LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.05.2013 - L 19 AS 1168/12
Fundstelle
openJur 2013, 31764
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 03.05.2012 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2011 verurteilt, dem Kläger Zinsen in Höhe von 4% zu zahlen auf5.821,- EUR ab dem 01.09.20086.488,- EUR ab dem 01.10.20087.115,- EUR ab dem 01.11.20087.762,- EUR ab dem 01.12.20088.409,- EUR ab dem 01.01.20099.060,- EUR ab dem 01.02.20099.711,- EUR ab dem 01.03.200910.362,- EUR ab dem 01.04.200911.013,- EUR ab dem 01.05.200911.664,- EUR ab dem 01.06.200912.315,- EUR ab dem 01.07.2009 bis zum 30.11.2010. Der Beklagte trägt 90% der Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verzinsung der für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der am 00.00.1960 geborene Kläger ist Miteigentümer des Hausgrundstückes F-Straße 00, I. Das Hausgrundstück ist dinglich belastet. Der Kläger wohnte zusammen mit der anderen Miteigentümerin, (P.) und dem gemeinsamen Sohn und einem weiteren Kind von P. in dem gemeinsamen Haus. Zum 01.06.2007 meldete sich der Kläger unter der Adresse seiner Eltern T-weg 00, I, an. Er schloss mit seinen Eltern einen vom 01.06.2007 datierten Mietvertrag über die Vermietung von drei Zimmern einschließlich Küchennutzung und Badnutzung gegen eine Warmmiete von 300,00 EUR. Zum 10.06.2008 zog P. mit den beiden Kindern aus dem Haus, F-Straße 00, I aus.

In der Zeit vom 01.01. bis 31.12.2005 bezog der Kläger von der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagter) Leistungen nach dem SGB II. Durch Bescheid vom 15.03.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2006 lehnte der Beklagte die Fortbewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2006 mit der Begründung ab, eine Hilfebedürftigkeit des Klägers sei nicht nachgewiesen. Er lebe mit P. in eheähnlicher Lebensgemeinschaft. Die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Aachen, S 11 AS 68/06, blieb erfolglos. Hiergegen legte der Kläger Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 9 AS 13/07, ein.

Durch Bescheid vom 20.09.2007 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 13.07.2007 ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.

Nach Vernehmung von P. schlossen der Kläger und der Beklagte in dem Verfahren L 9 AS 13/07 im Erörterungstermin vom 20.03.2008 einen Vergleich mit folgendem Inhalt:

1.

Die Beklagte zahlt dem Kläger in entsprechender Abänderung der entgegenstehenden Bescheide Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 01.06.2007 wie folgt: - die volle Regelleistung - die Kosten der Unterkunft, soweit diese im Sinne des § 22 SGB II angemessen sind. Dies alles unter dem Vorbehalt der Prüfung, ob der Leistungsbewilligung nicht Vermögenswerte des Klägers entgegenstehen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Damit ist das Verfahren wie auch das Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Ablehnung von Leistungen ab Juni 2007 beendet.

Durch Bescheid vom 20.08.2008 versagte der Beklagte die Gewährung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Aufklärung des Sachverhalts sei mangels Rückmeldung des Klägers erheblich erschwert. Die Anspruchsvoraussetzungen könnten nicht abschließend geprüft werden. Auch lehne er den Leistungsantrag wegen Zweifeln an der geltend gemachten Hilfebedürftigkeit ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28.10.2008 zurück. Dagegen erhob der Kläger am 01.12.2008 Klage, S 4 (11) AS 197/08. In einem anschließenden Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes verpflichtete sich der Beklagte, dem Kläger Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft in gesetzlicher Höhe ab dem 01.07.2009 bis zur Entscheidung im Klageverfahren S 4 (11) AS 197/08 als Darlehen ohne dingliche Sicherung zu gewähren.

Der Beklagte gewährte dem Kläger vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 659,00 EUR mtl. (359,00 EUR Regelleistung + 300,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) nach § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Zeit vom 01.07.2009 bis zum 31.12.2009 (Bescheide vom 24.08.2009, vom 03.09.2009, vom 27.01.2010 und vom 24.06.2010).

Nach Einholung eines Verkehrswertgutachtens von Dipl.-Ing. W schlossen der Kläger und der Beklagte im Verfahren S 4 (11) AS 197/08 in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2010 einen Vergleich mit folgenden Inhalt:

1. Der Bescheid vom 20.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2008 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte gewährt dem Kläger nach Maßgabe des gerichtlichen Vergleichs vom 20.03.2008 vor dem Landessozialgericht NRW Leistungen nach dem SGB II in Form von Regelleistung und Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis 30.09.2010 zuschussweise nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften.

3. Die Beteiligten sind sich einig darüber, dass bei den Kosten der Unterkunft die nachgewiesenen Mietkosten für die Wohnung des Klägers bei seinen Eltern zugrunde zu legen sind.

4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Kläger für den Zeitraum ab dem 01.10.2010 einen Fortzahlungsantrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bei der Beklagten stellen wird.

5. Kosten sind nicht zu erstatten.

Durch Bescheide vom 16.12.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für Juni 2007 in Höhe von 645,00 EUR, für die Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 in Höhe von 647,00 EUR mtl. sowie für die Zeit vom 01.07.2008 bis zum 30.06.2009 in Höhe von 651,00 EUR mtl ... Er veranlasste am 16.12.2010 die Auszahlung des Nachzahlungsbetrags von insgesamt 16.221,00 EUR.

Mit Schreiben vom 30.12.2010 beantragte der Kläger die Verzinsung der für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen. Durch Bescheid vom 12.04.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Verzinsung nach § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06.07.2011 zurück. Der Anspruch des Klägers auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.09.2010 sei durch gerichtlichen Vergleich abschließend geregelt worden. Diese gegenseitige Vereinbarung sei bindend. Eine Regelung über die Verzinsung der Leistungen sei nicht getroffen worden. Aus dem Vergleich lasse sich kein Anspruch auf Verzinsung ableiten.

Am 20.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Er hat vorgetragen, er habe über einen erheblichen Zeitraum keine Leistungen von dem Beklagten erhalten. Daher seien die ausgezahlten Leistungen seitens des Beklagten zu verzinsen, da die Zurückhaltung der Leistungen nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass sich die Verzinsungsregelung des § 44 SGB I allein auf unstreitige Ansprüche beziehe. Prozesszinsen würden nicht gewährt. Das damalige Gerichtsverfahren habe mit einem Vergleich über eine Nachzahlung, in welchem Zinsen nicht gewährt worden seien, geendet. Mit Annahme dieses Vergleichs sei das Verfahren in der Hauptsache bindend erledigt worden. Ein Zinsanspruch bestehe demzufolge nicht.

Durch Urteil vom 03.05.2012 hat das Sozialgericht Aachen die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 30.05.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.06.2012 Berufung eingelegt.

Er trägt vor, Zinsen seien nicht Streitgegenstand des Verfahrens gewesen, in dem der Vergleich geschlossen worden sei. In dem Vergleich habe er keinen Verzicht auf die Verzinsung der nachzuzahlenden Leistungen erklärt. Hätte tatsächlich ein Verzicht seinerseits erklärt werden sollen, so hätte eine weitergehende Formulierung in dem Vergleich verwendet werden müssen, wie z. B. "Damit sind alle wechselseitigen Forderungen für den streitgegenständlichen Zeitraum erledigt." Dies sei nicht geschehen. Mithin könne in dem Vergleich kein Verzicht auf einen Zinsanspruch gesehen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 03.05.2012 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2011 zu verurteilen, dem Kläger Zinsen zu zahlen in Höhe von 4 % auf 5.821,- EUR ab dem 01.09.2008 6.488,- EUR ab dem 01.10.2008 7.115,- EUR ab dem 01.11.2008 7.762,- EUR ab dem 01.12.2008 8.409,- EUR ab dem 01.01.2009 9.060,- EUR ab dem 01.02.2009 9.711,- EUR ab dem 01.03.2009 10.362,- EUR ab dem 01.04.2009 11.013,- EUR ab dem 01.05.2009 11.664,- EUR ab dem 01.06.2009 12.315,- EUR ab dem 01.07.2009 bis zum 30.11.2010.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Das Sozialgericht Aachen habe zutreffend festgestellt, dass Grundlage für die Zahlungen aus dem Vergleich vom 29.09.2010 allein der Vergleich vom 29.09.2010 selbst sei. Es sei nicht rückwirkend das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen festgestellt worden. Damit seien die der Höhe nach erst noch zu bestimmenden Zahlungen nicht schon vor, sondern frühestens mit dem Vergleichsschluss fällig geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Aachen S 4 (11) AS 197/08, S 4 AS 113/09, S 11 AS 68/06 und S 11 AS 92/06 ER Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Berufung ist nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Beschwer des Klägers übersteigt 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Kläger begehrt die Verzinsung der nachgezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 16.221,00 EUR für die Zeit vom 01.09.2008 bis zum 30.11.2010. Der Zinsanspruch beträgt überschlägig ca. 900,00 EUR. Auch betrifft die Berufung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr i.S.v. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Verzinsung der für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.09.2008 bis zum 30.11.2010. Die weitergehende Klage hat der Kläger im Berufungsverfahren zurückgenommen.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Der Kläger ist beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Der angefochtene Bescheid vom 12.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2011 ist rechtswidrig. Der Beklagte ist verpflichtet, die an den Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen nach dem SGB II gestaffelt ab dem 01.09.2008 bis zum 31.11.2010 nach § 44 SGB I in Höhe von 4% zu verzinsen. Die Voraussetzungen zur Verzinsung der nachgezahlten Leistungen nach dem SGB II sind erfüllt (A). Der Kläger hat auf seinen Zinsanspruch nach § 46 SGB I nicht verzichtet (B). Die nachgezahlten Leistungen sind in dem Zeitraum vom 01.09.2008 bis zum 30.11.2010 in Höhe von 4% auf Grundlage der im Tenor ausgewiesenen Beträge zu verzinsen (C).

A. Nach § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Ansprüche auf Sozialleistungen werden mit ihrem Entstehen fällig (§ 41 SGB I), soweit im besonderen Teil des Buches keine Regelung enthalten ist. Sie entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 40 Abs. 1 SGB I).

Der Zinsanspruch aus § 44 SGB I soll als akzessorische Nebenleistung die Nachteile einer verspäteten Zahlung von Geldleistungen i.S.v. § 11 SGB I ausgleichen (vgl. BSG Urteil vom 28.05.1997 - 8 RKn 2/96 -). Bei den in den Bescheiden vom 16.12.2010 an den Kläger bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 handelt es sich um Geldleistungen i.S.v. §§ 11, 19a Abs. 1 Nr. 2 SGB I.

Die Ansprüche des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 sind jeweils zum Monatsanfang des Bewilligungsmonats nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 20.07.2006, BGBl I 1706) fällig gewesen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Leistungsanspruch des Klägers betreffend den Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 30.09.2010 nicht erst mit dem Vergleichsabschluss vom 29.09.2010 entstanden, sondern mit der nach § 37 SGB II leistungskonstitutiven Antragstellung zum 01.06.2007. Ein Entstehen des Leistungsanspruchs des Klägers erst zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses käme hier nur in Betracht, wenn die Beteiligten im Prozessvergleich vom 29.09.2010 eine Leistung an den Kläger vereinbart hätten, die keine andere gesetzliche Anspruchsgrundlage als den öffentlichrechtlichen Vertrag gehabt hätte, und damit die vertragliche Verpflichtung und der Leistungsanspruch gleichzeitig entstanden wären (vgl. BSG Urteil vom 29.01.1986 - 9b RU 18/84 -, juris Rn 12). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beteiligten haben durch den Vergleichsabschluss einen Streit über einen rechtshängigen Anspruch - Anspruch des Kläger auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2007 - beendet, indem sie eine Regelung über die Höhe (Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung von 300,00 EUR), die Art (Zuschuss anstelle Darlehen) und die Dauer des Anspruchs des Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II getroffen haben. Damit haben sie rückwirkend das zwischen ihnen streitige Rechtsverhältnis geregelt. Indem sich der Beklagte im Vergleich zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 31.09.2010 verpflichtet hat, haben sich die Beteiligten (konkludent) über das Vorliegen der im Verfahren umstrittenen und damit ungewissen tatsächlichen Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit des Klägers i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II für den gesetzlichen Anspruch nach § 19 ff SGB II geeinigt. Als an Gesetz und Recht gebundener Leistungsträger hätte der Beklagte die im Vergleich dem Grunde und der Höhe nach geregelte Leistung auch durch einen anerkennenden Verwaltungsakt bewilligen können. Stattdessen hat er mit dem Kläger einen wirksamen öffentlichrechtlichen Vertrag geschlossen.

In dem Prozessvergleich vom 20.03.2008 haben die Beteiligten (zumindest konkludent) vereinbart, dass ein Antrag i.S.v. § 37 SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2007 vom Kläger gestellt worden ist.

Nach § 41 Abs. 4 SGB II sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich im Voraus zu erbringen, so dass der jeweilige monatliche Leistungsanspruch zum Monatsanfang des Bewilligungsmonats fällig geworden ist.

B. Der Kläger hat im Prozessvergleich vom 29.09.2010 auf die Verzinsung der nachzuzahlenden Leistungen nicht materiellrechtlich verzichtet.

Im Prozessvergleich vom 29.09.2010 im Verfahren S 4 (11) AS 197/08 ist weder ausdrücklich noch stillschweigend ein materiell- rechtlicher Verzicht des Klägers auf die Verzinsung der nachzahlenden Leistungen nach dem SGB II geregelt (vgl. hierzu BSG Urteil vom 29.01.1986 - 9b RU 18/84, Rn 10 m.w.N.).

In dem Prozessvergleich haben die Beteiligten eine Vereinbarung über den Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II getroffen. In Ziffer 2 des Vergleichs sind der Umfang der Leistung - Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung -, die Art der Leistung - Zuschuss - und der Bewilligungszeitraum - vom 01.06.2007 bis zum 30.09.2010 - sowie in Ziffer 3 die Höhe der zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung - Mietkosten für die Wohnung des Klägers bei seinen Eltern - geregelt worden. Des Weiteren enthält der Vergleich in Ziffer 5 eine Regelung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Ziffer 1 des Vergleichs betrifft die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides, Ziffer 4 regelt die Antragstellung des Klägers für den Bewilligungszeitraum ab dem 01.10.2010. Der Zinsanspruch des Klägers aus § 44 SGB I wird als unselbständige Nebenforderung im Vergleichstext nicht erwähnt. Mithin beschränkt sich der Wortlaut des Prozessvergleichs auf die Regelung der Leistungsansprüche für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.9.2010 dem Grunde und der Höhe nach sowie der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Der Zinsanspruch des Klägers aus § 44 SGB I ist auch nicht stillschweigend ausgeschlossen worden (vgl. zur Auslegung von Prozessvergleichen im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Verzicht von Ansprüchen: BSG Urteil vom 29.01.1986 - 9b RU 18/84, Rn 10 m.w.N.). Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass beide Beteiligten stillschweigend übereinstimmend einen Zinsanspruch aus § 44 SGB I im Vergleich hätten ausschließen wollen. Weder dem Wortlaut des Vergleichs noch den sonstigen Umständen ist der Wille des Klägers zu entnehmen, dass er auf alle im Vergleich nicht genannten Forderungen materiellrechtlich verzichten wollte. Vielmehr beschränkte sich sein Wille auf die Regelung der im Verfahren S 4 (11) AS 197/08 rechtshängigen Ansprüche - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2007. Der Zinsanspruch aus § 44 SGB I ist nicht Streitgegenstand des Verfahrens gewesen. Dabei hat der Senat bei der Auslegung des Prozessvergleichs mit berücksichtigt, dass es nicht der Praxis der Sozialgerichte bei Verurteilungen oder Vergleichen über Leistungsansprüche entspricht, den Zinsanspruch aus § 44 SGB I zu berücksichtigen (vgl. BSG Urteil vom 29.01.1986 - 9b RU 18/84 -, juris Rn 10 - und vom 27.11.1991 - 9a RV 29/90 - , juris Rn 16), zumal über den Hauptanspruch und Zinsanspruch in zwei selbständigen (materiellen) Verwaltungsakten zu entscheiden ist (BSG Urteil vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R -, juris Rn 16).

C. Der Beklagte ist verpflichtet, die für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2008, gestaffelt nach Fälligkeitszeitpunkten, mit 4% zu verzinsen.

Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handelt es sich um Leistungen, die nur auf Antrag gewährt werden (§ 37 SGB II). Damit richtet sich die Verzinsung nach § 44 Abs. 2 Alt. 1 SGB I, wonach die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger beginnt.

Im Februar 2008 hat ein vollständiger Leistungsantrag für den Bewilligungszeitraum beginnend ab dem 01.06.2007 vorgelegen. An einen vollständigen Leistungsantrag i.S.v. § 44 Abs. 2 SGB I sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.06.1989 - 4 RA 44/88 - m.w.N.) keine strengen Anforderungen zu stellen. Ein "vollständiger" Leistungsantrag i.S.v. § 44 Abs. 2 Alt. 1 SGB I liegt vor, wenn der zuständige Leistungsträger in die Lage versetzt wird, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen, d. h. die von Amts wegen durchzuführende (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) Ermittlung des Sachverhalts zügig aufzunehmen und die ggf. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und die begehrte Leistung zu bewilligen. Für den Antragsteller bedeutet Vollständigkeit des Leistungsantrags, die Amtsermittlung des Leistungsträgers in dem im Rahmen seiner Mitwirkungsmöglichkeit und -pflichten (§§ 60, 65 SGB I) zumutbaren Umfang vorzubereiten und zu ermöglichen. Ein Leistungsantrag ist daher nicht erst dann "vollständig" im Sinne des Gesetzes, wenn der Leistungsträger allein schon durch ihn in die Lage versetzt wird, das Leistungsbegehren abschließend zu verbescheiden. Wenn ein Leistungsträger Antragsvordrucke (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) herausgegeben hat, liegt ein vollständiger Leistungsantrag spätestens vor, sobald der Antragsteller den Vordruck für den Antrag auf die begehrte Leistung vollständig ausgefüllt und auch die darin als beizubringend bezeichneten (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I) Unterlagen eingereicht hat. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller - etwa aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls - über den Antragsvordruck hinaus durch weitere erhebliche Angaben (§ 60 Abs. 1 Satz Nrn 1 und 2 SGB I), Erklärungen (§ 60 Abs. 1 Satz Nrn 1 und 3 SGB I) oder die Vorlage weiterer Beweisurkunden (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I) bei der Bearbeitung des Antrags mitzuwirken hat (§ 65 Abs. 1 und 3 SGB I).

Der Kläger hat im Juli 2007 einen formlosen Leistungsantrag gestellt sowie am 10.08.2007 ein ausgefülltes Antragsformular "Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit den Anlagen "Zusatzblatt 1, 2.1, 2.2, 3, 5, 6,7,9", einer Meldebescheinigung und einem Mietvertrag mit seinen Eltern beim Beklagten eingereicht. Im Zusatzblatt "Feststellung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers/Antragstellerin und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" war Ziffer 5 "Ich bzw. in der Bedarfsgemeinschaft lebende Personen oder wir gemeinsam sind Eigentümer/in bebauter Grundstücke und/oder Eigentumswohnungen" noch offengelassen. Im Februar 2008 ist die Kopie eines Zusatzblatts 1 "Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" mit Angaben zu den Hausbelastungen, Belegen über die Hauskosten und einer Kopie des notariellen Kaufvertrages zu den Akten des Beklagten gelangt. Damit hat ab Februar 2008 ein vollständig ausgefüllter Leistungsantrag des Klägers vorgelegen, der den Beklagten in die Lage versetzt hat, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen. Mithin ist der Beklagte nach § 41 Abs. 2 Alt. 1 SGB I verpflichtet, die für den Zeitraum ab dem 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 nachgezahlten Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2008, sechs Monate nach Vorlage der vollständigen Leistungsunterlagen, zu verzinsen.

Da es sich bei den an den Kläger nachgezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.06.2007 bis zum 30.06.2009 um laufende Geldleistungen handelt, die mit dem Beginn der Zeiträume fällig werden, für die sie bestimmt sind, sind sie "gestaffelt" zu verzinsen (vgl. BSG Urteil vom 22.06.1989 - 4 RA 44/88 - m.w.N.). Am 01.09.2008 beginnt die Verzinsung des Nachzahlungsbetrages für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 29.02.2008 in Höhe von 5.821,00 EUR (8 Monate x 647,00 EUR = 5176,00 EUR + 645,00 EUR). Der zu verzinsende Nachzahlungsbetrag erhöht sich jeweils in der Zeit vom 01.10.2008 bis zum 30.12.2008 im darauffolgenden Monat um 647,00 EUR (Höhe der monatlichen Leistungen für die Zeit vom 01.03.2008 bis zum 30.06.2008) und in der Zeit ab dem 01.01.2009 um 651,00 EUR (Höhe der monatlichen Leistungen für die Zeit ab dem 01.07.2008.

Der Verzinsungszeitraum endet zum 30.11.2010. Die jeweiligen Beträge sind mit 4 % jährlich zu verzinsen (§ 44 Abs. 1 SGB I).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.