SG Aachen, Urteil vom 24.05.2013 - S 6 U 132/11
Fundstelle
openJur 2013, 31856
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Fortführung der Heilbehandlung wegen eines Arbeitsunfalls sowie Verletztenrente.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin war bei der Firma E.R. GmbH in X. als Verkäuferin beschäftigt. Am 12.10.2009 befuhr sie auf dem Heimweg von der Arbeit mit ihrem PKW eine Landstraße und musste eine Vollbremsung ausführen, als der vorausfahrende PKW ihrer Vorgesetzten in einen schweren Unfall verwickelt wurde. Die Klägerin selbst war an jenem Unfall nicht beteiligt. Der Bericht des Durchgangsarztes Dr. I. vom 12.10.2009 spricht von einer Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) leichten Grades ohne sonstige Verletzungen. Die Beklagte zog einen Bericht des B.-Krankenhauses L. – psychiatrischpsychotherapeutische Klinik – vom 23.11.2009 bei, in dem der Verdacht auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei der Klägerin geäußert wurde. Die Beklagte wertete weiter die Angaben der Klägerin zum Unfallhergang aus und zog einen Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik – Poliklinik – vom 02.12.2009 bei und holte einen Befundbericht des Leiters der Klinik für Psychotraumatologie des Krankenhauses N.-I. (L.) vom 19.01.2010 ein. Nach Einholung einer Stellungnahme des beratenden Facharztes für Neurologie Dr. S. vom 05.02.2010 zog die Beklagte einen Bericht des Universitätsklinikums C. – Klinik und Poliklinik für Epileptologie – vom 15.07.2006 bei und wertete die von der Klägerin anlässlich des Unfalls vom 12.10.2009 gegenüber der Kreispolizeibehörde I. gemachte Zeugenaussage aus. Anschließend veranlasste sie eine Begutachtung der Klägerin durch die Neuropsychologin Dr. C. Dr. C kam in ihrem unter dem 14.04.2011 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, eine PTBS könne bei der Klägerin ausgeschlossen werden. Sie leide jedoch an einem Vorstadium einer psychotischen Störung, die indessen nicht auf den Unfall vom 12.10.2009 zurückzuführen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 00.00.0000 die Gewährung von Verletztenrente sowie eine unfallbedingte Behandlung über den 26.10.2009 hinaus ab. Zur Begründung führte sie aus, Folge des Unfalls sei lediglich eine leichtgradige Zerrung der HWS gewesen, welche folgenlos abgeheilt sei. Die Klägerin legte am 00.00.0000 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurückwies.

Hiergegen richtet sich die am 27.06.2011 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 00.00.0000 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.10.2009 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 vom Hundert der Vollrente zu bewilligen,

sowie,

wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.10.2009 zukünftig ihre Heilbehandlung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 07.05.2012 sowie des B.- Krankenhaues L. – Zentrum für Psychotraumatologie – vom 00.00.0000 eingeholt. Sodann hat es von Amts wegen eine Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. sowie durch den Dipl.-Psychologen Dr. L. veranlasst. Dr. C. ist in seinem unter dem 00.00.0000 erstellten Gutachten, das die Ergebnisse der psychologischen Untersuchung der Klägerin durch Dr. L. mit einbezieht, zu dem Ergebnis gelangt, unfallbedingte Erkrankungen lägen bei der Klägerin nicht vor. Sie leide an einer schweren und therapiebedürftigen unfallunabhängigen Persönlichkeitsstörung. Das Gutachten ist unter dem 00.00.0000 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin verschickt worden. Am 22.02.2013 ging diesem die Ladung für den zunächst ins Auge gefassten Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.03.2013 zu. Am 28.02.2013 teilte die Klägerin mit, sie wolle das Gutachten mit den sie behandelnden Ärzten besprechen, ein Termin sei "für die kommende Woche vereinbart". Daraufhin wurde der Termin am 08.03.2013 aufgehoben. Nachdem bis zum 26.04.2013 keine Mitteilung der Klägerin erfolgt war, erfolgte unter diesem Datum die erneute Ladung für den Verhandlungstermin am 24.05.2013 (dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 02.05.2013). Am 22.05.2013 teilte die Mutter der Klägerin mit, die Klägerin könne wegen ihrer Angsterkrankung ausschließlich zu ihr ins Auto steigen. Da sie selbst verhindert sei, könne sie die Klägerin am 24.05.2013 nicht zum Termin fahren. Am 23.05.2013 legte die Mutter eine Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 23.05.2013 vor. Auf Nachfrage des Kammervorsitzenden am 23.05.2013 hat Dr. M. erklärt, bei der Klägerin "laufe alles über und mit der Mutter". Es bestehe ein pathologisches Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Mutter. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, den Arzt für Psychiatrie und Dipl.-Psychologen Prof. Dr. C. gutachtlich zu hö-ren.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.10.2009 weder Anspruch auf Verletztenrente (dazu sogleich), noch auf Óbernahme zukünftiger Heilbehandlungen durch die Beklagte (dazu sodann).

Die Klägerin hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.10.2009 keinen Anspruch auf Verletztenrente. Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern, § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII.

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (sog. Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (zum Ganzen etwa BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R = juris, Rdnr. 16 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.01.2012 – L 3 U 329/09 = juris, Rdnr. 19 ff.; Bayerisches LSG, Urteil vom 14.12.2011 – L 2 U 504/10 = juris, Rdnr. 41 ff.). Vollbeweis in jenem Sinne bedeutet, dass die entsprechenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest stehen müssen (statt vieler Bayerisches LSG, a.a.O., Rdnr. 41). Dies ist der Fall, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Óberzeugung hiervon zu begründen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.08.2010 – L 3 U 138/07 = juris, Rdnr. 31; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.03.2011 – L 15 U 263/03 = juris, Rdnr. 33).

Für die Bereiche der Kausalität (Unfallkausalität und haftungsbegründende sowie haftungsausfüllende Kausalität) gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12). Eine Verursachung liegt danach nur dann vor, wenn bei wertender Betrachtung der Versicherungsfall den Gesundheitsschaden wesentlich verursacht hat. Hierfür bedarf es nicht lediglich einer Kausalität im naturwissenschaftlichphilosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (siehe nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R = juris, Rdnr. 13 ff.). Angesichts der bestehenden Beweisschwierigkeiten genügt für den Ursachenzusammenhang, dass das Unfallereignis selbst und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache die wesentliche Bedingung bildet (st. Rspr. des Bundessozialgerichts, vgl. nur BSG, Urteil vom 28.06.1988 – 2/9b RU 28/87 = BSGE 63, 277, 278, mit weiteren Nachweisen). Welcher Umstand als wesentlich angesehen werden muss, ist durch eine wertende Betrachtung aller in Betracht kommenden Umstände zu ermitteln. Die einzelnen Bedingungen müssen gegeneinander abgewogen werden; ob eine von ihnen wesentlich den Erfolg mit bewirkt hat, ist anhand ihrer Qualität zu entscheiden. Auf eine zeitliche Reihenfolge oder die Quantität kommt es nicht an. Die bloße Möglichkeit reicht demnach nicht aus (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 12.11.1986 – 9 B RU 76/86 = juris). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden medizinischwissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (st. Rspr. des BSG, siehe nur Urteil vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 = BSGE 45, 285, 286).

Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben steht zur Óberzeugung der Kammer nicht fest, dass bei der Klägerin Unfallfolgen vorliegen, welche eine MdE von wenigstens 20 vH bedingen. Fest steht lediglich, dass der Arbeitsunfall vom 12.10.2009 wesentliche Ursache für eine leichte Verstauchung der HWS war, die mittlerweile abgeheilt ist. Das Vorliegen der von der Klägerin geltend gemachten PTBS steht demgegenüber schon nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und damit nicht im Vollbeweis fest, ohne dass es insoweit auf die Frage einer Verursachung ankäme.

Nach dem medizinischen Diagnoseklassifikationssystem "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision (ICD-10)" entsteht die mit dem Diagnoseschlüssel F43.1 verschlüsselte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

"als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Óbererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann ( )"

Demgegenüber beschreibt das Diagnoseklassifikationssystem für psychische Erkrankungen "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Auflage" (DSM IV), Ziff. 309.81, eine posttraumatische Belastungsstörung als

"( ) die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumtische Ereignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat oder die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat oder das Miterleben eines unerwarteten oder gewaltsamen Todes, schweren Leids, oder Androhung des Todes oder einer Verletzung eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2) " (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen – Textrevision 2000 – DSM IV-TR, bearbeitet von Saß/Wittchen/Zaudig/Houben, Hogreve Verlag für Psychologie, 2003, 515 [zitiert nach Burghardt, Med. Sach 108 (2012), 186 (190) in Fn. 14]).

Nach DSM IV ist weiter Voraussetzung, dass ein traumatisches Wiedererleben durch Intrusionen, Träume oder Flashbacks erfolgt (sog. Kriterium B). Außerdem kommt es bei den Betroffenen zu Vermeidungsreaktionen (Kriterium C), die sich in Erinnerungsverlusten, verminderter Teilnahme bzw. Interesse an wichtigen Aktivitäten oder ähnlichem äu-ßern können, sowie zu einer Óbererregbarkeit (Kriterium D) in Form von Ein- und Durchschlafproblemen, Konzentrationsstörungen, erhöhter Reizbarkeit oder ähnlichem äußern können (zum Ganzen etwa Sachse, Störungsorientierte Psychotherapie der Traumasynthese durch Traumaexposition bei PTBS, abrufbar unter http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2010/sachsse u.pdf sowie Nolting, An Erinnerungen fast zerbrochen – Idealfall Traumatherapie – Resümee einer erfolgreichen Therapie, abrufbar unter http://www.hss.de/fileadmin/migration/downloads/VortragNolting 01.pdf, beide mit weiteren Nachweisen).

Zur Óberzeugung der Kammer steht nicht fest, dass die Klägerin die in den soeben genannten Diagnoseklassifikationssystemen genannten Voraussetzungen einer PTBS erfüllt. So hat der Sachverständige Dr. C. im Rahmen seines überzeugenden Gutachtens vom 00.00.0000 darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall weder das A1-Kriterium, noch das A2-Kriterium einer PTBS im Sinne des DSM IV erfüllt sind. Insbesondere erfüllt der Verkehrsunfall der Vorgesetzten der Klägerin vom 12.10.2009, an dem die Klägerin selbst nicht beteiligt war, nicht die Voraussetzungen eines "extrem traumatischen Ereignisses". Óberdies sind Reaktionen im Sinne des A2-Kriteriums nach DSM IV sind im Rahmen der ausführlichen Untersuchungen der Klägerin durch Dr. C. und Dr. C. nicht beschrieben worden. Es kann dahin stehen, ob das speziellere Diagnoseklassifizierungssystem DSM IV gegenüber dem allgemeinen ICD-10 vorzugswürdig erscheint, was die Diagnosekriterien einer PTBS angeht. Denn auch die Voraussetzungen des ICD-10 liegen bei der Klägerin nicht vor. Der Verkehrsunfall ihrer Vorgesetzten, den sie lediglich als Zeugin und nicht als Beteiligte erlebt hat, stellt kein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß dar.

Gegenteiliges folgt weder aus dem Befundbericht des B.-Krankenhauses L. – psychiatrischpsychotherapeutische Klinik – vom 00.00.0000, noch aus dem Bericht der Klinik für Psychotraumatologie des Krankenhauses N.-I. (L.) vom 00.00.0000 und auch nicht aus dem im gerichtlichen Verfahren eingeholten Befundbericht des B.-Krankenhaues L. – Zentrum für Psychotraumatologie – vom 00.00.0000 Was den Befundbericht des B.-Krankenhauses vom 00.00.0000 angeht, so ist dort lediglich der Verdacht auf eine bei der Klägerin vorliegende PTBS geäußert worden, eine gesicherte Diagnose läßt sich aus dem Bericht gerade nicht ableiten. Das Gleiche gilt für den Bericht der Klinik für Psychotraumatologie des Krankenhauses N.-I. (L.) vom 00.00.0000, der ausdrücklich von einem Verdacht und zudem von einer vorläufigen Diagnose spricht. Im Óbrigen sind in beiden Berichten keine Zuordnungen zu den zentralen Merkmalen der PTBS nach den o.g. Diagnoseklassifikationssystemen vorgenommen worden. Was den im gerichtlichen Verfahren eingeholten Befundbericht des B.-Krankenhaues L. – Zentrum für Psychotraumatologie – vom 00.00.0000 anbelangt, so ist auch dieser nicht geeignet, die fundierten und ausführlichen Ausführungen von Dr. C. bzw. Dr. C. zu entkräften.

Die Kammer ist weiter auch nicht davon überzeugt, dass die von Dr. C. bei der Klägerin diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung im Sinne einer wesentlichen Verursachung auf den Arbeitsunfall vom 12.10.2009 zurückzuführen ist. So hat bereits die im Verwaltungsverfahren gehörte Neuropsychologin Dr. C. im Einklang mit Dr. C. darauf hingewiesen, dass es sich um eine in der Kindheit und Jugend der Klägerin angelegte Störung der Persönlichkeitsentwicklung handelt. Diese hat sich bei der Klägerin bereits deutlich vor dem Unfallereignis im Rahmen von Essstörungen im Sinne einer Bulimia nervosa im Jahr 2001 gezeigt und auch der Verdacht auf dissoziative Anfälle im Jahr 2006, der schließlich sogar zu einer Abklärung in der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums C. geführt hat, ist nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Kontext einzuordnen. Die Sachverständige Dr. C. hat ferner nachgewiesen, dass eine ausgeprägte Dependenz in der Mutter-Tochter-Beziehung besteht und ferner Tendenzen, familiäre Beziehungskonflikte zu externalisieren. In diesem Zusammenhang hat Dr. C. ausgeführt, es bestehe die Möglichkeit, dass auch der von der Klägerin beobachtete Unfall am 12.10.2009 familiendynamisch als externer Verursacher für vorbestehende psychische Auffälligkeiten dienen sollte. Im gerichtlichen Verfahren sind diese von Dr. C. angestellten Óberlegungen eindrucksvoll bestätigt worden. Es ergibt sich ein Bild, nach dem die überaus dominante Mutter das Verhalten der längst erwachsenen Klägerin bestimmt. So hat nicht die Klägerin selbst, sondern ihre Mutter um die Aufhebung des persönlichen Erscheinens der Klägerin nachgesucht und die Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 23.05.2013 ist auf Veranlassung und Betreiben der Mutter der Klägerin ausgestellt worden. Die behandelnde Ärztin Dr. M. hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich erklärt, es bestehe ein "pathologisches Abhängigkeitsverhältnis" der Klägerin zu ihrer Mutter. Auch wenn im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Beweismaßstabs Alternativursachen nicht benannt werden müssen, sieht die Kammer jedenfalls mit den Ausführungen von Dres. Brockhaus und Bergmann eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die schwere Persönlichkeitsstörung, an der die Klägerin leidet, nicht auf den Unfall vom 12.10.2009 zurückzuführen ist, sondern einen familiendynamischen Hintergrund hat.

Die Kammer war schließlich nicht gehalten, dem erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Anhörung von Prof. Dr. C. nachzukommen, weil die Voraussetzungen des § 109 Abs. 2, 2. Alt SGG erfüllt sind. Eine Verzögerung im Sinne jener Vorschrift ist schon dann gegeben, wenn sich durch die Beweisaufnahme der bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Beendigung der Streitsache durch schon erfolgte Terminierung verschiebt (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG. 10. Aufl. 2012, § 109 Rdnr. 11). Dass diese Voraussetzung bei einem erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag gegeben ist, liegt auf der Hand. Zur Óberzeugung der Kammer steht schließlich auch eine grobe Nachlässigkeit der Klägerin fest. Diese liegt vor, wenn der Beteiligte den Antrag nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen mehr von Amts wegen durchführt. Als angemessen in jenem Sinne ist in der Regel eine Frist von einem Monat anzusehen (Keller, a.a.O., Rdnr. 11). Im vorliegenden Fall hat das Gericht das Gutachten unter dem 30.01.2013 mit dem Zusatz verschickt, weitere Ermittlungen von Amts wegen seien nicht beabsichtigt. Der zunächst ins Auge gefasste Verhandlungstermin am 08.03.2013 ist aufgehoben worden, nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 28.02.2013 mitgeteilt hatte, die Klägerin wolle das Gutachten mit ihren behandelnden Ärzten besprechen. Dass die Klägerin indessen im Anschluss hieran über einen Zeitraum von nicht weniger als zwölf Wochen (gerechnet von der Mitteilung der Klägerin am 28.02.2013 bis zum Schriftsatz einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2013) keine Rückmeldung gegeben hat, rechtfertigt ohne weiteres den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Nicht unerhebliche Ungereimtheiten sieht die Kammer in diesem Zusammenhang im Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Dieser hatte nämlich am 28.02.2013 mitgeteilt, ein Termin mit den behandelnden Ärzten sei "für die kommende Woche" vereinbart. Unter dem 23.05.2013 hingegen teilte dieser mit, eine Besprechung mit Prof. Dr. C. habe erst am 27.05.2013 stattfinden können.

Die Klägerin hat weiter keinen Anspruch auf Óbernahme zukünftiger Heilbehandlungen durch die Beklagte. Grundlage für einen Anspruch auf Heilbehandlung sind die Vorschriften der §§ 26 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschadens. Bei der Klägerin liegen jedoch – wie dargelegt – über den 26.10.2009 keine behandlungsbedürftigen Gesundheitsschäden mehr vor, welche durch den Versicherungsfall "Arbeitsunfall" vom 12.10.2009 (§§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., 8 Abs. 1 und 2 Nr. 1 SGB VII) verursacht worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

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