VG München, Urteil vom 04.02.2013 - M 2 K 12.30870
Fundstelle
openJur 2013, 28945
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts ... vom ... November 2012 wird in Nrn. 2 bis 4 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist iranische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben am 10. August 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. August 2011 Asylantrag.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt ... (Bundesamt) am 27. April 2012 gab sie im Wesentlichen an, dass sie 2011 wegen ihres Wechsels zum Christentum für fünf Tage inhaftiert gewesen sei. Ihr ehemaliger Ehemann habe sie aus verletztem Stolz verraten. Nachdem sie Erklärungen unterschrieben habe, dass sie am islamischen Glauben festhalte und keinen Kontakt zu christlichen Glaubensbrüdern aufnehme, und ihre Eltern Geld für die Freilassung gezahlt hätten, sei sie entlassen worden. Bereits vor der Verhaftung habe ihr Exmann ihren Vater erpresst, indem er gedroht habe, ihren Glaubenswechsel zu verraten und ihr Säure ins Gesicht zu spritzen. Zudem habe ihr Halbbruder ihr eine Pistole an den Kopf gehalten und gedroht, sie zu erschießen. Die Klägerin legte mehrere Atteste vor, wonach sie unter posttraumatischer Belastungsstörung leide und sich zeitweise in stationärer Behandlung befunden habe.

Mit Bescheid vom ... November 2012 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (1.), verneinte das Vorliegen der Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (2.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (3.) und forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bestandskraft des Bescheides zu verlassen, wobei die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen zur Aufnahme der Klägerin bereiten oder verpflichteten Staat angedroht wurde (4.). Zur Begründung wurde vor allem ausgeführt, dass Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen der Klägerin bestünden. Ihre Darstellungen seien oberflächlich und substanzarm gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass ihr eine öffentliche Betätigung ihres Glaubens eine Herzensangelegenheit sei. Die vorgebrachten Erkrankungen der Klägerin seien im Übrigen im Iran behandelbar.

Die Klägerin ließ am 19. November 2012 durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage erheben und beantragte,

1. den Bescheid des Bundesamts vom ... November 2012 in Nrn. 2, 3 und 4 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) anzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass bei der Klägerin Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen im bisherigen Verfahren Bezug genommen. Sofern das Bundesamt ausführe, die Angaben der Klägerin seien vage und detailarm, sei darauf hinzuweisen, dass sich die psychische Erkrankung offenkundig bei der Anhörung gezeigt habe, wie das Protokoll belege. Im Übrigen habe die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, wie es zur Hinwendung zum Christentum gekommen sei. Die Klägerin habe nach Gott gesucht und sie treibe ein großes spirituelles Interesse an. Auch in ... lebe sie ihren Glauben aktiv, indem sie regelmäßig an Gottesdiensten teilnehme, aber auch in der Kirchengemeinde mitarbeite. Sie nehme an Seminaren und religiösen Unterweisungen teil und habe eine Konferenz in ... vom 2. bis 5. August 2012 besucht. Die Klägerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und stehe unter Betreuung. Sie befinde sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung und erhalte Medikamente. Ein Attest vom 8. Januar 2013, wonach die Klägerin in regelmäßiger psychischer Behandlung sei und unter Ängsten, Alpträumen und depressiven Verstimmungen wegen der belastenden Erlebnisse im Heimatland und in ihrer Ehe leide sowie eine Bestätigung der Christlichen Gemeinschaft vom 7. Januar 2013 über die Taufe und die Teilnahme an einem Grundkurs, an Gottesdiensten und diversen Treffen bzw. Veranstaltungen wurde vorgelegt.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. November 2012,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vom Bundesamt vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2013 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet, da der Bescheid des Bundesamts vom ... November 2012 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, soweit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint werden und die Klägerin unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert wird. Die Klägerin hat Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegen.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2013 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Klägerin aufgrund ihrer bereits im Iran vollzogenen Hinwendung zum christlichen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran weitere asylerhebliche Rechtsverletzungen drohen.

Nach Art. 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates) gehört zur Religion die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Nach der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Oktober 2007 (Az. 14 B 06.30315 – juris) sind davon alle Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen erfasst, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen, so lange solche religiösen Handlungen nicht in einer erheblich den öffentlichen Frieden störenden Weise in die Lebenssphäre anderer Bürger eingreifen. Innerhalb dieser Grenzen ist auch derjenige geschützt, der unter dem Zwang der äußeren Umstände aus Furcht vor Verfolgung seine religiösen Bedürfnisse nur abseits der Öffentlichkeit oder heimlich auslebt, ohne dass es auf den Maßstab der im Iran traditionell beheimateten christlichen Konfessionen ankommt, die um ihrer Existenz willen auf Missionsarbeit verzichten (ebenso OVG Sachsen v. 3.4.2008 – A 2B 36/06 – juris; VG Stuttgart v. 21.1.2008 – 11 K 552/07NVwZ-RR 2008, 577). Der Schutz des Art. 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie gilt im gleichen Umfang für Konvertiten wie für Gläubige, die ihre durch Geburt erworbene Religion beibehalten.

An der Ernsthaftigkeit des Übertritts der Klägerin zum christlichen Glauben bestehen nach Auffassung des Gerichts keine Zweifel. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend und detailliert dargelegt, wie es zu dem Glaubenswechsel kam. Sie hat sich zu allen Fragen spontan, ausführlich und widerspruchsfrei geäußert. So hat sie ausführlich und lebhaft geschildert, dass sie schon immer auf der Suche nach Gott war. Insbesondere die glaubhaften Ausführungen zu ihren Erlebnissen auf der Pilgerreise nach Mekka, bei der ihr aufgrund ihrer Menstruation der Zutritt zum Gotteshaus verweigert worden war, führten nachvollziehbar zur Abwendung vom Islam. Glaubhaft ist auch, dass sie über ihren Cousin, der schon vor einigen Jahren zum Christentum konvertiert war, an den christlichen Glauben herangeführt wurde.

Ausweislich der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin sich auch sehr intensiv mit dem christlichen Glauben befasst. Sie verfügt über recht tiefgehendes Bibelwissen und nante die 10 Gebote ohne zu zögern. Auch die wesentlichen Unterschiede zwischen Islam und Christentum, die für ihren Übertritt hauptursächlich waren, konnte sie in der Verhandlung schildern sowie eine Abgrenzung zum Judentum vornehmen. Aufgrund der mündlichen Verhandlung gewann das Gericht den Eindruck, dass die Klägerin sich nicht nur inhaltlich mit dem christlichen Glauben ausführlich auseinandergesetzt hat, sondern dass sie auch davon überzeugt ist, dass der christliche Glaube ihren Gottesvorstellungen weitaus mehr entspricht als der Islam.

Bei ihrer Rückkehr in den Iran hätte die Klägerin nach Auffassung des Gerichts erhebliche Verfolgungshandlungen zu befürchten. Der politische justizielle Druck hat auf konvertierte Muslime im Iran stark zugenommen (vgl. Gutachten U. B. v. 15.10.2008). Auch das Kompetenzzentrum Orient Okzident Mainz (KOOM) hat in seinen Stellungnahmen vom 22. September und 29. Februar 2008 ausgeführt, dass Aktivitäten der nicht von der iranischen Verfassung anerkannten christlichen Gemeinschaft, wie der evangelischen Kirchen, ständig von staatlicher Verfolgung bedroht sind. Außerdem stünde auf dem Glaubensabfall vom Islam nach iranischem Strafrecht die Todesstrafe. Konvertiten würden häufig wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten verurteilt.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass muslimische Konvertiten, die einer evangelikalen Gruppierung angehören, spätestens dann einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sind, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer solchen Gruppierung aufnehmen. Für derartige Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung selbst in häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, wobei auch für „einfache“ Mitglieder von einer konkreten Verfolgungsgefahr ausgegangen werden muss (vgl. Hess. VGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – DÖV 2010, 238; VG Stuttgart, U.v. 24.9.2009 – A 11 K 1146/08 – juris; VG Hannover, U.v. 10.9.2009 – 6 A 104/09 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 30.7.2009 – 5 A 1999/07.A – juris und 5 A 982/07.A – juris; Hess. VGH, U.v. 28.1.2009 – 6 A 1867/07.A – DÖV 2009, 467). Bei der Klägerin kommt hinzu, dass diese aufgrund ihrer Konversion im Iran bereits für fünf Tage inhaftiert war und nur entlassen wurde, nachdem sie unterschrieben hatte, keinen Kontakt zu Christen mehr aufzunehmen. Dem Glaubenswechsler ist es unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie aber nicht zuzumuten, öffentlich praktizierten Riten der Glaubensgemeinschaft fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – juris).

Die Klägerin hat somit einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Auf den hilfsweise gestellten Antrag, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen, kam es daher nicht mehr an.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.