Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.06.2013 - 10 CS 13.1356
Fundstelle
openJur 2013, 31425
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Beschränkungen in Nr. 5.1, 5.2 und 6 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2013. In Nr. 5.1 des Bescheids (Beschränkung der technischen Schallverstärkung) wird im Wesentlichen die Einsatzdauer der technischen Schallverstärkung auf drei 10-Minuten-Blöcke pro Stunde beschränkt, in Nr. 5.2 (Gesamtlautstärke) wird die Lautstärke auf einen Höchstwert von 85 dB(A) – gemessen 5 m vor der Mündung des Schalltrichters des Megaphons – festgelegt. Unter Nr. 6 des Bescheides vom 27. Juni 2013 wird das Fotografieren (Bild- oder Videoaufnahmen) von Gegendemonstranten, opponierenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern bzw. unbeteiligten Personen verboten, es sei denn, die Foto- oder Videoaufnahmen erfolgten mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Personen.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die begehrte Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung führt hinsichtlich aller angefochtenen Beschränkungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Beschränkungen das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt.

Der Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) umfasst insbesondere auch die Selbstbestimmung hinsichtlich Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung (BVerfGE 69, 315/343). Erfasst sind damit alle versammlungsbezogenen Verhaltensweisen, insbesondere auch solche, die auf eine größtmögliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerichtet sind. Das Selbstbestimmungsrecht erübrigt andererseits nicht die Abwägung mit kollidierenden Interessen Dritter. Diese liegt vielmehr in der staatlichen Verantwortung einer verfassungskonformen Schrankenziehung insbesondere auch durch Auflagen bzw. Beschränkungen der Versammlung (vgl. Schneider in Beck‘scher Online-Kommentar GG, Stand: 15.5.2013, Art. 8 Rn. 17 mit Rspr.-nachweisen).

Demgemäß kann die Antragsgegnerin als zuständige Behörde die Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter öffentlicher Sicherheit in diesem Sinne sind u. a. der Schutz zentraler Rechtsgüter und kollidierender Rechte wie zum Beispiel die Gesundheit Dritter, das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Ruhebedürfnis der Anwohner, die grundrechtlich geschützten wirtschaftlichen Interessen umliegender Geschäfte und gastronomischer Betriebe (Art. 12 und 14 GG) sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eigenen Bild (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Dritter zu verstehen (vgl. dazu Merk/Wächtler in Wächtler, Heinhold, Merck, Bayerisches Versammlungsgesetz, Kommentar, Art. 15 Rn. 8 ff.).

Die Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG sind aber nur dann erfüllt, wenn bei der anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Durchführung der konkreten Versammlung von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und damit der oben angeführten Schutzgüter und Rechte Dritter ausgegangen werden kann; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BayVGH, B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787).

Gemessen daran ist die von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid angestellte und vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung nachvollzogene Prognose, dass bei der Durchführung der konkreten Versammlung die unmittelbare Gefahr bestehe, dass von Versammlungsteilnehmern oder deren Helfern gefertigte Fotografien oder Videoaufnahmen im Internet verbreitet und zur Abschreckung oder Bloßstellung opponierender Teilnehmer oder Gegendemonstranten verwendet würden, nicht zu beanstanden. Dadurch würde aber, ohne dass die Anfertigung solcher Aufnahmen einen inneren Bezug zur Versammlung der Antragstellerin selbst aufweist, in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild der Betroffenen sowie gegebenenfalls in das ebenfalls geschützte Versammlungsrecht der Gegendemonstranten eingegriffen. Der Einwand der Beschwerde, dies sei schon aus Gründen des Selbstschutzes der Teilnehmer der Versammlung der Antragstellerin vor Straftaten und gravierenden Belästigungen durch Dritte erforderlich, greift nicht durch. Denn insoweit obliegt es der Polizei, die offensichtlich bei den bisherigen Versammlungen der Antragstellerin auch immer vor Ort war, Straftaten oder sonstige im Einzelfall bestehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und insbesondere die Teilnehmer der geschützten Versammlung der Antragstellerin abzuwehren (s. Art. 2 PAG); einer Selbsthilfe durch die Versammlungsteilnehmer bedarf es hier nicht. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das Fotografieren unbeteiligter Dritter, von Gegendemonstranten oder „opponierenden Versammlungsteilnehmern“ auch nicht gemäß § 23 KunstUrhG ausnahmsweise erlaubt, da insoweit jedenfalls ein erhebliches berechtigtes Interesse des Abgebildeten im Sinne des § 23 Abs. 2 KunstUrhG zu berücksichtigen ist. Das in Nr. 6 des Bescheids der Antragsgegnerin verfügte Fotografierverbot ist bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung darüber hinaus weder ermessensfehlerhaft noch verstößt es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es gerade nicht ein umfassendes Fotografierverbot enthält, sondern es ermöglicht, dass die Versammlungsteilnehmer von ihrer Versammlung selbst Bildaufnahmen zur Dokumentation anfertigen können.

Bezüglich der von der Antragsgegnerin in Nr. 5.1 und 5.2 des streitbefangenen Bescheids verfügten Lärmschutzbeschränkungen lassen sich nach Auffassung des Senats die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren dagegen nicht so eindeutig bestimmen. Denn zum einen stellt gerade die in Nr. 5.1 getroffene zeitliche Beschränkung der Verwendung einer technischen Schallverstärkung durch ein Megaphon angesichts der konkreten Örtlichkeit der hier allein streitgegenständlichen Versammlung am Marienplatz in München und bei dem dort vorhandenen allgemeinen Umgebungslärm eine durchaus gravierende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit und der dadurch geschützten Außenwirkung und -kommunikation der Versammlung dar. Dazu kommt, dass möglicherweise wie bei derartigen Versammlungen in der Vergangenheit wieder mit lautstarken (Missfallens-)Bekundungen von Gegendemonstranten zu rechnen ist, was die Kommunikation der Versammlung nach außen ebenfalls erschwert. Demgegenüber stehen andererseits – wie oben dargelegt – auch gewichtige Rechte der Anwohner, Kunden und Inhaber der anliegenden Geschäfte sowie der Betreiber und Gäste der umliegenden Gastronomiebetriebe. Den insoweit erhobenen und im Beschwerdeverfahren wiederholten Einwand der Antragstellerin, bei den getroffenen Beschränkungen der Lautstärke sei die mit der Versammlung bezweckte Außenwirkung und Kommunikation schon akustisch überhaupt nicht mehr möglich, hat das Verwaltungsgericht zu Recht als nicht hinreichend substantiiert erachtet und zutreffend darauf verwiesen, dass erforderlichenfalls auch insoweit polizeiliche Maßnahmen gegen unzumutbare Störungen der Versammlung der Antragstellerin durch Gegendemonstranten getroffen werden könnten und müssten. Allein die Vorlage eines Online-Zeitungsberichts, wonach die Teilnehmer einer Versammlung der Antragstellerin aufgrund der lautstarken Gegendemonstranten nicht mehr zu verstehen gewesen seien, und die unsubstantiierte Behauptung, die Polizei vor Ort konzentriere sich nur auf die Versammlung der Antragstellerin und nicht auf Störungen durch Gegendemonstranten, sind (noch) nicht geeignet, bereits eine unzumutbare Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit der Antragstellerin nachvollziehbar darzulegen.

Dass die Festlegung der Gesamtlautstärke in Nr. 5.2 des Bescheids auf einen Höchstwert von 85 dB(A) aus Gesundheitsschutzgründen eine grundsätzlich zulässige Beschränkung der Versammlung ist, hat bereits das Verwaltungsgericht mit nachvollziehbarer und im Hinblick auf die in Bezug genommenen Arbeitsschutzvorschriften schlüssiger Begründung dargelegt.

Auch wenn der Senat bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung der Sach-und Rechtslage letztlich keine sichere oder eindeutige Aussage darüber zu treffen vermag, ob die durch die Antragsgegnerin verfügten beiden Beschränkungen zum Lärmschutz insbesondere in ihrer Kombination und in der konkreten örtlichen Situation die Antragstellerin tatsächlich in zumutbarer und damit verhältnismäßiger Weise in ihrem Selbstbestimmungsrecht einschränken, überwiegt gleichwohl das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung auch dieser Beschränkungen. Denn mit Blick auf die Häufigkeit und vor allem die lange Dauer der stationären Versammlungen der Antragstellerin erscheint das öffentliche Interesse am Schutz der gewichtigen Rechtsgüter betroffener Dritter hier vorrangig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).