, genügt den Anforderungen, die mit den geänderten Tatbestandsvoraussetzungen der aktuellen Regelung verbunden sind, nicht.

Der Antragsteller kann sich entgegen seiner Auffassung nicht mit Erfolg darauf berufen, dass über seinen vor der o.g. Rechtsänderung gestellten Antrag nach der alten Rechtslage zu entscheiden sei. Wesentliche Tatbestandsvoraussetzung war danach, dass dienstliche Gründe dem Hinausschieben der Altersgrenze nicht entgegengestanden haben. Dafür war der Dienstherr darlegungs- und beweispflichtig, allerdings mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff maßgebend durch seine verwaltungspolitischen und -organisatorischen Entscheidungen vorgeprägt gewesen ist, was wiederum zu einer Einschränkung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit geführt hat.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2013 - 6 B 277/13 -, juris.

Für das vom Antragsteller formulierte Verpflichtungsbegehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend. Das materielle Recht enthält keine Anhaltspunkte, die ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten.

Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes wird ebenfalls nicht verletzt. Dieser Grundsatz verbietet es auch im Beamtenrecht grundsätzlich nicht, dass ein Gesetz - wie hier - auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwertet. Zwar bedarf es auch in einem solchen Fall einer Abwägung zwischen dem Vertrauen des Einzelnen in den Fortbestand der für ihn günstigen Rechtslage und dem Interesse der Allgemeinheit, das der Gesetzgeber mit der Rechtsänderung verfolgt. Ist aber das Vertrauen in den Bestand der begünstigenden Regelung nicht generell schutzwürdiger als das öffentliche Interesse an einer Änderung, ist die Regelung mit der Verfassung vereinbar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 C 28.05 -, juris Rdnr. 33, unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Anhaltspunkte für ein überwiegend schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers in den Fortbestand der für ihn aus § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F. resultierenden günstigeren Rechtslage liegen nicht vor. Auch ohne Übergangsregelung ist der Antragsteller aufgrund der mehrere Monate umfassenden Vorlaufzeit in der Lage, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen. Die reguläre Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht der Antragsteller erst vier Monate nach Inkrafttreten der Neufassung des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW. Der Antragsteller hat nicht vortragen, dass er im Hinblick auf das von ihm erwartete Hinausschieben seiner individuellen Altersgrenze unumkehrbare Vorkehrungen, insbesondere Vermögensdispositionen, getroffen hat. Solche Aspekte sind auch nicht aus den sonstigen Umständen des Einzelfalles ersichtlich.

Ein Vertrauen des Antragstellers auf den Fortbestand der früheren Fassung des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW wäre im Übrigen auch nicht hinreichend schutzwürdig. Im Zeitpunkt seiner Antragstellung am 19. Dezember 2012 existierte bereits die in Form der Landtagsdrucksache 16/1625 verkörperte Gesetzesinitiative zum Dienstrechtsanpassungsgesetz. Sie wurde unter dem 4. Dezember 2012 publiziert. Darin enthalten ist in Art. 8 Nr. 2 die Änderung des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW. Zur Begründung führte die Landesregierung aus, dass mit der Änderung die dienstlichen Belange stärker gewichtet werden sollen. In dieser Situation war der Antragsgegner berechtigt, mit einer Entscheidung über den Antrag des Antragstellers bis zum Inkrafttreten der Neuregelung zuzuwarten. Mit diesem Antrag ist ein Verwaltungsverfahren im Sinne von § 9 VwVfG NRW in Gang gesetzt worden, dem ein noch nicht abgeschlossener Lebenssachverhalt nebst entsprechenden Rechtsbeziehungen zugrunde lag. Dieser Fall der sog. unechten Rückwirkung verpflichtet weder die Behörde, über den Antrag noch vor Inkrafttreten der Neuregelung zu entscheiden, noch den Gesetzgeber zur Schaffung einer Übergangsvorschrift. Zugunsten des Antragstellers mangelt es an "Bestandsinteressen", die den Veränderungsinteressen des Gesetzgebers hätten vorgehen können.

Vgl. auch die ständige Rechtsprechung, u. a. OVG NRW, Beschluss vom 18. Juli 2011 - 6 A 403/11 -, juris, zu den Fällen der Übernahme von Bewerbern in das Beamtenverhältnis auf Probe, die ihre Anträge nach Unwirksamkeit der alten und vor Inkrafttreten der neuen laufbahnrechtlichen Regelung zur Höchstaltersgrenze und somit zu einem Zeitpunkt gestellt haben, als eine laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze nicht existierte. Insoweit wird ein schutzwürdiges Vertrauen der Bewerber, in eine von einer Höchstaltersgrenze unabhängige Einstellung in das Beamtenverhältnis zu gelangen, verneint.

Aus den vorstehenden Gründen gebietet der vom Antragsteller bemühte Grundrechtsschutz aus Art. 12 GG ebenfalls kein Abstellen auf die Rechtlage vor dem 1. Juni 2013.

Der Antragsgegner hat schließlich zu Recht von einer Ermessensausübung abgesehen. Da bereits die gesetzlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW n.F. nicht vollständig vorliegen, ist auch kein Raum für die Betätigung des Ermessens in dem vom Antragsteller begehrten Sinne.

Nach alledem hat der Antrag keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO.

Der Streitwert bestimmt sich in Verfahren, in denen die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand nur wegen ihres Zeitpunkts angegriffen wird, nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 5 Satz 2 GKG auf die Hälfte des sich nach § 52 Abs. 5 Satz 1 GKG ergebenden Betrages. Demgemäß ist der Streitwert vorliegend auf die Hälfte des 13-fachen Betrages des Endgrundgehalts des Antragstellers (Besoldungsgruppe A 11 BBesO) zuzüglich ruhegehaltsfähiger Zulagen festzusetzen (§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG). Von einer Reduzierung dieses Streitwerts mit Blick darauf, dass das Hinausschieben der Altersgrenze hier mittels eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgt wird, ist abzusehen, da der Antragsteller eine im Wesentlichen endgültige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt. Andererseits ist der "Hilfsantrag" streitwertmäßig zu vernachlässigen, weil er als Minus bereits vom ersten Teil des Antragsbegehren vollständig umfasst wird.