AG Neuss, Urteil vom 21.05.2010 - 50 F 244/09
Fundstelle
openJur 2013, 28583
  • Rkr:

Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen für Besuche des unterhaltsberechtigten Elternteils mindern die Leistungsfähigkeit

Tenor

1 Die Klage wird abgewiesen.

2 Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3 Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Mutter der Beklagten, Frau N., geboren am 00.00.0000, befindet sich in H und wird mit Hilfe zur Pflege nach den Bestimmungen des SGB - XII durch die Klägerin unterstützt. Die Beklagte wurde über die Hilfegewährung mit Schreiben vom 11.04.2001 informiert und aufgefordert, Auskunft über ihr Einkommen zu erteilen. Die Mutter war zunächst in der Lage, die Heimkosten aus vorhandenem Vermögen selbst zu tragen. Ab dem 01.04.2001 wurde Sozialhilfe gewährt. Mit Schreiben vom 29.08.2008 wurde die Beklagte erneut aufgefordert, ihr Einkommen zwecks Überprüfung der Leistungsfähigkeit darzulegen. Die Beklagte lebt mit einem Lebensgefährten zusammen. Sie besucht ihre Mutter jedes Wochenende bei einer Fahrtstrecke von insgesamt 120 km mit Fahrtkosten in Höhe von 153,00 €.

Die Klägerin erbrachte Sozialhilfeleistungen für die Mutter wie folgt:

September 2008: 1.849,00 €,

Oktober 2008: 1.882,55 €,

November 2008: 1.849,00 €,

Dezember 2008: 1.882,55 €,

Januar 2009: 1.912,83 €,

Februar 2009: 1.663,80 €,

März 2009: 1.912,83 €,

April 2009: 1.829,14 €,

Mai 2009 1.878,56 €,

Juni 2009 1.796,95 €,

Juli 2009 1.860,01 €,

August 2009 1.858,41 €,

September 2009 1.777,90 €,

Oktober 2009 1.858,98 €,

November 2009 1.777,07 €,

Dezember 2009 1.858,98 €.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor:

Die Beklagte habe sei im Jahr 2008 in Höhe von monatlich 129,00 € leistungsfähig, im Jahr 2009 in Höhe von monatlich 118,00 €.

Die Beklagte sei in Höhe eines Anteils von 95,00 € leistungsfähig. Die Steuererstattung für das Jahr 2006 sei im November 2007 erfolgt, somit im zugrundeliegenden Zeitraum. Da die Beklagte mit einem Lebensgefährten zusammenlebe, sei eine Kostenersparnis in Höhe von 14 % des Nettoeinkommens im Rahmen der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Kosten für die Besuchsfahrten zur Mutter seien aus dem erhöhten Selbstbehalt zu bestreiten, da sie ansonsten teilweise vom Unterhaltsberechtigten zu tragen wären. Ebenso seien die Kosten für eine Unfallversicherung, eine Rechtsschutzversicherung und die Kfz-Versicherung aus dem Selbstbehalt zu tragen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Unterhalt für die Mutter der Beklagten für die Zeit vom 01.09.2008 bis zum 31.12.2009 in Höhe von 1.932,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 760,00 € seit dem 09.07.2009 und aus 1.172,00 e seit dem07.04.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor:

Für den Ansatz häuslicher Ersparnisse bleibe kein Raum, da die Beklagte unstreitig nicht verheiratet sei. Der Lebensgefährte der Beklagten sei seit dem 01.02.2009 arbeitslos und beziehe zurzeit Krankengeld in Höhe von rund 930,00 €. Ab Februar 2009 habe er Arbeitslosengeld in Höhe von 936,00 € bezogen, ab dem 19.11.09 nach ununterbrochener Arbeitslosigkeit Krankengeld in Höhe von 930,00 €.

Von ihrem Einkommen seien folgende Beträge abzuziehen:

- Fahrtkosten für die Besuche bei der Mutter: 153,00 €

- durchschnittliche monatliche Versicherungsbeiträge: 110,00 €

- Sparbetrag als Altersvorsorge: 25,00 €

- tatsächliche Wohnkosten über den im Selbstbehalt enthaltenen Betrag: 160,00 €

- Kosten für eine kiefernorthopädische Behandlung gemäß Rechnung vom 27.03.2009 in Höhe von 299,88 €, vom 30.06.2009 in Höhe von 1.235,87 €, vom 05.10.2009 in Höhe von 666,93 € sowie vom 12.01.2010 von 371,14 €.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist gemäß § 94 Abs. 4 SGB XII berechtigt, den Unterhaltsanspruch der Mutter der Beklagten gegen die Beklagte geltend zu machen.

Der Anspruch auf Elternunterhalt folgt aus § 1601 ff. BGB. Die Beklagte ist unstreitig die allein leistungsfähige Unterhaltsverpflichtete. Der Unterhaltsbedarf der Mutter ist offensichtlich. Er wird durch die Unterbringung in einem Heim und die Erbringung von Sozialhilfeleistungen bestimmt.

Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts Unterhalt zu gewähren (§ 1603 BGB). In Anbetracht der Höhe der Kosten und der häufig unabsehbaren Dauer der Inanspruchnahme des Unterhaltsverpflichteten ist es regelmäßig nicht zumutbar, diesen zu einer Einschränkung seiner angemessenen, der Ausbildung und sozialen Stellung entsprechenden Lebensverhältnisse zu verpflichten.

Vom Einkommen der Beklagten vorweg abzuziehen sind die - im Wesentlichen unstreitigen - Belastungen, die die Lebensstellung schon vor der Inanspruchnahme geprägt haben, da der Pflichtige keine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus hinzunehmen (Wendl-Pauling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, § 2 Rn. 638).

Im Jahr 2008 erzielte die Beklagte ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2008 (Kopie Bl. 110 GA) monatlich durchschnittlich netto 1.685,53 €.

Abzuziehen sind unstreitig:

- pauschale berufsbedingte Aufwendungen von 84,28 €

- Altersvorsorge: 72,20 €

- erhöhte Wohnkosten: 130,00 €

- Versicherungen: 38,47 €.

Weitere Wohnkosten sind nicht zu berücksichtigen, da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass diese notwendig und unvermeidbar sind.

Kosten für die kieferorthopädische Behandlung sind nicht zu berücksichtigen, da die Beklagte nicht dargelegt, weshalb die Kosten nicht von der Krankenversicherung getragen werden.

Zu berücksichtigen sind jedoch die monatlichen Aufwendungen für den Besuch der Mutter der Beklagten von monatlich 153,00 €. Auch wenn damit der Unterhaltsbedarf der Mutter nicht gedeckt wird, ist doch die persönliche Zuwendung durch Kinder von großer Bedeutung. Solche Kosten sind bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Es wäre unangemessen, von Kindern notfalls die Einstellung der Besuche bei der Mutter zu verlangen oder sie auf die Inanspruchnahme des Selbstbehaltes zu verweisen (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, S. 572).

Die Steuererstattung, die im November 2007 gezahlt wurde, ist für einen Zeitraum im Jahr 2008 nicht zu berücksichtigen.

Eine Kostenersparnis von 14 % des Nettoeinkommens aufgrund des Zusammenlebens mit einem Lebensgefährten ist nicht zu veranschlagen, da im Hinblick auf die erhöhten Wohnkosten hier einer derartige Ersparnis nicht unterstellt werden kann.

Die Stromkosten sind aus dem Selbstbehalt zu tragen. Dies gilt auch für die Kosten für die Unfall-, Rechtsschutz- und Kfz-Versicherung.

Daraus ergibt sich ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.291,86 €, das unter dem angemessenen Selbstbehalt von 1.400,00 € liegt.

Im Jahr 2009 erzielte die Beklagte ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2009 (Kopie Bl. 72 GA) monatlich durchschnittlich netto 1.699,88 €. Hinzu kommt ein Betrag von monatlich 35,77 € aufgrund der Steuererstattung gemäß dem Bescheid vom 20.03.2009 (Kopie Bl. 68 GA). Auch daraus ergibt sich unter Berücksichtigung der dargestellten Belastungen kein Einkommen, das über dem Selbstbehalt liegt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 8, 711 ZPO.

Streitwert:

bis zum 22.03.2010: 760,00 €, danach: 1.932,00 €.