LAG Hamm, Beschluss vom 12.04.2013 - 13 TaBV 64/12
Fundstelle
openJur 2013, 29347
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Arbeitgebers - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 05.07.2012 - 2 BV 1/12 O - teilweise abgeändert und der Tenor insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Wahl des Betriebsrats vom 19.12.2011 wird für unwirksam erklärt.

Der weitergehende Antrag wird abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für den Betriebsrat zugelassen und für den Arbeitgeber nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Über das Vermögen der vormals antragstellenden Arbeitgeberin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 01.04.2013 (21 IN 61/13) das Insolvenzverfahren eröffnet und der nunmehr zu 1. beteiligte Rechtsanwalt P1 als Insolvenzverwalter bestellt.

Die im M1 Betonfertigteilwerk der Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (im Folgenden kurz: Gewerkschaft) lud die dort beschäftigten Arbeitnehmer mit Schreiben vom 30.09.2011 zu einer "Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands" am 13.10.2011 um 14.00 Uhr in die Gaststätte "D1", ein.

Weiterhin heißt es im Einladungsschreiben auszugsweise wie folgt:

"Tagesordnung:

1. Ein Gewerkschaftssekretär wird die Bedeutung eines Betriebsrats für die Belegschaft und das Verfahren der Betriebsratswahl erläutern.

2. Es wird ein Wahlvorstand aus dem Kreise der Beschäftigten gewählt, der die Betriebsratswahl durchführt.

3. Aufstellen der Wählerliste durch den Wahlvorstand.

4. Erlass des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand.

5. Einreichung von Wahlvorschlägen für die Betriebsratswahl und Prüfung der Gültigkeit der Wahlvorschläge durch den Wahlvorstand.

6. Verschiedenes.

Wichtige Hinweise:

1. Wahlvorschläge zur Wahl des Betriebsrats können nur bis zum Ende dieser ersten Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstands gemacht werden. Der Betriebsrat wird auf einer zweiten Wahlversammlung gewählt, die eine Woche nach der ersten Wahlversammlung stattfindet. Wahlvorschläge zur Wahl des Betriebsrats müssen mindestens von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten unterzeichnet sein. In Betrieben mit der in der Regel bis zu zwanzig Wahlberechtigten reicht die Unterzeichnung durch zwei Wahlberechtigte.

Wahlvorschläge, die in der ersten Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstands gemacht werden, bedürfen nicht der Schriftform."

In der Versammlung, an der ca. 60 der insgesamt 113 wahlberechtigten Arbeitnehmer teilnahmen, wurde auf Vorschlag der Gewerkschaft ein dreiköpfiger Wahlvorstand gewählt, bestehend aus den Mitarbeitern Z1, H1 und S1. Weil der Wahlvorstand sodann feststellte, dass mehr als 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer erschienen waren, wurden die an ein vereinfachtes Wahlverfahren anknüpfenden Tagungsordnungspunkte 3. - 5. aus dem Einladungsschreiben nicht weiter behandelt. Stattdessen fasste der Wahlvorstand den Beschluss, das normale Wahlverfahren durchzuführen (Bl. 93 d. A.).

Auf seiner nächsten Sitzung am 03.11.2011 beschloss er dann das Wahlausschreiben, in dem die Wahl des Betriebsrates für den 19.12.2011 von 09.30 - 10.30 Uhr im Besprechungsraum Werk II anberaumt wurde (Bl. 28 f. d. A.).

In der Folgezeit ging beim Wahlvorstand ein "Wahlvorschlag K2 GmbH" ein (Bl. 99 ff. d. A.).

Am 19.12.2011 fand dann planmäßig die Wahl eines siebenköpfigen Betriebsrates statt.

Mit einem beim Arbeitsgericht am 02.02.2012 eingegangenen Antrag wendet sich die Arbeitgeberin gegen die Wirksamkeit dieser Wahl; sie hält sie für nichtig, hilfsweise für anfechtbar.

Sie hat die Auffassung vertreten, die erfolgte Einladung zur Wahlversammlung sei unwirksam, weil sie unzulässigerweise auf die Durchführung einer Wahl im vereinfachten Wahlverfahren ausgerichtet gewesen sei.

Auch müsse der ordnungsgemäße Aushang des Wahlausschreibens bestritten werden. So habe etwa der Mitarbeiter F2 von dessen Existenz nichts gewusst.

Davon abgesehen hätten die Fristen im Wahlausschreiben nur bis zum 17. und nicht bis zum 18.11.2011 laufen dürfen.

Des Weiteren sei keine Wahlvorschlagsliste wirksam beim Wahlvorstand eingegangen und von diesem veröffentlicht worden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 19.12.2011 nichtig ist,

hilfsweise die Betriebsratswahl vom 19.12.2011 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Er hat die Meinung vertreten, es sei unschädlich, dass bei der Einladung zur Wahlversammlung die Durchführung eines vereinfachten Wahlverfahrens beabsichtigt gewesen sei, weil der Fehler noch rechtzeitig erkannt und ordnungsgemäß korrigiert worden sei.

Das Wahlausschreiben sei am 04.11.2011 ordnungsgemäß in den Pausenräumen der Werke I und II ausgehängt worden. Es habe keine Pflicht bestanden, den langfristig erkrankten Arbeitnehmer F2 gesondert zu unterrichten.

Die Einspruchsfrist sei irrtümlicherweise auf den 17.11.2011 datiert worden, was aber ohne Folgen geblieben sei, weil auch bis zum Folgetag kein Einspruch eingegangen sei.

Die eine Wahlvorschlagsliste sei wirksam beim Wahlvorstand eingegangen. Die zusammengetackerten Seiten mit den Bewerbern und Stützunterschriften seien ordnungsgemäß in der Wahlakte abgelegt und veröffentlicht worden.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 05.07.2012 die Anträge abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das gewerkschaftliche Einladungsschreiben zwar insoweit nicht korrekt gewesen sei, als in ihm von einer unzutreffenden Betriebsgröße ausgegangen worden sei. Ein rechtserheblicher Verstoß gegen Wahlverfahrensvorschriften ergebe sich daraus aber nicht; in jedem Fall seien mögliche Fehler aber rechtzeitig durch den Wahlvorstand korrigiert worden. Davon abgesehen sei auch nicht erkennbar, dass dadurch das Wahlergebnis beeinflusst worden sei.

Das Wahlausschreiben sei auch ordnungsgemäß im Betrieb bekannt gemacht worden.

Die zu kurz bemessene Frist für die Einlegung von Einsprüchen habe sich auf das Wahlergebnis nicht auswirken können, weil nicht erkennbar sei, dass die Wählerliste Fehler aufgewiesen habe.

Die einzige Vorschlagsliste habe fristgerecht am 18.11.2011 im Büro des Wahlvorstandes vorgelegen, sei den inhaltlichen Anforderungen bezüglich der Bewerber und Stützunterschriften gerecht geworden und habe ordnungsgemäß im Betrieb ausgehangen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Beschwerde.

Sie rügt nunmehr erstmals, dass die Wahlversammlung am 13.10.2011 ohne Abstimmung mit ihr außerhalb des Betriebes stattgefunden habe. Im Übrigen wiederholt sie ihre erstinstanzlich erhobenen Einwände.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 05.07.2012 - 2 BV 1/12 O - abzuändern und festzustellen, dass die am 19.12.2011 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist,

hilfsweise die Betriebsratswahl vom 19.12.2011 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er behauptet, der einladenden Gewerkschaft sei aufgrund der vergeblich unternommenen vorherigen Gesprächsversuche klar gewesen, dass mit dem Einverständnis der Geschäftsleitung der Arbeitgeberin keine Wahlversammlung durchzuführen war. Davon abgesehen habe ein möglicher Fehler keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt.

Im Übrigen nimmt auch der Betriebsrat Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist in dem aus dem Tenor sich ergebenden Umfang begründet; im Übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen.

I. In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass der Rechtsstreit nach der zwischenzeitlich am 01.04.2013 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin nicht unterbrochen ist. Denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (03.04.2012 - 7 ABN 7/12) betreffen Beschlussverfahren wie hier nicht (unmittelbar) die Insolvenzmasse im Sinne des § 240 Satz 1 ZPO, weil in ihnen keine vermögensrechtlichen Ansprüche, z.B. nach § 40 BetrVG, verfolgt werden. So ist der Insolvenzverwalter in die betriebsverfassungs- und verfahrensrechtliche Rechtsposition der Insolvenzschuldnerin eingetreten, ohne dass es dazu besonderer Prozesserklärungen bedurfte.

II. Die im Betrieb der Arbeitgeberin erstmals durchgeführte Wahl eines Betriebsrates am 19.12.2011 ist anfechtbar und damit unwirksam; es liegen aber keine Nichtigkeitsgründe vor.

1. Die Anfechtbarkeit folgt aus einem Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (§ 19 Abs. 1 3. Fall BetrVG), weil entsprechend dem erstmals in der zweiten Instanz vorgebrachten Einwand der Arbeitgeberin die auf Gewerkschaftseinladung stattgefundene Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes am 13.10.2011 ohne einen feststellbaren Rechtfertigungsgrund nicht im Betrieb, sondern in einer mehr als sieben Kilometer entfernten Gaststätte stattgefunden hat.

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG muss die Wahl eines Wahlvorstandes in Fällen wie hier in einer Betriebsversammlung erfolgen, für die die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG gelten (BAG, 07.05.1986 - 2 AZR 349/85 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 18).

Eine solche Versammlung hat, sofern ein geeigneter Raum vorhanden ist, im Betrieb stattzufinden, weil es sich um einen innerbetrieblichen Vorgang handelt und auf diese Art und Weise die Nähe zum Betriebsgeschehen gewährleistet ist (DKK/Berg, 13. Aufl., § 42 Rn. 20; Fitting, 26. Aufl., § 42 Rn. 31; GK/Weber, 9. Aufl., § 42 Rn. 22; Richardi/Annuß, 13. Aufl., § 42 Rn. 16). In einer Konstellation wie hier wird das besonders deutlich. Denn wenn Arbeitnehmer erstmals zur Wahl eines Wahlvorstandes aufgerufen werden, sind sie erfahrungsgemäß eher geneigt, an einer Versammlung in räumlicher Nähe zu ihrem Arbeitsplatz im Betrieb teilzunehmen, statt diesen verlassen und sich an einem Donnerstag über mehr als sieben Kilometer zu einer Gaststätte begeben zu müssen, in der für 14.00 Uhr die "Wahlversammlung" anberaumt worden war.

Es ist nun vom Betriebsrat kein verifizierbarer Grund dafür vorgebracht worden, warum die Versammlung nicht am Betriebssitz stattfinden konnte. Allein der Verweis auf vergeblich durchgeführte vorangegangene Gesprächsversuche reicht dafür nicht aus. Vielmehr hätte durch die einladende Gewerkschaft bei der Arbeitgeberin die Überlassung eines geeigneten Betriebsraums verlangt und im Verweigerungsfall vielleicht sogar eine darauf gerichtete einstweilige Verfügung erwirkt werden müssen (vgl. Richardi/Annuß, a.a.O., § 42 Rn. 18). Wenn stattdessen sofort, ohne auch nur eine arbeitgeberseitige Stellungnahme einzuholen, auf einen Raum außerhalb des Betriebes ausgewichen wurde, wurde damit den zwingenden Anforderungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht in ausreichendem Umfang Rechnung getragen und damit der für alle demokratischen Wahlen geltende Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verletzt (vgl. BAG, 07.05.1986 - 2 AZR 349/85 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 18).

2. Demzufolge fand am 13.10.2011 die Wahl des Wahlvorstandes an einem Ort statt, an dem sie nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Dieser (einfache) Errichtungsfehler führt zur Anfechtbarkeit der angegriffenen Wahl (vgl. BAG, 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 - AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 2). Denn durch den Verstoß gegen die Vorschrift zur Abhaltung der Versammlung im Betrieb konnte auch das Wahlergebnis beeinflusst werden (§ 19 Abs. 1 a. E. BetrVG).

So erschienen zur Versammlung in der Gaststätte "nur" ca. 60, also rund die Hälfte der 113 wahlberechtigten Arbeitnehmer. Es ist nicht auszuschließen, dass vor Ort im Betrieb sich schon wegen der räumlichen Nähe und des damit verbundenen geringeren Aufwands mehr Mitarbeiter an der Wahl des Wahlvorstandes beteiligt hätten und damit möglicherweise ein anderes Ergebnis erzielt worden wäre.

Eine danach denkbare andere personelle Zusammensetzung des Wahlvorstandes kann das Ergebnis der Betriebsratswahl beeinflusst haben. Denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (31.05.2000 - 7 ABR 78/98 - AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12; 14.09.1988 - 7 ABR 93/87 - AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 1; zust. LAG Hamm, 13.04.2012 - 10 TaBV 109/11 - LAGE BetrVG 2001 § 19 Nr. 5) hat ein Wahlvorstand nach der Wahlordnung zahlreiche Ermessensentscheidungen zu treffen, die, abhängig von der personellen Zusammensetzung, unterschiedlich ausfallen und sich auf das Wahlergebnis auswirken können.

III. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist die durchgeführte Wahl aber nicht als nichtig einzustufen.

Davon kann nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 - AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 2) nur in ganz besonderen Ausnahmefällen ausgegangen werden, wenn gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln.

In dem Zusammenhang können weder die Addition mehrerer eine Anfechtung rechtfertigender Fehler noch deren Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit einer Wahl führen (BAG, 19.11.2003 - 7 ABR 24/03 - AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 54).

Nach diesen Grundsätzen sind hier keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit ersichtlich. Die von der Arbeitgeberin erhobenen Rügen beziehen sich auf Mängel des Wahlverfahrens, die ausnahmslos allenfalls eine Anfechtbarkeit der Wahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG rechtfertigen können, z.B. was die Einladung und Durchführung der "Wahlversammlung", die Bekanntmachung des Wahlausschreibens sowie die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen angeht (vgl. Fitting, a.a.O., § 19 Rn. 22). Sie sind in keinem Falle so offensichtlich und gravierend, dass man ganz ausnahmsweise zur Nichtigkeit der durchgeführten Wahl kommen könnte.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl führt, war für den Betriebsrat die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde für die Arbeitgeberin sind hingegen nicht gegeben.