OLG München, Beschluss vom 13.06.2013 - Verg 1/13
Fundstelle
openJur 2013, 31085
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 21.12.2012 aufgehoben und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen trägt die Antragstellerin mit Ausnahme der Kosten und Aufwendungen der Antragsgegnerin und Beigeladenen, welche durch den Antrag der Beigeladenen nach § 118 GWB entstanden sind. Die Kosten für den Antrag nach § 118 GWB trägt die Beigeladene einschließlich etwaiger notwendiger Aufwendungen der Antragstellerin; im übrigen tragen Beigeladene und Antragsgegnerin ihre für diesen Antrag entstandenen Aufwendungen selbst. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer war für die Antragsgegnerin und die Beigeladene notwendig.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 90.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Freistaat Bayern schrieb 2007 eine Baukonzession für die Gestaltung der Neuen Mitte am Hochschulcampus G. aus. Diesen Auftrag erhielt die Antragsgegnerin im Jahr 2008. Die Antragsgegnerin lobte am 10.3.2011 einen Realisierungswettbewerb im Wege eines einstufigen nicht offenen Wettbewerbs aus. Eine europaweite Bekanntmachung erfolgte nicht. Nach Abschluss des Planungswettbewerbs wurde im Oktober 2011 in einer Fachzeitschrift das Projekt samt den Preisträgern vorgestellt. Den Auftrag sollte die Beigeladene als zweite Preisträgerin erhalten. Gegen diese Entscheidung wandte sich der erste Preisträger mit einem Nachprüfungsantrag. Der Nachprüfungsantrag wurde im Beschwerdeverfahren durch Senatsbeschluss vom 5.4.2012 - Verg 3/12 - als zwar zulässig, aber unbegründet angesehen. In den Gründen ist ausgeführt, dass der Senat die Antragsgegnerin als öffentlichen Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 6 GWB einstuft, der die grundlegenden Regeln des Vergaberechts zu beachten habe. Der Senatsbeschluss wurde in der allgemeinen Presse am 7.4.2012 veröffentlicht. Die Antragsgegnerin erteilte nach Erlass des Beschlusses der Beigeladenen den Auftrag. Im vorliegenden Verfahren macht die Antragstellerin die Unwirksamkeit dieses abgeschlossenen Vertrages geltend.

Die Antragstellerin ist ein in Wien ansässiges Architekturbüro, welches unter der Bezeichnung O+ ... ...GmbH firmiert. Ursprünglich hatten die beiden Brüder Prof. M. O (im folgenden M. O.) und Prof. L. O. (im folgenden L. O.) 1987 ein gemeinsames Architekturbüro in D. betrieben, bevor 1990 die Antragstellerin in Wien und 1994 die Gesellschaft in Berlin unter der Bezeichnung O+... ... mbH gegründet wurden. Geschäftsführer der Antragstellerin ist L. O.; Hauptgesellschafter der Antragstellerin sind beide Brüder. Geschäftsführer der O+... Berlin waren u.a. beide Brüder, bis L. O. am 10.8.2011 als Geschäftsführer abberufen wurde. Hauptgesellschafter sind wiederum die beiden Brüder. Die O+... - Gruppe unterhält Büros an vier Standorten und wirbt ohne Unterscheidung zwischen den verschiedenen Gesellschaften mit dem gemeinsamen Namen O+... nicht nur in Broschüren und sonstigen Publikationen, sondern auch im Internet. O+...wird als „Marke“ oder „logo“ nach außen kommuniziert.

Am 14.12.2010 wurde M. O. von einem befreundeten Investorenmakler auf den Realisierungswettbewerb Hochschulcampus G. aufmerksam gemacht; dieser übergab ihm Planungsarbeiten zum damaligen Stand. Mit email vom 15.12.2010, gerichtet an O+... Wien, M. O., bestätigte der Vermittler einen Gesprächstermin mit Herrn H, dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin, zu dem Thema, wie O+... auf die Liste G. kommen könne. Das Gespräch fand am 18.12.2010 in Berlin statt. M. O. überreichte H. ein Buch mit Referenzobjekten von O +... und erläuterte die Tätigkeit von O +... H. erklärte, es seien nach Absprache mit dem Freistaat Bayern bereits zehn Architekturbüros zur Teilnahme aufgefordert worden. Wenn diese Grenze überschritten werde, könne auch weiteren Architekturbüros eine Teilnahme nicht verwehrt werden. Da die Planung aber sehr tiefgehend erfolgen solle, würde sich eine Teilnahme bei einer Zuschlagschance unter 10% finanziell nicht mehr lohnen. Etwas anderes könne sich nur dann ergeben, wenn ein weiterer Investor in das Projekt einsteigen würde. Hierzu kam es in der Folgezeit nicht. Das Gespräch blieb ohne klares Ergebnis.

Die Antragstellerin rügte gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.4.2012 die Beauftragung der Beigeladenen als vergaberechtswidrige de-facto-Vergabe. Die Antragsgegnerin wies die Rüge mit Schreiben vom 26.4.2012 zurück und wies darauf hin, dass das Verfahren - wie vom Freistaat Bayern gefordert - als Einladungswettbewerb ausgestaltet und dieses Verfahren bereits am 18.12.2010 mit O+..., vertreten durch M. O., besprochen worden sei, ohne dass von O+... dieses Verfahren jemals beanstandet worden sei. 

Daraufhin stellte die Antragstellerin am 7.4.2012 Nachprüfungsantrag. Zur Begründung trug sie vor, die Antragsgegnerin sei als Baukonzessionärin öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 6 GWB und dazu verpflichtet gewesen, die grundlegenden Regeln des Vergaberechts einzuhalten und den Planungswettbewerb national und europaweit auszuschreiben. Zu den grundlegenden Regeln gehöre zuvörderst die Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung, welche sich schon wegen der Binnenmarktrelevanz ergebe. Der ohne europaweite Ausschreibung abgeschlossene Vertrag mit der Beigeladenen sei gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB von Anfang an unwirksam. Dies habe sie innerhalb der Frist des § 101b Abs. 2 nach Kenntniserlangung durch die Pressemitteilung fristgerecht gerügt. Zudem sei die Auswahl der Teilnehmer intransparent erfolgt. Sie habe keine Kenntnis von Gesprächen zwischen M. O. und der Antragsgegnerin; im übrigen könnten etwaige Gespräche nur O+... Berlin zugerechnet werden.

Die Antragsgegnerin wandte sich gegen den Nachprüfungsantrag und stellte den Antrag, das Nachprüfungsverfahren auszusetzen und dem EuGH verschiedene Fragen zur Bindung eines Baukonzessionärs an die VKR vorzulegen. Zudem machte sie geltend, die Antragstellerin habe bereits durch das Gespräch vom 18.12.2010 Kenntnis von dem Realisierungswettbewerb gehabt. Es sei unglaubwürdig, dass L. O. nichts von dem Gespräch seines Bruders im Dezember 2010 erfahren habe; jedenfalls aber sei dessen Kenntnis der Antragstellerin zuzurechnen, da durch den Auftritt sowohl in Publikationen als auch im Internet der Rechtsschein erzeugt werde, es handele sich um ein Architekturbüro mit mehreren Firmensitzen. Außerdem sei die Antragstellerin ihrer Rügeverpflichtung nicht nachgekommen, weil sie nach Kenntnis von dem Realisierungswettbewerb die fehlende europaweite Ausschreibung nicht gerügt habe. Jedenfalls aber habe sie ihr Rügerecht verwirkt; die Antragsgegnerin habe darauf vertrauen dürfen, dass sich die Antragstellerin nicht mehr an der Ausschreibung beteiligen und keine Nachprüfung beantragen wolle, zumal die Beteiligten davon ausgegangen seien, dass für den Realisierungswettbewerb keine Ausschreibungspflicht bestünde. Es gebe zudem kein Bekanntmachungsformular für solch einen Architektenwettbewerb. Das Gesetz regele auch nicht, in welcher Form eine solche Bekanntmachung zu erfolgen habe, § 6 Abs. 1 VgV i. V .m. § 22a Abs. 2 Nr. 1 VOB/A. Dies stelle einen Verstoß gegen die Normenklarheit dar; § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB sei zu unbestimmt. Im übrigen seien Unternehmer am Wettbewerb beteiligt worden.

Die Beigeladene wandte sich gleichfalls gegen den Nachprüfungsantrag.

In der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer wurde am 18.6.2012 ein Beschluss erlassen, wonach das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die von der Antragsgegnerin vorformulierten Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt wurden. Eine gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin wurde durch Senatsbeschluss vom 18.10.2012 - Verg 13/12 - verworfen. Nach erneuter mündlicher Verhandlung vor der Vergabekammer, in welcher der Geschäftsführer der Antragsgegnerin H. und M. O. angehört wurden, gab die Vergabekammer mit Beschluss vom 21.12.2012 dem Nachprüfungsantrag statt und stellte fest, dass der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag über die Erbringung von Planungsleistungen unwirksam sei. Gleichzeitig wurde die Antragsgegnerin dazu verpflichtet, bei fortbestehender Vergabeabsicht das Vergabeverfahren nach der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

Zur Begründung führte die Vergabekammer aus, die Antragstellerin habe erst Ende April 2012 Kenntnis von der Durchführung des Wettbewerbs und der Beauftragung der Beigeladenen erlangt und zu diesem Zeitpunkt erkannt, dass ein möglicher Vergaberechtsverstoß vorliege, den sie dann rechtzeitig gerügt habe. M. O. und H. seien bei ihrem Gespräch im Dezember 2010 übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich nicht um eine öffentliche Vergabe handele. M. O. habe glaubwürdig dargelegt, dass die deutsche und die österreichische Gesellschaft grundsätzlich unabhängig voneinander arbeiteten und es über die Sache Hochschulcampus G. auch keinen Austausch mit seinem Bruder gegeben habe. Selbst wenn aber M. O. von einem möglichen Vergaberechtsverstoß Kenntnis gehabt haben sollte, könne diese Kenntnis gesellschaftsrechtlich nicht seinem Bruder zugerechnet werden. Gespräche zwischen M. O. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft führten zwar zu einer Kenntnis der deutschen Gesellschaft, nicht aber automatisch zur Kenntnis des Geschäftsführers der österreichischen Gesellschaft.

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beigeladene und die Antragsgegnerin mit ihren sofortigen Beschwerden.

Die Antragsgegnerin vertieft und ergänzt ihren Vortrag im Nachprüfungsverfahren. Sie macht eine Vorlagepflicht des Vergabesenats an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV bezüglich der bereits im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gestellten Fragen geltend ergänzt um die Frage, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Vergaberechtsbindung eines privaten Baukonzessionärs strengere Richtlinien schaffen dürfe als in der VKR vorgesehen. Mit einer solchen strengeren Bindung würde in die Grundrechte - Art. 34, 49, 56 AEUV - der Baukonzessionäre eingegriffen. Im übrigen hätte die Antragstellerin, wenn sie an dem Wettbewerb hätte teilnehmen wollen, ausgeschlossen werden müssen, da sie im Dezember 2010 bereits im Besitz der Wettbewerbsunterlagen gewesen sei, welche M. O. von dem Vermittler übergeben worden seien. Diese Kenntnis sei ihr zumindest nach Rechtsscheingesichtspunkten zuzurechnen. Es werde bewusst der Rechtsschein gesetzt, dass O+... eine BGB-Gesellschaft mit mehreren Niederlassungen in Deutschland und Österreich sei. Die Rüge sei verwirkt, weil M. O. nach Kenntnis der Tatsache, dass O+... nicht berücksichtigt werde, dagegen nichts unternommen habe. Im übrigen sei § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB nur dann anwendbar, wenn eine Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union erfolgt sei. Es gebe aber kein Standardformular für diese Art von Ausschreibung.

Die Antragsgegnerin stellt den Antrag,

den Beschluss der Vergabekammer vom 21.12.2012 aufzuheben,

hilfsweise,

analog § 121 Abs. 1 GWB davon abzusehen, den abgeschlossenen Planungsvertrag zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin vom 5.4.2012 für unwirksam zu erklären.

Die Beigeladene macht geltend, jedenfalls im Oktober 2011 habe L. O. durch die Veröffentlichung des Wettbewerbsergebnisses in einer Fachzeitschrift Kenntnis davon erlangt, dass der Wettbewerb ohne europaweite Ausschreibung durchgeführt worden sei.

Die Beigeladene stellt den Antrag,

den Beschluss der Vergabekammer vom 21.12.2012 aufzuheben.

Die Antragstellerin stellt den Antrag,

die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie wiederholt und ergänzt gleichfalls ihren Vortrag vor der Vergabekammer und weist zusätzlich darauf hin, dass M. O. ausgesagt habe, es habe keinen Gedankenaustausch mit seinem Bruder über das Projekt G. gegeben. Es existiere auch kein zuzurechnender Rechtsschein. Allein die Tatsache, dass die Gesellschaften in Berlin und Wien über einen gemeinsamen Internetauftritt und eine einheitliche Broschüre verfügten, sei kein Umstand, der zur wechselseitigen Zurechnung von Kenntnissen führe. M. O. sei weder Vertreter noch Wissensvertreter der Antragstellerin. § 166 BGB, und auch kein Vertreter ohne Vertretungsmacht. Das Gespräch sei kein Rechtsgespräch, sondern nur ein Informationsaustausch gewesen. Es bestehe schon keine Rechtsscheingrundlage. Jedenfalls fehle es aber an der Schutzbedürftigkeit eines Dritten. Hier stünden keine Haftungsfragen im Raum und es existiere kein geschäftliches Verhalten der Antragsgegnerin, für welches der Rechtsschein einer übergeordneten O+... Gesellschaft relevant gewesen wäre. Eine Verwirkung komme bei einer de-facto-Vergabe nicht in Betracht. Für die Kenntnis sei auf den Vertragsschluss am 5.4.2012 und nicht auf das Ende des Vergabeverfahrens am 26.10.2011 abzustellen. Eine Verwirkung scheide auch deshalb aus, weil M. O und H. bei ihrem Gespräch im Dezember 2010 davon ausgegangen seien, dass es sich um ein privates Projekt handele. § 101b GWB sei anwendbar; es komme nicht auf die Beteiligung anderer Unternehmen an, sondern auf die fehlende europaweite Ausschreibung. Der Rechtsirrtum der Antragsgegnerin, sie sei kein öffentlicher Auftraggeber, sei irrelevant. Eine Vorlagepflicht bestehe nicht, weil das deutsche Vergaberecht ausschlaggebend sei. Der Antrag nach § 121 GWB sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Der Antrag der Beigeladenen, die aufschiebende Wirkung der von ihr eingelegten sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verlängern, ist nach Hinweis des Senats zurückgenommen worden.

Der Senat hat am 6.2.2013 und am 2.5.2013 mündlich verhandelt. Für das Ergebnis der mündlichen Verhandlungen und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften Bl. 70/73 sowie Bl. 90/99 d.A. verwiesen

II.

Die sofortigen Beschwerden sind zulässig und begründet. Zwar ist die Antragsgegnerin als Baukonzessionärin gemäß § 98 Nr. 6 GWB als öffentlicher Auftraggeber einzustufen und wäre zur europaweiten Ausschreibung des Planungswettbewerbs verpflichtet gewesen, doch kann sich die Antragstellerin auf eine etwaige Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrages nicht berufen.

1. Vorbemerkungen:

a) Der Senat hält an seiner bereits im Senatsbeschluss vom 5.4.2012 - Verg 3/12 - vertretenen Auffassung fest, dass die Antragsgegnerin als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 6 GWB anzusehen ist.

Öffentliche Auftraggeber sind nach § 98 Nr. 6 GWB „natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter die Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen haben, hinsichtlich der Verträge an Dritte“. Die Antragsgegnerin ist eine Person des privaten Rechts, welche mit dem Freistaat Bayern, einer Stelle des § 98 Nr. 1 GWB, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen hat, nämlich die Vereinbarung vom 10.5./11.5.2011 einschließlich des Erbbaurechtsvertrags vom 10.5./11.5.2011.

Eine Baukonzession ist nach § 99 Abs. 6 GWB ein Vertrag über die Durchführung eines Bauauftrages, bei dem die Gegenleistung für die Bauarbeiten statt in einem Entgelt in dem befristeten Recht auf Nutzung der baulichen Anlage, gegebenenfalls zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Hierbei legt § 99 Abs. 6 GWB den Begriff des Bauauftrages im Sinne des § 99 Abs. 3 GWB zugrunde (Ziekow aaO § 99 Rn. 204; a.A: Dreher in Dreher/Stockmann Kartellvergaberecht 4. Aufl. § 98 Rn. 204), wonach Bauaufträge Verträge sind über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens für den öffentlichen Auftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Eben solch einen Bauauftrag hat der Freistaat Bayern der Antragsgegnerin erteilt: diese sollte die Neue Mitte G. planen und errichten und die Gebäude fünfzig Jahre lang nutzen können, solange, wie das Erbbaurecht bestehen sollte. Leistung des Freistaates war die Zurverfügungstellung der Grundstücke im Wege des Erbbaurechts und die Einräumung der Nutzung, Gegenleistung der Antragsgegnerin die Verwirklichung des Bauvorhabens sowie das Einräumen bestimmter Nutzungsrechte für den Freistaat Bayern.

b) § 98 Nr. 6 GWB enthält vom Wortlaut her keinerlei Begrenzungen im Hinblick auf die Art der zu vergebenden Aufträge. Eine Einschränkung kann auch nicht der Gesetzesbegründung aus der BT-Drs. 13/9340 entnommen werden. Hier heißt es lediglich: „Die Vorschrift enthält in sechs Kategorien die Umschreibung der von den EG-Vergaberichtlinien erfassten Auftraggeber, die bisher in § 57a Abs. 1 Nr. 1 bis 8 HGrG aufgeführt sind. Der Text entspricht im wesentlichen dem Text des § 57a Abs. 1 HGrG. Änderungen sind nur vorgenommen worden, um eine formale textliche Vereinfachung zu erreichen, in materieller Hinsicht wird der Kreis der Auftraggeber nicht verändert“. § 57a Abs. 1 Nr. 7 HGrG enthält aber ebenso wie § 98 Nr. 6 GWB keine Einschränkung auf Bauaufträge, sondern lautet „hinsichtlich der Aufträge an Dritte“.

§ 98 Nr. 6 GWB betrifft daher alle Aufträge, welche der Baukonzessionär seinerseits zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Konzessionsvertrag erbringt, wenn er diejenigen Leistungen, die Gegenstand der Baukonzession sind, nicht selbst durchführt. Dies gilt aber notwendigerweise nur für solche Aufträge, die von dem Baukonzessionär gerade in dieser Eigenschaft und zur Erfüllung der ihm vom ursprünglichen Auftraggeber übertragenen Verpflichtungen vergeben werden. Aufträge an Dritte, die nicht der Erfüllung der Verpflichtungen des Baukonzessionärs aus der Baukonzession dienen, fallen nicht unter diese Auftraggebereigenschaft (Ziekow in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 98 GWB Rn. 171). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, eine Flucht aus dem Vergaberecht durch die Vergabe von Baukonzessionen zu verhindern. Würde der Baukonzessionär nicht seinerseits zum öffentlichen Auftraggeber, so wäre die Vergabe von Bauleistungen auf dieser Stufe dem Wettbewerb entzogen; der Baukonzessionär fungiert quasi als verlängerter Arm des Konzessionsgebers (Ziekow aaO Rn. 172; Dreher in Immenga/Mestmäcker 4. Aufl. § 98 Rn. 199).

c) Der Begriff des Bauauftrags bzw. der Bauleistung nach § 99 Abs. 3 GWB umfasst das Bauen und Planen. Allerdings steht es dem Auftraggeber frei, die Planung als Dienstleistungsauftrag getrennt auszuschreiben (Ziekow § 98 Rn. 166; Eschenbruch in Kus/Kulatz/Portz GWB-Vergaberecht 2. Aufl. § 99 Rn. 186). Es würde aber dem Sinn des § 98 Nr. 6 GWB widersprechen, wenn der Konzessionär allein dadurch, dass er die Planung getrennt von der Bauleistung ausschreibt, vom öffentlichen Auftraggeber zum privaten Auftraggeber mutieren könnte. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Baukonzessionär hier anders stehen sollte als der originäre öffentliche Auftraggeber, der ihm die Planung und Bauleistung übertragen hat und der zu einer Ausschreibung auch der Planung als Dienstleistung verpflichtet wäre. Letztlich besteht der Sinn des § 98 Nr. 6 GWB darin, die Auftraggebereigenschaft vom öffentlichen Auftraggeber auf den Baukonzessionär im Rahmen der übertragenen Aufgabe zu verlagern.

d) Auch die Regelungen in Art. 63 ff. VKR vermögen dieses Ergebnis nicht zu erschüttern. Zunächst spricht Art. 63 Abs. 1 VKR ebenso wie § 98 Nr. 6 GWB von „an Dritte vergebenen Aufträge“, ohne eine Einschränkung auf Bauaufträge vorzunehmen. Eine Einschränkung kann weder dem letzten Satzteil von Art. 63 Abs. 1 VKR entnommen werden noch den nachfolgenden weiteren Regelungen in Art. 64 ff, in denen stets nur von Bauaufträgen die Rede ist. Denn in Art. 1 Abs. 2b VKR ist der Begriff des Bauauftrags - wie in § 99 Abs. 3 GWB - als Ausführung und auch Planung definiert. Offensichtlich hat damit die VKR an den Fall nicht gedacht, dass die Planung getrennt von der Bauausführung vergeben werden soll.

e) Aber selbst wenn man der Ansicht folgen würde, dass die VKR mit den genannten Regelungen eine Beschränkung der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber (verstanden als Begriff des GWB) vornehmen wollte, bleibt es dem deutschen Gesetzgeber unbenommen, strengere Regelungen zu treffen (vgl. zu diesem Problem BGH vom 1.12. 2008 - X ZB 32/08 für den Bereich der Dienstleistungskonzession). Die VKR hat zum Ziel, eine Teilnahme möglichst vieler im Binnenmarkt tätiger Bieter an einer Ausschreibung sicherzustellen und einen größtmöglichen europaweiten Wettbewerb zu ermöglichen. Nur dann, wenn eine überschießende Richtlinienumsetzung diesem Grundgedanken widerspricht, bestehen Bedenken gegen eine derartige Regelung. Davon kann hier keine Rede sein: vielmehr wird durch die dargestellte Vorschrift dem Wettbewerbsgedanken gerade Rechnung getragen.

f) Die Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin nach § 98 Nr. 6 GWB hat bei der Vergabe von Planungsleistungen, welche zu der ihr übertragenen Baukonzession zählen, die allgemeinen und grundlegenden Regeln des Vergaberechts zu beachten.

Von der Frage nach der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber ist die Frage zu trennen, welche Vorschriften der Baukonzessionär bei der Vergabe von Aufträgen an Dritte anzuwenden hat. Einschlägig sind hier die Regelungen der §§ 5 und 6 VgV. Bei den Planungsleistungen handelt es sich um freiberufliche Leistungen, welche bei öffentlichen Auftraggebern in der Regel den Vorschriften der VOF unterfallen. Für die öffentlichen Auftraggeber des § 98 Nr. 6 GWB sieht § 5 VgV die Anwendung der VOF jedoch nicht vor, so dass für diese öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von freiberuflichen Leistungen keine Bindung an die Vorschriften der VOF gegeben ist (Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind § 5 VgV Rn. 1; Beurskens in PK Kartellvergaberecht § 5 VgV Rn. 3; ähnlich Dreher in Dreher/Stockmann aaO § 98 Rn. 209). Es können aber auch nicht die in § 6 Abs. 1 VgV genannten Vorschriften der VOB/A in Betracht kommen, zum einen, weil keine Bauleistungen vergeben werden sollen, zum anderen, weil die Vorschriften der VOB/A auf die Vergabe von freiberuflichen Leistungen nicht passen, zumal der Leistungsgegenstand im voraus nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann. Damit scheidet auch eine analoge Anwendung von Vorschriften der VOL/A aus.

Offensichtlich ist das Problem der getrennten Vergabe von Bauleistungen und Planungsleistungen durch Baukonzessionäre bisher nicht ausdrücklich geregelt worden. Doch bleibt im Oberschwellenbereich jedenfalls die Bindung an die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Vergabe, das sind zumindest die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Transparenzgebotes. Aus dem Transparenzgebot folgt die Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung; diese Pflicht ergibt sich hier zusätzlich aus der Binnenmarktrelevanz des Auftrags. Die Pflicht zur Bekanntmachung hängt nicht von den bisher zur Verfügung stehenden Formularen ab; im übrigen können Planungswettbewerbe auf hierfür vorgesehenen Formularen ausgeschrieben werden.

2. Daraus folgt im einzelnen:

a) Der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen ist gegeben.

Es trifft zwar zu, dass die Rechtsmittelrichtlinie die Nachprüfung nur für die in den Anwendungsbereich der VKR fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge vorsieht. Doch ist die Vergabe von Planungsleistungen durch Baukonzessionäre nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich der VKR ausgeschlossen. Im Gegensatz zu den Dienstleistungskonzessionen, welche in Art. 17 VKR ausdrücklich vom Bereich der VKR ausgenommen worden sind, existiert solch eine Ausnahme für die dargestellte Konstellation nicht. Die Regelungen in Art. 66 ff. VKR betreffen nur die Frage, welche Bestimmungen öffentliche Auftraggeber im Sinne der VKR bei der Durchführung von Wettbewerben im Dienstleistungsbereich zu beachten haben. Auch wenn Baukonzessionäre bei der Vergabe von Planungsleistungen die Art. 66 ff. VKR nicht zu beachten haben, heißt dies nicht, dass die Vergabe dieser Aufträge vom Bereich der VKR gänzlich ausgeschlossen sind, sondern nur, dass sie Wettbewerbe nicht nach den Vorschriften des Titel IV durchzuführen haben.

Auch kann der deutsche Gesetzgeber, wie bereits ausgeführt, strengere Regelungen vorsehen. Nachdem es sich bei der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftraggeber und bei dem zu vergebenden Auftrag um einen Auftrag handelt, der den grundlegenden Regeln des Vergaberechts unterliegt, sieht der Vierte Abschnitt des GWB für diese Konstellation keine Ausnahme vom Nachprüfungsverfahren vor. Insofern unterscheidet sich der Fall grundlegend von der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, welche (noch) ausdrücklich von der Überprüfung durch Nachprüfungsinstanzen ausgenommen sind, und zwar sowohl von der VKR einschließlich der Rechtsmittelrichtlinie als auch dem GWB.

b) Wenn aber der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen eröffnet ist, sind auch die entsprechenden Verfahrensregeln zu beachten. Das bedeutet, dass die Rügepflichten nach § 107 GWB wie auch nach § 101b Abs. 2 GWB für die Antragstellerin einzuhalten sind. § 107 GWB scheidet jedoch schon deshalb aus, weil ein Vergabeverfahren nicht stattgefunden hat und weder eine Bekanntmachung noch Vergabeunterlagen vorliegen. § 101b Abs. 2 GWB ist als speziellere Vorschrift heranzuziehen (OLG München vom 21.2.2013 - Verg 21/12 m.w.N., Braun in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 101a GWB Rn. 50 und § 101b GWB Rn. 21 - 23; Hattig in: Praxiskommentar Kartellvergaberecht § 101a GWB Rn. 14).

3. Die Antragstellerin kann eine etwaige Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrages nach § 101b Abs. 1 Nr.2, Abs. 2 Satz 1 GWB jedoch nicht geltend machen. Es liegt zum einen eine atypische Fallkonstellation vor, welche vom Normzweck des § 101b GWB abweicht, und zum anderen würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Antragstellerin erst längere Zeit nach dem auch ihr bekannten Abschluss des Planungswettbewerbs gegen die Wirksamkeit des Vertrages vorgehen könnte.

a) Nach § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB kann die Unwirksamkeit nach Abs. 1 nur festgestellt werden, wenn sie innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Nach Abs. 1 Nr. 2 ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen. .. und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren nach Abs. 2 festgestellt worden ist.

b) Der Senat geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme von folgenden Kenntnis- und Zurechnungsständen bei Antragstellerin und Antragsgegnerin aus:

aa) auf Seiten der Antragstellerin:

- Gespräch vom 18.12.2010: M. O. als Geschäftsführer der O+... Berlin und Gesellschafter der O+... Wien erfährt vom geplanten Realisierungswettbewerb und davon, dass O+... nicht auf der Liste ist und nur auf die Liste gelangen kann, wenn ein weiterer Investor hinzukommt. Sein Wissen ist O+... Berlin ohne weiteres zuzurechnen und auch dem zu diesem Zeitpunkt als weiterer Geschäftsführer bestellten L. O. M. O. ist zwar Hauptgesellschafter von O+... Wien, muss aber deshalb nicht zwangsläufig Einfluss auf die laufenden Geschäfte haben. Fraglich ist, inwieweit das L. O. zuzurechnende Wissen wegen seiner Stellung als Geschäftsführer der O+... Wien dieser Gesellschaft zuzurechnen ist. Da O+... Wien und Berlin nach der Aussage des Zeugen M. O in der Akquise eng zusammenarbeiten und die Projekte je nach örtlicher Präferenz zwischen ihnen aufgeteilt und bearbeitet werden, erscheint es dem Senat allerdings als wenig glaubwürdig, dass zwischen den beiden Brüdern über dieses in der Schwebe bleibende Projekt in der Folgezeit nicht gesprochen worden sein soll, zumal die Kontakt - Email vom 15.12.2010 an das Wiener Büro gerichtet war, das Gespräch in Berlin zu keinem klaren Ergebnis geführt hatte und eine Information von M. O. an den Mitgeschäftsführer L. O. über das Gespräch vom 18.12.2010 als Teil der laufenden Geschäftsführung für O+... Berlin auf der Hand liegt. Wenn aber zwischen den Brüdern über das Projekt gesprochen worden ist, ist das Wissen von L.O. ohne weiteres der O+... Wien zuzurechnen.

- Fachzeitschrift Oktober 2011: Im Oktober 2011 wurden die Preisträger samt ihren Entwürfen in der Zeitschrift W. aktuell veröffentlicht, in welcher allgemein die Ergebnisse internationaler Planungswettbewerbe dargestellt werden. Auch hier kann die Kenntnis von M. O. ohne weiteres O+... Berlin zugerechnet werden, fraglich ist aber wiederum die Zurechnung an die O+... Wien über seine Gesellschafterstellung. Doch hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Geschäftsführung der Antragstellerin diesen Beitrag nicht zur Kenntnis genommen hat und erst im April von der Realisierung der Planung erfahren haben will. Der Senat geht daher davon aus, dass die Kenntnis vom Ergebnis des Planungswettbewerbs im Oktober 2011 der Antragstellerin bekannt geworden ist.

- Presseveröffentlichung April 2012: durch die Presseveröffentlichung hat die Antragstellerin zusätzlich erfahren, dass ein Nachprüfungsverfahren stattgefunden und der Senat die Antragsgegnerin als öffentlichen Auftraggeber angesehen hat.

bb) Antragsgegnerin:

- Gespräch vom 18.12.2010: Im Gespräch stellt M. O. anhand eines Buches Referenzobjekte für die gesamte O+... -Gruppe vor. Im weiteren Gesprächsverlauf wurde nicht zwischen O+... Berlin und O+... Wien unterschieden; O+... trat als gemeinsame Marke auf, wie es bereits der Gesellschaftsbezeichnung O+... entsprach und auch dem vom Zeugen M. O. geschilderten strategischen Vorgehen von O+... Die Antragsgegnerin konnte daher davon ausgehen, dass die gesamte Gruppe O+... vom Planungswettbewerb wusste und auch, dass sie nur auf die Liste kommen konnte, wenn ein weiterer Investor sich finden würde. Nachdem der Eintritt eines Investors nicht zustande gekommen war, O+... aber weder Nachfragen gehalten noch sonst sich wieder in Erinnerung gerufen hatte, konnte die Antragsgegnerin nach einem gewissen Zeitraum weiter davon ausgehen, dass O+... keinen Versuch unternehmen würde, um doch noch auf die Liste zu kommen.

c) Der Senat geht daher davon aus, dass die Antragstellerin über den geplanten Wettbewerb seit Ende 2010 informiert war und spätestens im Oktober 2011 wusste, dass der Wettbewerb ohne sie durchgeführt worden war und auch ohne europaweite Ausschreibung. Die tatsächlichen Voraussetzungen waren ihr also bekannt, nicht bekannt war ihr aber die rechtliche Einordnung der Antragstellerin als öffentliche Auftraggeberin. Vielmehr gingen alle Beteiligten davon aus, dass die Antragsgegnerin als Baukonzessionärin nicht zu einer Ausschreibung verpflichtet war.

d) Kenntnis im Sinne von § 101b Abs. 2 GWB ist definiert als „Kenntnis des Verstoßes“. Der Verstoß kann ausgelegt werden als Verstoß gegen die europaweite Ausschreibung oder als fehlerhafte unmittelbare Vergabe des Auftrages an ein Unternehmen. Für eine Auslegung in Richtung fehlender europaweiter Auslegung spricht, dass in Abs. 1 Nr. 2 davon die Rede ist, dass andere Unternehmen nicht am Vergabeverfahren beteiligt worden sind. Daraus könnte man schließen, dass dann, wenn in irgendeiner Art und Weise andere Unternehmen an der geplanten Vergabe beteiligt worden sind, der Verstoß nur in der fehlenden europaweiten Ausschreibung liegt. Diese Frage kann aber offen bleiben, denn der Planungswettbewerb wurde auch national nicht ausgeschrieben; die Auswahl der zehn beteiligten Architekturbüros erfolgte nach freiem Ermessen der Antragsgegnerin. Im übrigen steht die herrschende Meinung auf dem Standpunkt, dass mit Verstoß der Vertragsschluss ohne die notwendige Ausschreibung gemeint ist (vgl. z.B. OLG Düsseldorf vom 3.8.2011 - Verg 33/11), wobei zusätzlich noch gefordert wird, dass die Information über den Vertragsschluss vom öffentlichen Auftraggeber zu erfolgen hat (OLG Düsseldorf vom 1.8.2012 - Verg 15/12). Kenntnis vom Verstoß des Vertragsschlusses ohne vorangegangene europaweite Ausschreibung konnte die Antragstellerin daher erst im April 2012 erlangen.

e) Auch wenn die Antragstellerin die Kenntnis erst im April 2012 erlangt hat, würde es Treu und Glauben widersprechen, wenn sie sich jetzt noch auf die Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrages berufen könnte. Es liegt zum einen eine atypische Fallkonstellation vor, welche vom Normzweck des § 101b GWB abweicht, und zum anderen würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Antragstellerin erst längere Zeit nach dem auch ihr bekannten Abschluss des Planungswettbewerbs gegen die Wirksamkeit des Vertrages vorgehen könnte.

aa) Hier liegt eine atypische Fallkonstellation vor, welche nicht dem Sachverhalt entspricht, von welchem die Vorschrift des § 101b GWB ausgeht und welche von § 101b GWB in dieser Form nicht bedacht worden ist. § 101b GWB setzt typischerweise voraus, dass der übergangene Bieter erst durch den Vertragsschluss von der zu vergebenden Leistung erfährt. Hier aber ging dem Vertragsschluss ein über ein Jahr dauerndes Wettbewerbsverfahren voraus, dessen Planung und Ergebnis der Antragstellerin bekannt war. Das Ergebnis des Wettbewerbs wurde in einer allgemein zugänglichen Zeitschrift veröffentlicht. Von einer Verheimlichung des zu vergebenden Auftrags oder gezielten Ausbootung oder Benachteiligung der Antragstellerin kann daher keine Rede sein.

Es würde im übrigen auch dem Normzweck des § 101b GWB widersprechen, wenn von §101b GWB auch diejenigen Fälle umfasst werden würden, in denen aufgrund einer Neuorientierung der Rechtsprechung die Ausschreibungspflicht auf Sachverhalte übertragen wird, welche vor dieser Rechtsprechung von allen Beteiligten nicht als ausschreibungspflichtig angesehen worden sind und eine Änderung oder Neuorientierung der Rechtsprechung und/oder faktische Änderung der Rechtspraxis dazu führen könnten, dass zurückliegende Sachverhalte von nicht an den Verfahren beteiligten Personen wieder neu aufgerollt werden könnten. § 101b GWB soll sicherstellen, dass Verstöße gegen die Ausschreibungspflicht zwar zur Unwirksamkeit der abgeschlossenen Verträge führen, nach einer gewissen Zeitspanne aber die Wirksamkeit der abgeschlossenen Verträge feststeht. Diesem Zweck würde es entgegenstehen, wenn nach länger dauernden gerichtlichen Verfahren, die erstmals eine Ausschreibungspflicht postulieren, Dritte die Wirksamkeit der Verträge wieder in Frage stellen könnten. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Antragsgegnerin nicht bewusst gegen eine Ausschreibungspflicht „verstoßen“ hat, sondern gutgläubig der zu Beginn des Planungswettbewerbs herrschenden Ansicht gefolgt ist.

bb) Es kommt hinzu, dass die jetzige Berufung auf die Unwirksamkeit des Vertrages durch die Antragstellerin dem auch im Vergaberecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht.

Wie bereits ausgeführt, war der Antragstellerin der Sachverhalt bekannt: es lag eine Baukonzession vor, es war ohne Ausschreibung ein Planungswettbewerb durchgeführt worden und bei der Auswahl der beteiligten Architekturbüros war sie nicht berücksichtigt worden. Die Antragsgegnerin durfte wegen des von der Antragstellerin gesetzten Rechtsscheins, dass M. O. für die gesamte Gruppe O+... auftrat, auch darauf vertrauen, dass die Antragstellerin als Teil dieser Gruppe Kenntnis vom Planungswettbewerb hatte und in der Folgezeit, jedenfalls aber nach der Veröffentlichung des Wettbewerbsergebnisses keine rechtlichen Schritte gegen ihre Nichtberücksichtigung einleiten würde. Das Gespräch vom 18.12.2010 war nicht nur ein reiner Informationsaustausch, sondern diente einer möglichen Vertragsanbahnung mit entsprechenden Rücksichtnahmepflichten und gegenseitigem Vertrauen. Die Antragstellerin kann nicht einerseits die Vorteile durch die gemeinsame Darstellung der O+... Gruppe für sich in Anspruch nehmen und auf der anderen Seite, wenn ein gemeinsamer Auftritt sich als nachteilig herausstellt, die Gruppe wieder in die einzelnen Bestandteile zerlegen und sich auf die Eigenständigkeit der beteiligten Unternehmen berufen.

Die Antragstellerin hätte genauso wie die Antragstellerin im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren aus dem ihr bekannten Sachverhalt den rechtlichen Schluss ziehen können, dass eine Nachprüfung möglich ist, auch wenn zum damaligen Zeitpunkt des Planungswettbewerbs alle Beteiligten davon ausgingen, dass die Antragsgegnerin nicht als öffentlicher Auftraggeber anzusehen ist. Niemand hat an der damaligen Praxis gezweifelt, dass Baukonzessionäre Planungsaufträge nicht öffentlich ausschreiben müssen. Erst durch den Senatsbeschluss vom 5.4.2012 ist diese Frage - soweit ersichtlich - erstmals entschieden worden. Das Risiko einer von allen Beteiligten Kreisen geteilten unzutreffenden Einschätzung der Rechtslage bei Kenntnis des erheblichen Sachverhalts darf nicht einseitig dem öffentlichen Auftraggeber auferlegt werden, der bei einer Feststellung der Unwirksamkeit des Auftrages einen immensen wirtschaftlichen Schaden erleiden kann ebenso wie die Antragstellerin aus dem vorangegangenen Nachprüfungsverfahren, die sich erfolgreich gegen den Entzug des ihr zugedachten Auftrags zur Wehr gesetzt hatte, und deren erhebliche Aufwendungen bei der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages wirtschaftlich sinnlos wären.

Es widerspricht daher Treu und Glauben, wenn eine Neuorientierung der Rechtsprechung von anderen Bewerbern auf zurückliegende Sachverhalte übertragen werden könnte, obwohl sie selbst in gleicher Weise und mit dem gleichen Kenntnisstand wie die Antragstellerin im vorangegangenen Verfahren hätten vorgehen können. Zum Teil wird in der Rechtsprechung auch vertreten, dass eine Verwirkung des Nachprüfungsrechts bei diesen Konstellationen vorliegt, weil bei den unter Zeitdruck stehenden Vergabeverfahren von kürzeren Zeiträumen auszugehen sei (OLG Karlsruhe vom 13.6.2008 - 15 Verg 3/08).

4. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bezüglich der von der Antragstellerin aufgeworfenen Fragen kam wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78, 128 Abs. 4 GWB, 91, 96, 101 ZPO analog. Die Kosten für den gestellten, aber zurückgenommenen Antrag nach § 118 GWB hat die Beigeladene alleine zu tragen.

Der Streitwert wurde nach § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt.