AG Moers, Urteil vom 07.05.2013 - 563 C 297/12
Fundstelle
openJur 2013, 30669
  • Rkr:

1.

Aus einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag steht dem Entleiher wegen seiner subsidiären Verpflichtung aus § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV in der Insolvenz des Verleihers kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB gegen die vom Insolvenzverwalter geltend gemachte Vergütungsforderung aus der Überlassung der Arbeitnehmer zu (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004, Az.: IX ZR 200/03, Rn. 35).

2.

Ist der Entleiher bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verleihers (noch) nicht aus seiner Subsidiärhaftung nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV in Anspruch genommen worden, hat er auch deshalb kein Zurückbehaltungsrecht, weil die Aufrechnung mit einem entsprechenden Regressanspruch gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen wäre. Denn die Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts hätte einen der unzulässigen Aufrechnung gleichkommenden Erfolg.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.853,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 2.097,06 EUR seit dem 29. April 2009, aus einem Betrag von 844,41 EUR seit dem 4. Mai 2009, aus einem Betrag von 525,50 EUR seit dem 16. Mai 2009 und aus einem Betrag von 356,52 EUR seit dem 23. Mai 2009 sowie 4,50 EUR außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2012 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 1. Mai 2009 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der L GbR (im Folgenden: Schuldnerin) bestellt (Anlage 1 = Bl. 11 bis 13 GA) und verlangt von der Beklagten restliche Vergütung aus der Überlassung von Arbeitnehmern.

Die Schulderin, die im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig war, überließ der Beklagten im Jahr 2009 mehrfach verschiedene Arbeitnehmer für ihr Unternehmen. Hierüber rechnete sie gegenüber der Beklagten unter dem 27. März 2009 einen Betrag in Höhe von 5.242,66 EUR (Anlage 2 = Bl. 14 GA), unter dem 3. April 2009 einen Betrag in Höhe von 2.111,06 EUR (Anlage 3 = Bl. 15 GA), unter dem 14. April 2009 einen Betrag in Höhe von 1.313,76 EUR (Anlage 4 = Bl. 16 GA) sowie unter dem 21. April 2009 einen Betrag in Höhe von 966,28 EUR (Anlage 5 = Bl. 17 GA) ihre Leistungen ab. Die Beklagte behielt von den Rechnungsbeträgen jeweils 40 % ein und zahlte auf die erstgenannte Rechnung einen Betrag in Höhe von 3.145,60 EUR, auf die zweite einen Betrag von 1.266,65 EUR, auf die dritte 788,26 EUR und auf die vierte einen Betrag von 579,77 EUR. Hieraus ergibt sich ein Saldo in Höhe von (2.097,06 EUR + 844,41 EUR + 525,50 EUR + 386,52 EUR =) 3.853,49 EUR.

Unter dem 15. Juni 2009 forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung der Rechnungsbeträge auf (Anlage 6 = Bl. 18 GA). Mit Schreiben vom 30. Juni 2009 (Anlage 7 = Bl. 19 f. GA) teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Rechnungen um 40 % wegen fehlender Unbedenklichkeitsbescheinigungen zu kürzen. Gemäß der von ihr aufgestellten Auflistung der offenen Rechnungen (Bl. 20 GA) zahlte die Beklagte an den Kläger am 13. Juli 2009 insgesamt einen Betrag in Höhe von 5.780,27 EUR. Den Restbetrag von 3.853,49 EUR mahnte der Kläger mit Schreiben vom 6. Februar 2012 an (Anlage 8 = Bl. 21 GA).

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erhebt die Einrede der Verjährung sowie den Einwand der Verwirkung und trägt vor:

Die Kürzung der Rechnungen sei erfolgt, weil sie, die Beklagte, gemäß § 28 e SGB IV als Bürge für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer haften würde. Es sei davon auszugehen, dass diese nicht gezahlt worden seien. Die Schuldnerin habe die Kürzung akzeptiert. Zumindest stehe ihr, der Beklagten, ein Zurückbehaltungsrecht zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen vorbereitenden Schriftsätze und die hierzu überreichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von insgesamt 3.853,49 EUR aus Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (§ 611 Abs. 1 BGB).

Der Anspruch ist entstanden.

Grund und Höhe des Anspruchs stehen zwischen den Parteien außer Streit. Die Parteien haben jeweils einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen, bei dem es sich um einen Unterfall des Dienstverschaffungsvertrages handelt. Unstreitig hat die Insolvenzschuldnerin als gewerbsmäßige Verleiherin der Beklagten Arbeitnehmer überlassen. Ihre Leistungen hat die Schuldnerin unter 27. März 2009 sowie 3., 14. und 21. April 2009 in Rechnung gestellt. Unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlung verbleibt ein Betrag von 3.853,49 EUR.

Der Anspruch ist nicht untergegangen.

Soweit die Beklagte vorträgt, die Schuldnerin habe die von ihr vorgenommene Kürzung akzeptiert, ist darin keine abändernde Vereinbarung zu sehen. Das Vorbringen der Beklagten ist nicht dahin zu verstehen, die Schuldnerin oder der Kläger hätten auf den Anspruch verzichtet. An die Darlegung eines Verzichts sind ohnehin hohe Anforderungen zu stellen, deren Vorliegen hier nicht behauptet wurde. In ihrem Schreiben vom 30. Juni 2009 ist die Beklagte zudem selbst davon ausgegangen, die Restbeträge zu zahlen, sobald die von ihr angeforderten Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegen hätten.

Der Anspruch ist durchsetzbar.

Die erhobene Einrede der Verjährung ist nicht begründet. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) begann am 31. Dezember 2009 (§ 199 Abs. 1 BGB), wäre mithin am 31. Dezember 2012 abgelaufen. Mit Zustellung des Mahnbescheids am 12. Juli 2012 wurde die Verjährung allerdings gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Unter 18. Oktober 2012 ging beim Streitgericht die Anspruchsbegründung ein.

Der außerordentliche Rechtsbehelf der Verwirkung (§ 242 BGB) steht der Inanspruchnahme ebenfalls nicht entgegen.

Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Nach diesen Maßgaben ist eine Verwirkung zu verneinen. Die einzelnen Voraussetzungen sind nicht ersichtlich oder behauptet. Insbesondere genügt nicht, dass der Kläger die Beklagte am 15. Juni 2009 zur Zahlung aufgefordert hat, die Beklagte am 13. Juli 2009 die gekürzten Beträge zahlt und der Kläger den gesamten Restbetrag erst unter 6. Februar 2012 anmahnt.

Zwar kommt es für die Beurteilung der Zeitspanne, die bis zum Eintritt der Verwirkung verstrichen sein muss, auf die Umstände des Einzelfalles an; die Annahme fester Zeiträume kommt nicht in Betracht. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass der Anspruch der – kurzen - regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegt und daher eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur noch unter ganz besonderen Umständen angenommen werden kann. Das ist hier nicht zu erkennen. Insbesondere liegt kein Verhalten des Klägers vor, das einem stillschweigenden Verzicht nahekommt. Das Zuwarten mit der Aufforderung, den Restbetrag zu zahlen, reicht nicht. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass dem Gläubiger die regelmäßige Verjährungsfrist grundsätzlich ungekürzt zur Verfügung stehen muss.

Es liegen jedenfalls keine besonderen Umstände vor, die die jetzige Geltendmachung der Ansprüche als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte sich darauf eingerichtet hat, der Kläger werde die Restzahlung nicht mehr verlangen. In ihrem Schreiben vom 30. Juni 2009 (Anlage 7 = Bl. 19 GA) hat die Beklagte selbst ausgeführt, sie werde den Restbetrag überweisen, sobald die Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorliegen.

Schließlich steht der Beklagten kein Zurückbehaltungsrecht vor. Bei einer Arbeitnehmerüberlassung haftet der Entleiher gemäß § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV zwar wie ein selbstschuldnerischer Bürge subsidiär für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Hieraus folgt im Streitfall jedoch kein Zurückbehaltungsrecht wegen drohender Inanspruchnahme auf Zahlung dieser Beiträge.

Das gilt bereits vor dem Hintergrund, dass das Zurückbehaltungsrecht während der Insolvenz ohne Wirkung bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004, Az.: IX ZR 200/03, NJW 2005, 884 bis 888, Rn. 35, zitiert nach juris). Der BGH hat dort Folgendes ausgeführt:

„Ein allein auf § 273 Abs. 1 BGB gestütztes Zurückbehaltungsrecht hat zugunsten bloßer Insolvenzgläubiger innerhalb der Insolvenz keine Wirkung (vgl. BGHZ 150, 138, 145). Im Falle der Wirksamkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages hätte der Beklagten nur ein solches Zurückbehaltungsrecht zugestanden. Dies folgt aus § 51 Nrn. 2 und 3 Insolvenzordnung. Nach diesen Bestimmungen sind nur einzelne, bestimmte Zurückbehaltungsrechte insolvenzfest. Dazu rechnen insbesondere Zurückbehaltungsrechte wegen wertbeständiger Verwendungen auf eine Sache der Insolvenzmasse (§ 51 Nr. 2 InsO) sowie kaufmännische Zurückbehaltungsrechte (§ 51 Nr. 3 InsO), die nach § 371 Abs. 2 HGB ein pfandrechtsähnliches Selbstverwertungsrecht verleihen (vgl. BGHZ 150, 138, 145). Das durch den formungültigen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag näher ausgestaltete Zurückbehaltungsrecht an Teilen des vereinbarten Entgelts kam weder der Insolvenzmasse zugute, noch entfaltete es eine Drittwirkung, die das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht kennzeichnet (vgl. § 369 Abs. 2 HGB). Es wirkte nur zwischen den Vertragsparteien. Die vereinbarte Zahlungsweise stellt deshalb lediglich ein Zwangsmittel zur Durchsetzung einer rein persönlichen Gegenforderung dar, das in der Insolvenz über die Grenzen des § 51 InsO hinaus nicht zugelassen werden kann, weil es in Widerspruch zu dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger stünde (BGHZ aaO S. 145).“

Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall. Ein Zurückbehaltungsrecht im Sinne von § 51 Nr. 2 oder Nr. 3 InsO liegt nicht vor.

Ein Zurückbehaltungsrecht im Sinne des § 273 BGB ist auch vor dem Hintergrund nicht gegeben, das ein Verbot einer Aufrechnung auch ein Zurückbehaltungsrecht ausschließt, wenn die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts einen der unzulässigen Aufrechnung gleichkommenden Erfolg haben würde (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Auflage, § 273 Rn. 14). So liegt es hier mit Rücksicht auf das Aufrechnungsverbot in § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO.

Hiernach ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Eine Aufrechnungslage im vorliegenden Zusammenhang kann jedoch, wenn überhaupt, nur nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Der Bürge, dem der in Anspruch genommene Entleiher durch § 28 e Abs. 2 SGB IV gleichgestellt wird, kann erst dann Rückgriff in Form von Zahlung gegen den Hauptschuldner verlangen, wenn er aus der Bürgschaft tatsächlich in Anspruch genommen worden ist, also an den Gläubiger gezahlt hat. Dieser Anspruch folgt aus § 670 BGB. Überdies geht der Anspruch des Gläubigers gegen den Hauptschuldner gemäß § 774 BGB auf ihn über. Zahlungen der Beklagten an die Sozialversicherungsträger sind nicht erfolgt. Entsprechendes hat die Beklagte nicht behauptet. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte die Beklagte demnach noch keine Zahlungen an die Sozialversicherungsträger erbracht und hatte insoweit gegen die jetzige Insolvenzschuldnerin lediglich einen aufschiebend bedingten Zahlungsanspruch erworben, dessen Entstehung von der ungewissen Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch sie, die Beklagte, abhing. Aufschiebend bedingte Ansprüche sind jedoch nicht im Sinne des § 387 BGB voll wirksam, so dass mit ihnen nicht aufgerechnet werden kann (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Auflage, § 387 Rn. 11). Das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht käme der Aufrechnung gleich, die jedoch unzulässig wäre.

Nach allem kann der Kläger von der Beklagten die Zahlung von insgesamt 3.853,49 EUR verlangen.

Die Zinsforderung folgt aus den §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB.

Die Kosten für den Handelsregisterauszug in Höhe von 4,50 EUR hat die Beklagte dem Kläger als Verzugsschaden zu ersetzen (§§ 280 Abs.1, Abs. 2, 286 BGB). Der entsprechende Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB).

Die Nebenentscheidungen haben ihre rechtliche Grundlage in den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 3.853,49 EUR