VG Aachen, Urteil vom 16.10.2012 - 2 K 1346/11
Fundstelle
openJur 2013, 32333
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Soweit der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 17. August 2010 für die Erhebungsjahre 2008 und 2009 jeweils eine Ausgleichsabgabe in Höhe von (nur) 1.260,- € beinhaltet, macht die Klägerin keine Beschwer geltend; vielmehr deckt dieser Teilbetrag diejenige Berechnungskonstellation ab, die die Klägerin mit ihrer vorliegenden Klage zugrunde gelegt wissen will. Nach den Berechnungsdetails für die beiden Erhebungsjahre beläuft sich die Ausgleichsabgabe nämlich auf den Betrag von jeweils 1.260,- €, sofern für diese beiden Jahren jeweils "1" besetzter Pflichtarbeitsplatz (Arbeiternehmer N. N1. ) berücksichtigt wird. Diese rechtliche Einschätzung ergibt sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass die Klägerin den Betrag von 1.260,- € für die beiden Erhebungsjahre 2008 und 2009 jeweils ohne Vorbehalt gezahlt hat.

Die Klage bleibt auch wegen des darüber hinausgehenden Betrages der Ausgleichsabgabe - jeweils 3.060,- € - ohne Erfolg. Die Klägerin verlangt vergeblich die Berücksichtigung des (damaligen) Mitarbeiters N. N1. zu ihren Gunsten in der Rubrik "Besetzter Pflichtarbeitsplatz".

Im Recht der Ausgleichsabgabe gemäß § 77 Abs. 1 SGB IX obliegt es dem jeweiligen Arbeitgeber, die Voraussetzungen für einen "besetzten Pflichtarbeitsplatz" nachzuweisen. Einen solchen Nachweis hat die Klägerin hier für ihren (damaligen) Mitarbeiter N. N1. nicht erbracht.

Abgesehen davon, dass auch das aus Österreich stammende Schwerbehindertendokument für den (damaligen) Mitarbeiter N. N1. ausweislich der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge jedenfalls im Verwaltungsverfahren zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden ist, scheitert das Klagebegehren letztlich an dem Umstand, dass die Klägerin bzw. deren Steuerberater es trotz mehrmaliger Aufforderungen während eines Zeitraums von mehr als zehn Monaten (Erhebung des Widerspruchs im August 2010 ‑ Sitzung des Widerspruchsausschusses beim Beklagten Ende Juni 2011) nicht unternommen haben, einen deutschen Schwerbehindertenausweis für den Mitarbeiter N. N1. zu beschaffen oder jedenfalls eine Anerkennung des in Österreich ausgestellten Ausweisdokuments für Deutschland herbeizuführen. Damit ist die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis für die Besetzung eines Pflichtarbeitsplatzes schuldig geblieben, so dass sie gem. § 77 Abs. 1 SGB IX zur Zahlung der dadurch erhöhten Ausgleichsabgabe verpflichtet ist.

Die seitens der Klägerin gegen den streitbefangenen Feststellungsbescheid erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:

(1.) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob ein im Ausland (hier in Österreich) ausgestelltes Schwerbehindertendokument nach europäischem Recht auch in allen übrigen EU-Ländern anerkannt werden müsse, stellt sich hier in dieser allgemeinen Form nicht. Es geht hier insbesondere nicht im die Frage der Anerkennung solcher Ausweisdokumente innerhalb der europäischen Union im Allgemeinen; vielmehr stellt sich hier konkret (nur) die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine nach deutschem Recht statuierte Vergünstigung (Reduzierung der Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 SGB IX aufgrund der "Besetzung sog. Pflichtarbeitsplätze") in Anspruch genommen werden kann. Diese Detailfrage betr. § 77 Abs. 1 SGB IX ist nicht Gegenstand des europäischen Rechts, sondern Bestandteil von Detailregelungen des nationalen Rechts. Dementsprechend ist die für die Erhebung der im deutschen Recht normierten Ausgleichsabgabe zuständige Verwaltung auch gehalten, bei der Berechnung der Höhe dieser Abgabe innerstaatlich gleiche Maßstäbe anzulegen. Dies ist nur möglich, wenn die einschlägigen Voraussetzungen anhand des innerstaatlichen Rechts nachgewiesen werden. Dies setzt entweder den Nachweis des Schwerbehindertenstatus nach Maßgabe des SGB IX voraus oder aber die erfolgreiche Durchführung eines deutschen Verwaltungsverfahrens, in dem bestätigt wird, dass eine im Ausland zuerkannte Schwerbehinderteneigenschaft auch die Voraussetzungen des einschlägigen deutschen Rechts erfüllt. Dass es ein solches Feststellungsverfahren "zur Ermöglichung der Inanspruchnahme konkreter inländischer Rechtsvorteile" gibt, hat die Klägerin mit ihrem Hinweis auf einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung,

vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 2/07 R,

selbst dargetan.

Der angefochtene Feststellungsbescheid beinhaltet auch keine europarechtlich unzulässige Diskriminierung eines ausländischen Arbeitnehmers; vielmehr ist die Nichtberücksichtigung eines ausländischen Schwerbehindertendokuments ohne gesondertes inländisches Anerkennungsverfahren bei der Ermittlung der Höhe der Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 SGB IX lediglich die Konsequenz aus dem Umstand, dass das System dieser Ausgleichsabgabe eine deutsche Besonderheit ist, die bislang nicht Gegenstand europarechtlicher Harmonisierung war.

(2.) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr damaliger Arbeitnehmer N. N1. zum Zeitpunkt des Akutwerdens der Berechnungsproblematik nicht mehr greifbar gewesen sei. Unter Zugrundelegung der von der Klägerin zu diesem Arbeitsverhältnis in den Erhebungsbögen vermerkten Daten (Beginn des Arbeitsverhältnisses: 00.00.2008 - Ende des Arbeitsverhältnisses: 00.00.2009) verhält es sich allerdings in der Tat so, dass das Arbeitsverhältnis im Sommer 2010, als die Klägerin mit der Berechnungsproblematik konfrontiert wurde, schon längst beendet war. Hieraus folgt aber keine für die Klägerin günstige Konsequenz; denn für einen sorgfältig arbeitenden Arbeitgeber gehört es zu den Grundpflichten, die wesentlichen Rechtsverhältnisse eines Arbeitsverhältnisses auch über dessen Ende hinaus zu dokumentieren und zu diesem Zweck das - insbesondere aus der Sicht der Klägerin - wichtige österreichische Schwerbehindertendokument ggf. einer Überprüfung durch die in Deutschland für Schwerbehindertenangelegenheiten zuständige Behörde zuzuführen. Dies ist offenbar nicht geschehen. Die Klägerin hat es unter diesen Umständen selbst zu vertreten, dass sie der ihr obliegenden Nachweispflicht nach § 77 Abs. 1 SGB IX von vornherein nicht hat nachkommen können.

(3.) Die Klägerin kann sich letztlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es überhaupt keine rechtliche Möglichkeit zur Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft eines ausländischen Arbeitnehmers in Deutschland gebe. Das hätte die Klägerin - ggf. über ihren Steuerberater - zunächst durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens bei der ihr ausdrücklich näher bezeichneten Behörde unter Darlegung ihres rechtlichen Interesses an einer solchen Feststellung (vgl. hierzu BSG, aaO) prüfen lassen müssen. Ausschlaggebend für die letztendlich ungünstige rechtliche Beurteilung ist hierbei, dass sie es erst gar nicht versucht hat, obwohl der Beklagte ihr mit dem Kreis F. die hierfür zuständige Behörde ausdrücklich benannt hatte und obwohl es in einer solchen Konstellation ein Feststellungsverfahren zweck Erlangung konkreter inländischer Rechtsvorteile gibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Die Kammer hat die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil sie der Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von Schwerbehindertendokumenten aus dem EU-Ausland grundsätzliche Bedeutung beimisst.

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