OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.04.2007 - 5 A 523/07
Fundstelle
openJur 2013, 42541
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Die Darlegungen zur Begründung des Zulassungsantrags wecken keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Entgegen der Auffassung der Klägerin scheidet das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab für die am 9. August 2003 nach der Auflösung der Versammlung ergriffenen polizeilichen Maßnahmen aus. Es kommt nicht darauf an, dass die Auflösung der Versammlung - wie vom Verwaltungsgericht mittlerweile rechtskräftig festgestellt - rechtswidrig war. Denn auch die rechtswidrige Versammlungsauflösung haben die Versammlungsteilnehmer zunächst hinzunehmen. Ihnen bleibt lediglich die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Auflösung nachträglich gerichtlich feststellen zu lassen.

Vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 7. Dezember 1998 -1 BvR 831/89 -, juris Rdnr. 31.

Die Klägerin kann eine Verletzung des Art. 8 GG auch nicht daraus herleiten, dass die Versammlungsfreiheit neben der eigentlichen Versammlung ebenso das freie Zusammenströmen und das freie Auseinanderströmen der Teilnehmer schützt.

Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 9. September 2002 ‑ 12 K 2302/01 ‑ juris Rdnr. 21 mit Hinweis auf VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986, NVwZ 1987 S. 829 (833).

Denn diese Freiheit gilt nicht uneingeschränkt. Sie hat hinter berechtigten Strafverfolgungsmaßnahmen zurückzustehen. Hier war die nach § 163 StPO dem Legalitätsprinzip verpflichtete Polizei zur Verfolgung der am 9. August 2003 unstreitig begangenen Straftaten - zumindest des einfachen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 StGB - aufgerufen. Unerheblich ist, dass diese Straftaten letztlich ungeahndet blieben. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Einschreitens der Polizei war die Erhebung der öffentlichen Anklage noch nicht ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der streitigen polizeilichen Maßnahmen war die Klägerin auch einer solchen Straftat i.S.d. § 163 b Abs. 1 StPO verdächtig. Zwar hatte die Polizei zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme, Identitätsfeststellung und kleinen erkennungsdienstlichen Behandlung weder aus Videoaufzeichnungen noch aus Zeugenaussagen Beweistatsachen oder weitere Indizien dafür herausfiltern können, dass die Klägerin sich tatsächlich nach § 125 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hatte. Der Verdacht strafbewehrter Handlungen der Klägerin war aber gleichwohl von einer hinreichenden objektiven Grundlage getragen. Die Klägerin greift zu kurz, wenn sie einen Verdacht gegen sich allein deshalb verneint, weil sie bei der vor Ort vorgenommenen Auswertung der Videoaufnahmen nicht als Täterin erkannt worden ist. Die vor Ort erfolgte Auswertung der Videoaufnahmen konnte ihrer Art nach lediglich den sofortigen Zugriff auf eindeutig erkennbare Täter ermöglichen. Deren Vernehmung bzw. Zeugenaussagen hätten jedoch Anhaltspunkte für die weiteren, nicht sofort erkennbaren Täter liefern können. Strafbar nach § 125 Abs. 1 StGB macht sich nämlich auch, wer an den Gewalttätigkeiten als Teilnehmer beteiligt ist oder wer auf eine Menschenmenge einwirkt, um die Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten zu fördern. Auch diesbezüglich waren über die Auswertung von Videoaufnahmen hinausgehende Ermittlungen anzustellen, insbesondere die Identifizierung aller durch Gewalttätigkeiten auffällig gewordenen Täter und Teilnehmer. Die Polizei durfte überdies davon ausgehen, dass sich die übrigen erkennbar gewalttätig gewordenen Täter wie auch Teilnehmer und solche Personen, die die Bereitschaft zu den Gewalttätigkeiten gefördert hatten, noch auf dem Gelände des Grenzcamps aufhielten. Demgegenüber fehlten Entlastungsmomente, um die Klägerin von vornherein von jedem Verdacht auszunehmen. Ihre Ausführungen im Zulassungsverfahren zur Definition des Anfangsverdachts geben keine Veranlassung zu einer anderen Bewertung. Die Klägerin bestreitet nicht, sich zum Zeitpunkt der gewalttätigen Vorfälle auf dem Gelände des Grenzcamps befunden zu haben. Sie hat nicht angegeben, wo sie sich damals genau aufgehalten und was sie unmittelbar vor sowie während der Vorfälle getan hat. Der Verdacht im Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahmen gründet sich deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin nicht allein darauf, dass sie sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufgehalten hat. Vielmehr stand zugleich fest, dass in der nach Ort und Zeit konkretisierten Anzahl von insgesamt ca. 700 Personen bis zu 150 Personen als Täter oder Teilnehmer an den Gewalttätigkeiten beteiligt waren und eine (ebenfalls strafbewehrte) Einwirkung der übrigen Personen auf dem Gelände nicht von vornherein ausgeschlossen werden konnte. Vor diesem Hintergrund geht der von der Klägerin im Zulassungsverfahren angestellte Vergleich mit einer Rasterfahndung ersichtlich fehl.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 2. März 2001 - 5 B 273/01. Die Entscheidung ist für die vorliegende Konstellation nicht ergiebig. In ihr ging es um die Frage der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen gegen Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung.

Ebenfalls ohne Erfolg rügt die Klägerin mit der Zulassungsschrift die Unverhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Lüneburg in der Entscheidung vom 19. Mai 2005 - 3 A 354/03 - sind auf den Fall der Klägerin nicht übertragbar. Dort sollten als gewaltbereit eingeschätzte Demonstranten von einem Castor-Transport ferngehalten und so - polizeipräventiv - die Realisierung einer bis dahin noch unbestimmten Gefahr verhindert werden. Hier dagegen durfte - wie ausgeführt - die nach § 163 StPO dem Legalitätsprinzip verpflichtete Polizei nicht von der Strafverfolgung absehen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung lassen sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin der sog. "kleinen ED-Behandlung" erst in C. und nicht schon am Ort des Grenzcamps unterzogen wurde. Voraussetzung ist nach § 163 b Abs. 1 Satz 3 und 2 StPO, dass diese Maßnahme sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu (S. 11 und 12 des Urteilsabdrucks) hat die Klägerin mit der Zulassungsschrift nicht substantiiert angegriffen. Hierzu genügt nicht ihr bloßer Hinweis, diejenigen Personen, die das Gelände freiwillig verlassen hätten, seien bereits an den Kontrollstellen fotografiert und nicht nach C. verbracht worden. Damit hat die Klägerin weder die Tatsache gewürdigt, dass es zwischenzeitlich Nacht geworden war, noch den Umstand in den Blick genommen, dass die immerhin noch mehr als 300 Betroffenen infolge fehlender Mitwirkung bereits bei der Personalienfeststellung durchsucht werden mussten.

Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ordnungsgemäß dargelegt. Die Klägerin hat keine allgemeine Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.